Freiburg ist weder „Bullerbü“ (so unser OB, Dieter Salomon) noch ein Hobbitdorf – sondern eine kleinere Großstadt mit rund 230.000 Einwohner*innen. In den letzten Tagen gibt es sehr viele Menschen, die über Freiburg schreiben (bis hin zur New York Times) – weil der vermutliche Täter im Mordfall Maria L. ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling aus Afghanistan ist, und weil manche es nicht aushalten, dass Freiburg weiterhin liberal und weltoffen sein möchte. Das, was da zu lesen ist, hat oft nicht so viel damit zu tun, wie diese Stadt sich anfühlt. Ich verlinke dazu einfach mal auf Ellas Blog und auf den diesbezüglichen Artikel heute im Sonntag, unserer lokalen Wochenendzeitung.
Der Rebell. Eine Miniatur
Der Rebell (seltener die R.-in); hat oder hatte Parteiämter oder Mandate inne; setzt seine Abweichung vom allgemeinen Kurs der Partei wohl in Szene. Über die Zeit wird das Löcken wider den Stachel zum bestimmenden Thema des Rebellen. Konstruktive Arbeit in der Partei kommt nur noch selten vor. Er wird nun in der Rolle des Rebells besetzt, etwa auf Talkshowsessel. Am Ende des medialen Spiels, kurz vor allgemeiner Ermüdung der auf den Rebellen fokussierten Aufmerksamkeit, kommt es manchmal zum eruptiven Austritt. Allerdings droht ohne Kontrastfolie schnell ein Verbrennen des Aufmerksamkeitswertes, das Interesse erlahmt, am Ende findet sich der Rebell als → einsamer Kämpfer im Schatten wieder.
Dauerschleifen
Patricia Cammarata hat was über die Gesellschaft der Liveticker aufgeschrieben, und ja, da ist einiges dran. Ich, ebenfalls Jahrgang 1975, zwar immer schon politisch interessiert, aber ebenfalls lange ohne Fernseher, kann mich noch gut an die Zeit erinnern, als Ereignisse am nächsten Tag in den Zeitungen standen. Oder vielleicht eine halbe Minute in den Radionachrichten eingenommen haben. Journalistisch gefiltert, zwar sicherlich auch mit Meinung, aber nicht in einem Sumpf von Spekulation in Dauerschleife ausgebreitet.
Es gibt eine Sehnsucht nach einfacheren Zeiten. In der nostalgischen Verklärung der Vergangenheit, mit dem Blick auf den eigenen Erfahrungshorizont, erscheint 2016 als das Jahr, in dem die Welt ins Chaos stürzt. Emotional geht mir das auch so.
Kommunikativer Vertrauensverlust in verunsicherten Zeiten
Kommunikationsguerilla produziert immer, immer, immer Verunsicherung. Und zerstört damit gesellschaftliches Vertrauen. Das ist unausweichlich. Trotzdem kann es legitim sein, zu dieser Form politischer Aktion zu greifen. Beispielsweise dann, wenn es darum geht, etwas scheinbar Selbstverständliches in Frage zu stellen, an Institutionen zu rütteln, Menschen dazu anzuregen, nachzudenken und nicht einfach hinzunehmen, was ist. (Da hat Kommunikationsguerilla einiges mit Soziologie gemeinsam, aber das ist eine andere Geschichte).
Weil Kommunikationsguerilla Vertrauen zerstört, und weil, wenn es eines gibt, was in dieser Gesellschaft gerade fehlt, Vertrauen ist, bin ich so verärgert darüber, dass gestern jemand die Geschichte in die Welt gesetzt hat, dass aufgrund des tagelangen Wartens in der Kälte vor dem Berliner „Lageso“ ein Flüchtling gestorben ist. Ich gehöre zu den tausenden Menschen, die diese Geschichte geglaubt haben, und die sie weitergegeben haben.
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Selbstbild als Merkel-Fangirl
CC-BY-ND, Heinrich-Böll-Stiftung
Zu meinem großen Erstaunen fand ich die Bundeskanzlerin heute geradlinig, klug, sympathisch und präzise. Aber der Reihe nach: nach einigen Schüssen aus der Regierungskoalition gegen die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel gab es heute die Gegenoffensive – eine Rede vor dem Europäischen Parlament (habe ich nicht gesehen) und ein großes Interview bei Anne Will, das Merkel nutzte, um ihre Position darzulegen und zu erläutern. (Ja, der Hashtag „#merkelwill“ passte durchaus …)
Beeindruckt haben mich Sätze wie der, dass sie nicht bei einem Überbietungswettbewerb der Abschreckung mitmachen möchte, und wie sie die Idee, dass ein Selfie mit der Kanzlerin Fluchtanreiz sein könnte, als Populismus entlarvte. Beeindruckt hat mich auch, wie offen Merkel dazu stand, dass die Situation sich von Tag zur Tag ändern kann, dass auch sie nur optimistisch darauf setzen kann, dass wir es schaffen. Und schließlich hat mich beeindruckt, dass sie klar festgestellt hat, dass eine Abschottung Deutschlands schlicht nicht funktionieren würde, selbst wenn sie denn gewollt wäre, und dass eine Diskussion um Obergrenzen nicht sinnvoll ist.