Auf der Suche nach einer Bewegung, die die Welt retten will

The Earth

Irgend­was läuft da schief. Es gibt eine Hand­voll glo­ba­ler Her­aus­for­de­run­gen – die Kli­ma­kri­se, und in deren Schlepp­tau die gan­zen übri­gen Nach­hal­tig­keits­the­men, die auch nicht ein­fach ver­schwun­den sind; neue Aus­beu­tungs­ver­hält­nis­se ganz unter­schied­li­cher Art; einen grund­le­gen­den Wan­del von Wirt­schaft, Arbeit und All­tag durch das Bün­del tech­no­lo­gi­scher Ent­wick­lun­gen, das gemein­hin als „Digi­ta­li­sie­rung“ bezeich­net wird. 

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Der Fluss ohne Form. Eine Kritik der Liquid Culture Declaration

River art I

Jörg Blum­tritt, Bene­dikt Köh­ler und Sab­ria David haben vor eini­gen Wochen eine Erklä­rung abge­ge­ben – die Decla­ra­ti­on of Liquid Cul­tu­re.

Dem Spiel mit dem Adjek­tiv liquid (flüs­sig, auch: liqui­de, zah­lungs­fä­hig; viel­leicht auch sowas wie das neue open) ent­spre­chend neh­men die AutorIn­nen als ihr Leit­mo­tiv das Bild des Flus­ses der Geschich­te, der jetzt – an den Marsch­lan­den der Post­mo­der­ne vor­bei – in die kon­tu­ren­lo­se offe­ne See der Gegen­wart fließt. Ori­en­tie­rung auf die­sem Meer – im Zusam­men­hang mit dem Inter­net kein neu­es Bild (Bickenbach/Maye 1997) – geben nur noch die Sterne.
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In eigener Sache: Essay über Netz und Politik bei dradio.de

Unter dem Label diskurs.dradio.de betreibt der Deutsch­land­funk ein Debat­ten­por­tal, in dem zur Zeit über ver­schie­de­ne Aspek­te von Poli­tik, Medi­en und Öffent­lich­keit in Zei­ten der Digi­ta­li­sie­rung dis­ku­tiert wird. Net­ter­wei­se durf­te ich auch ein Essay für die­ses Por­tal schrei­ben, das heu­te unter dem Titel „Fest, flüs­sig, flüch­tig: Aggre­gat­zu­stän­de des Poli­ti­schen im Netz“ ver­öf­fent­licht wur­de und natür­lich unbe­dingt lesens­wert ist.

Eigent­lich woll­te ich ja dar­über schrei­ben, dass hin­ter den schein­bar so flüch­ti­gen Pro­test­for­men im Netz und mit dem Netz kei­nes­wegs flüch­ti­ge­re sozia­le For­ma­tio­nen und Milieus ste­hen, als das bei ande­ren poli­ti­schen Akti­vi­tä­ten der Fall ist. 

Die­sen Vor­satz ein­zu­hal­ten ist inso­fern miss­lun­gen, als ich fest­ge­stellt habe, dass ich dann doch erst ein­mal mei­ne tech­nik­so­zio­lo­gisch und pra­xis­theo­re­tisch gepräg­te Sicht auf „das Netz“ los­wer­den muss­te – in einem ers­ten Teil, der mit der (wie ich fin­de) schö­nen Tau­to­lo­gie „Das Netz ist das Netz.“ beginnt. Eine Schluss­fol­ge­rung die­ses ers­ten, all­ge­mei­nen Teils des Essays ist die Beob­ach­tung, dass es para­do­xer­wei­se gera­de in den sich über­lap­pen­den Tei­löf­fent­lich­kei­ten des Net­zes not­wen­dig wird, als Per­son, als Ganz­heit auf­zu­tre­ten – und damit die funk­tio­na­le Dif­fe­ren­zie­rung der luh­man­nia­ni­schen Moder­ne ein Stück weit zu überwinden. 

Der zwei­te Teil des Essays wid­met sich dann doch noch den flüch­ti­gen Pro­test­for­men, und ver­gleicht die Netz­be­we­gung (ja, auch die Pira­ten­par­tei) mit den neu­en sozia­len Beweegun­gen der 1970er und 1980er Jah­re, und deren milieu­bil­den­den Arrangements. 

Und nun wür­de mich inter­es­sie­ren, ob das geehr­te Publi­kum den Text und die dar­in auf­ge­stell­ten The­sen eini­ger­ma­ßen nach­voll­zieh­bar findet.

Wes­ter­may­er, Till (2012): »Fest, flüs­sig, flüch­tig: Aggre­gat­zu­stän­de des Poli­ti­schen im Netz«, diskurs.dradio.de, Debat­ten­por­tal des Deutsch­land­funk, 26.03.2012, URL: http://diskurs.dradio.de/2012/03/26/fest-flussig-fluchtig-aggregatzustande-des-politischen-im-netz/.

Windup Girl und Peak oil, oder: Nach der Globalisierung

Red tomatoes I

Ein inter­es­san­ter Aspekt von Pao­lo Baci­g­alu­pis neu­em Sci­ence-Fic­tion-Werk „The Win­dup Girl“ – übri­gens zurecht als zeit­ge­nös­si­sches Gegen­stück zu Wil­liam Gib­sons Neu­ro­man­cer-Tri­lo­gie gehan­delt und in einem Atem­zug mit Ian McDo­nald genannt – ist die Tat­sa­che, dass Baci­g­alu­pi sei­ne Erzäh­lung in einer Zukunft statt­fin­den lässt, die nach der Glo­ba­li­sie­rung ange­sie­delt ist. Für „The Win­dup Girl“ ist das mehr oder weni­ger nur der sze­ni­sche Hin­ter­grund einer Geschich­te, in der sich die fins­te­ren Pro­phe­zei­un­gen unkon­trol­lier­ba­rer Gen­ma­ni­pu­la­ti­on, agro­in­dus­tri­el­ler Nah­rungs­mit­tel­mo­no­po­le und der Kli­ma­ka­ta­stro­phe erfüllt haben. Trotz­dem möch­te ich „The Win­dup Girl“ zum Anlass neh­men, die­se Zukunft in den Blick zu nehmen.
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Teilhabe: Das Netz als Rückgrat der Gesellschaft

Gera­de ist die aktu­el­le Aus­ga­be der „Grü­nen Blät­ter“ – der Mit­glie­der­zeit­schrift der baden-würt­tem­ber­gi­schen Grü­nen, Nr. 2/2010 – erschie­nen. Die wid­met sich der Netz­po­li­tik (u.a. mit Bei­trä­gen von Chris Kühn, Julia See­li­ger, Kon­stan­tin von Notz und Lavi­nia Steiner/Henning Schü­rig), ist aber lei­der – soweit ich das sehe – noch nicht online inzwi­schen auch online (pdf). War­um Netz­po­li­tik? Sie­he hier.

Von mir ist auch was ent­hal­ten, näm­lich die­ser Text hier:

Teilhabe: Das Netz als Rückgrat der Gesellschaft

Als „back­bone“, Rück­grat, wer­den die gro­ßen Inter­net­ka­bel bezeich­net. Die­ses Bild hat einen wah­ren Kern: Wirt­schaft und Arbeit, aber auch Tei­le des Pri­vat­le­bens in einer mobi­ler und glo­ba­ler gewor­de­nen Gesell­schaft sind heu­te vom Zugang zu die­ser Infra­struk­tur abhän­gig. So ist das Inter­net schon jetzt für vie­le die ers­te Nach­rich­ten­quel­le, die ers­te Anlauf­stel­le bei Pro­ble­men – und der ers­te Schritt hin zu poli­ti­scher Beteiligung.

Der Sozio­lo­ge Manu­el Cas­tells hat dafür bereits 1999 den Begriff „Netz­werk­ge­sell­schaft“ geprägt. In der Netz­werk­ge­sell­schaft hängt gesell­schaft­li­che Teil­ha­be davon ab, ob jemand „ange­schlos­sen“ ist oder nicht. Das betrifft gan­ze Regio­nen eben­so wie sozia­le Grup­pen und Indi­vi­du­en. Das heißt auch: Die Poli­tik muss nicht mehr nur den Zugang zu Rund­funk und Tele­fon sicher­stel­len. Heu­te gehört der Zugang zum Netz zur Daseins­vor­sor­ge und muss ent­spre­chend abge­si­chert wer­den – gera­de auch in länd­li­chen Regio­nen. So gibt es in Finn­land einen Rechts­an­spruch auf Breit­band. Es geht aber auch dar­um, zu wel­chen Kon­di­tio­nen Netz­ver­trä­ge ange­bo­ten wer­den, und ob es Alter­na­ti­ven gibt, damit der Zugriff auf das Netz nicht vom Geld­beu­tel abhän­gig ist. 

Netz­zu­gang als Teil­ha­be­fra­ge meint jedoch noch mehr. Ange­spro­chen ist etwa die Medi­en­kom­pe­tenz, um das Netz erschlie­ßen und aktiv und gezielt nut­zen zu kön­nen. Dazu gehört die Kom­pe­tenz zur sou­ve­rä­nen Nicht­nut­zung. Ein leben­di­ges und viel­fäl­ti­ges Netz kann kei­ne Ein­bahn­stra­ße der Unter­hal­tungs­in­dus­trie sein. Gera­de die Mög­lich­keit, mit vie­len auf glei­cher Ebe­ne zu kom­mu­ni­zie­ren, ist eine Stär­ke des Net­zes. Aus dem pas­si­ven Medi­en­kon­sum kann so ein Gespräch werden.

Dazu braucht es poli­ti­sche Rah­men­be­din­gun­gen: Netz­neu­tra­li­tät heißt, unter­schied­li­che Daten­strö­me gleich zu behan­deln. Stan­dards des Daten­aus­tauschs müs­sen offen und all­ge­mein ver­wend­bar sein. Apple kon­trol­liert die Inhal­te auf dem iPad, Goog­le wird immer mehr zur „Daten­kra­ke“ und Face­book miss­ach­tet den Daten­schutz. Je mehr das all­täg­li­che Han­deln im Pri­vat­le­ben und am Arbeits­platz von der Macht pri­va­ter Fir­men abhängt, des­to wich­ti­ger wird es, hier Ver­brau­cher­schutz und grund­le­gen­de Rech­te durch­zu­set­zen: Wer ent­schei­det, wer teil­neh­men darf, wel­che Inhal­te erlaubt sind, und was mit gesam­mel­ten Nut­zungs­da­ten passiert?

Zum Netz als Medi­um der Teil­ha­be gehört es nicht zuletzt, dass öffent­lich pro­du­zier­ter Daten in offe­nen For­ma­ten bereit gestellt wer­den – von amt­li­chen Land­kar­ten bis hin zu wis­sen­schaft­li­chen Arbei­ten und Gut­ach­ten. So kann das Netz auch die Demo­kra­tie stär­ken: wenn etwa Sit­zungs­pro­to­kol­le und Beschlüs­se nach­les­bar und kom­men­tier­bar sind. Und war­um nicht online Unter­schrif­ten für Bür­ger­be­geh­ren und Volks­ent­schei­de sammeln?

In der Wis­sens­ge­sell­schaft ist der Zugang zum Netz eine poli­ti­sche Fra­ge. Jetzt kommt es dar­auf an, die rich­ti­gen Ant­wor­ten auf die­se Fra­ge zu fin­den – ohne dabei zu ver­ges­sen, dass es auch in Zukunft mög­lich sein muss, sich gegen die Nut­zung moder­ner Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel zu entscheiden.