Live vom grünen Länderrat in Berlin – gerade eben läuft die Debatte zum Fünf-Parteien-System. Sowohl in der politischen Rede von Reinhard Bütikofer als auch bei allen bisherigen RednerInnen – alle MdBs, gerade mit viel Applaus Renate Künast – gab es dazu nur eine Botschaft: wir sind grün, wir verabschieden uns von »natürlichen Bündnissen« (ohne jedoch Äquidistanz zu sehen), wir stehen für bestimmte Inhalte (dazu gleich mehr), und wir sind für alle Koalitionen offen, in denen wir diese Inhalte umsetzen können.
„Ein Grün ist ein Grün ist … live vom Länderrat (Update 6)“ weiterlesen
Schwarz-grün und das Fünf-Parteien-System
Heute im Spiegel:
Günther Oettinger (CDU) ist der erste führende Unionspolitiker, der für eine schwarz-grüne Zusammenarbeit auf Bundesebene schon 2009 plädiert […] Die Grünen forderte Oettinger auf, sich zwischen SPD und Linkspartei auf der einen und CDU und FDP auf der anderen zu entscheiden.
Genau so nicht! Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es Situationen geben kann, in denen in einer schwarz-grünen Koalition sachlich einfach mehr zu erreichen ist als durch Oppositionspolitik, ebenso, wie ich überzeugt davon bin, dass die sachlichen Übereinstimmungen zwischen SPD, Grünen und Linkspartei (also rot-grün-rot) meistens deutlich größer sind als in einem schwarz-grünen Bündnis. Sich deswegen von vorneherein auf einen »Linksblock« festzulegen, halte ich jedoch genauso falsch und vorgestrig wie das, was Oettinger hier fordert: nämlich wirklich zur neuen FDP zu werden. Wer schwarz-grüne Koalitionen möchte, muss meine ich ganz klar machen, dass es dabei nicht um die Wiedervereinigung des Bürgertums mit seinen verlorenen Söhnen (und Töchtern) geht, wie einige – auch aus der SPD – das gerne darstellen, sondern um eine Zusammenarbeit aus einem an Pragmatismus und dem Willen zur Problemlösung orientierten Politikverständnis.
Links: Die CDU mag Lagerwahlkämpfe, scheint mir. Rechts: 79 %.
Das heißt im übrigen auch, dass Lagerwahlkämpfe dann der Vergangenheit angehören sollten – im Zweifelsfall heißt ein Lager-Wahlkampf nämlich: große Koalition. Erst recht mottenkistig ist jedoch der Versuch, Grüne ins schwarze Bett zu ziehen. Dafür sollten wir uns als Partei schlichtweg zu schade sein. Aus der Perspektive finde ich übrigens auch einiges falsch, was gerade in Freiburg läuft, aber das wäre einen eigenen Blog-Eintrag wert.
Warum blogge ich das? Weil ich es falsch finde, schwarz-grün prinzipiell abzulehnen, aber die CDU es einem schwer macht, mögliche sachorientierte Mehrheiten aus links-grüner Perspektive zu verteidigen.
Glückwunsch nach Bremen
Dass der Länderrat in Bremen getagt hatte, scheint sich gelohnt zu haben – aber vermutlich hat das nur wenig zum tollen grünen Wahlergebnis beigetragen. Persönlich total glücklich wäre ich natürlich, wenn es überall so aussehen würde wie hier:
Wahlergebnisse Bremen-Steintor
Aber gut – die Welt besteht nun mal nicht nur aus Szenevierteln, in denen grün-dunkelrot eine Koalition aus Grünen und Linken eine lockere Mehrheit hätte. Dennoch: über 16 % bei einer Landtagswahl, das ist eine Superergebnis für Grüne. Und mit der Nachhaltigkeit klappt’s auch: JungwählerInnen – und in Bremen auch die schon etwas älteren bis 59 – haben Grüne gleichstark wie die CDU auf dem Stimmzettel. Jetzt hoffe ich nur, dass sich der grüne Wahlerfolg auch in einer grünen Regierungsbeteiligung widerspiegeln wird. Zu wünschen wäre es den KollegInnen aus dem Norden auf jeden Fall. Und dann gibt’s vielleicht auch einen etwas leistungsfähigeren Server.
Warum blogge ich das? Weil ich mich über das sehr gute grüne Abschneiden freue!
Am konservativsten von allen …
… ist die Junge Union Freiburg (und damit schon wieder so richtig niedlich). Jedenfalls fordern die in einer Pressemitteilung folgendes:
1. Streichung aller öffentlichen Gelder für die KTS (Grund: andere Einrichtungen bräuchten das Geld eher, die KTS hält sich nicht an Polizeibefehle)
2. Streichung aller öffentlichen Gelder für die »sog. Schattenparker« (keine Ahnung, ob die überhaupt welche kriegen oder was die JU damit meint, Grund: andere Einrichtungen bräuchten das Geld eher, die Schattenparker halten sich nicht an Polizeibefehle)
3. Keine Koalition der CDU mit den Grünen (Grund: gefährliche Anarchistenfreunde, die sich nur hinter einer bürgerlichen Fassade verstecken)
Während (1) und (2) so in etwa dem entspricht, was von einer ultrakonservativen Gruppe zu erwarten ist (und selbst aus dieser Sicht ziemlich dämlich ist – die JU würde glaube ich als erste protestieren, wenn das KTS-Publikum nicht mehr vorwiegend in der KTS, sondern vorwiegend z.B. in der Innenstadt oder auf der Straße zu finden wäre), ist die Aussagen zu (3) in der Pressemitteilung richtig amüsant. Zitat:
„Frau Viethen und die Grünen versuchen wohl mit ihrer demonstrativen Unterstützung der Anarchisten und mit ihrer polemischen Kritik an der Freiburger Polizei wieder Boden im linken Lager gut zu machen, den sie beim Beschluss für den Verkauf der Freiburger Stadtbau verloren haben. Damit zeigen die Grünen ihr widersprüchliches Gesicht und machen sich unglaubwürdig“, so Daniel Sander. […]
Die Äußerungen von Frau Viethen und Co. und deren Unterstützung der sinnlosen und gefährlichen Aktionen gegen den Staat hätten gezeigt, dass der bürgerliche Anschein, den die Grünen beim Wohnungsverkauf gewonnen hätten, nur Fassade sei. „Unter diesen Umständen ist auf absehbare Zeit keine kommunale Koalition mit den Freiburger Grünen und der CDU denkbar“, so Daniel Sander.
Mal abgesehen davon, dass im baden-württembergischen Kommunalrecht eh keine Koalitionen vorgesehen sind, und eine sachbezogene Politik anders aussieht, als in der pauschalen Ablehnung jeder Zusammenarbeit mit der stärksten Fraktion, so scheint mir die CDU – und insbesondere die JU – vor allem noch nicht ganz kapiert zu haben, dass es tatsächlich sowas wie eine »neue Bürgerlichkeit« gibt, dass Grüne in Freiburg längst nicht nur von Linksalternativen gewählt werden. Deutschlandweit wird das beispielsweise in den Milieustudien des SINUS-Instituts deutlich: bis Anfang der 1990er Jahren gab es demzufolge in Deutschland ein »Alternatives Milieu«, das etwa 4 % der Bevölkerung ausmachte, und eine Art (jugendliche) Subkultur darstellte. In den aktuellen SINUS-Studien gibt es dieses Milieu nicht mehr – dafür die »Postmateriellen«, eines der gesellschaftlichen Leitmilieus und mit etwa 12 % mindestens so stark wie die Konservativen.
Die Existenz dieser »verbürgerlichten Alternativen« – in Freiburg sicher deutlich mehr als 12 % – haben Teile der CDU/JU noch nicht begriffen. Sie laufen Feindbildern aus den 1980ern hinterher, die es so nicht mehr gibt. Und sie kapieren nicht, dass es inzwischen möglich ist, hohen Bildungsstatus und hohes Einkommen – mit allen Folgeerscheinungen wie dem Wohneigentum etc. – also die alten Insignien des Bürgertums – mit einem grün-bürgerrechtsliberalen Wertemuster zu verbinden, zu dem sowohl die Suche nach vernünftigen Haushalten als auch die Offenheit für kulturelle Experimente und alternative Lebensformen gehört.
Mit wem im Sommerloch koalieren?
Manchmal benimmt sich »mein« grüner Landesverband Baden-Württemberg so stereotyp und klischeehaft, dass er deswegen fast schon wieder lieb gewonnen werden muss. So im Sinne eines schrägen Typens mit etlichen Macken, der aber eigentlich ganz süß ist. Der Anlass für diese Sätze: eine gestern verschickte Pressemitteilung der Landesvorsitzenden Andreas Braun und Petra Selg, leider noch nicht auf der Website verlinkt. Ich zitiere mal die Hauptaussage (Hervorhebung von mir):
Grüne Landesvorsitzende zu Koalitionsspekulationen auf Bundesebene: Farbenspiele sind Sommertheater
»Überlegungen zu rot-rot-grün auf Bundesebene halten wir für reine Spekulationen und nichts weiter als Sommertheater«, erklärten die grünen Landesvorsitzenden Petra Selg und Andreas Braun. »Ärgerlich sind sie trotzdem, weil es keinerlei Anlass gibt, darüber zu spekulieren, auch nicht als vermeintliches Thema für das mediale Sommerloch.«
»Wir Grünen in Baden-Württemberg haben zu einem rot-rot-grünen Bündnis auf Bundesebene eine klare Haltung«, betonten Selg und Braun: »Wir lehnen nicht nur Spekulationen darüber strikt ab und möchten sie deutlich zurückweisen, sondern sehen auch nicht den realistischen Kern einer solchen Überlegung.«
Was ist an dieser Pressemitteilung irritierend? Erstens natürlich die Einseitigkeit. Aber angesichts der Liebe zu Schwarz-grün-Debatten bei einigen Parteifreunden wundert es mich nicht so sehr, dass nur über rot-rot-grün geredet wird. Irritierender finde ich zweitens, nämlich den Einblick, den diese Pressemitteilung in die Wahrnehmung der beiden Landesvorsitzenden gibt. Anlass dafür, sich zu Wort zu melden, sind »Überlegungen zu rot-rot-grün auf Bundesebene«. Die seien ein mediales Sommerlochthema und eigentlich ignorierbar. Wer jetzt etwas nachdenkt, was denn im Sommerloch diesen Jahres schon so alles verhackstückt wurde, wird schnell darauf kommen, dass kurz vor Äußerungen etwa Trittins zu rot-rot-grün andere Spekulationen standen: u.a. der Bundestagsabgeordnete Berninger, aber auch Teile der FDP und der große heimliche Vorsitzende a.D. fanden es vor zwei Wochen sexy, mal wieder über Jamaika nachzudenken. Erst danach kamen dann Stimmen, auch andere rechnerisch mögliche Mehrheiten anzuschauen. Schade eigentlich, dass sich niemand zur rot-grün-gelb äußert …
Eine kleine chronologische Presseschau dazu:
Die Neuauflage der Jamaika-Debatte
> Bericht in der Welt über Gespräche zwischen Fischer und Schäuble, 12.07.2006
> Franz Walter in Spiegel Online zu bürgerlichen Mehrheiten, 13.07.2006
> Westerwelle in der FAZ zum Jamaika, 15.07.2006
Reaktion: linke Koalition wäre doch auch ganz schön
> Trittin warnt in Spiegel Online vor Jamaika, 22.07.2006
Zur Sommerlochdebatte über »Koalitionen der bürgerlichen Mitte« gab es keine Pressemitteilung, wie die oben zitierte. Wenn wundert’s. Dabei scheint es mir viel wahrscheinlicher, dass ab Oktober in Berlin z.B. rot-rot-grün regiert wird, als dass es auf Landes- oder Bundesebene in nächster Zeit zu schwarz-gelb-grün kommt. Aber hinter Stuttgart scheint die Welt anders auszusehen.