Irgendwie kam Ostern dazwischen (s.o.) – jedenfalls folgt hier nun Teil II zu meiner Vorfrühlingsleseliste. Teil I mit den Fantasy-Romanen, die ich gelesen habe, ist am 6. April erschienen.
In medias res: Richtig gut gefallen hat mir Ken MacLeods Beyond the Reach of Earth (2023), der zweite Teil seiner Lightspeed-Trilogie. Kurz zum Hintergrund: die beiden großen Blöcke, die kapitalistische Alliance rund um die USA und die Coordinated States (Russland, China) haben schon vor einigen Jahrzehnten eine Methode entdeckt, um U‑Boote in der Raumzeit zu bewegen und damit ferne Sterne zu erkunden. Auf dem erdähnlichen Stern Apis gibt es geheime Basen beider Blöcke. Im ersten Teil geht es vor allem darum, dass nun auch Wissenschaftler*innen der mehr oder weniger kommunistischen europäischen Union (inkl. Schottland) – MacLeod macht aus seinen politischen Sympathien kein Geheimnis – diese Technologie entdecken. Am Schluss stürzt die europäische Venus-Kolonie ab – und v.a. werden intelligente Außerirdische entdeckt. Was es mit diesen auf sich hat, warum das mit der überlichtschnellen Raumfahrt nicht ganz so einfach ist, wie es am Anfang aussah, und was europäische Siedler*innen so auf Apis erleben, davon handelt Teil II. Besonders aktuell die Rolle verschiedener Roboter und allgegenwärtiger AI-System-Assistenzen. Erfrischend anders als der Space-Opera-Mainstream, sehr plausibel beschrieben und trotzdem komplett abgedreht – und gerade deswegen lesenswert.
Zum Teil treffen diese Beschreibungen auch auf Annalee Newitz lang erwartetes Buch The Terraformers (2023) zu. In mehreren Zeitebenen (10.000 Jahre und ähnlich große Zeitspannen vom heute entfernt) erleben wir die Besiedlung eines im Auftrag eines großen, galaxienweit agierenden Konzerns terraformten Planeten, Wirtschaftsspionage, Intrigen, Aufstände der mehr oder weniger Sklaven-Klone, sehr viel Gen- und Biotechnik und irgendwie auch eine Utopie des vernetzten Zusammenlebens ganz unterschiedlicher Lebensformen. Das ist alles wunderbar ausgedacht – trotzdem hat mich einiges immer wieder aus dem Lesefluss geworfen; etwa die schon angesprochenen riesigen Zeiträume, quasi-unsterbliche Personen, aber auch das das Buch durchziehende tiefenökologische Konzept, das alle Lebewesen am großen Ganzen teilhaben (und durch eine Art Uplifting Intelligenz bekommen). Bei Kühen ist das noch irgendwie glaubwürdig, bei Insektenkolonien … nicht so? Auf jeden Fall interessant und beeindruckend, aber kein Buch zum Verlieben.
Malka Olders The Mimicking of Known Successes (2023) hat ebenfalls ein interessantes Setting, kommt aber nicht an ihre Infomocracy-Reihe heran. Die Erde ist verwüstet, die Überlebenden haben rund um Jupiter ein Eisenbahn- und Plattform-Ringsystem aufgebaut, auf dem dieses Buch – zunächst ein Kriminalroman – spielt. Die Hauptfiguren waren mal zusammen, es gibt politische Bewegungen, die sich zwischen nostalgischer Bewahrung der verlorenen Erde und Blick nach vorne bewegen, und insgesamt mag „cozy“ durchaus eine zutreffende Beschreibung sein. Ein recht kurzes, freundliches Buch (trotz mehrerer Todesfälle), eine innovative Szenarie, aber irgendwie fehlte mir etwas.
Andersherum ging’s mir mit Greg Egans Scale (2022). Hier war ich zwar auf das Setting neugierig – nebeneinander her lebende und z.T. miteinander interagierende Gesellschaften von Menschen ganz unterschiedlicher Größe, unter The Science of Scale gibt es auf Egans Website auch eine Herleitung davon, wie das wissenschaftlich plausibel gemacht wird; letztlich geht es um unterschiedliche inner-atomare Zusammensetzung – neben Elektronen und Muonen gibt es hier gleich acht unterschiedliche Leptonen, die jeweils bestimmte Eigenschaften haben und v.a. Maßen, die von 1 bis 128 reichen. Die Menschen unterschiedlicher Größe bestehen jeweils aus Atomen, die eine Art von Leptonen bevorzugen, und kommen entsprechend z.B. auch nur mit Wasser oder Nahrungsmitteln aus dieser Zusammensetzung klar. Entsprechend verhalten sich die Größen (mir ist nicht ganz klargeworden, ob die Kleinsten zu den Größten hier 1:8, 1:64 oder 1:128 ausmachen, es sind aber beachtliche Unterschiede). Zugleich ist die Dichte sehr unterschiedlich – kleinste und größte Menschen bestehen aus der gleichen Zahl von Atomen, wiegen also auch „das selbe“. Zeit läuft für kleinere Menschen viel schneller ab als für größere Menschen usw. Jedenfalls: das klingt alles erst einmal furchtbar kompliziert und herbeigedacht, aber Egan gelingt es, vor diesem Hintergrund nicht nur einen Krimi, sondern letztlich einen Thriller und einen Revolutionsroman zu schreiben. Das hat mich sehr positiv überrascht. Wer selbst reinlesen möchte, findet den – harmlosen – Anfang auf der oben verlinkten Website.
Weniger überzeugt haben mich zwei „klassische“ SF-Romane. Arkas’d World von James L. Cambias (2019) spielt auf einem Planeten, der ein Geheimnis birgt, auf dem Wesen aus sehr unterschiedlichen – aber doch irgendwie stereotypen – Alien-Kulturen zusammenleben; die Menschheit ist von einer dieser Kulturen unterworfen worden, der titelgebende Arkad als auf dem Planeten geborener Mensch auf der Flucht auf diesem Planeten hat etwas von tollpatschigem Auserwählten. Bis er stirbt und das Ganze einen metaphysischen Drall bekommt.
Und auch Count to a Trillion von John C. Wright (2011) war dann nicht so ganz meins. Ich glaube, ich habe irgendwo Walter Jon Williams und John C. Wright zusammengeworfen und zu einer Person gemacht – derjenige mit den wirklich schlimm reaktionären Ideen ist John C. Wright (sorry, W.J. Williams!). Jedenfalls gelingt es ihm, eine weit in der Zukunft liegende Erde vorzustellen, in der fast nur Männer wichtige Rollen spielen, in der kulturelle und ethnische Unterscheidungen hochgehalten werden, und in der historische Moden von der Antike über die Kreuzfahrer bis zum Cowboy-Western wiederaufleben, während gleichzeitig hochintelligente Computersysteme, interstellare Raumschiffe und die Verarbeitung von Antimaterie (sowie extrem überlegene Außerirdische) vorkommen. Das mag mal amüsant sein, aber warm geworden bin ich damit nicht, und die Agenda dahinter, ein Zurück zur guten alten Zeit, als Männer noch Männer und Untertanen noch Untertanen waren, gefällt mir überhaupt nicht.