Science Fiction und Fantasy im Vorfrühling 2023 (Teil I)

Fairy lights

Die Lis­te der Sci­ence-Fic­tion- und Fan­ta­sy-Wer­ke, die ich gele­sen bzw. ange­schaut habe, ist schon wie­der recht lang. Bevor sie noch län­ger wird, schrei­be ich mal lie­ber was dazu.

Ange­guckt habe ich mir v.a. Seri­en. Andor (Dis­ney+) spielt im Star-Wars-Uni­ver­sum, ist aber eigent­lich ein Film über prä­re­vo­lu­tio­nä­re Umstän­de und (proto-)faschistische Herr­schaft. Sehr gut gemacht und sehens­wert und ganz anders, als es das Label Star Wars ver­mu­ten hät­te las­sen. Ähn­li­ches gilt für den Ani­ma­ti­ons­film Guil­ler­mo del Toros Pinoc­chio (Net­flix), der nicht nur eine Umset­zung der Pinoc­chio-Geschich­te ist, son­dern die­se sehr detail­ge­treu ins faschis­ti­schen Ita­li­en der 1930er Jah­re ver­setzt. Auch das sehr gut gemacht.

Mehr Unter­hal­tung und weni­ger poli­ti­scher Kom­men­tar dage­gen die bei­den Star-Trek-Seri­en, die ich ange­schaut habe bzw. noch anschaue: Stran­ge New Worlds (Para­mount+ – habe sie über ein Prime-Pro­bier-Ange­bot ange­schaut, bin aber immer noch genervt davon, dass Star Trek auf ein eige­nen Strea­ming-Kanal wan­dert …) – also, Stran­ge New Worlds ist ein biss­chen Zurück zu den Wur­zeln, eine zeit­ge­mä­ße Neu­auf­la­ge von TOS, mit ähn­li­ches Ästhe­tik, abge­schlos­se­nen Geschich­ten und einem Ver­zicht auf die Düs­ter­nis­von DS9 oder Dis­co­very. Die drit­te Staf­fel von Picard (Prime) holt mehr oder weni­ger alle TNG-Stars plus Seven ins Boot, bleibt in einem Set­ting, in dem die Fede­ra­ti­on kor­rupt gewor­den ist, und setzt auf eine über­grei­fen­de Geschich­te, mys­te­riö­se Rät­sel und Ver­wick­lun­gen und einen über­aus mäch­ti­gen Gegen­spie­ler. Funk­tio­niert trotz­dem bes­ser als die zwei­te Staf­fel, wür­de ich sagen.

Ange­schaut habe ich mir auch die zwei­te Staf­fel von Shadow & Bone (Net­flix) – sie spielt in einer Welt, die unse­rer recht ähn­lich ist, irgend­wo zwi­schen frü­her Neu­zeit und Früh­mo­der­ne, nur dass es hier Magie gibt, die bekämpft, als Waf­fe ein­ge­setzt, ver­heim­licht oder ganz offen gelebt wird, je nach kul­tu­rel­lem Set­ting. Die zugrun­de­lie­gen­den Bücher von Leigh Bard­u­go lau­fen unter „Young Adult“ – und, naja, neben dem Kampf zwi­schen Gut und Böse und inter­es­san­tem Wel­ten­buil­ding usw. ist halt auf­fäl­lig, dass so gut wie alle Per­so­nen (auch, wenn sie hun­der­te Jah­re alt sind) von hüb­schen Mitt­zwan­zi­gern gespielt werden. 

Gele­sen habe ich auch eini­ges, neben SF und Fan­ta­sy auch den his­to­ri­schen Roman Mon­tai­gnes Kat­ze von Nils Mink­mar (2022) – jetzt weiß ich sehr viel mehr über Mon­tai­gne und über Frank­reich und Euro­pa in den 1580er Jah­ren, von Mink­mar leben­dig erzählt – und das Sach­buch Im Mit­tel­al­ter: Hand­buch für Zeit­rei­sen­de von Ian Mor­ti­mer (2008), das aus­führ­lich und les­bar auf All­tags­le­ben, Gebräu­che, Ernäh­rung, Klei­dung, Gewalt und Kul­tur im Eng­land des 14. Jahr­hun­derts ein­geht, und es schafft, die Fremd­heit unse­rer Ver­gan­gen­heit anschau­lich zu machen.

In Fol­gen­den geht es mir um die Fan­ta­sy-Bücher, die ich gele­sen habe – zum The­ma Sci­ence Fic­tion kom­me ich dann in einem zwei­ten Teil.

Beson­ders beein­druckt hat mich The Hands of the Emper­or (2019) der kana­di­schen Autorin Vic­to­ria God­dard. Ich bin immer noch nicht ganz ent­schie­den, was ich von die­sem sehr lan­gen Roman hal­ten soll. Kip – Clio­pher Mdang – ist in die­sem Buch der Ver­wal­tungs­chef eines durch Magie zusam­men­ge­hal­te­nen, nach einem nie im Detail erklär­ten Zer­fall ver­un­si­cher­ten Impe­ri­ums und Pri­vat­se­kre­tär des von vie­len Tabus umge­be­nen Kai­sers. Was zunächst wie ein Buch über Palast­in­tri­gen und die Freu­den der Büro­kra­tie aus­sieht, wird nach und nach zu einer Uto­pie über Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus und die Vor­zü­ge eines bedin­gungs­lo­sen Grund­ein­kom­mens. Das alles so geschrie­ben, dass ich zumin­dest dann immer noch ein Kapi­tel mehr lesen muss­te. Was mich von einer vor­be­halts­lo­sen Emp­feh­lung abhält, ist ein Unter­ton des „edlen Wil­den“, der sich v.a. im zwei­ten Teil die­ses lan­gen ers­ten Bands ein­schleicht. Mdang ist am Kai­ser­hof ein Frem­der; der ers­te Ange­hö­ri­ge einer Süd­see­kul­tur („Vang­avaye-ve“ ist sehr poly­ne­sisch inspi­riert), der die Auf­nah­me­prü­fung für den Ver­wal­tungs­ap­pa­rat des Reichs bestan­den hat. Wie er mit die­sen zwei Wel­ten umgeht, ist inter­es­sant – aber irgend­wann wird er zu einem Hel­den, dem (bei allen per­sön­li­chen Schwie­rig­kei­ten) dann doch alles gelingt, und der von God­dard immer stär­ker in das Bild eines Aus­er­wähl­ten gepresst wird. Den­noch: wer in eine Welt ein­tau­chen möch­te, in der Span­nung nicht durch Kämp­fe erzeugt wird, in der Magie eher am Rand vor­kommt, und in der es hin­ter der Ober­flä­che des Wel­ten­baus wei­ter­geht, wird sich mit The Hands of the Emper­or, Kip, sei­nen Freund*innen und sei­ner weit­ver­zweig­ten Fami­lie anfreun­den. Und es gibt einen fast eben­so lan­gen zwei­ten Band und wei­te­re Geschich­ten God­dards, die in die­sem Sze­na­rio spielen.

Emp­feh­len möch­te ich Nao­mi Noviks Scho­lo­mance-Serie mit den Bän­den A Dead­ly Edu­ca­ti­on (2020), The Last Gra­dua­te (2021) und The Gol­den Encla­ves (2022). Das Set­ting wirkt auf den aller­ers­ten Blick bekannt: es gibt eine Schu­le, die von den Kin­dern der­je­ni­gen besucht wird, die zau­bern kön­nen, und die ihre Welt von der „Nor­ma­len“ klar abgren­zen und geheim hal­ten. Galadri­el „El“ Hig­gins, die Hel­din die­ser Tri­lo­gie, ist an die­ser Schu­le eine Außen­sei­te­rin. Ihre Mut­ter schlägt sich als Hei­le­rin in Hip­pie­kom­mu­nen in Wales durch (erst nach und nach erfah­ren wir mehr dar­über, war­um das so ist), die indi­sche Fami­lie ihres Vaters hat sie ver­sto­ßen – und: naja, schnell wird klar, dass es hier nicht um High-School-Dra­ma meets Zau­be­rei geht, son­dern eher dar­um, wie­viel Leid ein­zel­ner in Kauf genom­men wer­den kann, um ein Leben in Luxus und Schön­heit zu genie­ßen. Dass die Schu­le – „Scho­lo­mance“, selbst ein magi­sches Kon­strukt – ein abso­lut nicht unge­fähr­li­cher Ort ist, und in allen Ecken Mons­ter lau­ern, ist nur der ers­te Hin­weis dar­auf; dass längst nicht alle Schüler*innen den Auf­ent­halt über­le­ben, passt ins Bild. Kurz gesagt: Novik schafft es, einem inzwi­schen kli­schee­be­setz­ten Set­ting eine ganz neue und deut­lich tie­fe­re Geschich­te abzu­ge­win­nen. Und das lohnt sich.

Mein ers­ter Gedan­ke beim Titel von Emi­ly Wilde’s Ency­clo­paed­ia of Fae­ries (2023) von Hea­ther Faw­cett waren die Bild­le­xi­ka über Elfen, Zwer­ge und Dra­chen, die ver­mut­lich alle Kin­der der 1980er ken­nen. Dar­um geht es hier aber nicht. Viel­mehr fol­gen wir Emi­ly Wil­de anhand ihres Tagesbuchs/Forschungsjournals in eine kar­ge, skan­di­na­visch-nor­di­sche Insel­welt; Wil­de ist eine bri­ti­sche Pro­fes­so­rin für Drya­do­lo­gie in einem unse­rem nicht ganz unähn­li­chen 18. oder 19. Jahr­hun­dert, die sich dran macht, ihre Enzy­klo­pä­die zu ver­voll­stän­di­gen und die letz­ten noch nicht beschrie­be­nen Feen­we­sen zu beob­ach­ten und zu erfor­schen. Mit Men­schen kann sie aller­dings nicht so gut. Aus der Wis­sen­schaft wird schnell teil­neh­men­de Beob­ach­tung und dann mehr – näm­lich die Suche nach einer Ant­wort auf die Fra­ge, war­um Kin­der und Jugend­li­che in der Feen­welt ver­schwin­den. Und auch Wil­des Kol­le­ge Wen­dell, der ihr hin­ter­her­ge­reist ist, hat sei­ne ganz eige­ne Agen­da. Schön neben der Geschich­te und der Haupt­fi­gur mit ihren Wider­sprü­chen ist an Wilde’s Ency­clo­paed­ia auch der eine oder ande­re Sei­ten­hieb auf aka­de­mi­sche Gepflogenheiten.

Snail’s pace (ver­öf­fent­lich 2023, aber schon vor eini­gen Jahr­zehn­ten geschrie­ben) von Sus­an McDo­nough-Wacht­man ist ein schma­les Buch, das mir nur teil­wei­se gefal­len hat. Wir fol­gen Susan­nah, die im Hong­kong des Jah­res 1884 – bri­ti­sche Kron­ko­lo­nie – mit­tel­los und ohne Eltern dasteht – und, ohne es ganz zu ver­ste­hen, das Ange­bot annimmt, als Gou­ver­nan­te eines jun­gen Außer­ir­di­schen anzu­heu­ern. Des­sen Eltern herr­schen über die­sen Raum­sek­tor. Und nicht nur ihr schne­cken­ar­ti­ges Aus­se­hen ist selt­sam. Susan­nah taucht also in eine kom­plett fremd­ar­ti­ge Welt ein, fin­det Ver­bün­de­te und begeht schließ­lich einen Faux-Pas, der sie ins Gefäng­nis bringt. Wäh­rend die ers­te Hälf­te schnell und wit­zig geschrie­ben ist, und den Kon­trast zwi­schen den Erwar­tun­gen Susan­nahs und der Rea­li­tät auf die­sem Raum­schiff voll aus­lebt, tau­chen im zwei­ten Teil immer mehr Ver­satz­stü­cke einer christ­li­chen Para­dies­ge­schich­te auf – Schlan­gen, Äpfel, spre­chen­de Bäu­me. Nun ja. Zugleich endet das Buch dann recht abrupt – und wirkt so, als wären die 150 Sei­ten nur die Expo­si­ti­on für die eigent­li­che Geschichte.

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