Vorurteile zählen beim Schulübergang stärker als Noten (Update)

The school II
Grund­schu­le in Freiburg-Günterstal

Ich habe eini­ge Diens­te des „idw“ abon­niert, einem wis­sen­schaft­li­chen Pres­se­ver­tei­ler. Manch­mal errei­chen dann auch Pres­se­mit­tei­lun­gen mei­ne Inbox, die gar nicht direkt in die von mir ange­ge­be­nen Schwer­punkt­the­men fal­len, aber trotz­dem ziem­lich span­nend sind. 

So hat eine Stu­die des Main­zer Sozio­lo­gen Ste­fan Hra­dil empi­risch unter­füt­tert, dass ins­be­son­de­re der sozia­le Hin­ter­grund bei der Erstel­lung von Schul­über­gangs­emp­feh­lun­gen zählt. 

Was heißt das im Klar­text? Das hier:

Kommt ein Kind aus einer nied­ri­gen sozia­len Schicht, wird es nicht die gleich hohe Bil­dungs­emp­feh­lung für die wei­ter­füh­ren­de Schu­le erhal­ten wie ein Kind aus einer hohen Sozi­al­schicht, selbst wenn die bei­den Kin­der in der Grund­schu­le die glei­chen Noten errei­chen. „Leh­re­rin­nen und Leh­rer an Grund­schu­len ent­schei­den offen­bar nicht nur auf­grund von Schul­leis­tun­gen über die Emp­feh­lung, die sie für die wei­ter­füh­ren­de Schu­le nach der vier­ten Klas­se abge­ben, son­dern auch auf­grund der sozia­len Her­kunft der Kin­der“, teilt Univ.-Prof. Dr. Dr. Ste­fan Hra­dil vom Insti­tut für Sozio­lo­gie der Johan­nes Guten­berg-Uni­ver­si­tät Mainz mit. Dass dabei Kin­der mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund häu­fig eine ungüns­ti­ge­re Bil­dungs­emp­feh­lung erhal­ten, ist nicht auf ihre fremd­län­di­sche Her­kunfts­fa­mi­lie zurück­zu­füh­ren, son­dern auf den durch­schnitt­lich nied­ri­ge­ren Sozi­al­sta­tus von Migranten. 

Oder noch deutlicher:

Die Bil­dungs­emp­feh­lun­gen fal­len dem­entspre­chend aus. Kin­der aus der Ober­schicht erhal­ten zu 81 Pro­zent eine Gym­na­si­al­emp­feh­lung, gegen­über nur 14 Pro­zent der Kin­der aus Unterschichthaushalten. 

Und:

Die Bil­dungs­emp­feh­lun­gen sind selbst dann eine Fra­ge der sozia­len Her­kunft, wenn die Schü­ler und Schü­le­rin­nen die glei­chen Leis­tun­gen brin­gen. Zwar sind die Noten selbst immer noch der wich­tigs­te Ein­fluss­fak­tor dafür, ob die Emp­feh­lung für ein Gym­na­si­um erteilt wird oder nicht. Betrach­tet man aber nur Kin­der bei­spiels­wei­se mit der Durch­schnitts­no­te 2,0, dann bekom­men Kin­der aus der nied­rigs­ten Bil­dungs- und Ein­kom­mens­grup­pe nur mit einer Wahr­schein­lich­keit von 76 Pro­zent eine Gym­na­si­al­emp­feh­lung, wäh­rend in der höchs­ten Bil­dungs- und Ein­kom­mens­grup­pe nahe­zu alle Kin­der, näm­lich 97 Pro­zent, eine Emp­feh­lung für das Gym­na­si­um erhalten. 

Die Ergeb­nis­se bezie­hen sich nur auf Schul­kin­der aus Wies­ba­den (alle, die 2007 in der vier­ten Klas­se waren); aber ich stim­me Hra­dil zu, dass eine Über­trag­bar­keit die­ser Ergeb­nis­se sehr wahr­schein­lich ist – ähn­li­ches zur Abhän­gig­keit von Bil­dungs­kar­rie­ren und sozia­lem Hin­ter­grund haben ja auch schon ande­re Stu­di­en gezeigt. Das heißt aber umge­kehrt, näm­lich hoch­schul­po­li­tisch betrach­tet, auch: einer der ers­ten und stärks­ten Fil­ter für die Fra­ge, ob jemand nach­her zu den rela­tiv weni­gen Stu­die­ren­den aus nicht-aka­de­mi­schen Her­kunfts­fa­mi­li­en gehört, setzt genau hier ein: beim Über­gang von der Grund­schu­le auf die wei­ter­füh­ren­de Schule.

War­um blog­ge ich das? Weil ich die Ergeb­nis­se poli­tisch wich­tig fin­de – und als Bei­spiel dafür, dass auch ernst­haft betrie­be­ne Wis­sen­schaft (da bin ich mir bei Hra­dil sicher!) gro­ße poli­ti­sche Effek­te haben kann. Ich bin jeden­falls recht über­zeugt davon, dass die­se Ergeb­nis­se schnell mas­sen­me­di­al auf­ge­grif­fen werden.

Update: (12.9.2008) Auch hier noch­mal der Hin­weis, dass der Titel ein biß­chen pro­vo­ka­tiv gedacht ist und nicht ganz der Sta­tis­tik der Stu­die ent­spricht. Die mas­sen­me­dia­le Reso­nanz ist inzwi­schen ein­ge­tre­ten – SpOn berich­tet sehr aus­führ­lich, die taz inter­viewt einen an der Stu­die betei­lig­ten Wis­sen­schaft­ler, und auch bei ZEIT ONLINE ist was zu finden.

Kurz: Spiegel-Meldungen, die ich nicht verstehe

Die Uni­ver­si­tät Sie­gen arbei­tet mit der lin­ken Rosa-Luxem­burg-Stif­tung zusam­men – und erwar­te­te von einem neu­en Mit­ar­bei­ter die dazu pas­sen­de poli­ti­sche Hal­tung. Auch wer an einem Sie­ge­ner Pro­mo­ti­ons­kol­leg teil­neh­men will, muss sich direkt bei der Stif­tung bewerben. 

Schreibt der Spie­gel (in dem Fall der Uni­spie­gel auf Spie­gel-Online). Und regt sich mäch­tig auf. Ohne jetzt den kon­kre­ten Fall zu ken­nen, kommt mir das so selt­sam gar nicht vor – auch die grün-nahe Hein­rich-Böll-Stif­tung oder die gewerk­schafts­na­he Hans-Böck­ler-Stif­tung haben schon Pro­mo­ti­ons­kol­legs orga­ni­siert (und wohl auch finan­ziert), bei denen die Aus­wahl der Pro­mo­vie­ren­den durch die jewei­li­ge Stif­tung erfolgt. Dass es wenig Sinn macht, ein z.B. mar­xis­tisch aus­ge­rich­te­tes Pro­mo­ti­ons­pro­gramm durch einen RCDS­ler koor­di­nie­ren zu las­sen, soll­te auch dem Spie­gel ein­leuch­ten (den Fall anders­her­um gibt’s ja nun lei­der auch). 

Kurz gesagt: mir ist die Auf­re­gung nicht so ganz klar. Schließ­lich ist die Uni zwar öffent­lich finan­ziert, aber aus gutem Grund gibt es wei­ter­hin die grund­ge­setz­li­che Frei­heit von Leh­re und For­schung. Dar­un­ter fällt dann auch die Mög­lich­keit, kri­tisch an Kapi­ta­lis­mus und Demo­kra­tie ranzugehen.

Kurz zur Rektorwahl: „Die Wogen sind ja noch nicht geglättet“ (Update)

Das neu­ge­stal­te­te fud­der bringt heu­te ein recht aus­führ­li­ches Inter­view mit dem desi­gnier­ten Rek­tor Hans-Jochen Schie­wer. Ange­spro­chen wird auch die umstrit­te­ne Wahl. Hier ver­weist Schie­wer dar­auf, dass alles mit recht­lich rech­ten Din­gen zuge­gan­gen sei und das Ver­fah­ren halt lan­des­recht­lich so vor­ge­ge­ben sei, zwi­schen den Zei­len ist aber doch eini­ges an Unzu­frie­den­heit her­aus­zu­le­sen. Prof. Che­au­ré wird gelobt, aber wohl nicht Vizerektorin:

Ich den­ke aber, dass es ver­früht wäre, jetzt eine Zusam­men­ar­beit mit Frau Che­au­ré auf Rek­to­rats­ebe­ne ein­zu­schät­zen. Die Wogen, die mit der Wahl zum Rek­tor ver­bun­den waren, sind ja noch nicht geglättet. 

Ansons­ten inter­es­sant noch der Anspruch, in Sachen Ver­fass­te Stu­die­ren­den­schaft tat­säch­lich was zu unter­neh­men (lobens­wert, viel­leicht der Grund für die Stu­di-Stim­men?) und die Tat­sa­che, dass es deut­lich weni­ger Schlag­wort­fe­ti­schis­mus als bei der Rede im Senat gibt.

Update: (15.8.2008) Der heu­ti­gen BZ ist zu ent­neh­men, dass das Wis­sen­schafts­mi­nis­te­ri­um kei­nen Anlass sieht, das Ver­fah­ren in Frei­burg in Fra­ge zu stellen.

Spin am Beispiel Studienanfängerzahlen

Zum The­ma Stu­di­en­an­fän­ger­zah­len lie­gen heu­te zwei Pres­se­mit­tei­lun­gen in mei­ner Mail­box. Die ers­te kommt von der grü­nen Bundestagsfraktion:

Erneut haben mehr jun­ge Men­schen auf ein Stu­di­um ver­zich­tet. Laut Sta­tis­ti­schem Bun­des­amt san­ken die Zahl der Stu­di­en­an­fän­ge­rin­nen und ‑anfän­ger um fünf Pro­zent. Dazu erklärt Kai Geh­ring, hoch­schul­po­li­ti­scher Sprecher:

Der Rück­gang der Stu­di­en­an­fän­ger­zah­len ist ein pein­li­ches Armuts­zeug­nis für die Hoch­schul­po­li­tik von Bund und Län­dern. Weni­ger Stu­di­en­an­fän­ger sind ein Alarm­si­gnal an die Wis­sen­schafts­mi­nis­ter in Bund und Land.

Die zwei­te, ein paar Stun­den spä­ter, von Bil­dungs­mi­nis­te­rin Schavan:

Bun­des­bil­dungs­mi­nis­te­rin Annet­te Scha­van sag­te am Diens­tag in Bonn: „Der Abwärts­trend bei der Ent­wick­lung der Stu­di­en­an­fän­ger­zah­len ist gestoppt. Seit 2007 haben end­lich wie­der mehr jun­ge Men­schen ein Stu­di­um auf­ge­nom­men als im Jahr zuvor. Damit zeigt der Hoch­schul­pakt ers­te Wir­kung. Wir rech­nen auch künf­tig mit stei­gen­den Zah­len bei den Studierenden. […]“ 

Beim Sta­ti­schen Bun­des­amt gibt es unter­schied­li­che Daten: die Zahl der Stu­die­ren­den ist von 2005 nach 2006 gesun­ken, und liegt auch im WS 2007/08 etwas unter den Vor­jah­res­zah­len. Zur Zahl der Stu­di­en­an­fän­ge­rIn­nen heißt es auf einer Pres­se­kon­fe­renz im Dezem­ber 2007, dass die­se 2007 im Ver­gleich zum Vor­jahr um 4 % gestie­gen ist. Von 2003 bis 2006 ist die Zahl der Stu­di­en­an­fän­ge­rIn­nen dage­gen jedes Jahr gesun­ken, auch die „Stu­di­en­an­fän­ger­quo­te“ (d.h. der Anteil der Stu­di­en­an­fän­ge­rIn­nen an der gleich­alt­ri­gen Bevöl­ke­rung) ist in die­sem Zeit­raum jedes Jahr gesun­ken und erreicht 2007 mit 36,6 % auch noch lan­ge nicht die Wer­te von 2005 oder den Vor­jah­ren. Eine neue­re Pres­se­mit­tei­lung dazu habe ich nicht gesehen.

In der Hei­den­hei­mer Neue Pres­se fin­det sich zumin­dest eine Erklä­rung, war­um das The­ma jetzt auf die Agen­da gelangt:

War­um die Deut­sche Pres­se­agen­tur (dpa) ges­tern die eini­ge Mona­te alten Anga­ben mit dem Jah­res­er­geb­nis von 2003 ver­glich und zur Schlag­zei­le „Immer mehr jun­ge Men­schen ver­zich­ten auf ein Stu­di­um“ gelang­te, bleibt ein Geheim­nis. Tat­säch­lich könn­te das Jahr 2007 zum Wen­de­punkt wer­den nach mehr­jäh­ri­gem Rück­gang der Bereit­schaft jun­ger Men­schen, nach bestan­de­nem Abitur ein Stu­di­um anzu­schlie­ßen. Denn die end­gül­ti­gen Zah­len für 2007, die mitt­ler­wei­le aus den Län­dern gemel­det wur­den, über­tref­fen die vor­läu­fi­gen Anga­ben offen­bar noch. Von einem Plus von 4,7 Pro­zent ist jetzt bereits die Rede. 

Damit blei­ben alle Unklar­hei­ten offen – die Daten­grund­la­ge scheint tat­säch­lich das oben bereits ange­spro­che­ne Mate­ri­al zu sein. Das gibt beim direk­ten Ver­gleich 2006/2007 erst ein­mal Scha­van recht – der mehr­jäh­ri­ge Trend bleibt jedoch sicht­bar. Es bleibt also offen, ob es sich bei die­sen Zah­len tat­säch­lich um das Ende des „Abwärts­trends“ han­delt, wie Scha­van es inter­pre­tiert, oder ob der Trend wei­ter nach unten zeigt, wie es Geh­ring es dar­stellt. Das wird sich erst in den nächs­ten Jah­ren zeigen. 

Inter­es­sant ist es jeden­falls schon, wie hier auf­grund der sel­ben Quel­le ganz unter­schied­li­che poli­ti­sche Ein­schät­zun­gen ver­mit­telt wer­den, indem unter­schied­li­che Ver­gleichs­jah­re her­an­ge­zo­gen wer­den. Den Daten dürf­te es egal sein; als Faust­re­gel bleibt viel­leicht die Ein­sicht, dass die Latenz­zeit poli­ti­scher Maß­nah­men mit­un­ter beträcht­lich sein kann, was aber nicht unbe­dingt immer berück­sich­tig wird, wenn die­se gelobt wer­den, und dass es hilf­reich ist, sich im Zwei­fels­fall die Daten­grund­la­ge selbst anzuschauen. 

War­um blog­ge ich das? Viel­leicht trägt’s zur hoch­schul­po­li­ti­schen Auf­klä­rung bei.

„Die Universität ist noch nicht reif für eine Frau“ (Update 2: der Fall erreicht „nature“)

Dass die Uni­ver­si­tät Frei­burg noch nicht reif für eine Frau ist, sage nicht ich, son­dern das hat gera­de – bedau­ernd – der Uni­ver­si­täts­rats­vor­sit­zen­de Weit­zmann mit­ge­teilt. Und zwar im öffent­li­chen Teil der Senats­sit­zung, in der soeben der Rek­tor gewählt wur­de. Damit war er nicht der ein­zi­ge, bei dem zwi­schen den Zei­len eine gro­ße Sym­pa­thie für Prof. Eli­sa­beth Che­au­ré her­aus­zu­hö­ren war. Auch Prof. Schwen­gel hat in sei­nem gewun­den-grund­sätz­li­chen Bericht aus der Senats­fin­dungs­kom­mis­si­on ziem­lich deut­lich anklin­gen las­sen, dass die drei Bewer­bun­gen, die zuletzt noch im Ren­nen waren, min­des­tens gleich­wer­tig waren. Und eben­so war aus fast allen Wort­mel­dun­gen der Senats­mit­glie­der her­aus­zu­hö­ren, dass die Chan­ce, auch auf höchs­ter Füh­rungs­ebe­ne deut­lich zu machen, dass die Uni­ver­si­tät es ernst mit Gleich­stel­lung meint, eigent­lich bes­ser genutzt wor­den wäre.

Abge­stimmt wur­de dann trotz­dem – zumin­dest öffent­lich bekun­det und an einen ent­spre­chen­den Fach­schaf­ten­be­schluss gebun­den – selbst von den vier Stu­die­ren­den im Senat im Sin­ne der Staats­rai­son: das Ergeb­nis des for­mal kor­rek­ten Ver­fah­rens wird akzep­tiert, die Uni­ver­si­tät steht geschlos­sen zu ihrer Führung. 

In Zah­len waren es dann aller­dings doch 11 Nein-Stim­men und 4 Ent­hal­tun­gen; mit 18 Ja-Stim­men war die Mehr­heit für Prof. Hans-Jochen Schie­wer damit zwar ein­deu­tig, aber nicht über­wäl­ti­gend (Kon­stan­tin weist dar­auf hin, dass ein ja irgend­wie erwart­ba­res stu­den­ti­sches Nein zu einem Ergeb­nis von 13 14:15:4 geführt hät­te; einer der weni­gen Momen­te, wo die stu­den­ti­schen Senats­mit­glie­der mal ech­ten Ein­fluss hat­ten – und damit auch die FSK, die die gewähl­te Linie vor­ge­ge­ben hatte). 

Ob mit die­sem Ergeb­nis der nach dem Abgang des „Hoff­nungs­trä­gers“ Voss­kuh­le ver­miss­te Schwung wie­der zurück­kommt, bleibt abzu­war­ten. Sub­stan­ti­ell bedeu­tet das Ergeb­nis, dass sich nicht viel ändern wird. Aus dem kom­mis­sa­ri­schen Rek­tor wird der tat­säch­lich amtie­ren­de Rek­tor, das Rek­to­rat bleibt, inter­es­sant ist nun, wer als Vizerektor/in bestellt wird.

Viel­leicht aber ist selbst die­ses Wahl­er­geb­nis ein Schritt für mehr Gleich­be­rech­ti­gung an der Uni­ver­si­tät Frei­burg. Nicht nur hat fast jede/r das Wort im Mund geführt – auch der frisch­ge­wähl­te Rek­tor leg­te viel Empha­se dar­auf, in Zukunft ganz viel für die För­de­rung jun­ger Wis­sen­schaft­le­rin­nen (hof­fent­lich dann auch jun­ger Wis­sen­schaft­ler in ähn­li­chen Lebens­si­tua­tio­nen) und für die Chan­cen­gleich­heit an der Uni­ver­si­tät tun zu wol­len. Ob das vor ein paar Wochen auch schon so gewe­sen wäre, kann nicht gesagt wer­den. Ich glau­be es aller­dings nicht. Der Ein­wand eines Dekans, mit dem Ver­zicht auf eine Frau als Rek­to­rin auch die Gleich­stel­lungs­vor­ga­ben bei Beru­fun­gen ins Absur­de zu füh­ren, muss damit nicht unbe­dingt zutreffen.

Gab es Über­ra­schun­gen? Das Wahl­er­geb­nis war sicher kei­ne, ich hat­te es jeden­falls unge­fähr so erwar­tet. Was mich über­rascht hat, war der Ver­trau­ens­vor­schuss der stu­den­ti­schen Senats­mit­glie­der, die sich öffent­lich dazu bekannt haben, das Ver­fah­ren zu akzep­tie­ren und Schie­wer mit­zu­wäh­len. Wenig über­ra­schend viel Unmut zwi­schen den Zei­len – auch bei eini­gen Pro­fes­so­rIn­nen – über das Wahl­ver­fah­ren selbst und das star­ke Gewicht des Uni­ver­si­täts­rats. Tat­säch­lich über­ra­schend für mich das Gewicht, dass Exzel­lenz­in­itia­ti­ve, Ran­kings und Manage­ments­rhe­to­rik inzwi­schen gewon­nen haben. Die Saat des Wett­be­werbs ist hier sicht­lich auf­ge­gan­gen. Die jeden­falls nicht glän­zend zu nen­nen­de Vor­stel­lungs­re­de des neu­en Rek­tors wim­mel­te nur von Qua­li­täts­ma­nage­ment, Refe­ren­zen auf Leis­tung und Exzel­lenz (auch in der Leh­re), Manage­ment­me­tho­den und Wett­be­wer­ben (zwi­schen den vie­len Unver­bind­lich­kei­ten waren auch ein paar posi­ti­ven Häpp­chen für jede/n versteckt).

Es wur­de klar, dass die Uni­ver­si­tät Frei­burg ver­su­chen wird, sich als euro­päi­sche Spit­zen­uni­ver­si­tät zu posi­tio­nie­ren. Ob dies tat­säch­lich über den Werk­zeug­kas­ten der BWL gelin­gen kann, muss dahin­ge­stellt blei­ben. Sowohl Prof. Schwen­gel als auch der neue Rek­tor fan­den sich jeden­falls als Uni­ver­si­tät in der Zei­ten­wen­de, in einer Pha­se der Unsi­cher­heit, in einer his­to­ri­schen Situa­ti­on. Auch die Eli­te­uni­ver­si­tät Frei­burg schaut gebannt auf die Schlan­ge Exzel­lenz­in­itia­ti­ve II. Als Reak­ti­on auf Unsi­cher­heit und Her­aus­for­de­run­gen wur­de – und da war mir dann eher unbe­hag­lich zumu­te – von allen Sei­ten nicht nur Zusam­men­halt, son­dern vor allem auch eine star­ke Füh­rung gewünscht; die Sehn­sucht nach „dem star­ken Mann“ scheint es in der wahr­ge­nom­me­nen Kri­se auch im pro­fes­so­ra­len Kor­pus zu geben. Weder der jetzt Gewähl­te noch Prof. Che­au­ré ent­spre­chen, so wirkt es jeden­falls momen­tan, die­sem Phä­no­typ. Das kann nur gut sein für das Bin­nen­ver­hält­nis der Universität.

War­um blog­ge ich das? Weil ich es span­nend fand, die Debat­te mit­zu­er­le­ben. Nicht als ein­zi­ger übri­gens: der Senats­saal 1199 war gut gefüllt. Vom Ver­fah­ren her bot die Uni dabei aller­dings kein gutes Bild. Das Mikro war sehr lei­se, der Bea­mer warb mun­ter für Win­dows, und statt um 15:15 zu begin­nen, wur­de die Öffent­lich­keit, kaum hat­te sie sich gesetzt, erst ein­mal für eine hal­be Stun­de aus dem Saal gewor­fen. Was in die­ser hal­ben Stun­de unter den gewähl­ten Senats­mit­glie­dern pas­sier­te, wird wohl eben­so Geheim­nis blei­ben wie die Fra­ge, wel­ches Uni­ver­si­täts­rats­mit­glied für die lega­le, aber doch äußerst uner­war­te­te Nach­no­mi­nie­rung in der Kan­di­da­ten­fra­ge ver­ant­wort­lich war. Mein Tipp: den Senats­mit­glie­dern wur­de die Lega­li­tät des gewähl­ten Pro­zes­ses ver­deut­licht. Aber das ist nur Spekulation.

Update: (30.7.2008) Die Badi­sche Zei­tung berich­tet heu­te groß dar­über, dass Prof. Che­au­ré das Wis­sen­schafts­mi­nis­te­ri­um auf­ge­for­dert hat, zu prü­fen, ob die Rek­to­ren­wahl in Frei­burg recht­mä­ßig war. Sie begrün­det dies einer­seits mit dem Ver­fah­ren der nach­träg­li­chen Zulas­sung eines wei­te­ren Bewer­bers, zum ande­ren aber auch damit, dass die Wahl nicht dem Gleich­stel­lungs­kon­zept der Uni ent­spro­chen hat (u.a., weil in der Stel­len­aus­schrei­bung expli­zit Frau­en zur Bewer­bung auf­ge­for­dert waren). 

Inter­es­sant dabei fin­de ich, wel­cher Stel­len­wert dabei dem auch hier als Über­schrift gewähl­ten Satz zukommt, dass die Uni­ver­si­tät noch nicht reif für eine Frau sei. Ich hat­te Herrn Weit­zmann in der Sit­zung des Senats so ver­stan­den, dass er mit die­sem Satz aus­drü­cken woll­te, dass er die Bewer­bung von Prof. Che­au­ré inhalt­lich sehr gut fand, dass es aber nicht mög­lich war, dafür eine Mehr­heit im Uni­ver­si­täts­rat zu fin­den. In der BZ wird dage­gen Adel­heid Hepp von der Unter­stüt­ze­rIn­nen-Grup­pe für Prof. Che­au­ré mit der Aus­sa­ge zitiert, dass sie die­sen Satz dis­kri­mi­nie­rend fin­de. Hier scheint es also sehr unter­schied­li­che Inter­pre­ta­ti­on zu geben. 

Ich kann ver­ste­hen, dass der Satz als dis­kri­mi­nie­rend emp­fun­den wer­den kann (ins­be­son­de­re, wenn der Kon­text nicht klar ist). Genau betrach­tet wird hier jedoch nicht gesagt, dass die Frau nicht geeig­net sei, son­dern dass die Uni­ver­si­tät – über die der Satz ja eine Aus­sa­ge macht – ein Pro­blem hat. Dann ist jedoch nicht der Satz dis­kri­mi­nie­rend, son­dern die Tat­sa­che, dass er als zutref­fen­de Beschrei­bung der Umstän­de und Zustän­de ver­stan­den wer­den muss. Wenn die Uni­ver­si­tät Frei­burg ein Ort wäre, an dem es kei­ne geschlechts­spe­zi­fi­sche Dis­kri­mi­nie­rung gibt, wäre es falsch, einen sol­chen Satz zu äußern. Wenn es jedoch stimmt, dass die Uni­ver­si­tät damit ein Pro­blem hat, dann ist er nicht dis­kri­mi­nie­rend, son­dern letzt­lich eine schal­len­de Ohr­fei­ge für alle Uni­ver­si­täts­rats­mit­glie­der (egal wel­chen Geschlechts), die Prof. Che­au­ré ver­hin­dern wollten.

Der zwei­te mög­li­che Vor­wurf in der Kri­tik an besag­tem Satz, näm­lich der, dass Prof. Che­au­ré so auf ihr Geschlecht redu­ziert wird, ist m.E. schon eher rich­tig. Dass hat aller­dings auch viel damit zu tun, dass vor der Wahl genau mit dem Argu­ment, dass es gut wäre, wenn die Uni mal eine Frau an die Spit­ze set­zen wür­de, haus­sie­ren gegan­gen wur­de (auch von mir). 

Rele­vant fin­de ich übri­gens auch, dass eine ande­re Aus­sa­ge nicht viel stär­ker betrach­tet wird, näm­lich die von Prof. Schwen­gel (ich mei­ne jeden­falls, dass u.a. er dies gesagt hat; auch in der Rede von Herrn Weit­zmann waren mög­li­cher­wei­se ähn­li­che Aus­sa­gen ent­hal­ten), dass ja „eigent­lich“ alle Bewer­be­rIn­nen gleich gut gewe­sen sein. An der lässt sich mei­nes Erach­tens näm­lich viel stär­ker deut­lich machen, dass bei glei­cher­ma­ßen geeig­ne­ten Bewer­be­rIn­nen Geschlecht als dis­kri­mi­nie­ren­der Fak­tor ver­wen­det wurde.

Update 2: (8.8.2008) Inzwi­schen wird auch in natu­re news über die Frei­bur­ger Rek­tor­wahl berichtet.