Kurz: Urwahlverfahrensfragen

Die Stimm­zet­tel zur Urwahl für die grü­ne Spit­zen­kan­di­da­tin und den grü­nen Spit­zen­kan­di­da­ten zur Bun­des­tags­wahl 2017 hat begon­nen, die Stimm­zet­tel wur­den ver­schickt und müs­sen jetzt bis 13. Janu­ar 2017 zurück an die Bun­des­ge­schäfts­stel­le geschickt wer­den. Ich bin immer noch nicht so ganz ent­schlos­sen, wen ich wäh­len wer­de. Auf Face­book gab es dazu schon schö­ne Debat­ten. Aber mir geht’s hier nicht um die Fra­ge, wer am bes­ten als Spit­zen­kan­di­da­tin oder als Spit­zen­kan­di­dat geeig­net ist, son­dern um das Wahlverfahren. 

Das Wahl­ver­fah­ren wur­de vom Län­der­rat (klei­ner Par­tei­tag) in der Urab­stim­mungs­ord­nung fest­ge­legt. Von eini­gen wird bemän­gelt, dass – da es nur eine weib­li­che Bewer­bung gibt – hier nicht mit Nein gestimmt wer­den kann. Das hal­te ich nicht für rele­vant. Die Stim­men­zahl, die Kat­rin Göring-Eckardt bekommt, wird auf jeden Fall gedeu­tet wer­den. Ja, sie wird Spit­zen­kan­di­da­tin wer­den. Aber die Urwahl ist auch ein Stim­mungs­ba­ro­me­ter dafür, wel­chen Rück­halt sie in der Par­tei hat.

Nein, mir geht es dar­um, dass die Urab­stim­mungs­ord­nung kein Min­dest­quo­rum kennt. Wie schon 2012/13 ist gewählt, wer die meis­ten Stim­men erhält. Ich hät­te es demo­kra­ti­scher gefun­den, wenn hier 50 Pro­zent erreicht wer­den müs­sen, und in irgend einer Form durch das Wahl­ver­fah­ren (Prä­fe­renz­wahl, inte­grier­te Stich­wahl, ggf. – teu­rer – zusätz­li­cher zwei­ter Wahl­gang oder auch Ent­schei­dung durch ande­res Gre­mi­um, z.B. Län­der­rat, wenn 50 Pro­zent nicht erreicht sind) sicher­ge­stellt wäre, dass nur Spitzenkandidat*in wird, wer auch tat­säch­lich die­ses Quo­rum erreicht. Gera­de in der Kon­stel­la­ti­on mit drei Bewer­bern ist es gut mög­lich, dass kei­ner die 50 Pro­zent der Stim­men erreicht. Das kann dann auch bedeu­ten, dass alle jeweils um die drei­ßig Pro­zent bekom­men und klei­ne Unter­schie­de ent­schei­den, wer letzt­lich Spit­zen­kan­di­dat wird. Zur Legi­ti­ma­ti­on trägt das nicht bei. Für die­ses Mal ist es nicht mehr zu ändern, das Ver­fah­ren ist jetzt so beschlos­sen. Ich wür­de mich aber freu­en, wenn bei der wei­te­ren Über­ar­bei­tung der Urab­stim­mungs­ord­nung hier noch ein­mal nach­ge­dacht wird.

Wir halten zusammen. Hartnäckig. Visionär. Verantwortlich.

2016-backdrop-alternative

„Wir hal­ten zusam­men. Hart­nä­ckig. Visio­när. Ver­ant­wort­lich. Grün.“ stand nicht auf dem Back­drop, also dem Büh­nen­hin­ter­grund, bei der Bun­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz in Müns­ter, die an die­sem Wochen­en­de statt­ge­fun­den hat. Wäre kei­ne wer­be­tech­nisch tol­le Zuspit­zung gewe­sen. Ein biss­chen viel Text viel­leicht. Statt­des­sen stand da „Wir blei­ben unbe­quem“. Das ist kür­zer, und wur­de von vie­len, vie­len Men­schen auf­ge­grif­fen – in Reden, in Tweets, auch in Arti­keln und Berich­ten. Die dann lei­der oft mit „… haben es sich bequem ein­ge­rich­tet“ endeten.

Wenn es stimmt, dass wir in erns­ten Zei­ten leben, wenn es stimmt, dass eine der ganz gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen – neben dem Kli­ma­wan­del – die Fra­ge ist, wie eine Gesell­schaft im Ange­sicht von Hass zusam­men­ge­hal­ten wird, dann hät­te ich mir eine Bot­schaft der BDK gewünscht, die weni­ger das Auf-die-Füße-Tre­ten zum Mar­ken­kern erklärt als viel­mehr die sehr ernst­haf­te Bereit­schaft, im Ange­sicht der zu lösen­den Welt­pro­ble­me Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men. Durch­aus nicht als bes­se­res Ver­wal­tungs­han­deln, und auch nicht im Modus bür­ger­li­cher Behä­big­keit, son­dern so, wie wir Grü­ne sind, also hart­nä­ckig, und mit kla­ren Zie­len. Die kön­nen auch ger­ne als Visio­nen bezeich­net werden. 

Unbe­quem zu sein ist für mich kein Wert an sich. Unbe­quem zu sein kann die Fol­ge davon sein, hart­nä­ckig Visio­nen und Pro­blem­lö­sun­gen zu ver­fol­gen, ohne Sche­re im Kopf und ohne den immer gleich schon mit­ge­dach­ten Kom­pro­miss. Wenn es so ist, dann ist es gut, unbe­quem zu sein. Aber „wir blei­ben unbe­quem“ – da ist mir zu viel Weg, und Mit­tel, und viel zu wenig Zweck und Mitte.

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Was ich mir von der BDK wünsche

Sunflower trio

Am nächs­ten Wochen­en­de fin­det von Frei­tag bis Sonn­tag die 40. ordent­li­che Bun­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz von Bünd­nis 90/Die Grü­nen (kurz: BDK) in Müns­ter statt, also unser Bun­des­par­tei­tag. Ich bin einer von rund 750 Dele­gier­ten, die an die­sem Wochen­en­de über die grü­ne Posi­ti­on zu Ener­gie- und Ver­kehrs­wen­de, zur Welt­an­schau­ungs­po­li­tik, zum sozia­len Zusam­men­halt und zur Euro­pa­po­li­tik bera­ten, die Urwahl-Kandidat*innen anhö­ren, in Work­shops über Schlüs­sel­pro­jek­te zur Bun­des­tags­wahl 2017 dis­ku­tie­ren wer­den, das grü­ne Frau­en­sta­tut fei­ern und vie­les mehr. Zu den Leit­an­trä­gen gibt es unzäh­li­ge Ände­rungs­an­trä­ge, und ein paar Dut­zend V‑Anträge zu allen mög­li­chen The­men wur­den auch eingereicht.

Am Wochen­en­de danach fin­det die Lan­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz der baden-würt­tem­ber­gi­schen Grü­nen statt. Nur Sams­tag und Sonn­tag, und vor allem mit Wah­len voll­ge­stopft – diver­se Nach­wah­len zum Lan­des­vor­stand und ins­be­son­de­re die Wahl der baden-würt­tem­ber­gi­schen Lan­des­lis­te für die Bun­des­tags­wahl 2017. Es zeich­net sich ab, dass es sehr viel mehr Bewerber*innen als aus­sichts­rei­che Plät­ze gibt. Unter ande­rem will die kom­plet­te baden-würt­tem­ber­gi­sche Lan­des­grup­pe wie­der antre­ten, diver­se ehe­ma­li­ge MdB hof­fen auf einen erneu­ten Ein­zug, und aus den Kreis­ver­bän­den und Regio­nen gibt es wei­te­re star­ke Kandidat*innen. Wer nach­le­sen möch­te, wie das abläuft, kann das in mei­nem Bericht zur Lis­ten­auf­stel­lungs-LDK 2012 tun. Und ja: auch dies­mal steht wie­der ein heiß dis­ku­tier­tes hoch­schul­po­li­ti­sches The­ma im Raum, und es ist durch­aus mög­lich, dass es dazu kon­tro­ver­se Anträ­ge geben wird.

Die LDK (die­ses Jahr in Schwä­bisch Gmünd) ist deut­lich klei­ner als die BDK, hier sind es nur rund 200 Dele­gier­te. Viel­leicht trägt das dazu bei, sie per­sön­li­cher zu machen. Viel­leicht ist es auch die gemein­sa­me Erfah­rung eines Lan­des­ver­ban­des mit rund 9000 Mit­glie­dern, der sich auf­ge­macht hat, das baden-würt­tem­ber­gi­sche Par­tei­en­sys­tem umzu­krem­peln, die hier Zusam­men­halt aus­drückt. Jeden­falls: mein Gefühl gegen­über der LDK – da wur­de ich eben­falls dele­giert – ist ein ganz ande­res als das gegen­über der BDK. Die LDK wird nicht ein­fach wer­den, aber ich bin sehr zuver­sicht­lich, dass am Schluss eine gute Lan­des­lis­te dasteht und bei den Dele­gier­ten das Gefühl vor­herrscht, gemein­sam pro­fes­sio­nell und mit gro­ßer Geschlos­sen­heit etwas geschafft zu haben. Bei der BDK bin ich mir da nicht so sicher. Es gibt sowas wie einen Kater nach dem Event – mit Gäs­ten und Journalist*innen über 1000 Men­schen in einer rie­si­gen Hal­le, Schein­wer­fer, grell­bun­te Back­drops, knal­li­ge Reden, Pro­mi­nenz aus dem Fern­se­hen live und in Far­be. Das kann ganz schön hoch­pu­shen. Um am Tag danach steht dann in den Schlag­zei­len der Zei­tun­gen etwas von Zer­würf­nis (oder alter­na­tiv: Ideen­lo­sig­keit), es wird dar­über spe­ku­liert, wer sich durch­ge­setzt hat, und es fin­det die­ses oder jenes Nach­tre­ten statt.

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Nachdenken über Parteien, Teil III

Drahtseilakt

Die Böll-Stif­tung Baden-Würt­tem­berg hat ihren „Demo­kra­tie­dia­log“ inzwi­schen in vor­bild­haf­ter Wei­se doku­men­tiert. Das neh­me ich zum Anlass, um jetzt doch noch mei­ne Ein­drü­cke dazu und ein paar Über­le­gun­gen zum Dop­pel­le­ben der Par­tei­en auf­zu­schrei­ben. Zu letz­te­rem hat­te ich einen sehr schö­nen, mäan­dern­den Text geschrie­ben – den dann der Win­dows-Edi­tor irgend­wo zwi­schen Zug und Schreib­tisch auf­ge­fres­sen hat. Des­we­gen hier (sie­he Split­ter 5) ein zwei­ter Anlauf, der viel­leicht etwas gerad­li­ni­ger gewor­den ist. Aber zunächst ein­mal zur Tagung selbst.

Splitter 4: Aufgaben und Funktionen einer (grünen) Partei

Ein The­ma, das bei der Böll-Ver­an­stal­tung in vie­ler­lei Form immer wie­der eine Rol­le spiel­te, war die Fra­ge nach den Auf­ga­ben einer Par­tei. Die Par­tei­en­so­zio­lo­gin Jas­min Siri ant­wor­te­te dar­auf klas­sisch funk­tio­na­lis­tisch: eine Par­tei als Orga­ni­sa­ti­on ist dafür da, The­men und Posi­tio­nen zu ord­nen (und damit Kom­ple­xi­tät zu redu­zie­ren), Per­so­nal aus­zu­wäh­len und aus­zu­bil­den und schließ­lich Kol­lek­ti­ve sym­bo­lisch zu reprä­sen­tie­ren. Oder, auf den Punkt gebracht: Par­tei­en sind die Lösung, die demo­kra­ti­sche Gesell­schaf­ten fin­den, um das Poli­ti­sche zu orga­ni­sie­ren – aber: Orga­ni­sa­tio­nen müs­sen kei­nen Spaß machen, und Orga­ni­sa­tio­nen sind auch nicht nett.

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Nachdenken über Parteien, Teil II

Auftrag: grün 16

Eigent­lich woll­te ich im zwei­ten Teil mei­nes „Nach­den­kens über Par­tei­en“ noch was zur Böll-Tagung letz­tes Wochen­en­de schrei­ben. Aus aktu­el­lem Anlass muss das aller­dings war­ten. Viel­mehr geht’s jetzt um … 

Splitter 2: … die nicht geführte Kursdebatte und ihre Folgen

In den letz­ten Tagen gab es ein paar Mal inner­par­tei­lich ziem­lich viel Auf­re­gung. Ein Anlass dafür war die Infor­ma­ti­on dar­über, dass der Vor­stands­vor­sit­zen­de von Daim­ler als Gast­red­ner zur dies­jäh­ri­gen Bun­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz (BDK) ein­ge­la­den ist. Mir erschien das halb­wegs plau­si­bel – schließ­lich ist eines der hei­ßen The­men der BDK der all­mäh­li­che Aus­stieg aus dem Ver­bren­nungs­mo­tor (unter dem Slo­gan: „Ret­tet die deut­sche Auto­in­dus­trie“). Und zu die­ser Debat­te auch mal zu hören, was Daim­ler sich so an Mobi­li­täts­zu­kunft vor­stellt, ist ja nun nicht ganz uninteressant. 

Dass es dabei bei ein­sei­ti­ger Pro­pa­gan­da blei­ben wür­de, erschien mir nicht als beson­ders plau­si­bel. Schließ­lich ken­ne ich unse­re Dele­gier­ten und weiß, dass die­se nicht ein­fach nur höf­lich klat­schen, son­dern sich durch­aus zu Wort mel­den. Und selbst ein pro­mi­nent ein­ge­flo­ge­ner Gast­red­ner mit knap­pem Zeit­bud­get wird nicht umhin­kom­men, ein biss­chen Kon­text und Wider­re­de mitzukriegen.

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