Um die Zukunft und die Vergangenheit – so weit sie als Science Fiction bzw. als Fantasy imaginiert werden – findet derzeit, von der größeren Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, ein Kulturkampf statt. Unbemerkt, aber nicht unwichtig, denn wo anders als in diesem Genre entsteht das kollektive Imaginäre? Ein heiß diskutiertes Symptom für diesen Kulturkampf sind die vor wenigen Tagen bekanntgegebenen Hugo-Nominierungen. Um das zu verstehen, ist allerdings etwas Hintergrund notwendig.
Zum Andenken an Terry Pratchett
Es hat eine Weile gedauert, bis sich mir erschlossen hat, dass die Scheibenwelt-Serie von Terry Pratchett mehr ist als ein Massenprodukt. Die unglaubliche Produktivität (gerade auch im Vergleich zu Douglas Adams, dessen Bücher ich früher entdeckte) und die „lustige“ Oberfläche täuschte – dahinter steckte, wie ich schnell feststellte, als ich mich dann doch herantraute, weit mehr: ein funkelnder, tiefgründiger und hintersinniger Humor. Der humanistische Ärger darüber, wie die Welt eingerichtet ist, der Pratchetts Schreiben antrieb. Lebensweisheiten in Fußnoten und philosophische Überlegungen, nur hinter dem dünnen Vorhang des schnörkellos-verschrobenen Fantasy-Settings versteckt. Kurz: Bücher, die es sich zu lesen lohnt, um nicht nur unterhalten zu werden, sondern auch, um sich beim Lesen aktiv mit der Welt – unserer Welt – auseianderzusetzen.
Nicht jedes seiner zahlreichen Bücher begeisterte mich, und ich habe nicht jedes gelesen (aber doch viele, einige auch deswegen, weil sie bei Freunden standen, oder weil es das einzig brauchbare war, was es in Bahnhofsbuchhandlungen zu kaufen gab). Mit Long Earth konnte ich nicht so richtig etwas anfangen.
Aber es gibt doch mehr als eine Handvoll Bücher, die mir ganz besonders ans Herz gewachsen sind, dazu zählt an vorderster Stelle die Serie um Tiffany Aching.
Und wenn ich mich so umschaue, wer aus welchen Gründen sich seit gestern alles geäußert hat, dann sind da sehr viele dabei, die in den Büchern von Terry Pratchett Halt und Vorbilder fanden, die daraus etwas gelernt haben, wie die Welt, wie Gesellschaft, wie Politik, wie Religion funktioniert. Ein satirisches Zerrbild der Wirklichkeit, das eben nicht beißend und zynisch ist, sondern zeigt, dass eine gelassene, freundlich-amüsierte Menschlichkeit (ja, dennoch: eine Menschlichkeit mit einem gewissen Biss und mit einer politischen Agenda) durchaus auf Trolle und Vampire ausgeweitet werden kann, und dass Dinge sich ändern können.
Es wird keine neuen Bücher von Terry Pratchett mehr geben. TOD lauerte schon seit einigen Jahren im Hintergrund, seit er seine Early-Alzheimer-Diagnose vor einigen Jahren öffentlich gemacht hatte. Das macht es nicht weniger traurig, dass Pratchett gestern im Alter von 66 Jahren gestorben ist. So seltsam das klingen mag: in seinen Büchern wird er als Wegweiser auch für neue Generationen weiter wirken. Pratchetts Discworld hat das Geschehen auf der runden Kugel verändert, auf der wir leben. Und was mehr als das könnte ein Autor erreichen?
Lesezeichen: „Among Others“ und anderes
In den letzten Wochen habe ich ziemlich viel gelesen; auch die Weihnachtszeit etc. haben das ihre dazu beigetragen, dass ich Zeit dazu gefunden habe. Dazu gehörten unter anderem William Gibsons neuer Roman The Peripheral (teilweise recht spannend, aber irgendwie nicht ganz so großartig, wie ich das erwartet hätte), Ken MacLeods Descent (Ufos ins Schottland, oder vielleicht auch nicht), Ben Aaronvitchs Foxglove Summer (mit englischen Elfen und Einhörnern) und Ursula K. Le Guins über ihr ganzes Werk zurückschauende Kurzgeschichtensammlung The Unreal & The Real (die mir noch einmal sehr deutlich gemacht hat, warum ich LeGuin für eine herausragende Schriftstellerin halte, und ihren Stil sehr mag). Außerdem kamen mehrere tausend Seiten Peter F. Hamilton dazu, den ich bisher verpasst hatte. Andy Weirs The Martian – klassische harte Science Fiction mit einem Schuss MacGyver – musste ich an einem Stück lesen.
Der eigentliche Anlass für diesen Blogeintrag ist aber Jo Waltons Among Others, das Ende der 1970er Jahre in Wales und Südengland spielende geheime Tagebuch eines Teenagers, das bereits Anfang 2011 erschienen ist.
Morween, nach einem Unfall verkrüppelt, wird auf ein Internat geschickt. Sie ist klug und beobachtet sich selbst und ihre Umwelt ziemlich genau. Die klassische Außenseitergeschichte. Walton verwebt geschickt zwei Erzählstränge ineinander. Die Coming-of-Age-Geschichte eines Mädchens aus unübersichtlichen Familienverhältnissen, die vor ihrer Mutter weggelaufen ist, und Halt und Freundschaft findet im Science-Fiction- und Fantasy-Kanon der 1970er Jahre, und eine Geschichte über Magie, Feen und die Mutter als böse gewordende Hexe.