Der grüne Kreisverband Freiburg hat sein Mitgliedermagazin Grün in Freiburg von Print auf online umgestellt und mich gebeten, für die zukünftig regelmäßig geplante Rubrik „Sag’s den Grünen“ den Auftakt zu machen. Geschrieben habe ich – noch im August, vor der Aufregung um eine unhygienische Großdemo in Berlin – etwas dazu, wie wir Grüne uns verhalten hätten, wenn die Corona-Pandemie vor 30 Jahren stattgefunden hätte? (Ja, es geht um die Frage der Orientierung an Wissenschaftlichkeit und Fakten …). Aber auch jenseits davon ist die erste Online-Ausgabe von Grün in Freiburg recht interessant geworden.
Die große Schaltkonferenz
Vor ziemlich genau 20 Jahren fand der „Virtuelle Parteitag“ der baden-württembergischen Grünen statt. Diese Pionierleistung habe ich damals in meiner Magisterarbeit (eine Zusammenfassung findet sich hier und – ganz knapp – hier) genauer angeschaut. Was macht einen Parteitag aus? Neben der parteiengesetzlich festgeschriebenen Aufgabe der innerparteilichen Meinungsbildung (und Wahlen und Abstimmungen) gehört dazu nach innen auch etwas, was ich als „innerparteiliche Sozialisation“ beschreiben würde: das „Familientreffen“, Kontakte knüpfen, Netzwerke bilden. Und nach außen ist ein Parteitag immer auch mediales Event, eine Möglichkeit, Themen zu setzen, in der öffentlichen Wahrnehmung vorzukommen. Beides verknüpft sich, wenn Journalist*innen, die eine Partei beobachten, auf dem Parteitag direkt mit Delegierten sprechen und ein Gefühl für die Stimmung in der Mitgliedschaft entwickeln. Für Redner*innen auf der Bühne ist die Parteitagshalle Echoraum – es wird schnell klar, wo der Beifall tost und was eher auf müde Gesichter stößt. Die Partei erfährt sich selbst.
Ein Parteitag ist also eine vielschichtige Angelegenheit. Einen solchen vor 20 Jahren ins Netz zu verlegen, hieß damals in Baden-Württemberg: über mehrere Tage lang in verschiedenen Diskussionsforen inhaltlich argumentieren, um dann zu festen Zeitpunkten mit einem gesicherten Verfahren Abstimmungen unter den Delegierten durchzuführen und so am Schluss zu einer Positionierung zu kommen, damals zu Ladenöffnungszeiten. Als einer der ersten Gehversuche der Parteien im Netz war der Virtuelle Parteitag ein überregionales Medienereignis. Die Meinungsbildung erfolgte schriftlich, kein Platz für große Reden. Damit zumindest ein bisschen vom Kennenlernen der anderen Delegierten und Mitglieder übrig blieb, gab es eine „Kaffeeecke“, ein nicht thematisch festgelegtes Diskussionsforum. Das alles, wie gesagt, über einen längeren Zeitraum gestreckt, also eher asynchron, und definitiv textbasiert.
Ein paar Jahre später landete der Virtuelle Parteitag zwar in der baden-württembergischen Satzung, ein paar andere Landesverbände machten ähnliches, aber insgesamt blieb es beim einmaligen Versuch. Die Differenz zu dem, wozu Parteitage in einer Partei dienen, war dann doch zu groß. Zudem gibt es rechtliche Hürden (Wahlen sind nur in Versammlungen möglich), geheime Abstimmungen sind kaum sicher umzusetzen, die Kosten waren ähnlich hoch wie für die Anmietung einer Halle, und die Idee, dass sich jetzt plötzlich große Teile der Mitgliederschaft beteiligen, erfüllte sich auch nicht – ein großer Anteil der Beiträge kam von wenigen „Powerusern“. Über das Geschlechterverhältnis will ich jetzt gar nicht reden.
Kurzum: bis vor kurzen hätte ich gesagt, dass es sich nicht lohnt, das Format Parteitag im Netz nachzubauen.
Photo of the week: Mauerpark graffiti II
Am Wochenende war ich in Berlin – unter anderem, um den 40. Geburtstag von Bündnis 90/Die Grünen (genauer gesagt: den 40. Geburtstag der Grünen und den 30. von Bündnis 90) zu feiern, mit 1500 anderen, in einer alten, etwas schlauchartigen Fabrikhalle, mit einer Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Talkrunden u.a. mit Luisa Neubauer und Hans-Christian Ströbele (der da eher altväterlich rüberkam) und mit Aminata Touré, der Vizepräsidentin des Landtags Schleswig-Holstein mit Joschka Fischer. Die Handyfotos davon sind aber nicht wirklich was geworden. Deswegen lieber ein anderes Foto von dem Berlinbesuch. Wie es war – dazu stand in einigen Zeitungen etwas. Ich habe viele Leute getroffen, mich über die Akustik geärgert und über das Buffet (und den Auftritt von einer u.a. aus AnnenMayKannetereit gebildeten Band) gefreut. Die Steinmeier-Rede war gut, insgesamt war die Geburtstagsfeier angemessen gestaltet, die am Schluss verteilte Chronik gefällt mir und zeigt, wie 40 Jahre deutsche Geschichte und 40 Jahre Parteigeschichte doch recht eng ineinandergreifen – und wie weit vieles, was doch erst vorgestern war, schon Jahre zurückliegt.
So ’ne Art Jahresrückblick, Teil I: Orte, an denen ich 2019 war
Dieses Jahr habe ich mich nicht außerhalb Deutschlands aufgehalten, insofern stellte sich auch keine Flugfrage. Abgesehen davon war ich 2019 in Freiburg und Umland sowie in Stuttgart – und an einigen weiteren Orten in Baden-Württemberg, und außerhalb davon in Bonn (mehrfach), Berlin (mehrfach), Bielefeld, Leipzig, Werbelinsee und Greifswald.
Verglichen mit den Jahren davor waren das eher wenige Termine außerhalb von Freiburg bzw. Stuttgart. Aber selbst so ist ein Nebeneffekt der (ehrenamtlichen) Politik, dass diese mit einigem Reiseaufwand verbunden ist. Oder positiv gesagt: in einem guten Vierteljahrhundert Politik habe ich die meisten größeren Städte Deutschlands mindestens einmal gesehen – zumindest deren Bahnhöfe und Tagungshallen. Parteitage und davor Kongresse des Grün-Alternativen Jugendbündnisses, Campusgrün-Sitzungen und Gremiensitzungen, die nicht immer in Berlin stattfinden müssen, führen zu ganz schön viel Eisenbahnkilometern.
Hier zeigt sich auch ein gewisses BahnCard-100-Paradox. Theoretisch könnte ich innerhalb Deutschlands ganz viele Städtereisen unternehmen – tatsächlich bin ich meist froh, wenn ich neben dem Pendeln unter der Woche und diversen Politikterminen auch Zeit finde, die ich zu Hause verbringen kann. Der große Sommerurlaub mit den Kindern war bei mir letztes Jahr dran (da waren wir in Holland) und wird dann 2020 wieder auf mich zukommen. Falls die zwischenzeitlich 11 und 14 Jahre alten Kinder nächstes Jahr überhaupt noch eine solche Reise wollen …
Im Vergleich zu 2018 ist das politische Reisen aber auch deswegen weniger geworden, weil mit der BAG-Sitzung in Mannheim im Mai (und dem Besuch der Grundsatzakademie der BAGen in Werbellinsee im August) mein Engagement als Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Wissenschaft, Hochschule, Technologiepolitik endete. Neben den eigentlichen Sitzungen der BAG an zwei bis vier Wochenenden im Jahr umfasste das auch einige zusätzliche Termine, etwa Sitzungen des BAG-Sprecher*innen-Rates. Auch die Schreibgruppe für den Zwischenbericht zum Grundsatzprogramm beendete im Frühjahr 2019 ihre Tätigkeit, so dass deutlich weniger Berlin-Reisen als im Jahr zuvor notwendig waren.
Beruflich-politisch fokussiert’s sich bei mir nun auf Baden-Württemberg, und da, abgesehen von Klausuren und dem einen oder anderen externen Termin vor allem auf Stuttgart. Das hat auch mit dem Wechsel meiner Zuständigkeit in der grünen Landtagsfraktion zu tun – bis Ende 2018 war ich Parlamentarischer Berater für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Medien, seit Anfang 2019 bin ich übergreifend für Grundsatz und Strategie zuständig. Auch das führt dazu, dass Baden-Württemberg stärker ins Blickfeld rückt.
Baden (Süd nach Nord)
- Grafenhausen im Südschwarzwald, Fraktionsvorstandsklausur
- Bad Krozingen, grüne Kreismitgliederversammlung
- Schneeburg (Ebringen), Ausflug
- Kybfelsen (Freiburg-Günterstal), Ausflug
- Freiburg, der Freibuger Südwesten – hier wohne ich, hier gehen meine Kinder zur Schule, Home-Office-Arbeitsort usw.
- Freiburg, div. Veranstaltungen, Demos, Elternbeiratssitzungen, Schulfeste usw.
- Kaiserstuhl, Wanderung
- Gundelfingen, Familienbesuch (mehrfach)
- Gundelfingen, 40 Jahre Grüne Breisgau-Hochschwarzwald
- Waldkirch, Freunde besuchen
- Emmendingen, Kind vom Schachturnier abholen
- Ramsbach/Oppenau, Hüttenwochenende
- St. Peterstal-Griesbach, Klausur parl. Berater*innen
- Allerheiligen, Wanderung
- Ettlingen, Familienfeier
- Karlsruhe, Besuch im ZKM mit der Familie
- Karlsruhe, Übernachtung wg. Pendeln Stuttgart-Freiburg
- Öwisheim, Fortbildung
- Mannheim, Fraktionsklausur
- Mannheim, BAG Wissenschaft, Hochschule, Technologiepolitik (meine letzte Sitzung)
Württemberg (Süd nach Nord)
- Tübingen, Besuch Cybervalley/MPI
- Herrenberg, Fraktionsklausur
- Sindelfingen, Landesdelegiertenkonferenz
- Stuttgart, Arbeitsort (an zwei bis drei Tagen pro Woche)
- Stuttgart, Teilnahme an einer Sitzung der BAG Medien
- Stuttgart, Stakeholdergespräch KI
- Stuttgart, Digitalisierungsveranstaltung
- Heilbronn, Besuch der Experimenta mit den Kindern
- Heilbronn, Betriebsausflug zur Bundesgartenschau
Deutschland außerhalb Baden-Württembergs (Süd nach Nord)
- Bonn, Familienbesuch (mehrfach)
- Königswinter/Drachenfels, Ausflug
- Leipzig, Sitzung der BAG Wissenschaft, Hochschule, Technologiepolitik
- Bielefeld, Bundesdelegiertenkonferenz
- Berlin, Schreibgruppe für den Zwischenbericht zum grünen Grundsatzprogramm (mehrfach)
- Berlin, Grundsatzkonvent der Partei
- Berlin, Jubiläums-Mitgliederversammlung Campusgrün
- Werbellinsee (Brandenburg), Grundsatzakademie der BAGen von Bündnis 90/Die Grünen
- Greifswald, Besichtigung Wendelstein 7x
Zwanzig Jahre Campusgrün: ein Blick auf den Anfang
Allerorten finden derzeit grüne Jubiläumsveranstaltungen statt. Im September wurde die Landespartei vierzig, im März wird die Landtagsfraktion feiern, und auch die Bundespartei hat nächstes Jahr ihren vierzigsten Gründungstag. Halb so alt – und Zwanzig ist auch ein Grund für Feiern und Reflektionen – ist Campusgrün, das Bündnis grüner und grün-naher Hochschulgruppen.
Als Mitglied des Gründungsvorstands durfte ich gestern in Berlin bei der Bundesmitgliederversammlung dabei sein und ein bisschen was aus den ersten paar Jahren des Verbandes berichten. Ein gemeinsames Motiv der Exvorstände aus verschiedenen Jahrgängen, die gestern dabei waren (Patrick Luzina, Luisa Schwab, Philipp Bläss, Ricarda Lang), war übrigens der Weg in die Hochschulpolitik: ganz oft spielten Studistreiks dabei eine große Rolle – und wo das nicht der Fall war, politisierte die Hochschulgruppenarbeit und wurde zum Sprungbrett in grüne Politik hinein.
Thematisch zeigte sich eine interessante Debattenkontinuität – darauf wies auch Kai Gehring als hochschulpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion hin. Er nannte zehn zentrale Hochschulpolitik-Themen – und zumindest Studiengebühren und Studienfinanzierung, Hochschulfinanzierung und Studienreform (Bologna, seit 1998!) sind Themen, die eben auch 1999 schon auf der Agenda standen.
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