Wie die CDU tickt (Update: Was ist ein Parteiprogramm?)

Ich dach­te bis­her immer, die unde­mo­kra­ti­schen Vor­stel­lun­gen des ehe­ma­li­gen Rek­tors der Frei­bur­ger Uni­ver­si­tät (CDU-Mit­glied und Poli­tik­wis­sen­schaft­ler), die ich in diver­sen Unigre­mi­en erle­ben durf­te, sei­en vor allem Aus­fluss sei­ner Per­sön­lich­keit gewesen. 

Twit­ter klärt mich nun dar­über auf, dass ein der­ar­ti­ges Bild von Demo­kra­tie in der CDU ende­misch sein muss. Aus­gangs­punkt: die CDU hat heu­te ihr Wahl­pro­gramm vor­ge­stellt – beschlos­sen vom Par­tei­vor­stand. Ein Par­tei­tag – noch nicht ein­mal ein Akkla­ma­ti­ons­par­tei­tag wie bei der SPD – war nicht not­wen­dig. Nun ist eine Bun­des­tags­wahl nicht ganz unwich­tig, und die Fra­ge, was die Regie­rung machen wird, auch nicht. Inso­fern habe ich fol­gen­des bei Twit­ter geschrie­ben – und es an einen dort akti­ven Christ­de­mo­kra­ten adressiert:

@Stecki Ich bin ja immer noch fas­sungs­los dar­über, dass das Pro­gramm einer Volks­par­tei von deren Vor­stand fest­ge­legt wird – -

Die Reak­ti­on waren nicht wie erwar­tet Recht­fer­ti­gungs­ver­su­che, son­dern gegen­sei­ti­ges Unver­ständ­nis. Auf sei­ner Sei­te: es ist doch völ­lig nor­mal, dass der Par­tei­vor­stand ent­schei­det, schließ­lich sei auch der Bun­des­tag sowas wie der Vor­stand des Lan­des (Gewal­ten­tei­lung, hal­lo?), und auch auf Par­tei­ta­gen sei­en ja schließ­lich nur Dele­gier­te antrags­be­rech­tigt. So sei reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie halt organisiert.

Auf mei­ner Sei­te: ich dach­te bis­her, es sei nor­mal, dass Par­tei­mit­glie­der bestimm­te Rech­te haben (z.B. Antrags­recht auf Par­tei­ta­gen – bei uns sind 20 Unter­schrif­ten dafür not­wen­dig, egal ob dele­giert oder nicht), dass zumin­dest for­mal danach gestrebt wird, Mei­nungs­bil­dungs­pro­zes­se demo­kra­tisch zu orga­ni­sie­ren, dass eine so zen­tra­le Ent­schei­dung wie die über das Regie­rungs­pro­gramm eben nicht vom Vor­stand gewählt wird. 

Klar war mir bewusst, dass das „basis­de­mo­kra­tisch“ im alten Par­tei­slo­gan der Grü­nen was damit zu tun hat­te, dass ande­re Par­tei­en das eben nicht so ernst neh­men. Bewusst habe ich mir dar­über aber bis­her kaum Gedan­ken gemacht. Wenn, war das ein Kampf aus grau­er Vor­zeit. Mir geht’s jetzt also so ähn­lich wie jun­gen Frau­en und Män­nern, die den­ken, dass Femi­nis­mus heu­te – wo doch alle gleich­be­rech­tigt sind – nicht mehr not­wen­dig ist. Und plötz­lich mer­ken, dass das Gegen­teil stimmt.

Noch­mal zurück zum Punkt: die CDU-Mit­glied­schaft – wenn ich jetzt mei­ne Stich­pro­be mit N=1 ver­all­ge­mei­nern darf -, scheint Demo­kra­tie so zu ver­ste­hen, dass ein Vor­stand gewählt wird, der ein Prä­si­di­um wählt, dass eine star­ke Frau oder einen star­ken Mann wählt, der dann sagt, wo’s lang geht. Das Prin­zip, sei­ne poli­ti­schen Rech­te an der Wahl­ur­ne abzu­ge­ben, scheint hier also auch inner­par­tei­lich ver­wirk­licht zu sein. (Bei der SPD ist es anders: da soll ein star­ker Mann vor­ne ste­hen, was aber meis­tens nicht klappt; die Pro­gramm­ar­beit wird dage­gen an einen Arbeits­kreis abge­ge­ben, der tech­no­kra­tisch das rich­ti­ge und fal­sche trennt). Zugleich wird es für nor­mal gehal­ten, dass nur der­je­ni­ge Ein­fluss auf das Pro­gramm hat, der halt die rich­ti­gen infor­mel­len Kon­tak­te hat und auf „Abge­ord­ne­te“ bzw. „Dele­gier­te“ bzw. „Vor­stän­de“ ein­wir­ken kann.

Ist das wirk­lich so? Ich habe mal in die Sat­zung der CDU rein­ge­schaut (Sta­tut der CDU Deutsch­lands) und fest­ge­stellt, dass laut §29 (1) der CDU-Bun­des­sat­zung der Par­tei­tag „über die Grund­li­ni­en der Poli­tik der Christ­lich Demo­kra­ti­schen Uni­on Deutsch­lands und das Par­tei­pro­gramm“ beschließt, die „für die Arbeit der CDU-Frak­tio­nen und die von der CDU geführ­ten Regie­run­gen in Bund und Län­dern ver­bind­lich“ sind. Jetzt mag es sein, dass bei der CDU ein Par­tei­pro­gramm, dass für Regie­run­gen ver­bind­lich ist, etwas ganz ande­res als ein Regie­rungs­pro­gramm ist. Trotz­dem bleibt bei mir der Ein­druck, dass die CDU sich hier über ihre eige­nen Regeln der inner­par­tei­li­chen Demo­kra­tie hin­weg­setzt – und die Mit­glie­der das sogar noch gut finden. 

Übri­gens: dass der Par­tei­tag über das Par­tei­pro­gramm beschließt, steht sogar im Par­tei­en­gesetz. Wäh­rend die SPD sich zumin­dest noch for­mal an die Regeln hält, ist die CDU unter Mer­kel schon einen Schritt wei­ter auf dem Weg zur post­mo­der­nen Füh­rungs­par­tei, die als Mar­ke geführt wird, und in der (viel­leicht) Per­so­nen zäh­len, aber kei­ne Pro­gram­me. Auto­kra­tie a la Ber­lus­co­ni, anyo­ne? Inso­fern ist es auch schon fast egal, was drin steht.

War­um blog­ge ich das? Auch bei uns Grü­nen ist nicht alles Gold, was glänzt, wie ich an ver­schie­de­ner Stel­le in die­sem Blog immer wie­der deut­lich gemacht habe. Trotz­dem gibt es die for­ma­len Regeln und de infor­mel­len Wil­len, Mit­glie­der an der demo­kra­ti­schen Wil­lens­bil­dung zu betei­li­gen. Ja, wir Grü­ne sehen das sogar als Recht an. Ich erle­be nun, dass das in ande­ren Par­tei­en ganz anders gehand­habt wird. Ist einer­seits span­nend, macht aber auch klar, dass jeder halb­wegs an mehr als Reprä­sen­ta­ti­on ori­en­tier­te Mensch die­se nicht wäh­len soll­te. Die CDU müss­te übri­gens, Poin­te zum Schluss, auf den Wahl­zet­teln in Zukunft wohl als _ _ _ geführt wer­den – beson­ders christ­lich ist ihre Poli­tik nicht, wenn ich da Leu­ten, die sich bes­ser damit aus­ken­nen, Glau­ben schen­ken darf. Demo­kra­tisch? Nö. Und Uni­on, also Zusam­men­halt? Selbst das kriegt sie nur bedingt hin.

Update: Nach­dem nun auf Twit­ter und hier in den Kom­men­ta­ren dar­auf hin­ge­wie­sen wur­de: ver­mut­lich ist mit „Par­tei­pro­gramm“ in der Sat­zung der CDU das Grund­satz­pro­gramm gemeint, zuletzt beschlos­sen 2007 in Leip­zig, wenn ich rich­tig infor­miert bin. Zumin­dest der Wiki­pe­dia-Ein­trag zu die­sem Begriff stützt die­se The­se. Das ist inso­fern inter­es­sant, als nähe­res zum Wahl­pro­gramm weder in der Sat­zung der CDU noch im Par­tei­en­gesetz auf­taucht. In sei­ner kon­kre­ten poli­ti­schen Rele­vanz scheint mir letz­te­res – also das Wahl­pro­gramm, ins­be­son­de­re das Bun­des­tags­wahl­pro­gramm – gene­rell jedoch weit­aus ein­fluss­rei­cher zu sein als das Grund­satz­pro­gramm. Und auch der Wiki­pe­dia-Ein­trag zum The­ma „Wahl­pro­gramm“ stützt die Auf­fas­sung, dass es eigent­lich üblich ist, dass ein sol­ches von einem Par­tei­tag beschlos­sen wird. (Neben­bei: lus­tig ist ja auch, dass SPD und CDU jeweils von Regie­rungs­pro­gram­men spre­chen – bis vor kur­zem waren damit die aus­ge­han­del­ten Koali­ti­ons­ver­trä­ge gemeint). 

Noch ein Nach­trag: Sehr schön auf den Punkt bringt die Süd­deut­sche das neue For­mat „Kon­gress“ – also Wahl­par­tei­tag ohne Anträ­ge, Reden, Abstim­mun­gen – mit dem Begriff der „Jubel­per­ser“.

Kontraproduktive Liebhaber

Stork dance I

Es mag ja sein, dass es Kon­stel­la­tio­nen gibt, in denen schwarz-grün gut funk­tio­niert. In einem Bun­des­land, in dem die CDU seit Jahr­zehn­ten an der Macht ist, wäre ich mir da nicht so sicher, ob die drin­gend not­wen­di­ge Erneue­rung – ich rede von Baden-Würt­tem­berg – aus­ge­rech­net durch den Wech­sel des Juni­or­part­ners zustan­de kommt. Mei­ne per­sön­li­che real­po­li­ti­sche Prä­fe­renz für das Land wäre eine Ampel – das müss­te pro­zen­tu­ell sogar fast hin­zu­krie­gen sein. Aber noch wird der Land­tag in Baden-Würt­tem­berg nicht gewählt (son­dern erst 2011), und die Bun­des­tags­wahl ist noch ein­mal ein ganz ande­rer Fall. Und grün antün­chen – das zählt nicht. Wer mit Grün regie­ren will, muss den green new deal zum zen­tra­len Regie­rungs­pro­jekt machen, muss eine öko­lo­gi­sche (und mei­ner Mei­nung nach auch wei­te­re bür­ger­recht­li­che) Moder­ni­sie­rung der Gesell­schaft aktiv mittragen.

Es gibt nun einen (na gut, wenn ich Boris Pal­mer dazu neh­me, sind’s zwei) laut­star­ken Lieb­ha­ber eines Zusam­men­ge­hens von grü­nem Wert- und schwar­zem Struk­tur­kon­ser­va­ti­vis­mus. Ich rede hier von Win­fried Kret­sch­mann, Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der der Grü­nen im Stutt­gar­ter Land­tag. Die neus­te Bekun­dung sei­ner Lie­be zu schwarz-grün. Wie gesagt: bis zu den nächs­ten Land­tags­wah­len ist es noch etwas hin. Inso­fern ist es eigent­lich irrele­vant, wie oft der Land­tags­frak­ti­ons­chef noch sagt, was sei­ne Traum­ver­bin­dung wäre. (Und ja: natür­lich fra­gen Jour­na­lis­tIn­nen danach!).

Was Kret­sch­mann aller­dings nicht so ganz wahr­zu­neh­men scheint, ist die Gefahr, die mit sei­ner wie­der­hol­ten – fast wür­de ich sagen: andau­ern­den – Wer­bung um die trau­te CDU ver­bun­den ist. Mal ganz unab­hän­gig davon, dass ich nicht glau­be, dass die Mehr­zahl der grü­nen Wäh­le­rIn­nen sei­ne Prä­fe­ren­zen teilt, wird aus dem fri­sches­ten Quer­den­ker-Zwi­schen­ruf eine läs­ti­ge Bemer­kung, wenn er tau­send­fach wie­der­holt wird. Die Reak­ti­on: reflex­haft. Ich schrei­be Arti­kel wie die­sen, die­je­ni­gen in der Par­tei, die vor­sich­tig dar­über nach­den­ken, ob schwarz-grün stra­te­gisch in irgend­ei­ner Wei­se sinn­voll sein könn­te – und wenn ja, wann, wo und unter wel­chen Vor­be­din­gun­gen -, schre­cken zurück, weil da wie­der jemand laut­stark vor sich hin trö­tet, und die CDU freut sich, dass ihre Stra­te­gie: „grü­ne Avan­cen, um a. urba­nen Wäh­le­rIn­nen den Schein einer moder­nen Par­tei vor­zu­gau­ckeln und b. die FDP bil­li­ger zu machen“ so präch­tig aufgeht.

Wer sei­ne der­zeit uner­reich­ba­re Lie­be öffent­lich so hin­aus­tönt, trägt damit dazu bei, sie mit­tel­fris­tig uner­reich­bar zu las­sen, scha­det also sei­ner Sache (und letzt­lich auch der Par­tei, aber das ist eine ande­re Frage). 

Per­sön­lich hal­te ich schwarz-grün immer noch für eine Kon­stel­la­ti­on, die nur in ganz bestimm­ten Aus­nah­me­si­tua­tio­nen und nur dann, wenn die Inhal­te stim­men, sinn­voll ist. Inso­fern bin ich z.B. gespannt, wie Ham­burg gegen Ende der Legis­la­tur dort zu bewer­ten ist. Wer aber schwarz-grün möch­te, macht einen stra­te­gi­schen Feh­ler, wenn er sich so ver­hält wie Win­fried Kret­sch­mann, der es schafft, noch in jedem Inter­view nach schwarz-grün gefragt zu wer­den, dar­über zu ver­ges­sen, dass es uns in ers­ter Linie um Inhal­te geht – und jedes­mal eine neue Schicht rosa Lack auf die Bril­le auf­zu­tra­gen, mit der auf sei­ne Aus­er­wähl­te schaut, um dann wie­der und wie­der und noch ein­mal deren Vor­zü­ge zu prei­sen. Kurz gesagt: Kret­sch­mann ist ein kon­tra­pro­duk­ti­ver Lieb­ha­ber in eige­ner Sache.

War­um blog­ge ich das? Rei­ne Reflexreaktion.

Selbstverständlichkeiten …

… oder: Unter welchen Bedingungen sollten AnhängerInnen der PIRATEN die PIRATEN wählen?

 
Cat portrait I ("the pirate")

Es scheint ja nun so, dass die PIRATEN zur Bun­des­tags­wahl im Herbst antre­ten wer­den. Ich will mich hier jetzt gar nicht mit feh­len­der Pro­gram­ma­tik, frau­en­lo­sen Lis­ten oder dem den Klip­pen der mas­sen­me­dia­len Demo­kra­tie noch nicht gewach­se­nen Per­so­nal aus­ein­an­der­set­zen, son­dern einen eher wahl­tak­ti­schen Blick auf die Fra­ge wer­fen, unter wel­chen Bedin­gun­gen Anhän­ge­rIn­nen der PIRATEN die­se wäh­len sollten.

Dabei sind – auf­grund der Fünf-Pro­zent-Hür­de – zwei Fäl­le zu betrachten.

  1. Es herrscht bei den Anhän­ge­rIn­nen bzw. in der all­ge­mei­nen Öffent­lich­keit die Ver­mu­tung vor, dass die PIRATEN irgend­wo zwi­schen ein und drei Pro­zent abschnei­den wer­den, also deut­lich unter der Fünf-Pro­zent-Hür­de blei­ben werden.

    Eine Zweit­stim­me für die PIRATEN bleibt in die­ser Kon­stel­la­ti­on erst ein­mal ohne steu­ern­den Ein­fluss auf die Zusam­men­set­zung des Bun­des­ta­ges. Ein gutes Ergeb­nis für die PIRATEN (also z.B. drei Pro­zent) wür­de aber in ande­ren Par­tei­en wahr­ge­nom­men und könn­te so indi­rekt deren Poli­tik beein­flus­sen; ein hoher Wert an Stim­men für Sons­ti­ge inkl. PIRATEN wür­de zudem als gene­rel­le Kri­tik am Wahl­sys­tem bzw. an den antre­ten­den grö­ße­ren Par­tei­en auf­ge­fasst wer­den. Zudem wür­den – je nach Ergeb­nis – eini­ge Gel­der aus der Wahl­kampf­kos­ten­er­stat­tung an die PIRATEN flie­ßen, so dass die­se Gele­gen­heit bekä­men, ihren Par­tei­auf­bau zu for­cie­ren (auch das Euro­pa­wahl­er­geb­nis führt schon jetzt zu sol­chen Effekten).

    Zu beach­ten sind aller­dings auch die nega­ti­ven Effek­te: so geht jede Stim­me für die PIRATEN – so sie nicht aus dem Lager der Nicht­wäh­le­rIn­nen kommt – einer ande­ren Par­tei ab, deren Gewicht damit geschwächt wird. Gera­de bei einem knap­pen Wahl­aus­gang könn­ten die so feh­len­den Stim­men über Mehr­hei­ten für Regie­rungs­bil­dun­gen ent­schei­den (wenn also z.B. schwarz-gelb knapp eine Mehr­heit erhält).

    Zudem bedeu­tet eine Stim­me für eine Par­tei ohne Chan­ce auf Ein­zug in den Bun­des­tag, dass die Hür­de, um eine Mehr­heit der Sit­ze zu erhal­ten, sinkt. Wenn zehn Pro­zent der Stim­men auf Sons­ti­ge ent­fal­len, rei­chen (je nach Sitz­ver­tei­lungs­ver­fah­ren) schon z.B. 46 Pro­zent der abge­ge­be­nen gül­ti­gen Stim­men aus, um eine abso­lu­te Mehr­heit an Sit­zen zu errei­chen. Das ist unter demo­kra­tie­theo­re­ti­schen Gesichts­punk­ten – Reprä­sen­ta­ti­on des Wäh­ler­wil­lens – schwie­rig (und natür­lich prin­zi­pi­ell kein Effekt des Antre­tens von Kleinst­par­tei­en, son­dern ein Effekt der Sperrklausel).

    Bis­her ging es nur um Zweit­stim­men. Die­se sind für die Zusam­men­set­zung des Bun­des­tags rele­van­ter; zwei­tens wird es, wenn ich das bis­her rich­tig sehe, nur weni­ge Wahl­krei­se geben, in denen PIRATEN mit Direkt­kan­di­da­ten (und Kan­di­da­tin­nen?) antre­ten wer­den. Je nach Stär­ke der ande­ren Par­tei­en in die­sen Wahl­krei­sen sind die Effek­te von Erst­stim­men unterschiedlich.

    Fazit zu die­sem Fall: wenn zu erwar­ten ist, dass die PIRATEN die Fünf-Pro­zent-Hür­de nicht über­schrei­ten wer­den, bedeu­tet eine Zweit­stim­me für die PIRATEN, ein media­les Signal zu set­zen, zugleich aber zu einem Bun­des­tag bei­zu­tra­gen, in dem bestimm­te Inter­es­sen nicht ver­tre­ten sind und mög­li­cher­wei­se gera­de wegen der Pro­test­stim­men ande­re Mehr­hei­ten zustan­de kom­men, als „in Zweit­prä­fe­renz“ von Anhän­ge­rIn­nen der PIRATEN gewünscht – ins­be­son­de­re erhöht jede Stim­me für die PIRATEN, wenn die Annah­me stimmt, dass ein gro­ßer Teil der PIRA­TEN-Wäh­le­rIn­nen „ansons­ten“ SPD, LINKE oder Grü­ne gewählt hät­te, die Chan­cen auf eine schwarz-gel­be Mehrheit. 

  2. Anders sieht die Situa­ti­on aus, wenn zu erwar­ten ist, dass die PIRATEN sich nahe an der Fünf-Pro­zent-Hür­de bewe­gen. Jetzt könn­te es sein, dass eine Stim­me für die PIRATEN tat­säch­lich einen inten­dier­ten Ein­fluss auf die Zusam­men­set­zung des Deut­schen Bun­des­tags hat. Ich hal­te die­se Situa­ti­on für unwahr­schein­lich (bis­her ist der öffent­li­che Auf­schrei wegen „#Zen­sur­su­la“ außer­halb des Net­zes wenig ver­nehm­bar; auch Tauss wird’s nicht ret­ten – und zum Über­sprin­gen der Fünf-Pro­zent-Hür­de wären etwa 1,5 Mio. Stim­men not­wen­dig – mehr als fünf Mal so vie­le wie die PIRATEN bei der Euro­pa­wahl erreicht haben). Wie dem auch sei: eine PIRA­TEN-Frak­ti­on im Bun­des­tag könn­te das Züng­lein an der Waa­ge bei Koali­ti­ons­bil­dun­gen sein – zugleich sind die oben beschrie­be­nen Ein­flüs­se auf die Reprä­sen­ta­ti­on des Wäh­ler­wil­lens – aber auch das media­le Signal – bei einem knap­pen Schei­tern umso größer.

Rea­lis­tisch betrach­tet soll­ten Anhän­ge­rIn­nen der PIRATEN also nur dann für die PIRATEN stim­men, wenn ihnen 1. ein media­les Signal an ande­re Par­tei­en sehr wich­tig ist, ihnen 2. die Zusam­men­set­zung des Bun­des­tags egal ist (bzw. viel­leicht sogar Prä­fe­ren­zen für schwarz-gelb da sind), oder wenn 3. bis zur Bun­des­tags­wahl die gesamt­ge­sell­schaft­li­chen dis­kur­si­ven Erwar­tun­gen, dass ein Über­sprin­gen der Fünf-Pro­zent-Hür­de durch die PIRATEN mög­lich ist – und damit die Chan­ce, dass es dazu kommt – deut­lich zuneh­men. Die Fünf-Pro­zent-Hür­de erweist sich hier also als chao­ti­scher Attraktor.

Anders gesagt heißt das: ver­nünf­ti­ge Anhän­ge­rIn­nen der PIRATEN machen jetzt einen star­ken PIRA­TEN-Wahl­kampf, set­zen damit ande­re Par­tei­en (ins­be­son­de­re FDP und GRÜNE) unter Druck, sich netz­po­li­tisch rich­tig zu posi­tio­nie­ren – und wäh­len dann am 27.9. nicht die PIRATEN, son­dern die­je­ni­ge der grö­ße­ren Par­tei­en, die bis dahin am ehes­ten und glaub­wür­digs­ten für zen­tra­le For­de­run­gen aus dem PIRA­TEN-Pro­gramm steht. 

Sie­he gene­rell auch Tipps und Tricks zur Bun­des­tags­wahl 2009.

War­um blog­ge ich das? Vor allem als Ver­schrift­li­chung mei­ner eige­nen Über­le­gun­gen dazu, ob es sich lohnt, im grü­nen Wahl­kampf offen­siv auf die PIRATEN einzugehen.

Kurz aus der grünen Hochschulpolitik

Un(i)gerecht IIISams­tag, Sonn­tag und Mon­tag habe ich mit grü­ner Hoch­schul­po­li­tik zuge­bracht. In Ber­lin. Sams­tag und Sonn­tag war die Sit­zung der BAG WHT, der Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaft Wis­sen­schaft, Hoch­schu­le, Tech­no­lo­gie­po­li­tik. Am Mon­tag gab es eine Tagung der grü­nen Bun­des­tags­frak­ti­on unter dem Mot­to „Un(i)gerecht – grü­ne Impul­se für zukunfts­fä­hi­ge Hoch­schu­len“. Eine Art Gene­ral­ab­rech­nung zum Stand der Hoch­schul­po­li­tik in Deutsch­land. War gut besucht, ganz inter­es­sant (v.a. der Vor­trag von Prof. Baer), aber wenig auf Par­ti­zi­pa­ti­on hin aus­ge­legt. Und ob die Tagung inhalt­lich wirk­lich etwas neu­es gebracht hat, ist mir auch nicht so ganz klar. Ein etwas pro­vo­kan­tes Resü­mee habe ich zum aktu­el­len Grün­zeug am Mitt­woch verarbeitet.

Hier nun noch ein paar Wor­te zur Sit­zung der BAG. Wir waren ziem­lich pro­duk­tiv und haben gleich 24 Ände­rungs­an­trä­ge zum Ent­wurf für das Bun­des­tags­wahl­pro­gramm aus­ge­ar­bei­tet und beschlos­sen. Dank Bea­mer ging das sogar eini­ger­ma­ßen sinn­voll in einer Run­de von knapp 20 Leu­ten. Hier sind alle Ände­rungs­an­trä­ge zum Wahl­pro­gramm zu fin­den; unse­re ste­hen v.a. unter dem Punkt „BTW‑B“, das ist die Bildungspolitik.

Beschlos­sen haben wir außer­dem – end­lich, nach meh­re­ren Sit­zun­gen, auf denen wir uns damit beschäf­tigt haben – das Posi­ti­ons­pa­pier zum Bei­trag der Hoch­schul- und For­schungs­po­li­tik für eine nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung. Es war mir ein ziem­lich wich­ti­ges Anlie­gen, die BAG hier zu posi­tio­nie­ren, und ich glau­be, dass das Ergeb­nis sich sehen las­sen kann. Gefreut hat es mich auch, dass Anja Schillhan­eck und ich jeweils ein­stim­mig für wei­te­re zwei Jah­re erneut als Spre­che­rIn­nen der BAG gewählt wurden. 

Parteigeflüster zwischen virtuellen Bäumen (Update)

BDK: The delegates
So sieht’s aus, wenn bei Par­tei­ta­gen geflüs­tert wird.

Der Name der nächs­ten Politik‑2.0‑Site – parteigefluester.de – ist auf jeden Fall schon mal gelun­gen. Auch das prin­zi­pi­el­le Kon­zept, Tweets (also Twit­ter-Mel­dun­gen) von Men­schen aus ver­schie­de­nen Par­tei­en neben­ein­an­der dar­zu­stel­len, hat was. Dem Ver­neh­men nach plant wahl.de ähn­li­ches. Vor ein paar Tagen mach­te zudem der schwe­di­sche Twix­da­gen, also „Twit­ter­tag“ in Ana­lo­gie zum schwe­di­schen Par­la­ment, dem Riks­da­gen, die Run­de. Die Idee liegt also irgend­wie in der Luft.

Nun kon­kret zum „Par­tei­en­geflüs­ter“. Zwei Schwach­stel­len sehe ich noch. Ers­tens fehlt dem Par­tei­ge­flüs­ter die Links­par­tei. Das fin­de ich nicht so ganz nach­voll­zieh­bar, auch wenn dann der Bild­schirm­platz ein biß­chen eng wird, wenn die mit hin­zu­kommt. Es gibt defi­ni­tiv Men­schen aus der Links­par­tei, die Twit­ter ver­wen­den. Und wenn’s nur weni­ge sind, dann bla­mie­ren die sich halt. Aber weg­las­sen ist irgend­wie unfair. (Und ja: ich kann ver­ste­hen, dass z.B. prag­ma­tisch der Schnitt bei den im Bun­des­tag ver­tre­te­nen Par­tei­en gemacht wird, und ÖDP, BSÖ, Tier­schutz, Vio­let­te sowie der gan­ze rech­te Rand nicht vor­kom­men). Und gera­de im Sin­ne von „Geg­ner­be­ob­ach­tung“ ist die Links­par­tei nicht unin­ter­es­sant für Grüne.

screenshot-parteigefluester
Und so sieht’s aus, wenn bei parteigefluester.de vir­tu­ell – und in die­sem Fall sehr selbst­re­fe­ren­ti­ell – geflüs­tert wird.

Schwach­stel­le Nr. 2: Was ist eigent­lich ein „Par­tei­t­wit­te­rer“? Ich tau­che z.B. bei den der­zeit 66 grü­nen Accounts mit auf, die für Par­tei­ge­flüs­ter aus­ge­wer­tet wer­den. Und weiss nicht so genau, was ich davon hal­ten soll. Einer­seits stimmt es: ich bin Grü­ner, ste­he dazu, beklei­de auch die eine oder ande­re ehren­amt­li­che Funk­ti­on. In mei­nen Tweets äuße­re ich mich ger­ne poli­tisch und neh­me zu poli­ti­schen Fra­gen Stel­lung. Ande­rer­seits: bin ich Teil des Par­tei­ge­flüs­ters? Wür­de ich erwar­ten, mich – und vie­le ähn­li­che im Web 2.0 akti­ve Mit­glie­der der ver­schie­de­nen Par­tei­en – in einer Auf­lis­tung der letz­ten paar Par­tei­t­weets zu fin­den? Oder doch eher die von offi­zi­el­len Par­tei­ac­counts, MdBs und Vorstandsmitgliedern? 

((Neben­bei bemerkt: jeweils nur drei Tweets anzu­zei­gen, ist ein biß­chen wenig …))

Ich sehe drei Lösungs­an­sät­ze: ers­tens wäre es gut, gewis­se Fil­ter­funk­tio­nen ein­zu­bau­en, also die Aus­wahl zum Bei­spiel nach Bun­des­land oder nach poli­ti­scher Funk­ti­on. Ich ver­mu­te, dass das bei der Imple­men­tie­rung die­ser Funk­ti­on durch Wahl.de der Fall sein wird. Zu sehen, wel­che MdBs gera­de was zu aktu­el­len poli­ti­schen Vor­ha­ben sagen, könn­te – je nach Inter­es­se – span­nen­der sein als die Fuß­ball­mel­dun­gen, Orts­ver­bands­sit­zun­gen und Buch­kri­ti­ken der Par­tei­mit­glie­der. Zwei­tens – da müss­ten dann aber alle mit­ma­chen – wäre es eine Mög­lich­keit, alle „pri­va­ten“ Bei­trä­ge (oder alle „poli­ti­schen“ Bei­trä­ge) z.B. mit dem Tag „#p“ zu kenn­zeich­nen, und danach zu filtern. 

Drit­tens glau­be ich, dass mathe­ma­ti­sche Ver­fah­ren zur Text­ana­ly­se mög­li­cher­wei­se inzwi­schen weit genug sind, um eini­ger­ma­ßen sicher erken­nen zu kön­nen, wel­che Tweets zu poli­ti­schen Dis­kur­sen gehö­ren und wel­che nicht. Das zu imple­men­tie­ren setzt aber eini­ges an Rechen­ka­pa­zi­tät und Infor­ma­tik-Know-how vorraus. Soll­te Goog­le auf die Idee kom­men, Twit­ter zu kau­fen, wäre es ver­mut­lich mög­lich, sowas wie „seman­ti­sche Are­nen“ schnell auf die Bei­ne zu stel­len. Als Pro­jekt ein­zel­ner klei­ne­rer Agen­tu­ren wohl eher nicht …

Ich bin gespannt, was bis zur Bun­des­tags­wahl noch an „Politik2.0“-Plattformen auf die Bei­ne gestellt. Für mich der nächs­te inter­es­san­te Schritt ist jeden­falls der Relaunch der Web­site von Bünd­nis 90/Die Grü­nen, der in den nächs­ten Wochen ansteht, und das – bis­her nur im inter­nen Beta-Test – lau­fen­de Mitgliedernetzwerk. 

Mit der Viel­zahl der Platt­for­men stellt sich aller­dings gleich die nächs­te Fra­ge: wie sieht’s eigent­lich mit Inte­gra­ti­on aus? Damit mei­ne ich nicht nur die Inte­gra­ti­on ver­schie­de­ner Inhal­te (You­Tube-Video im Par­tei­b­log ein­bin­den …), son­dern vor allem auch die Inte­gra­ti­on der Nut­zung: sich jeden Tag durch drei bis zehn (poli­ti­sche) Social-Media-Platt­for­men zu kli­cken, funk­tio­niert auf Dau­er nicht.

War­um blog­ge ich das? Weil es dann doch etwas mehr als 140 Zei­chen waren, die ich dazu zu sagen hatte.

Update: Inzwi­schen befin­det sich auf der „Bun­dest­weet“ von wahl.de im public beta, kann also ange­schaut wer­den. Wenn ich’s rich­tig ver­ste­he, muss Twit­ter noch mit­spie­len, damit es hier wirk­lich los­ge­hen kann.