Gerade läuft Twitter heiß: der stellvertretende Vorsitzende der Piraten, Popp, hat der sehr sehr rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ ein Interview gegeben. Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Entweder war es Unwissen – dann spricht das Bände gegen die politische Professionalität der Piraten. Oder das Interview war Absicht (im Sinne eines „Meinungsfreiheit muss für alle gelten“ und als Pol für „nicht links, nicht rechts“) – dann ist das der Warnschuss vor den Bug jedeR WählerIn, die mit den Piraten liebäugelt und eine Spur antifaschistische Überzeugung in sich trägt. Beides nichts, was für die Piraten kurz vor der Bundestagswahl gut ausgehen kann (es sei denn, die wollen jetzt noch ein paar rechtslastige Protestwählerstimmen aufsammeln).
Nachtkommentar zum Duell
Nachdem alle Welt es vorher hochgeredet hat, habe ich mir das Duell dann doch angesehen (aber auch nur, weil Phoenix sich über einen Livestream für Gehörlose über das wohl den Privatsendern zu verdankende Streamingverbot hinweggesetzt hat). Ich habe es also gesehen, und bin jetzt nicht wirklich glücklich.
Das hat was damit zu tun, dass ich das Format schlicht und einfach langweilig fand. Was auch nicht überrascht, wenn vorher alles bis ins kleinste austariert ist, wenn nur Regierungsmitglieder sich duellieren, wenn zuviele BeraterInnen im Hintergrund rumwuselten, und wenn gleich vier ModeratorInnen auf Merkel und Steinmeier losgelassen werden. Ich hätte es extrem spannend gefunden, zu sehen, was passiert, wenn Steinmeier und Merkel an einem Tisch ohne ModeratorIn 90 Minuten miteinander reden, und dabei gefilmt werden. Zufall. Kontingenzen. Risiken. Interessanter wäre das ganze sicher auch geworden, wenn ein bis zwei JournalistInnen die Elefantenrunde befragen hätten können. Besonders peinlich: die feinjustierten und auswenig gelernten Schlussstatements beider. Videoeinspielungen in Person.
Aber diese Unzufriedenheit mit dem Format – mit allen Schwächen des broadcastings – ist nur das eine. Merkel und Steinmeier haben ja schon über Inhalte und politische Handlungsoptionen geredet. Nicht unbedingt offen und deutlich, und wohl auch nicht immer ehrlich, aber ganz inhaltsleer war das ja nicht. Beide sind sich einig: mehr Wachstum, Arbeitsplätze sind wichtig, Opel ist die Krisenrettung – Zukunftsthemen wie Umwelt, Bildung, Bürgerrechte kamen dagegen nicht vor. Weder bei den Fragenden noch bei Angela „Klimakanzlerin“ Merkel oder Frank-Walter „Deutschlandplan“ Steinmeier. Green New Deal, anyone? Meine Prioritäten und Zukunftsgestaltungswünsche für dieses Land sind jedenfalls deutlich anderes als die von Kanzlerin und Vizekanzler.
Die öffentliche Expertenmeinung glaubt, dass Steinmeier ein bißchen besser abgeschnitten hat als Merkel. Bei der SPD wird daraus mal wieder ein überwältigender Sieg. Bei der CDU wird es genau anders gedeutet. Ob das Duell überhaupt eine Auswirkung auf die Wahl hat, bleibt bei all dem weiter offen. Im Hinblick auf das Verhindern von schwarz-gelb wäre es zu wünschen. Vielleicht sind ja auch die drei Oppositionsparteien Gewinnerinnen der großkoalitionären Einigkeit.
Nicht nur bei mir blieb der Eindruck, dass eigentlich beide – Merkel wie Steinmeier – lieber in der „Altes-Ehepaar“-Koalition weitermachen wollen als wirklich ernsthaft schwarz-gelb oder eine nicht genannte Steinmeier-Option einlösen wollen. So richtig tolle Machtoptionen sind ja auch nicht da, wenn’s um Alternativen geht. Ich glaube nicht, dass rot-rot-grün realisiert wird, und ich bin mir sehr unsicher, ob Westerwelle bzw. die FDP zu einem Ampel-Wortbruch gebracht werden kann. Auch deswegen macht mich dieses Duel unglücklich. Es führt noch einmal deutlich vor Augen, wie verbraucht und ausgebrannt die SPD ist, wenn Steinmeier wirklich ihr „Spitzenmann“ sein soll. Das kommt teilweise uns zu Gute – führt aber, solange SPD und PDS sich gegenseitig blockieren, auch dazu, dass Regierungsalternativen schwer sichtbar werden.
Meine Einschätzung nach dem Duell: um diese Wahl zu gewinnen, hätte die SPD jemand finden müssen, der – oder vielleicht besser: die – von der großen Koalition und von Schröder unbelastet für eine ernsthafte Alternative gestanden hätte. Wenn Schleswig-Holstein und Hessen anders gelaufen wären, hätte das zum Beispiel eine erfolgreiche SPD-Ministerpräsidentin sein können. So bleibt allen, die mit der Visionslosigkeit angesichts der Krise unzufrieden sind, nur die Wahl einer der kleinen Parteien (am besten natürlich der Grünen) – und die Hoffnung darauf, dass nicht nur schwarz-gelb verhindert wird, sondern dass auch das Unwahrscheinliche wahr wird und eine Regierungsoptionen jenseits der großen Koalition gefunden wird.
Warum blogge ich das? Weil immer deutlich wird, dass Ideen, die aus der Krise – aus den Krisen der Gegenwart – führen, nur bei uns Grünen zu finden sind. Und wir leider noch weit vom Status der Mehrheitspartei entfernt sind.
Kurz: Umfrage zum TV-Duell
Ist das TV-Duell zwischen Kanzlerin und Vizekanzler, das gleich beginnt (und das evtl. bei phoenix gestreamt , jedenfalls bei wahl.de mitgeschrieben wird), überhaupt irgendwie von Bedeutung für den Ausgang der Bundestagswahlen? Wer will, darf hier – und nur heute – dazu was sagen:
P.S.: Mein Fazit 1. War nichts. Fazit 2: „Dieses neue Medium „Fernsehen“ überzeugt mich nicht.“ Fazit 3. Schließe mich Steffi Lemke an, die im ZDF darauf hingewiesen hat, dass die Themen Umwelt und Bildung (und ich ergänze: Bürgerrechte) keine Rolle gespielt haben – und dass die einzig sinnvolle Alternative eben doch grün ist.
Anflüge von Wahl-O-Mat-Verdrossenheit
Alle Wahlen wieder gibt es nunmehr – seit 2002 - den Wahl-O-Maten der Bundeszentrale für politische Bildung, inzwischen mit reichlich Medienpartnern, ähnlichen Tools der Parteien und dergleichen mehr gesegnet. Es gibt sogar Abzocker-Nachahmer.
Das Grundprinzip des Wahl-O-Mat ist über die Jahre weitgehend gleich geblieben: es werden viele – derzeit 38 – Thesen mit „stimme zu“/„neutral“/„stimme nicht zu“ gekennzeichnet, ein paar davon gewichtet und dann geschaut, mit welcher Partei die eigene Position wie stark übereinstimmt.
Beim heutigen Test des aktuellen Wahl-O-Mat lagen bei mir Grüne und Linke gleichauf an der Spitze. Das wundert mich nicht wirklich.
Mir ist aber auch aufgefallen, dass es viele Fragen gibt, die mir eher egal sind (und wo es mir egal ist, ob meine eigenen Position mit der einer Partei übereinstimmt oder nicht – das geht zwar mit „These überspringen“, was mir aber z.B. beim Ausfüllen nicht klar war), dass einige Thesen gar nicht sehr aussagekräftig sind („Die staatliche Beteiligung an privaten Banken darf nur eine vorübergehende Notlösung sein.“ – wenn ich jede staatliche Beteiligung ablehne, muss ich hier ebenso ablehnen wie wenn ich finde, dass Banken verstaatlicht werden sollen) und andere Themen (Klimaschutz, einiges aus dem Bereich Netzpolitik, …) komplett fehlen. Und dann würde ich bei Fragen wie z.B. der nach dem sofortigen Rückzug aller deutschen Truppen aus Afghanistan gerne komplexer antworten können als mit ja/nein.
Wenn ich die FAQ richtig verstehe, wurde die Einordnung der Parteien zudem durch diese selbst – und nicht anhand der Parteiprogramme o.ä. vorgenommen:
Den Parteien und sonstigen politischen Vereinigungen wurde eine Liste mit insgesamt [in Workshops mit jungen Menschen entwickelten, TW] 87 Thesen zugeschickt. Sie wurden gebeten, die Thesen entsprechend der Parteihaltung mit „stimme zu“, „stimme nicht zu“ oder „neutral“ zu beantworten. Aus den ausgefüllten Listen wurden diejenigen Thesen rechnerisch ermittelt, die keine ausreichende Unterscheidung der Parteien und Wählervereinigungen möglich machten, und entfernt. Die Redaktion hat aus den verbleibenden eine endgültige Auswahl von 38 Thesen getroffen, die in den Wahl-O-Mat eingebunden wurden.
Entsprechend glaube ich, dass der Wahl-O-Mat (irgendwo bei Twitter schwirrte auch die Idee herum, doch gleich einen „Koal-O-Mat“ zu machen) durchaus noch verbesserungsfähig ist. Dazu müsste allerdings in das Grundkonzept eingegriffen werden. Insbesondere könnte ich mir vorstellen, dass die Antworten auf die Thesen nicht von den Parteien gegeben werden, sondern aus den Parteiprogrammen entnommen werden (ist natürlich deutlich arbeitsintensiver – also eine Kreuzung aus Wahl-O-Mat und GESIS Wahlportal), und dass vor der eigentlichen Abfrage eine Auswahl von zwei bis vier relevanten Themengebieten erfolgt, zu denen dann Thesen kommen. Wenn mir Umweltpolitik und Bürgerrechte wichtig sind, würden dann dazu mehr und detaillierte Thesen/Fragen kommen als heute, und anderes würde unter den Tisch fallen.
Ein anderer Vorschlag: da eh gerechnet wird, könnte statt ja-neutral-nein auch eine feinere Skala genommen werden. Oder eine Auswahl zwischen zwei konkreten Vorschlägen (eher X … eher Y) mit Abstufungen auf der Skala. Aber das ist vielleicht zu viel der Komplexität.
Warum blogge ich das? Weil der Wahl-O-Mat inzwischen so ein bißchen eine Pflichtübung geworden zu sein scheint, der frischen Wind vertragen könnte. Interessant wäre natürlich auch zu wissen, ob es Untersuchungen darüber gibt, ob der Wahl-O-Mat tatsächlich Effekte auf die Wahlbeteiligung, die Politisierung oder die politische Bildung hat – und wie viele ihn nutzen, um zu entscheiden, welcher Partei sie ihre Stimme geben.
Kurz: Die Kanzlerin in Freiburg
Die Kanzlerin, Angela Merkel, redet ja heute in Freiburg (ihr erster Besuch als Kanzlerin in der Stadt übrigens – und ein reiner Wahlkampftermin, in den noch nicht mal ein Empfang beim Bürgermeister reingepasst hat). Das erklärt, warum es regnet. Anlass für den kurzen Artikel hier ist aber was anderes – nämlich die Berichterstattung der Badischen Zeitung. Ich find’s amüsant, dass „Angela Merkel in Freiburg“ mit einem leeren Redepult illustriert ist. Wird sich wohl auch noch ändern, ist aber eigentlich das treffendste Bild für einen Wahlkampf, in dem „nichts inhaltliches sagen“ und „bloß keine Präsenz zeigen“ (z.B. nach den CDU-Verlusten bei den Landtagswahlen) die Strategie der Kanzlerin bestimmen: