Wieder zurück vom geheimnisvollen Camp Netzbegrünung in Berlin. Mitten in unsere Workshop-Berichte platzte die Nachricht vom SPD-Intrigenstadel. Mein erster Gedanke: da müsste ich was zu bloggen. Blödsinn. Wenn mein Blog ein klassisches Massenmedium wäre, wäre das so. Oder wenn ich Öffentlichkeitsarbeit machen würde. Aber nur, weil ein Thema politisch heiß ist, sich drauf zu stürzen? Es gibt keinen Zwang dazu, auf der vordersten Welle der Aufmerksamkeit zu surfen. Also: nichts zur SPD, zu Müntefering, Beck und Steinmeier, und erst recht keine Spekulationen darüber, ob das jetzt der Linken, der SPD, den Grünen, der FDP oder doch vor allem der Kanzlerin nützt.
Kurz: Asynchrone Neuheitshorizonte
Henning fragt sich, was nach Twitter kommt, und Benedikt stellt schon mal fünf Kriterien für das „nächste große Ding“ auf.
Das eine habe ich wieder rausgekramt, als ich das andere gelesen haben, und beides zusammen bringt mich zur Beobachtung, dass das Zusammenwirken von internettypischer Teilöffentlichkeitsbildung mit den generell beschleunigten Innovations- und Adaptionszeiten im IT-Bereich den interessanten Aspekt hat, asynchrone Neuheitshorizonte zu generieren.
Damit meine ich zum einen, dass die „early adopters“ schon längst bei Twitter sind, wenn die Masse und die Massenmedien gerade mal Blogs entdecken (durchaus durch das letzte große Ding synchronisiert), zum anderen aber auch, dass es möglicherweise generelle „early adopters“ in Bezug auf Web 2.0 gar nicht mal unbedingt gibt. Was für A schon längst in den Alltag integriert ist, ist für B noch eine spannende Neuentdeckung – aber umgekehrt mag es Web2.0‑Anwendungen geben, die bei B schon als alter Hut durch sind, die A aber noch gar nicht endeckt hat. Dazu dann noch eine Prise Spezialisierung auf unterschiedliche Felder im Sinne des Long-Tail-Endes, und wir haben eine mögliche Erklärung dafür, warum Web2.0‑Blogposts so oft selbstreferentiell sind und sich so sehr damit beschäftigen, was jetzt neu und spannend ist. Oder spannend sein könnte.
Prima Material für eine Fallstudie zu Blogs (Update 2)
Boing Boing owns their blog, but not their reputation – that’s got to be earned. (Quelle)
Also, perhaps „permalink“ should be renamed. (Quelle)
Ich mache mir jetzt nicht die Mühe, alle Fundstellen herauszusuchen: seit ein paar Tagen gibt es Gerüchte darum, dass das Blog „BoingBoing“ (so ungefähr das drittgrößte überhaupt) alle auf die Bloggerin „Violet Blue“ verweisenden Einträge gelöscht hat. Das ist erstens deswegen ein Thema, weil Blogs von „Permalinks“ leben (also für Verweise auf Blogeinträge einen dauerhaften Link zur Verfügung stellen); die Permalinks zu allen Einträgen, in denen Violet Blue erwähnt wird, funktionieren nicht mehr, wenn die Einträge gelöscht bzw. „unpublished“ (aus der Veröffentlichung gezogen) werden. Zweitens ist es gute Praxis in Blogs, frühere Fehler durch Ergänzungen etc. zu verdeutlichen, statt stillschweigend zu editieren, und drittens hat gerade BoingBoing den Ruf, für freie Rede, Transparenz, netzkulturelle Werte und gegen Zensur zu kämpfen. Eine explosive Gemengelage also (und Herzschmerz ist auch dabei).
Inzwischen gibt es ein Statement von BoingBoing, in dem kurz gesagt steht: ja, wir haben alle Einträge gelöscht, in denen auf Violet Blue Bezug genommen wird, und nein, wir sagen nicht warum. Erinnert mich ein bißchen an die Kommunikationspolitik im Fall Flickr.
Interessant daran ist nun letztlich gar nicht so sehr der konkrete Fall, sondern vielmehr das, was dazu an Diskussion stattfindet. Allein schon die – in kürzester Zeit mehrere hundert – Kommentare zum oben genannten Statement bei BoingBoing selbst sind sehr lesenswert, in weiteren Blogs gibt’s weitere Debatten. Bei BoingBoing findet die eine Hälfte es völlig unmöglich, weil BoingBoing damit seine Reputation verspielt und das fragile Netzwerk der Verlinkungen im Internet gefährdet, die andere Hälfte findet es völlig okay, weil es halt ein privates Blog ist, und die BetreiberInnen tun und machen können, was sie wollen. Ein bißchen Fanboytum ist sicher auch dabei.
Warum ist das ganze nun Material für eine Fallstudie zu Blogs? Weil z.B. hier sehr schön deutlich wird, wie aus einem subkulturellen Blog mit (emotional gebundener und auf Sozialvertrauen aufbauender) Gemeinschaft eine massenmediale Körperschaft mit formatierter Öffentlichkeit und regelgeleitetem Systemvertrauen wird. In diesem Institutionalisierungsprozess kommt es zu Wahrnehmungsverschiebungen und veränderten Rahmungen bisher akzeptierter oder nicht akzeptierter Praktiken. Was Reputation ausmacht, wandelt sich ebenfalls. Kurz gesagt: hier lässt sich die gesellschaftliche Genese reproduzierbarer Erwartungen an das Verhalten von „Blogs“ und die Konflikthaftigkeit der damit verbundenen unterschiedlichen impliziten Standards beobachten – und die Frage stellen, ob Effekte wie dieser automatisch mit Wachstum und Kapitalisierung von Web 2.0‑Angeboten zustande kommen, oder ob es Möglichkeiten gibt, die „nette Internetcommunity von nebenan“ auch auf ein paar Millionen Seitenabrufe pro Tag zu skalieren.
Warum blogge ich das? Weil’s ein spannendes Realexperiment ist.
Update: (7.7.2008) Nachdem der Kommentarthread bei BoingBoing inzwischen auf über 1500 Kommentare angewachsen ist (und von gegenseitigen Beschimpfungen zurück zu einem zivilisierten Diskurs gefunden hat), erscheint es mir als passend, folgende simple Erklärung für die starke Dynamik internetbasierter Diskussionen in diesen Artikel einzufügen:
Duty Calls, xkcd (CC-BY-NC)
Update 2: (23.7.2008) Inzwischen gibt es die Lessons Learned – mit weiteren 500 Kommentaren. Und ein interessantes Essay zu den Konsequenzen für’s Blogging gibt’s (anderswo) auch.
Ideen gesucht: Infostand 2.0 (Update 5)
In den letzten Jahrzehnten gab es für Wahlkämpfe zwei Hauptspielfelder: die Arena der bundesweiten Massenmedien – vom Talkshowauftritt bis zum Bericht über den Parteitag – auf der einen Seite, und die Straße mit Plakaten, Infoständen, dem Verteilen von Flyern und Hausbesuchen auf der anderen Seite. Irgendwo dazwischen dann noch „Hinterzimmerveranstaltungen“ (also die üblichen Podiumsdiskussionen und Referate) und neue Aktivitätsformen wie Vorwahlpartys.
Allmählich entdecken die Parteien (nicht zuletzt angesichts der Kampagnen von Howard Dean 2004 und Barack Obama 2008), dass mit dem Web 2.0 die Möglichkeit eröffnet wurde, einen neuen Raum für Interaktionen zwischen Parteien und Öffentlichkeit zu nutzen. Im Sinn von „Visitenkarten“ oder „Schaufenstern“, ja selbst von „virtuellen Parteizentralen“ (C. Bieber) ist diese Entdeckung schon ein paar Jahre alt und inzwischen recht gut etabliert (R. Kuhlen spricht von der jetzt auch schon zehn Jahre zurückliegenden Bundestagswahl 1998 als „Mondlandung des Internet“). Neu ist die Entdeckung, dass das Internet eben nicht nur die Möglichkeit bietet, Informationen zu senden, Programme und KandidatInnen zu präsentieren, und auch über das Eröffnen von Foren hinausgeht, sondern tatsächlich einen virtuellen Raum darstellt, in dem Menschen sich sowohl aufhalten als auch aktiv sind.
Live-Blogging bei der baden-württembergischen Regionalkonferenz um Grundeinkommen/Grundsicherung
Soweit die Vorbemerkung. Was bedeutet es nun, das „Web 2.0“ für Wahlkämpfe und Parteikommunikation zu nutzen? Naheliegend sind dabei zwei Dinge: zum einen der „user generated content“, also die aktive Beteiligung von Menschen, und zum anderen die soziale Vernetzung über das Internet. Dabei entstehen dann Dinge wie meinespd.net oder my.fdp als große parteipolitische Web 2.0‑Plattformen bzw. Communities, und auf einem kleineren Level parteipolitische Blogs, Podcasts (a la Merkel …) und Wiki-Experimente (pdf).
In diesem Rahmen bewegen sich auch Überlegungen, wie Bündnis 90/Die Grünen, lange Zeit netzpolitische Vorreiter und weiterhin eine Partei mit einer sehr netzaffinen Wählerschaft, besser mit dem Web 2.0 klarkommen können. Es gibt viele Blogs einzelner Leute und Kampagnenblogs zu Klima oder Überwachung, mehr oder weniger alle Abgeordneten haben ihre Websites, auf den Bundes- und Landesverbandsseiten sind häufiger mal Podcasts und interaktive Schnippsel (wie der „Grün-o-mat“) zu finden usw. Ab und zu wird mit diesen oder jenen Elementen des Web‑2.0‑Portfolio experimentiert – diese Experimente (etwa BDK interaktiv oder Wikis für Programmbausteine) verschwinden aber genau so schnell wieder, wie sie gekommen sind. Ein einheitliches Konzept fehlt weitgehend, ist in der sehr auf Autonomie bedachten Struktur der Partei wohl auch schlecht durchsetzbar. Ebenso gibt es bisher nichts in Richtung „mein grün“ für Mitglieder und erst recht nicht für WählerInnen.
2009 stehen nun Europa‑, BaWü-Kommunal- und Bundestagswahl an. Umso drängender wird die Frage, in welche Richtung sich der „green space“ entwickeln soll. Dabei geht es um verschiedene Zielgruppen für die Web‑2.0‑Nutzung der Partei; mir fallen mindestens vier ein:
- Grüne FunktionärInnen bzw. grüne Gliederungen, die einfach und schnell ins Netz wollen (z.B. mit WordPress). Bezogen auf den Kommunalwahlkampf heißt das beispielsweise auch: ungefähr 500 grüne und grün-nahe Listen und etwa zehnmal so viele KandidatInnen könnten im Netz auftauchen. Aber auch außerhalb des Wahlkampfs sollte der virtuelle Infostand nicht eingeklappt werden.
- Grüne Mitglieder und Aktive, die sich mit Gleichgesinnten austauschen und kurzschließen wollen – neben Blogs findet da viel heute in Mailinglisten statt, so ist’s jedenfalls im linken Flügel.
- (Potenzielle) WählerInnen, die mehr wollen, als nur eine Hochglanzwebsite in die Hand gedrückt zu bekommen, wobei das „mehr“ sowohl in Richtung Unterhaltung als auch in Richtung tiefergehende Information/Interaktion gehen kann.
- Bisher politisch schlecht erreichte „Netizens“, die, so die Vermutung einiger, eigentlich viel mit Grün anfangen können müssten, wenn sie doch bloss mal herschauen würden.
Meine Frage an alle ist jetzt schlicht: welche (zielgruppenspezifischen) Bausteine sind notwendig, um – möglichst jenseits der großen Lösung – wirkungsvoll den Infostand 2.0 und mehr im virtuellen „green space“ aufzustellen? Oder anders gesagt: welche Elemente werden (von wem) sehnlichst herbeigewünscht?
Warum blogge ich das? Aus prinzipiellem Interesse, aber auch, weil verschiedene parteiinterne Vernetzungen zu diesem Thema existieren, und ich mit manchen dort vorgeschlagenen „Hype“ und/oder Marketing-Lösungen nicht so viel anfangen kann.
Update: Weil’s so schön passt, hier noch ein Hinweis auf die gerade erschienen Kurzstudie zu Politik im Web 2.0 von newthinking (dabei geht es um die Nutzung der existierenden Web 2.0‑Infrastrukturen durch Parteien und PolitikerInnen).
Update 2: Spreeblick geht ebenfalls auf die newthinking-Studie ein und fragt sich, wer die Web 2.0‑Lücke „schließen wird. Denn im Grunde stellt die Abwesenheit professioneller Politikkommunikation eine Chance dar. Denn wenn sich Menschen vernetzen, entstehen Macht und Einfluss. Auch in Deutschland.“
Update 3: (4.7.2008) Vielleicht noch eine ergänzende Überlegung: möglicherweise sind kleinere, spezialisiertere Web 2.0‑Netzwerke für die Kommunikation und Diskussion politische Botschaften interessanter (oder zumindest ebenso interessant) wie die großen vier oder fünf (Facebook, StudiVZ, XING, …). Mir fallen dabei einerseits thematisch orientierte Plattformen ein, also z.B. utopia.de (siehe auch hier) mit Themenschwerpunkt „nachhaltig leben“ (zu dem Thema gibt’s natürlich auch dutzende kleinere Blogs und Projekte), oder kaioo als „soziales“ social network (mehr bei Henning), aber auch z.B. lokalisierte Communities wie z.B. das BZ-nahe fudder für Freiburg (Stichworte dazu hier) oder stuttgart-blog.net als Vernetzung der lokalen Blog-Szene in Stuttgart. Zu den Aktivitäten lokaler Zeitungen im Netz steht passend heute was bei Spiegel Online. Es gibt sicher noch eine ganze Reihe mehr an lokalen Communities, selbst in Baden-Württemberg. Bisher weniger erfolgreich scheinen mir dagegen Sachen wie meinestadt.de (nur als Beispiel für die Klasse von Plattformen genannt) zu sein, die versuchen, ein globales System für lokale Angebote aufzubauen. Das wächst von unten her IMHO besser.
Update 4: (6.7.2008) In der englischsprachigen Wikipedia gibt es eine lange Liste von „social networking websites“. Scheint mir ganz hilfreich.
Update 5: (7.7.2008) Auch Henning fragt in seinem Blog jetzt: „Was erwartet ihr von der Politik im Web 2.0?“
Kurzeintrag: Neues Theme (Update 2)
Eigentlich nur, weil das Alte nicht mit Seiten klarkam, und ich keine Lust hatte, ins CSS zu gehen. Das Neue wurde dann aber doch auch kräftig modifiziert, ganz zufrieden bin ich immer noch nicht, u.a. weil das Farbschema etwas mit meiner Seite clasht, wenn die Frames eingeschaltet sind. Und weil ich meine Gänseblümchen vermisse. Einigermaßen ordentliches Drucken ging auch erst hiermit.
P.S.: Da die Amazon-Werbung mir nichts brachte, ist sie jetzt draußen.
P.P.S.: Einen Bug habe ich auch gefunden: mein FTP-Programm war so eingestellt, dass alle Dateinamen in Kleinbuchstaben konvertiert werden. Ist normalerweise kein Problem – nur die deutsche Sprachdatei für WordPress heißt halt „de_DE“ bzw. „de_Sie“ – und da ist der Großbuchstabe wichtig. Ohne kommt denglisch bei raus.
Kommentare?
Update: Ich habe jetzt nicht nur die Sidebar ein klein wenig aufgeräumt, sondern mich auch dafür entschieden, eine einheitliche Schrift – sofern installiert, Georgia – zu verwenden.
Update 2: (14.5.2008) Falls sich jemand über
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gewundert hat: das war das Häckchen bei „Wordpress soll Beiträge komprimieren“, das leider in diesem Fall nicht funktioniert hat. Hatte ich nach dem Lesen dieses Textes gesetzt, an dem viel Wahres dran ist – nicht-metaphorische 99 % der Übertragungszeit bzw. des Übertagungsvolumens bei Seiten wie Wired entfällt auf diverse Grafiken, Flash-Animationen, interne Links, Rückfragetools, … und letztlich auch darauf, dass Beiträge nicht gezippt übertragen werden. Ist jetzt wieder weg.