Bei der Präsidentschaftswahl in Österreich wurde ein FPÖ-Präsident Hofer nur knapp verhindert, mit 50,3 Prozent der Stimmen setze sich der Grüne Alexander Van der Bellen am Schluss, nach Auszählung der Briefwahlstimmen, doch noch durch. Die Trennlinien liegen dabei ähnlich wie auch bei der Wählerschaft der AfD: (junge) Männer, formal weniger Gebildete, Land statt Stadt, niedriger Ausländeranteil – das sind alles Faktoren, die eine rechte Wahl wahrscheinlicher machen.
„Optimistische Politik statt AfD: Lasst uns mehr Star Trek wagen“ weiterlesen
Kleiner Hinweis dazu, warum das mit dem Frauenanteil im grün-schwarzen Kabinett nicht ganz so einfach ist, und warum 2016 trotzdem ein Erfolg ist
Gestern hat Winfried Kretschmann mit Thomas Strobl die Minister*innen und Staatssekretär*innen für das erste grün-schwarze Kabinett vorgestellt. Und gleich hieß es: die Forderung, die Hälfte der Macht im Kabinett den Frauen zu geben, sei mal wieder verfehlt worden. Dabei zeigt sich, wie wichtig es für derartige Aussagen ist, vorher die Systemgrenzen festzulegen. Denn je nachdem, wie hier gezählt, und wer alles berücksichtigt wird, sieht’s ganz unterschiedlich aus.
Dazu ist es zunächst einmal wichtig, festzuhalten, dass es in Baden-Württemberg eine ganze Reihe unterschiedlicher Regierungsämter gibt: den Ministerpräsidenten bzw. die Ministerpräsidentin, Minister*innen, ehrenamtliche Staatsrät*innen, Staatssekretär*innen mit Stimmrecht im Kabinett, „politische“ Staatssekretär*innen ohne Stimmrecht im Kabinett, bis 2016 auch Staatsminister*innen (also Minister*innen im Staatsministerium), den Chef (oder die Chefin) der Staatskanzlei und schließlich die Amtschefs der Häuser (Ministerialdirektor*innen, kurz: MDs). Dann gibt es weitere herausgehobene Posten – die (Vize-)Präsident*innen des Landtags und die Fraktionsvorsitzenden der Regierungsfraktionen. Dieses Tableau – mehr oder weniger eng zugeschnitten – ist es, um das es hier geht. Wenn nur die Minister*innen betrachtet werden, fällt die Antwort auf die Quotierungsfrage anders aus als bei einer Berücksichtigung aller Personen mit Stimmrecht im Kabinett oder aller Minister*innen, Staatsrät*innen und Staatssekretär*innen.
Das sieht dann so aus:
Koalitionsvertragswordles
wordle.net ist ein Tool, dass die häufigsten Wörter aus Texten in einer Wortwolke (Größe entspricht häufig) visualisieren kann. Ich habe Wordle mal für die 200 häufigsten Wörter über die Koalitionsverträge aus Baden-Württemberg (Grün-Schwarz), Rheinland-Pfalz (Rot-Grün-Gelb) und Sachsen-Anhalt (Schwarz-Rot-Grün) drüberlaufen lassen.
Die Aussagekraft der Ergebnisse mögen andere beurteilen – auffällig ist, dass das mit Abstand häufigste Wort jeweils der Landesname ist, und dass Verben wie „unterstützen“, „fördern“, „stärken“ (in Baden-Württemberg auch „ermöglichen“ und „weiterentwickeln“) eine große Bedeutung zukommt. Bei den Substantiven sind vor allen politischen Themenfeldern die „Menschen“, das „Land“ und (in Sachsen-Anhalt und Rheinland-PFalz) die „Koalitionspartner“ zu nennen. Erst danach tauchen dann „Unternehmen“ und „Hochschulen“, „Schulen“ und „Kommunen“ sowie Themen wie „Integration“, „Digitalisierung“ (BW) und „Arbeit“ (RLP) auf.
(Etwas aufwändiger wäre die Frage, was passiert, wenn alle Begriffe weggenommen werden, die in allen drei Koalitionsverträgen auftauchen. Ob dann ein Profil übrigbleibt?)
Der Teppich ist gelandet
Laut SWR hat die Große Koalitionsrunde dem Koalitionsvertrag zugestimmt – vorgestellt wird er Montag Mittag. Dann müssen am Freitag bzw. Samstag noch die Parteitage von CDU und Grünen zustimmen, damit die erste grün-schwarze Koalition die Arbeit aufnehmen kann.
Kurz: Grüne Angst vor der Wirtschaft?
Eine grüne Sitzung in Berlin, Menschen aus ganz unterschiedlichen Bundesländern sind dabei. Es geht eigentlich um anderes, aber plötzlich stellt sich heraus: Die Gretchenfrage, das ist hier die Frage, wie du es mit der Wirtschaft hältst. Aus baden-württembergischer Sicht (und ja, auch in Hessen stellen und in RLP stellten die Grünen Wirtschaftsminister*innen) verwundert das. Es geht darum, mit grünen Ideen schwarze Zahlen zu schreiben (und das schon seit den 1990ern), selbstverständlich gibt es immer wieder Gespräche zwischen Politiker*innen bis hin zum Ministerpräsidenten und Wirtschaftsverbänden.
Oder, um den Politikbereich zu nehmen, in dem ich mich am besten auskenne: Einigen Hochschulen im Land geht es deswegen besonders gut, weil Stiftungen aus der Privatwirtschaft Baukosten übernehmen – mit Zustimmung der grün-roten Landesregierung. Und dass mit dem Hochschulfinanzierungsvertrag viel Geld in Richtung Wissenschaft fließt, hat in Baden-Württemberg auch etwas damit zu tun, dass Hochschulen für angewandte Wissenschaft gerade auch im ländlichen Raum in Forschung und Entwicklung eng mit kleineren und mittleren Unternehmen kooperieren, und Wissen als Ressource für das Land gesehen wird. Dass, was an unseren Unis gedacht wird, soll auch „den Markt“ erreichen und zu Wertschöpfung beitragen. Innovation und Technologietransfer sind keine Schimpfworte, sondern wünschenswerte Ziele. Natürlich geht grüne Innovation weiter – Stichworte wie Gemeinwohlorientierung, Postwachstum und, ja auch: Sharing – zeugen davon. Pioniere des Wandels können auch Unternehmen sein. Und all das zahlt sich in ziemlich guten Werten bei den Kompetenzzuschreibungen aus. Bündnis 90/Die Grünen sind in Baden-Württemberg auch eine Partei, die für nachhaltiges Wirtschaften steht, die „die Wirtschaft“ schätzt und Erfindergeist wie Unternehmensfreude positiv hervorhebt. (Und, auch das sei dazugesagt: Wirtschaftskompetenz heißt nicht, den „freien Markt“ in höchsten Tönen zu loben und auf Einhegen, Regeln und deren Durchsetzung zu verzichten. Wer das will, muss zur FDP gehen …).
Das scheint mir in der Partei insgesamt teilweise noch ganz anders zu sein. Da existieren in manchen Köpfen noch tiefe Gräben und hohe Mauern. Insofern bin ich sehr gespannt, wie sich die Frage „Wie hältst du’s mit der Wirtschaft“ im Bundestagswahlprogramm 2017 wiederfinden wird. In gut einem Monat tagt der Konvent der Bundesarbeitsgemeinschaften, um hier Ideen zu entwickeln – mal sehen, wie innovationsoffen meine Partei sich da zeigt.