Mein Medienmenü 2024

The book lauch

Kath­rin Pas­sig lässt uns im Tech­nik­ta­ge­buch an ihrem Medi­en­me­nü und an den im Lauf der letz­ten zwölf Jah­re statt­ge­fun­de­nen Ver­schie­bun­gen teil­ha­ben. Inter­es­sant, fin­de ich, und neh­me mir gleich mal mein eige­nes Büf­fet vor:

Bücher zur Unter­hal­tung habe ich in den letz­ten Jah­ren fast nur noch digi­tal gele­sen, auch aus Man­gel an Stell­platz. Fast nur noch, weil es ein paar Aus­nah­men gibt: eini­ge Autor*innen (ins­be­son­de­re Kim Stan­ley Robin­son, Cory Doc­to­row und Neal Ste­phen­son fal­len mir hier ein), die ich „in Papier“, naja, samm­le, und außer­dem ger­ne zur Hand habe, um sie zum Bei­spiel mei­nen Kin­dern ganz zufäl­lig nahe­brin­gen zu kön­nen. Dann habe ich eine Rei­he deutsch­spra­chi­ge Roma­ne in Papier­form auf mei­nem Sta­pel unge­le­se­ner Bücher (und ein paar tat­säch­lich gele­sen) – das hat, glau­be ich, vor allem etwas damit zu tun, dass hier die E‑Books preis­lich meist fast genau­so teu­er sind wie die Papier­bü­cher. Und damit, dass eine gan­ze Rei­he davon Bücher sind, die mir geschenkt wur­den. Dann gibt es noch ein paar weni­ge Taschen­bü­cher, die ich gekauft habe, weil mir beim War­ten an irgend­wel­chen Bahn­hö­fen lang­wei­lig war. Vol­le Rega­le, vol­le Sta­pel zu lesen­der Bücher, aber alles wäre noch schlim­mer, wenn die digi­ta­len Bücher (zuge­ge­be­ner­ma­ßen auf einem Kind­le) auch sicht­bar wären.

Bücher, um etwas zu ler­nen sind – schwie­rig. Die kau­fe ich tat­säch­lich lie­ber in Papier, viel­leicht, weil das dann doch eher noch den Anreiz gibt, mal rein­zu­schau­en, statt sie in der lan­gen „Ungelesen“-Liste zu ver­ges­sen. Ähn­lich Muse­ums­ka­ta­lo­ge. Bei Sach­bü­chern ist es mit dem Sta­pel unge­le­se­ner Bücher aller­dings noch deut­lich schlim­mer als bei der Unter­hal­tungs­li­te­ra­tur. (Bei ganz genau­er Hin­sicht gibt es auch noch eine Misch­ka­te­go­rie: Sach­bü­cher, die ich nicht lese, weil ich glau­be, dass sie irgend­wie wich­tig und rele­vant sind, also zur poli­ti­schen Lage oder zur Kli­ma­ka­ta­stro­phe, son­dern weil ich ein gewis­ses Fai­ble für kurio­se Fak­ten habe. Das klappt mit flott geschrie­be­nen eng­lisch­spra­chi­gen Büchern meist besser.)

Zei­tun­gen und Zeit­schrif­ten: Ich lese – das war vor eini­gen Jah­ren noch anders, hat was mit erneu­tem lokal­po­li­ti­schen Enga­ge­ment zu tun – jeden Tag die Badi­sche Zei­tung (auf dem Tablet, nicht auf Papier). Im Haus haben wir auf Papier zudem die taz, in die ich ab und zu rein­schaue. Ich habe eine Rei­he von Online-Abos (Guar­di­an, Spie­gel, Zeit), die ich mehr oder weni­ger inten­siv nut­ze – eher, um ein­zel­ne Arti­kel zu lesen, als um Zei­tun­gen durch­zu­schau­en. Bei mei­nem Umzug habe ich das Abo der Jungle World gekün­digt, weil ich fest­ge­stellt habe, dass sich die­se zu wun­der­ba­ren Papier­sta­peln türm­te, ich aber sel­ten Zeit hat­te, rein­zu­schau­en. Dane­ben gibt es eine Rei­he von Maga­zi­nen (in Papier­form), die ich abon­niert habe, oder die ich qua Par­tei­mit­glied­schaft oder sons­ti­ger Mit­glied­schaf­ten zuge­schickt bekom­me. Auch da gilt: ich schaue sel­te­ner rein, als ich das eigent­lich möchte. 

Zur Kate­go­rie Zei­tun­gen gehört nicht zuletzt der Pres­se­spie­gel, den ich beruf­lich zuge­schickt bekom­me, und der einen Über­blick über das v.a. lan­des­po­li­ti­sche Tages­ge­sche­hen in den Zei­tun­gen Baden-Würt­tem­bergs gibt. Das ist ein PDF, das ich am PC oder auf dem Tablet lese.

Im Netz bin ich pri­mär auf Mast­o­don unter­wegs, ab und zu schaue ich in Face­book und Lin­ke­din (alle drei über die jewei­li­ge Web­site, nicht über die Apps). Das meis­te, was ich im Netz lese/anschaue (meist auf dem Han­dy), fin­de ich – neben den genann­ten Online-Abos – über Mast­o­don. Oder halt über eine geziel­te Suche – bei mir bis­her noch bei Goog­le, damit aber zuneh­mend unzu­frie­den. Zudem habe ich von einer Rei­he von Blogs, Zeit­schrif­ten und ande­ren Web­sites den RSS-Feed über Feed­ly abon­niert und schaue da alle paar Tage mal durch, bspw. das Blog von Max Bud­den­bohm, xkcd oder das Blog des SF-Autors Charles Stross oder SF-las­ti­ge Web­sites wie Giz­mo­do oder tor.com. Netzpolitik.org nicht zu ver­ges­sen! Gleich­zei­tig stim­me ich der Beob­ach­tung von Kath­rin Pas­sig zu, dass es vie­le Blogs schlicht nicht mehr gibt. Beson­ders trau­rig stimmt mich jedes­mal ein Blick auf Boing­Bo­ing, das ich noch in Feed­ly sehe, das aber zu 90 Pro­zent inzwi­schen eine Wer­be­schleu­der gewor­den ist. 

You­tube (und die gan­zen ande­ren Kurz­vi­deo­platt­for­men) las­se ich außer bei Live­streams links lie­gen. Mit Pod­casts wer­de ich nicht wirk­lich warm – es gibt eini­ge weni­ge, die ich tat­säch­lich bspw. beim Kochen höre (Ster­nen­ge­schich­ten, Das Uni­ver­sum), aber vie­le, die mal ange­hört habe und damit nicht so viel anfan­gen konn­te. Musik teil­wei­se noch auf CD, inzwi­schen (noch so ein böser Qua­si­mo­no­po­list) sehr oft über Spo­ti­fy.

Im Haus haben wir drei bis vier Strea­ming­an­bie­ter abon­niert und nut­zen die inten­siv, deut­lich häu­fi­ger als die Media­the­ken des öffent­lich-recht­li­chen Rund­funks. Die wer­den sehr anlass­be­zo­gen und für weni­ge For­ma­te (Böh­mer­mann, Anstalt, … ganz sel­ten tat­säch­lich auch mal Filme/Serien) genutzt. Linea­res Radio wird hier teil­wei­se beim Früh­stück gehört, ist aber nicht so ganz meins, linea­res Fern­se­hen funk­tio­niert auf unse­ren TV-Gerä­ten m.W.n. inzwi­schen nicht mehr. Zwei, drei­mal im Jahr gehe ich ins Kino.

Kath­rin Pas­sig schreibt, das sie eini­ge Leu­te über Patre­on oder Ste­ady unter­stützt und sich die Ergeb­nis­se sel­ten bis nie anschaut – das geht mir teil­wei­se ähn­lich: „Es geht mehr ums Prin­zip, ich möch­te, dass die­se Leu­te wei­ter Vide­os machen, Bücher schrei­ben oder was sie halt so tun.“ 

Zeit, die Demokratie zu verteidigen

Manch­mal ist es ein Kie­sel­stein, der etwas ins Rol­len bringt. Die Recher­che von Cor­rec­tiv ist – und das ist jetzt nicht abwer­tend gemeint – genau so ein Kie­sel­stein. Dass die AfD sich in den letz­ten Jah­ren stark radi­ka­li­siert hat, dass sie Depor­ta­tio­nen plant und allen Rech­te ent­zie­hen will, die nicht in ihr Welt­bild pas­sen, ist nicht neu. Aber jetzt ist es bekannt. Jetzt ist es in der Welt. 

Die­ser Kie­sel­stein hat etwas in Bewe­gung gesetzt. Zwar gibt es – rechts der Mit­te – Ver­su­che, in das Mus­ter von „wir stel­len die AfD, indem wie sie kopie­ren“ zu ver­fal­len. Ganz über­wie­gend aber: erschre­cken, ein Ernst­neh­men der Bedro­hung, die die­se Par­tei für unse­re Demo­kra­tie, unse­re Wer­te, unse­re Frei­heit und unse­ren Wohl­stand dar­stellt. Das ist eine abs­trak­te Bedro­hung, aber es ist auch eine ganz kon­kre­te Gefahr – für alle, die nicht ins Bild der AfD pas­sen, auf­grund von Her­kunft, Haupt­far­be oder „fal­schem“ Gedankengut. 

In die­sem Moment des Schre­ckens, des Rea­li­sie­rens, dass es denen wirk­lich ernst ist, und dass Umfra­ge­wer­te von 20 bis 30 Pro­zent viel­leicht die letz­te Gele­gen­heit bie­ten, dem Rechts­ruck etwas ent­ge­gen­zu­set­zen, liegt auch etwas Posi­ti­ves. Ich bin sicher nicht der ein­zi­ge, der auf einen, nun ja, „Auf­stand der Anstän­di­gen“ gewar­tet hat. Der fin­det jetzt statt. Bun­des­weit gibt es Demons­tra­tio­nen und fin­den sich Bünd­nis­se für die Ver­tei­di­gung der Demo­kra­tie. In kur­zer Zeit sind sehr vie­le Men­schen auf die Stra­ße gegan­gen, 10.000 in Pots­dam, 25.000 in Ber­lin, 30.000 in Köln. Das sind viel mehr als bei den Trak­to­ren­pro­tes­ten der Landwirt*innen. Und die Lis­te der Demos für das nächs­te Wochen­en­de ist lang (ich wer­de am Sonn­tag bei der Demo in Frei­burg dabei sein, 15 Uhr, Platz der Alten Synagoge). 

Und auch die Medi­en haben end­lich gemerkt, dass das kein Spiel ist. Hof­fe ich jedenfalls. 

Die­ser Moment ist auch der rich­ti­ge, um zu schau­en, wie wehr­haft unse­re Demo­kra­tie ist. Damit mei­ne ich nicht nur die Debat­ten um ein Par­tei­ver­bots­ver­fah­ren und ähn­li­che recht­li­che Instru­men­te, son­dern vor allem das Hin­se­hen, ob die Regeln, die wir uns selbst in Ver­fas­sun­gen, Geset­zen und Geschäfts­ord­nung gege­ben haben, geeig­net sind, um Rechts­extre­me außen vor zu halt und die­sen kei­nen Hebel zu geben, unser Land zu zerstören. 

Zu die­sen Fra­gen, wie wet­ter­fest unse­rer Demo­kra­tie ist, gehört auch das The­ma Social Media. Der Digi­tal Ser­vices Act der EU und die in der Fol­ge erlas­se­nen natio­na­len Gesetz­ge­bun­gen haben auch die Auf­ga­be, „Sorg­falts­pflich­ten für Anbie­ter von Ver­mitt­lungs­diens­ten im Hin­blick auf die Art und Wei­se, wie jene gegen rechts­wid­ri­ge Inhal­te, Online-Des­in­for­ma­ti­on oder ande­re gesell­schaft­li­che Risi­ken [vor­ge­hen]“, zu schaf­fen. Das passt m.E. nicht zu Algo­rith­men bei You­tube und Tik­tok, die hau­fen­wei­se AfD-Pro­pa­gan­da hoch­spie­len. Wie scharf oder stumpf die­ses Schwert ist, bleibt abzu­war­ten – jeden­falls gibt es hier Handlungsbedarf.

Es ist jetzt an uns allen, die­ses Momen­tum auf­recht zu erhal­ten. Die inter­na­tio­na­le Lage ist düs­ter. Die Ver­tei­di­gung der Demo­kra­tie ist kein Selbst­läu­fer. Sie braucht uns. Aber genau­so gilt, jetzt nicht in Fata­lis­mus zu ver­fal­len. Noch kann etwas gegen die Macht­er­grei­fung getan wer­den, von der die AfD träumt. Tun wir es! 

Photo of the week: Freiburg Hbf (video still)

Freiburg Hbf (video still)

 
Zurück von der Frak­ti­ons­klau­sur, trotz Streik irgend­wie von Neckar­sulm wie­der nach Frei­burg gekom­men (ein Nah­ver­kehrs­zug einer der baden-würt­tem­ber­gi­schen Gesell­schaf­ten, die nicht bestreikt wur­den, von Neckar­sulm nach Heil­bronn, eine Stra­ßen­bahn von Heil­bronn nach Karls­ru­he, ein pünkt­li­cher und gar nicht so vol­ler ICE aus dem Not­fahr­plan von Karls­ru­he nach Frei­burg). Und die Win­ter­däm­me­rung ver­wan­delt selbst Güter­zü­ge und die Wiwi­li-Brü­cke in irgend­was hüb­sches. Das Foto oben ist ein Aus­schnitt aus die­sem Video­schnip­sel, bei dem Zug, Räder und Leu­te auf der Brü­cke und Vögel in Bewe­gung sind. Was natür­lich gleich noch bes­ser aussieht.

Kurz: Im Jahr 2023 gebloggt …

Neben 52 Fotos der Woche – teil­wei­se mit aus­führ­li­chen Rei­se- oder Aus­stel­lungs­be­schrei­bung – gibt es drei The­men, zu denen ich 2023 jeweils acht oder mehr Arti­kel ver­öf­fent­lich habe: das ist die (v.a.) deut­sche Poli­tik (ein Teil der unter Klima/Nachhaltigkeit und unter „Poli­tik Grü­ne“ ein­sor­tier­ten Bei­trä­ge gehört eigent­lich auch dazu), das ist natür­lich mein letz­tes Jahr dann doch recht regel­mä­ßig aktua­li­sier­tes SF- und Fan­ta­sy-Lese­ta­ge­buch, und das ist „Digi­ta­les“. Die Hälf­te der Bei­trä­ge in die­ser Kate­go­rie han­delt von Twitter/X bzw. Blues­ky, und war­um ich das eine (durch Raus­wurf gezwun­ge­ner­ma­ßen) nicht mehr und das ande­re immer noch nicht nutze.

Lesetagebuch – Science Fiction und Fantasy im Dezember 2023

Sky on fire, Gundelfingen

Der aktu­el­le Dis­ney-Weih­nachts­film Wish fällt sicher­lich in die Kate­go­rie Fan­ta­sy. Die Sto­ry ist aller­dings trotz inter­es­san­ter Cha­rak­te­re weni­ger beein­dru­ckend, und die Anspie­lun­gen auf „100 Jah­re Dis­ney“ waren an der einen oder ande­ren Stel­le (Peter Pan!) eher ner­vig. Im Kino trotz­dem ein­drucks­voll. Bemer­kens­wer­ter als den Inhalt fand ich den Stil - ver­mut­lich zum größ­ten Teil ger­en­dert, aber in der Dar­stel­lung eher an klas­si­sche Kin­der­buch­il­lus­tra­tio­nen („water­co­lor“) erin­nernd. Trotz­dem ins­ge­samt nichts, was in Erin­ne­rung bleibt. 

Ansons­ten habe ich eini­ge Seri­en begonnen/weitergeschaut – die ers­ten bei­den neu­en Doc­tor-Who-Epi­so­den waren, wie ich beim gemein­sa­men Gucken mit mei­nen Kin­dern gemerkt habe, ohne Kennt­nis der Hin­ter­grund­ge­schich­te eher selt­sam und unver­ständ­lich. Die zwei­te Staf­fel von The Wheel of Time ist gut pro­du­zier­te Fan­ta­sy – aus­nahms­wei­se etwas, wo ich die Buch­vor­la­ge nicht gele­sen habe, zur Genau­ig­keit der Über­tra­gung kann ich also nichts sagen. 

Was sich gut zum gemein­sa­men Schau­en mit Teen­agern eig­ne­te, war dann Net­flix One Pie­ce (na gut, auch da ken­ne ich das zugrun­de­lie­gen­de Ani­me nicht): Eine völ­li­ge über­dreh­te Pira­ten­ge­schich­te mit einer inter­es­sant ana­chro­nis­ti­schen Welt im Hin­ter­grund. Und wie schon bei Cow­boy Bebop ist das zwar Real­ver­fil­mung, der Comic- bzw. hier Ani­me-Hin­ter­grund färbt aber deut­lich durch und sorgt dafür, dass alles bun­ter, lau­ter, knal­li­ger ist. Nicht unbe­dingt logisch, aber unterhaltsam.

Auch krank­heits­be­dingt habe ich neben Roma­nen gehör­ten im Dezem­ber auch zwei Comics zu mei­nem Lese­buf­fet. Das eine war Soon (2020) von Ben­ja­min Adam und Cadè­ne Tho­mas. Das ist eine Coming-of-Age-Geschich­te, in der zugleich der Hin­ter­grund einer post­apo­ka­lyp­ti­schen Zukunft erläu­tert wird. Was hat eine Welt­raum­mis­si­on mit einer Welt zu tun, die sich nach Kata­stro­phen und Seu­chen in sie­ben sehr unter­schied­li­che urba­ne Zonen zurück­ge­zo­gen hat? Das gan­ze gra­fisch span­nend umge­setzt und inso­fern durch­aus eine Empfehlung.

Eben­falls angeschaut/gelesen habe ich end­lich mal die ers­ten neun (bzw. beim Blick in die Wiki­pe­dia: eigent­lich die ers­ten 54) Bän­de von Saga (seit 2012). Die­ser inzwi­schen schon klas­si­sche Comic von Bri­an K. Vaug­han und Fio­na Stap­les mischt eine Romeo-und-Julia-Geschich­te (ein Lie­bes­paar aus zwei seit ewi­gen Zei­ten im Krieg lie­gen­de Spe­zi­es – die einen mit Flü­geln und an Tech­nik inter­es­siert, die ande­ren mit Hör­nern und zau­ber­kräf­tig) mit star-wars-arti­gem World­buil­ding. Wir fol­gen Ala­na, Mar­ko und deren hybri­der Toch­ter Hazel durch Flucht, poli­ti­sche Intri­gen bei­der Sei­ten genau­so wie dem Klein-Klein des Auf­wach­sens und der kom­pli­zier­ten Dyna­mik die­ser Fami­lie. Mir an der einen oder ande­ren Stel­le fast ein biss­chen zu blu­tig, ins­ge­samt aber gut gemacht. Und die nächs­ten 54 Kapi­tel sol­len schon in der Ent­ste­hung sein.

Ganz ohne Bil­der kommt dage­gen der SF-Roman Neon­grau (2022) von Aiki Mira aus, ist aber trotz­dem bild­ge­wal­tig. Ich lese ja sel­ten deutsch­spra­chi­ge SF. Die­ser Roman zeigt, dass ich damit auch das eine oder ande­re ver­pas­se. Aiki Mira zeich­net hier ein cyber­pun­ki­ges Bild eines etwa 100 Jah­re in der Zukunft lie­gen­den Ham­burgs, mit allem, was dazu­ge­hört: die all­ge­gen­wär­ti­ge Flut­ge­fahr und der nach dem Kampf um den Kli­ma­wan­del ver­düs­ter­te Him­mel; neue Dro­gen und neu­ro­na­le Implan­ta­te; einen White-Trash-Unter­grund in den Con­tai­ner­sied­lun­gen von „Blank“ jen­seits der Als­ter; gro­ße Kon­zer­ne, die alles bestim­men; eine Gamer-Sze­ne mit eige­nem Slang – und nicht zuletzt inter­es­san­te Figu­ren wie ELLL und die geschlech­te­flui­de Haupt­per­son Go [Stunt­boi] Kazu­mi. Gut gemacht, und neben dem einen oder ande­ren Echo aus Rich­tung der 1980er-Cyber­punk-Lite­ra­tur lässt sich Neon­grau auch als Gegen­warts­kom­men­tar lesen. 

Nicht so rich­tig warm gewor­den bin ich mit Nophex Gloss (2020) von Essa Han­sen, und habe die Fol­ge­bän­de erst­mal bei Sei­te gelegt. Auch hier „Coming of Age“, aber tech­no­lo­gisch super-beschleu­nigt. Der jun­ge Cai­den ent­kommt der Skla­ve­rei (und erfährt dabei erst, unter wel­chen Umstän­den er bis­her exis­tiert hat), tritt eine wil­de Rei­se durch das instru­men­tell gezähm­te Mul­ti­ver­sum – beschrie­ben als eine Art rie­si­ge Sei­fen­bla­sen – an, trifft auf eine Fire­fly-arti­ge Crew bunt gemisch­ter Exis­ten­zen, ver­irrt sich in außer­ir­di­schen Mega­struk­tu­ren und muss am Schluss gegen eine geheim­nis­vol­le Herr­sche­rin (samt deren tele­pa­ti­scher Fähig­kei­ten) kämp­fen. Und natür­lich lernt er dabei eini­ges über sich selbst, dar­über, dass sei­ne Som­mer­spros­sen auf ein ris­kan­tes Gen­ex­pe­ri­ment hin­deu­ten usw. Das titel­ge­ben­de Nophex Gloss ist das Mate­ri­al, das alles antreibt, und das aus Quan­ten­kris­tal­len gewon­nen wird, die im Kopf von ein biss­chen ver­klei­de­ten Tyran­no­sau­rus Rex gefun­den wer­den, sobald die­se alt genug sind. Alles sehr wild, und durch­aus span­nend. Aber über­zeugt hat es mich nicht – viel­leicht liegt’s auch dar­an, dass die beson­de­re Fähig­keit der ande­ren geheim­nis­vol­len Herr­sche­rin als „Astro­lo­gie“ bezeich­net wird. 

Gele­sen habe ich auch die von Ama­zon als „The Far Rea­ches“ (2023) gebün­del­ten Geschichten/Novellen („How it unfolds“, James S.A. Corey, „Void“ von Vero­ni­ca Roth, „Fal­ling Bodies“ von Rebec­ca Roan­horse, „The Long Game“ von Ann Leckie, „Just out of Jupiter’s Reach“ von Nne­di Oko­ra­for und „Slow Time Bet­ween the Stars“ von John Scal­zi). Gro­ße Namen also. Die Geschich­ten haben alle das The­ma „Rei­sen über gro­ße kos­mi­sche Ent­fer­nun­gen“ und sind eher Hard-SF. Beson­ders inter­es­sant fand ich „How it unfolds“ über eine kos­mi­sche Mensch­heits­ge­schich­te im Modus der Kopie. Aber auch die ande­ren Geschich­ten spie­len mir inter­es­san­ten Ideen – in „Void“ geht es um Zeit­un­ter­schie­de für die Besat­zung einer zwi­schen der Erde und Pro­xi­ma Cen­tau­ri pen­deln­den Luxus­raum­fäh­re, in „Fal­ling Bodies“ um die ver­lo­re­ne Hei­mat nach einer Adap­ti­on durch eine außer­ir­di­sche Kolo­ni­sa­to­ren-Spe­zi­es, „The Long Game“ ist aus der Per­spek­ti­ve einer von Men­schen ent­deck­ten tin­ten­fisch­ar­ti­gen Zivil­sa­ti­on geschrie­ben, „Just out of Jupiter’s Reach“ bringt leben­de Raum­schif­fe und dar­auf genau ange­pass­te Astronaut*innen aus der Peri­phe­rie als Lang­zeit­mis­si­on ins Spiel, und „Slow Time“ nimmt die Per­spek­ti­ve einer intel­li­gen­ten Raum­son­de ein, die nach und nach ihre eige­ne Mis­si­on findet.

Dann habe ich noch zwei „leich­te­re“ Tri­lo­gien durch­pflügt. Das eine ist die „Edin­burgh Night“-Reihe von T.L. (Ten­dai) Huchu mit The Libra­ry of the Dead (2021), Our Lady of Mys­te­rious Ailm­ents (2022) und The Mys­tery at Dun­ve­gan Cast­le (2023). Ropa lebt mit ihrer Schwes­ter und ihrer Groß­mutter aus Sim­bab­we in einem Trai­ler am Rand eines post­apo­ka­lyp­ti­schen Edin­burghs. Sie hat die Schu­le geschmis­sen, um jetzt als „Ghost­tal­ker“ Bot­schaf­ten zwi­schen den Toten und den Leben­den zu ver­mit­teln, und so zum Lebens­un­ter­halt bei­zu­tra­gen. In den drei Bän­den gerät sie immer tie­fer in die Machen­schaf­ten einer Zau­be­rei-Geheim­ge­sell­schaft. Unter der Ober­flä­che geht es um schot­ti­sche Unab­hän­gig­keit und eng­li­sche Herr­schaft und um Exklu­si­on, Armut und Reich­tum. Das ver­webt Huchu durch­aus ein­drucks­voll zu einem auf den ers­ten Blick schnell les­ba­ren Buch, das sich mög­li­cher­wei­se pri­mär an Jugend­li­che wen­det. Wenn es so etwas wie das Gen­re der Zau­be­rei-Schul-Bücher gibt, dann ist das hier eines mit viel Rea­li­täts­sinn. Ein vier­ter Band ist angekündigt. 

Die zwei­te „leich­te­re“ Tri­lo­gie han­delt von Zoey Ashe – auch sie lebt in einem Trai­ler­park (hier in Colo­ra­do) – und sie erbt das kri­mi­nel­le Impe­ri­um ihres Vaters, den sie vor­her nur zwei­mal gese­hen hat. Zu die­sem gehö­ren grö­ße­re Tei­le der neu errich­te­ten regel­lo­sen Stadt „Tabu­la Ra$a“ in der Wüs­te Utahs, ein hoch­po­ten­zier­tes Las Vegas. In der nahen Zukunft, in der die­se Tri­lo­gie spielt, ist „Blink“ ein all­ge­gen­wär­ti­ges sozia­les Medi­um, es gibt so gut wie kei­ne Pri­vat­sphä­re, und alles, was Auf­merk­sam­keit erweckt, wird von „Blink“ zum Medi­en­er­eig­nis gemacht. Big-Crime-High-Tech-Unter­welt und eine dar­ein gewor­fe­ne Haupt­fi­gur gibt es als Text­sor­te auch immer mal wie­der (sei es Scal­zis Star­ter Vil­lain, sei es der Film Glass Oni­on). Jason Par­gin (teil­wei­se unter dem Pseud­onym David Wong) nimmt die­ses Sze­na­rio in den Zoey-Ashe-Roma­nen, um die Gegen­wart sati­risch aufs Korn zu neh­men. An der einen oder ande­ren Stel­le erin­nert das an Dou­glas Adams, an ande­ren Stel­len ist der Humor eher juve­nil (und sehr male gaze für eine weib­li­che Haupt­fi­gur, ins­be­son­de­re im ers­ten der drei Roma­ne – eini­ge Reviewe­rin­nen spre­chen von einer miso­gy­nem Cha­rak­te­ri­sie­rung). Futu­ristic Vio­lence and Fan­cy Suits (2015), Zoey Pun­ches the Future in the Dick (2020) und Zoey Is Too Drunk for This Dys­to­pia (2023) – ja, der Autor hat eine Vor­lie­be für sehr wort­wört­li­che Roman­ti­tel – bil­den mit den genann­ten Vor­be­hal­ten eine durch­aus unter­halt­sa­me Tri­lo­gie. Kat­zen kom­men auch vor.