Kurzkritik: Triell der Kanzlerkandidat:innen

Vor­ne­weg: natür­lich bin ich vor­ein­ge­nom­men, wie so vie­le, die ges­tern zuge­schaut und in sozia­len Medi­en kom­men­tiert haben. Trotz­dem ein paar Wor­te zum „Tri­ell“ – also dem Drei­er-Duell – der Kanzlerkandidat:innen von RTL und ntv (es fol­gen noch ein öffent­lich-recht­li­ches und eines von SAT1). Mei­ne Erwar­tun­gen deut­lich über­trof­fen nach den letz­ten Bun­des­tags­wahl­kämp­fen hat auf jeden Fall die Mode­ra­ti­on, ins­be­son­de­re Pinar Ata­lay glänz­te tro­cken-sprö­de und damit für ein poli­ti­sches For­mat genau rich­tig – bei Peter Kloep­pel war an der einen oder ande­ren Stel­le dann doch der Wunsch sehr deut­lich, Schlag­zei­len zu pro­du­zie­ren („Ver­bots­de­bat­te“, Gen­dern, Quer­den­ker …). Aber ins­ge­samt wur­de tat­säch­lich rund zwei Stun­den lang über Inhal­te gestrit­ten. Klar, eini­ge kamen nicht vor (Ver­kehrs­po­li­tik, Digi­ta­li­sie­rung, Bil­dung als Län­der­the­ma), aber der Fokus auf Außenpolitik/Afghanistan, Kli­ma, Coro­na, Steu­ern und inne­re Sicher­heit war aus mei­ner Sicht durch­aus ange­mes­sen. Ich kann mich da durch­aus Jacob Lenz anschlie­ßen (Kom­men­tar lei­der hin­ter der Pay­wall). Das Tri­ell hat sowohl die Per­so­nen als auch die Inhal­te, und die Unter­schie­de in den Inhal­ten, deut­lich wer­den las­sen. Und das ist wich­ti­ger als die Ver­tei­lung von Haltungsnoten. 

Ich – aber das mag, wie gesagt, von einer gewis­sen Vor­ein­ge­nom­men­heit geprägt sein – fand Anna­le­na Baer­bock da klar die­je­ni­ge, die Kon­zep­te hat­te und die­se auch gut erklärt hat, die inhalt­li­che Kom­pe­tenz aus­ge­strahlt hat. Olaf Scholz hat das eben­falls gemacht, aber halt aus einer Per­spek­ti­ve der Indus­trie­ar­bei­ter­par­tei, die die SPD noch immer irgend­wie sein will. Und Armin Laschet hat mei­nem Ein­druck nach vor allem erklärt, was alles nicht geht und sich dabei das eine ums ande­re Mal ver­hed­dert. Kom­bi­niert mit einer gewis­sen jovia­len Alt­män­ner­ar­ro­ganz („Mal lang­sam, Frau Baer­bock“ … „das ver­steht doch nie­mand“ … – die Anna­le­na sehr gut kon­ter­te) passt der Begriff „rum­on­keln“ da ganz gut. 

Bei den ande­ren bei­den Kandidat:innen bestä­tigt das mei­nen Ein­druck, dass Anna­le­na Baer­bock nicht nur in den The­men steckt, son­dern auch Empa­thie kann. Sie war sehr viel näher am All­tag als die ande­ren bei­den. Und sie war durch­aus angriffs­freu­dig – gut so, denn das ver­kör­per­te dann zusam­men mit dem Schluss­state­ment (vom Rede­pult her­vor­tre­tend, direkt an die Zuschauer:innen gewandt) klar, dass Bünd­nis 90/Die Grü­nen und unse­re Kanz­ler­kan­di­da­tin für Auf­bruch ste­hen, für etwas ande­res als das Wei­ter so der Gro­ßen Koali­ti­on. Oder, um es mit den etwas wir­ren Wor­ten Laschets zu sagen: den Wind der Ver­än­de­rung eben nicht ins Gesicht bla­sen las­sen und sich dage­gen stem­men, son­dern min­des­tens Wind­müh­len bauen.

Olaf Scholz gab habi­tu­ell Mer­kel 2.0 – das ist ok, und ich ver­ste­he, war­um das bei aller bei­gen Lang­wei­le Reso­nanz fin­det, reicht aber ange­sichts der Kli­ma­kri­se nicht aus.

Das Sofort­um­fra­gen- und Pres­se­echo ist, um das zum Schluss zu sagen, hete­ro­gen. Olaf Scholz hat sei­ne Füh­rung bestä­tigt, Anna­le­na Baer­bock ist min­des­tens zurück im Spiel, und Armin Laschet scheint – für mich erstaun­lich – immer noch eine Ziel­grup­pe zu fin­den, die sei­ne jovi­al-onke­li­ge Art und sein lee­res Ver­gan­gen­heits­ver­spre­chen gut fin­det. Ich bin gespannt, ob die ande­ren zwei Tri­el­le sich ein Vor­bild an der Inhalts­fül­le und der in der Sum­me sach­lich-nüch­ter­nen Mode­ra­ti­on neh­men. Das wäre zumin­dest ein Bei­trag dazu, die­se his­to­ri­sche Wahl­ent­schei­dung auf eine fun­dier­te Basis zu stel­len. Dann haben wir im Sep­tem­ber eine ech­te, kla­re Wahl – zwi­schen Ver­än­de­rung als Bedro­hung oder Ver­än­de­rung als Auftrag.

Photo of the week: Hornet – II

Hornet - II

 
Das Foto ist schon aus dem Mai, aber ich bin erst jetzt dazu gekom­men, es mal von der Kame­ra run­ter und rauf in die Flickr-Cloud zu wer­fen. Die­se ein­drucks­vol­le Hor­nis­se ist mir auf dem Rad­weg zur Drei­sam begeg­net. Und passt ganz gut zur aktu­el­len Stimmung.

25 Jahre Neuland

Bei Auf­räu­men – ja, das mit dem Weg­wer­fen ist nicht so ein­fach – bin ich auf eine Bro­schü­re des Pres­se- und Infor­ma­ti­ons­amts der Bun­des­re­gie­rung gesto­ßen. A5, mit CD (kei­ne Ahnung, wo die hin­ge­kom­men ist), 75 Sei­ten – mit dem ver­hei­ßungs­vol­len Titel „Chan­cen durch Mul­ti­me­dia – Was bringt die neue Tech­nik?“. Für die Nach­ge­bo­re­nen: die Bro­schü­re stammt aus dem Jahr 1996. Und was damals als Mul­ti­me­dia bezeich­net wur­de, war kurz dar­auf so nor­mal, dass es kei­ner beson­de­ren Bezeich­nung mehr bedurfte.

Zum Kon­text: 1996 war ich im drit­ten Semes­ter an der Uni­ver­si­tät. Com­pu­ter kann­te ich schon, aber die waren bis dahin nicht wirk­lich mul­ti­me­di­al, zumin­dest die meis­ten PCs nicht. Da über­wog noch die Ori­en­tie­rung an Text; die PCs in der Schu­le, auf denen ich Tur­bo Pas­cal gelernt hat­te, hat­ten mono­chro­me Bild­schir­me (also grün auf schwarz), mein Ami­ga konn­te zwar vie­le Far­ben, aber kein Inter­net, und das 1992 1991 erfun­de­ne World Wide Web steck­te noch in den Kin­der­schu­hen. Auf neue­ren PCs lief Win­dows 3.1, auf ganz neu­en das schon halb­wegs wie heu­ti­ge Betriebs­sys­te­me aus­se­hen­de Win­dows 95. Dass Haus­ar­bei­ten an der Uni auf dem PC geschrie­ben wur­den, wur­de erwar­tet, war aber eine Neue­rung. Und Video­ka­me­ras, moder­ne Brow­ser wie Mosaic und Net­scape waren noch eine Beson­der­heit – ich erin­ne­re mich jeden­falls dar­an, dass das eines der Allein­stel­lungs­merk­ma­le der SUN-Work­sta­tions in der Infor­ma­tik war. Was ich sagen will: in den 1990er Jah­ren gab es einen rasan­ten Umbruch des­sen, was als Com­pu­ter­tech­no­lo­gie als selbst­ver­ständ­lich galt. Maus und Fens­ter waren gera­de erst dabei, sich flä­chen­de­ckend durch­zu­set­zen, Daten­fern­über­tra­gung und Mail war zum Teil noch Hob­by eher selt­sa­mer Gestal­ten. In die­ser Situa­ti­on also die ver­mut­lich bei der CeBIT 1996 ver­teil­te Bro­schü­re der dama­li­gen schwarz-gel­ben Bundesregierung.

Wenn ich sie heu­te durch­blät­te­re, ist das teil­wei­se depri­mie­rend, weil eini­ge der damals gemach­ten Ver­spre­chun­gen und Pro­gno­sen heu­te, 25 Jah­re spä­ter, noch längst nicht ein­ge­trof­fen sind. Bei ande­ren Din­gen wird deut­lich, dass damals die fal­schen Wei­chen gestellt wur­den. Dazu gleich mehr.

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Die Wahl ist offen – und es kommt auf jede Stimme an

Beim Bun­des­wahl­lei­ter gibt es einen Count­down – dem­nach sind es heu­te noch 38 Tage bis zur Bun­des­tags­wahl. Der Wahl­kampf nimmt all­mäh­lich Fahrt auf. Pla­ka­te hän­gen, die Wahl­be­nach­rich­ti­gun­gen wer­den ver­teilt, und die Spitzenkandidat*innen tou­ren durch die Republik. 

Es lässt sich dar­über strei­ten, wel­chen Bei­trag die Flut­ka­ta­stro­phe, Coro­na samt Del­ta-Wel­le und jetzt das offen­sicht­li­che Unver­mö­gen der Bun­des­re­gie­rung, die mit einem Trup­pen­ab­zug aus Afgha­ni­stan ver­bun­de­nen Fol­gen rich­tig ein­zu­schät­zen haben wer­den – zumin­dest haben sie dazu bei­getra­gen, dass the­ma­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zun­gen jetzt die Agen­da dominieren. 

Gleich­zei­tig ist die Wahl so offen wie wohl sel­ten zu vor. Das Bild oben zeigt den Ver­lauf der Umfra­gen für das letz­te hal­be Jahr (sie­he auch die­sen Bei­trag aus dem Mai). Die aktu­el­len Umfra­ge­er­geb­nis­se las­sen sich so deu­ten, dass wir es im Herbst mit drei gro­ßen Frak­tio­nen (die jeweils etwa 20 Pro­zent der Stim­men +/- 2,5 Pro­zent­punk­te bekom­men haben) und drei klei­ne­ren Frak­tio­nen (mit jeweils etwa 10 Pro­zent +/- 2,5 Pro­zent­punk­te) zu tun haben wer­den. Wei­te­re rund 10 Pro­zent der Stim­men wer­den auf Kleinst­par­tei­en ent­fal­len, die aller Vor­aus­sicht nach nicht im Bun­des­tag ver­tre­ten sein werden. 

Das heißt anders­her­um: aktu­ell haben alle drei Kanzlerkandidat*innen noch ech­te Chan­cen, Kanzler*in zu wer­den. Das hängt bekann­ter­ma­ßen nicht davon ab, wer Sieger*in in Beliebt­heits­um­fra­gen wird oder wer als ers­ter durchs Ziel geht, son­dern ein­zig und allei­ne davon, wer es schafft, auf Grund­la­ge des Wahl­er­geb­nis­ses eine Koali­ti­on auf die Bei­ne zu stel­len, die mehr als die Hälf­te der Sit­ze im Bun­des­tag hin­ter sich bringt und die­je­ni­ge Per­son dann zum Kanz­ler oder zur Kanz­le­rin wählt. 

Anna­le­na Baer­bock und Armin Laschet haben dabei die Ach­ter­bahn­fahrt bereits hin­ter sich – Olaf Scholz galt lan­ge als chan­cen­lo­ser Drit­ter, wit­tert jetzt aber sei­ne Mög­lich­keit, in einer Ampel­ko­ali­ti­on oder gar mit rot-grün Kanz­ler zu wer­den. Das ist natür­lich eine inter­es­san­te Geschich­te, die jetzt flei­ßig erzählt wird. Ob er in einem Monat noch so glänzt, wie das jetzt der Fall ist, wer­den wir dann sehen. Als Vize­kanz­ler einer eher ori­en­tie­rungs­lo­sen Bun­des­re­gie­rung, als jemand, der gro­ße Erin­ne­rungs­lü­cken in Sachen Wire­card hat, und als einer, der Kli­ma­schutz bis­her prak­tisch nicht so wich­tig fand, bie­tet Olaf Scholz jeden­falls genü­gend Stoff, um auch hier nach der Berg- noch eine media­le Tal­fahrt fol­gen zu lassen.

Gleich­zei­tig beginnt in Kür­ze die Brief­wahl, die dies­mal sicher­lich wich­ti­ger wer­den wird als 2017. Inso­fern wer­den die ers­ten Stim­men bald abgegeben. 

Noch ist vie­les offen. Und mehr denn je kommt es auf jede Stim­me an. Bei den Direkt­man­da­ten ent­schei­det sich, ob es einen kom­plett auf­ge­bläh­ten Bun­des­tag geben wird, oder ob Direkt­man­da­te und Anteil am Wahl­er­geb­nis für CDU/CSU, GRÜNE und SPD etwa aus­ge­gli­chen sein wer­den. Und bei den Zweit­stim­men wer­den es am Schluss, wenn sich nicht noch gra­vie­rend etwas ändert, weni­ge Pro­zent­punk­te sein, die dar­über ent­schei­den, wer Kanzler*in wird. Wer jetzt eine der zwei Dut­zend Klein­par­tei­en wählt, ist an die­ser Ent­schei­dung nicht betei­ligt. Wer eine Kanz­le­rin Anna­le­na Baer­bock und grü­ne Richt­li­ni­en­kom­pe­tenz in der nächs­ten Bun­des­re­gie­rung haben möch­te, muss (außer­halb des lei­der ver­murks­ten Saar­lands) grün wäh­len. Wer glaubt, dass Scholz oder gar Laschet das bes­ser kön­nen, muss SPD oder CDU wählen. 

Ob die FDP in eine Ampel­ko­ali­ti­on gehen wird, erscheint zum jet­zi­gen Zeit­punkt als unsi­cher. Und eben­so ist die Regie­rungs­taug­lich­keit und Regie­rungs­wil­lig­keit der LINKEN höchst frag­wür­dig. 2011 in Baden-Würt­tem­berg reich­ten 24,2 bzw. 23,1 Pro­zent für die ers­te grün-rote Koali­ti­on. Vor einem hal­ben Jahr hät­te ich das für völ­lig unwahr­schein­lich gehal­ten, inzwi­schen kann ich es mir aber vor­stel­len, dass GRÜNE und SPD zusam­men die rund 47, 48 Pro­zent auf die Bei­ne stel­len, die für eine sol­che Koali­ti­on not­wen­dig wären – aus mei­ner Sicht natür­lich zehn Jah­re nach Baden-Würt­tem­berg 2011 mit grün vor­ne, und damit mit einer klar auf Kli­ma­schutz und huma­ni­tä­re Außen­po­li­tik fokus­sier­ten Kanzlerin.