Im August war ich nicht nur in Schottland, sondern auch im Allgäu – die Kühe hier gehören zum Bauernhof meines Cousins. Habe kurz überlegt, ob angesichts des ergiebigen Allgäuer Regens an dem Augustwochen nicht „Aquaculture“ ein besserer Titel für das Foto gewesen wäre.
Wumms
Dass die Wahlniederlage in Brandenburg ganz spurlos an der grünen Bundesspitze vorbeigehen würde, war nicht zu erwarten. Dass jetzt der ganze Vorstand – die Vorsitzenden und der Schatzmeister, die politische Geschäftsführerin und die beiden weiteren Vorstandsmitglieder – seinen Rücktritt einreicht, hat mich dann doch überrascht. Aber: es ist die richtige Reaktion zum spätestens jetzt richtigen Zeitpunkt. Und dass der Vorstand geschlossen zurücktritt, ist dann doch wieder etwas, was typisch grün ist: wir gewinnen gemeinsam, und wir verlieren gemeinsam.
Ich zolle Ricarda und Omid und allen weiteren Vorstandsmitgliedern großen Respekt für diesen Schritt. Ich bin mir sicher, dass ihnen dieser Schritt nicht leicht gefallen ist. Es ist ja immer auch ein bisschen politische Traumdeuterei, politische Probleme und Herausforderungen allein auf die Personen – hier an der Spitze der Partei – zu projizieren. Ich schätze alle Vorstandsmitglieder, und ganz besonders Ricarda und Omid. Das sind Gute!
Gleichzeitig gehört zur Größe eben auch, die Zeichen der Zeit erkennen zu können. Und die rufen lautstark nach einer Neuaufstellung, nach einer Neuerfindung. Das letzte Mal ist die Partei Anfang 2018 durch eine solche Häutung gegangen, nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen, als Robert und Annalena die Fundamente gelegt haben, die dann zur Regierungsbeteiligung 2021 geführt haben. Auch hier gilt: vielleicht war es gar nicht nur die neue Idee von „grün“, die beide verkörpert haben, vielleicht war es auch ein Zeitgeist, der grüne Ideen hochgespült und grüne Politik attraktiv erscheinen lassen hat. Dennoch hat die Neuerfindung als „Bündnispartei“ ihren Anteil daran: Grün als Projekt, das für breite Teile der Bevölkerung interessant sein kann und sich für breite Teile der Bevölkerung interessiert.
Etwas hämisch schreiben Journalist*innen davon, dass Ricarda und Omid nur einen Übergangsvorstand gebildet haben. Das springt zu kurz: sie haben mitgeholfen, die Koalition zu zimmern und sie haben die Klammer zwischen Partei und Regierung geschlossen. Das immer im Gegenwind der Unzufriedenen, mit persönlichen Anfeindungen und aus der politischen Krise heraus. Keine einfache Aufgabe. Und ob jemand anderes diese Zeit besser gestaltet und organisiert hätte – das bezweifle ich doch.
Trotzdem: es war zunehmend spürbar, dass eine neue Idee für „Grün“ gebraucht wird, die über die Verteidigung der Regierungsbeteiligung hinausgeht. Eine Idee, die darüber hinausgeht, dass wir für Klimaschutz und gegen Nazis sind, um es ganz platt zu sagen.
Der Parteitag im November in Wiesbaden bietet jetzt die Chance, gleich in dreifacher Hinsicht eine Neuerfindung hinzukriegen.
Erstens wird jetzt ein neuer Vorstand gewählt. Bisher schwirren nur Namen für die Vorsitzenden durch die politische Gerüchteküche. Ich bin gespannt, wer letztlich wirklich den Ring in den Hut werfen wird – und mit welchen Ideen eine solche Bewerbung verbunden werden wird. Potenziale sehe ich viele. Und die nächsten Wochen bieten auch Raum dafür, sich zu profilieren.
Zweitens hat Robert – ich bleibe mal bei den Vornamen – angekündigt, seine mögliche Kanzlerkandidatur offen zur Debatte zu stellen. Zwischen Merz und Scholz halte ich ihn für ein Angebot, das glänzen kann, wenn es richtig angegangen wird.
Und drittens ist dieser Parteitag – auch vor den Ankündigungen jetzt – einer, der in der politischen Aussprache die Chance bietet, den in letzter Zeit verlaufenen Kurs auszudiskutieren und klar zu ziehen. Es wäre zu kurz gedacht, das mit einer Verständigung über einen Kurswechsel in der Migrationspolitik zu verwechseln. Es geht auch um die Frage, wie viel Eigenständigkeit in der Koalition sichtbar sein soll, wie staatstragend und wie grundsatztreu wir auftreten, und wo wir mitgehen und wo wir Nein sagen. Da schwellt sehr viel, im besten Falle auch stellvertretend für zumindest ein bestimmtes Milieu – und das muss jenseits von Formelkompromissen und Regierungszwängen mal geklärt werden.
Ich bin Delegierter für den Wiesbadener Parteitag und habe nach meiner Wahl geschrieben, dass ich es mir nicht leicht gemacht habe, mich als Delegierter zur Kandidatur zu stellen – weil ich erwartete, dass dieser Parteitag einer der schwersten der grünen Geschichte wird, einer mit dem realen Risiko, dass wir uns entweder zerlegen oder einen Zustand des frustrierten Rückzugs erreichen.
An der Lage hat sich – eigentlich – nicht viel geändert. Es bleibt falsch, alles auf einzelne Personen zu projizieren, was systemisch und in einer Organisation falsch läuft. Trotzdem öffnen Rücktritt und Wahl des Vorstands ein Fenster. Ich sehe jetzt eine reelle Chance, dass dieser Parteitag im Rückblick einer sein wird, auf dem wir uns als Partei neu erfunden haben, auf dem wir knapp ein Jahr vor dem planmäßigen Bundestagswahltermin gemeinsam und selbstbewusst sagen können: das ist grün, und dafür stehen wir!
Das wäre es wert.
Photo of the week: Garden: Bees of August – III
Kurz: Wo sind Sie hin?
Gestern war mal wieder ein globaler Klimastreik. In Freiburg waren es so knapp 2000 Leute, deutschlandweit insgesamt 75.000, sagt die Tagesschau, in Wien waren es zwischen Hochwasser und Wahl wohl 13.000, und auch in New York, Rio und Delhi gab es den Medienberichten zufolge Klimaaktionen. Einerseits cool, dass hier deutliche Zeichen gesetzt werden – andererseits waren wir auch schon mal mehr.
Ich war in Freiburg beim Streik dabei, und fand es auffällig, wie sich die Zusammensetzung der Demonstrierenden im Vergleich zu vorherigen Streiks verändert hat: klar, weiterhin viele Jugendliche (wobei die „erste“ FFF-Generation inzwischen mitten im Studium steckt), diverse Umweltorganisationen (von BUND und NABU bis hin zu Extinction Rebellion) und auch Brot für die Welt waren mit Fahnen vertreten, an Parteien habe ich neben ein paar grünen Fahnen (eine davon meine) nur zwei Volt-Plakate wahrgenommen, die durch die Demo getragen wurden. Alter: viele sehr jung, viele grauhaarig (ich ja inzwischen auch), dazwischen wenig? Einen Redebeitrag – von einem FFF-Aktivisten – zu Frust und Motivation nach sechs Jahren Klimastreik – fand ich sehr gut, dass die Initiative „Dieti bleibt“, die sich gegen die Abholzung eines Teils des Dietenbachwaldes für den Stadtteilneubau im Freiburger Western einsetzt, großen Raum bekommen hat, fand ich nur bedingt nachvollziehbar. Und hey, „hoch die internationale Solidarität“ und „Anticapitalista“ sind möglicherweise dann doch eher allgemeintaugliche Demosprüche. Insgesamt habe ich jedenfalls eine deutliche Verengung (und damit möglicherweise auch Radikalisierung) der Protestierenden wahrgenommen. Und gleichzeitig weiß ich aus meinem Umfeld, dass viel arbeiten mussten, im Urlaub waren oder aus anderen Gründen keine Zeit/keine Priorität hatten, am Freitagmittag zu Demo und Kundgebung zu gehen.
Ich verstehe, dass die Zeiten nicht so sind. Ich habe ja auch überlegt, ob ich wirklich den Nachmittag frei nehmen soll. Ein Thema des Streiks war, dass die Regierung nicht genug tut. Kann ich nachvollziehen und befürchte gleichzeitig, dass jede andere aktuell rechnerisch mögliche Regierung noch weniger für den Klimaschutz tun würde. Damit ist aber sehr viel weniger klar als früher, gegen wen und für was demonstriert wird (siehe auch die Freiburger Debatte um Dietenbach). Und dass es frustriert, dass selbst die erste Regierung mit grüner Regierungsbeteiligung im Bund seit Jahren nicht noch sichtbar schneller ist, kann ich auch verstehen – obwohl die Ausbaukurven für Wind und PV gut aussehen und die Förderprogramme im Baubereich umgestellt wurden. Das 1,5‑Ziel wurde gerissen, zwei Grad sind machbar, aber herausfordernd. Und dann kommt Lindner und die Schuldenbremse, und dann kommt Merz und der reaktionäre Rechtsruck, und dann kommt die AfD und das frostige Meinungsklima. Und zwischendrin klebt die Letzte Generation auf der Straße und sorgt für Naserümpfen.
Trotzdem: da waren schon mal mehr Leute, und da waren schon mal Leute auch sichtbar aus anderen Parteien, aus anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Wo waren die gestern?
Oder, direkt gefragt: Wo seid ihr gestern gewesen, wenn nicht beim Streik?
Ich meine damit diejenigen, denen Klimaschutz wichtig ist, ohne tief in irgendwelchen diesbezüglichen Gruppen zu stecken. Die, die mit Kind und Kegel oder Arbeitskolleg:innen beim vorletzten Klimastreik die Straße gefüllt haben. Oder auch die, die bei den Demos Anfang des Jahres deutlich gemacht haben, dass AfD-Pläne absolut nicht mehrheitsfähig sind.
Gerade in der Situation jetzt, in der die öffentliche Meinung von Rechts gemacht wird, in der der physikalisch unaufhaltsame und mit Hochwasser und Hitze spürbare Klimawandel eigentlich Top-Thema sein müsste, bräuchte es eine Million Menschen auf der Straße. Wäre schön, wenn das jemand in die Hand nehmen würde. Auch wenn’s sich gerade nicht nach Volksfest anfühlt.
Kurz: Merz von Gestern
Trotz der Wird-er’s‑oder-wird-er’s‑nicht-Berichterstattung war es eigentlich absehbar. Der Kanzlerkandidat der Union heißt demnach wohl Friedrich Merz. Der der SPD wird nach jetzigem Stand der jetzige Kanzler sein, wenn da nicht noch ein Biden-Harris-Manöver folgt. Und mal ehrlich: beide sind eigentlich keine so gute Wahl für unser Land. Merz setzt auf Krawall, auf das Gestern, auf einen weitgehend nahtlosen Anschluss an Helmut Kohl. Geht’s nur mir so, oder passt das wirklich nicht mehr in die Zeit? (Mal ganz abgesehen, dass mir aktuell nicht klar ist, mit wem die CDU eigentlich regieren will – mit dem BSW?)
Scholz hatte jetzt drei Jahre Zeit, zu zeigen, dass er für Respekt steht, dass er Führung liefert, dass er’s kann. Auch das sehe ich nicht so richtig. 2021 war er noch Projektionsfläche. Das ist jetzt weg. Wir kennen ihn.
Theoretisch – und mit etwas Optimismus: auch praktisch – öffnet das den Möglichkeitsraum für einen dritten Kandidaten. Aus grüner Perspektive läuft’s dabei wohl auf Robert Habeck hinaus. Klar, das ist eine Außenseiterchance, auch wenn das Jahr vor der Wahl 2021 gezeigt hat, dass ein Jahr in der Politik lang ist, dass sich noch vieles bewegen kann. Habeck als Kanzler? Why not? Wenn Merz über seine eigenen Füße fällt, wenn Scholz den Moment verpasst, von Buchhalter auf Statthalter der Normalität zu schalten – und wenn Habeck es schafft, in den kommenden Monaten nicht als sich klein machender Vizekanzler der missliebigen Ampel zu erscheinen, für diese ungeliebte Trias zu stehen, sondern für grün, als Vorahnung dessen das zum Leuchten zu bringen, was in diesem Land möglich ist: dann könnte es klappen.
2011 hatten wir Grünen in Baden-Württemberg 24,2 Prozent, die SPD 23,1 Prozent – das reichte, der Rest ist Geschichte. Und ganz unähnlich zum damaligen CDU-Ministerpräsidenten Mappus ist Merz nicht, bei Lichte betrachtet.