Klimaluxuslebensmittel

Heu­te geis­tert auf Twit­ter eine Gra­fik von ourworldindata.org her­um, auf der die CO2-Äqui­va­len­te ver­schie­de­ner Lebens­mit­tel (je kg) dar­ge­stellt wer­den. So weit nichts groß­ar­tig neu­es; Our­World­In­Da­ta hat das gut auf­be­rei­tet und bie­tet auch ver­schie­de­ne Optio­nen an, Lebens­mit­tel in der Dar­stel­lung hin­zu­zu­fü­gen etc. Mal unge­ach­tet der Debat­te um indi­vi­du­el­le vs. poli­tisch-struk­tu­rel­le Ent­schei­dun­gen gibt die­se Dar­stel­lung einen Über­blick dar­über, wie treib­haus­re­le­vant ver­schie­de­ne Lebens­mit­tel sind – und bie­tet damit eine ers­te Orientierung.

Aller­dings: die auf­ge­führ­ten Lebens­mit­tel wer­den in der Regel nicht in glei­chen Men­gen geges­sen. Eigent­lich müss­ten sie noch mit dem durch­schnitt­li­chen Jah­res­ver­brauch (oder von mir aus Tages­ver­brauch) nor­miert wer­den, um ein voll­stän­di­ges Bild abzu­ge­ben. Ich mache das mal – mit dem Vor­be­halt, das mir nicht ganz klar ist, ob sich die Anga­ben nach „com­mo­di­ties“ bei Our­World­In­Da­ta ein­fach so in fer­ti­ge Pro­duk­te umrech­nen las­sen – an eini­gen Bei­spie­len deutlich:

Lebens­mit­tel kg CO2-Äqui­va­lent pro kg Jah­res­ver­brauch Deutsch­land pro Kopf (kg) CO2 pro Jahr
Rind­fleisch 33,3 kg bis 99,5 kg, je nach Haltungsform 9,4 kg (Sta­tis­ta) 313,0 kg bis 945,3 kg
Käse 23,9 kg 25 kg (Sta­tis­ta) 597,5 kg
Schwei­ne­fleisch 12,3 kg 31,0 kg (Sta­tis­ta) 381,3 kg
Kaf­fee 28,5 kg 5,4 kg (Sta­tis­ta) 153,9 kg
Wei­zen 1,57 kg 70 kg (Sta­tis­ta) 109,9 kg
Scho­ko­la­de 10,8 kg (Milch­scho­ko­la­de) bis 46,6 kg (dunk­le Scho­ko­la­de, Rohprodukt) 9,1 kg (Sta­tis­ta) 98,3 kg bis 424,1 kg
Kar­tof­feln 0,46 kg 59,4 kg (BMEL) 27,3 kg

Oder noch­mal anders: eine 100-g-Tafel Milch­scho­ko­la­de wäre dem­nach mit 1,1 kg CO2-Emis­sio­nen ver­knüpft, ein Schwei­ne­fleisch­pro­dukt mit 250 g mit etwa 3 kg CO2, ein Stück Käse mit 250 g mit 6 kg CO2 (pro Por­ti­on ab z.B. 30 g also 0,7 kg CO2) und eine 250-g-Packung Kaf­fee mit 7,1 kg (pro Tas­se etwa 14 g Kaf­fee­pul­ver, sagt das Netz, also 0,4 kg CO2). Eine Por­ti­on Tofu (z.B. eine Packung mit 200 g) ver­ur­sacht dem­nach 0,6 kg CO2-Emis­sio­nen. Der CO2-Effekt einer Por­ti­on Kar­tof­feln (z.B. 200 g) ist dage­gen mit 0,09 kg CO2 deut­lich kleiner.

So wer­den die Zah­len für mich etwas bes­ser vor­stell­bar. Ich will jetzt kein CO2-Bud­get pro Tag fürs Essen ein­füh­ren, aber gera­de mit Blick auf die der­zei­ti­gen durch­schnitt­li­chen Jah­res­ver­bräu­che wird deut­lich, wo grö­ße­re und wo klei­ne­re Bau­stel­len lie­gen. Neben Fleisch – mir als Vege­ta­ri­er indi­vi­du­ell eher egal, struk­tu­rell ein Pro­blem – ent­pup­pen sich Käse, Kaf­fee und Scho­ko­la­de als Klima-Luxusprodukte. 

Generationengraben

Gene­ra­tio­nen sind ja eine sozio­lo­gisch eher frag­wür­di­ge Grup­pen­bil­dung – längst nicht alle Men­schen (in einem Land) mit in etwa den sel­ben Geburts­jahr­gän­gen tei­len die sel­ben Wer­te und Ein­stel­lun­gen oder leben unter den sel­ben Bedin­gun­gen. Inso­fern sind Ein­tei­lun­gen wie „Boo­mer“, „Gene­ra­ti­on X“, „Gene­ra­ti­on Y“ oder „Gene­ra­ti­on Z“ mit Vor­sicht zu genie­ßen. Trotz­dem gibt es so etwas wie vor­herr­schen­de poli­ti­sche Stim­mun­gen, pop­kul­tu­rel­le und dis­kur­si­ve The­men, die genau­so wie Ereig­nis­se (Mau­er­bau, Mau­er­fall, 9/11, Coro­na, …) und Ände­run­gen der Lebens­be­din­gun­gen (ver­füg­ba­res Ein­kom­men, erleb­te Infra­struk­tur, …) in der Ado­les­zenz eine gemein­sa­me Prä­gung über ande­re sozio­de­mo­gra­fi­sche Merk­ma­le (Geschlecht, Klas­se, Schicht, Eth­ni­zi­tät, …) plau­si­bel erschei­nen las­sen. Soll hei­ßen: auch wenn die Zuge­hö­rig­keit zu einer bestimm­ten Gene­ra­ti­on wenig über eine ein­zel­ne Per­son aus­sagt, scheint es doch nicht ganz unsin­nig zu sein, über Gene­ra­tio­nen im Plu­ral zu spre­chen, um Ver­än­de­run­gen der Lebens­be­din­gun­gen (in einem Land) abzubilden.

Mit dem Geburts­jahr­gang 1975 (den ich plus minus ein paar Jah­re mit vie­len Men­schen tei­le, die jetzt beruf­lich und fami­li­är „ange­kom­men“ sind), wäre ich dem­nach ein Mit­glied der „Gene­ra­ti­on X“ (1965–1980), eine Bezeich­nung, die mit Dou­glas Cou­p­lands gleich­na­mi­gem Buch popu­lär gewor­den ist – oder nach Flo­ri­an Illies für Deutsch­land: „Gene­ra­ti­on Golf“. Neben diver­sen pop­kul­tu­rel­len Eigen­hei­ten (Fern­seh­pro­gramm!) und einer gan­zen Rei­he von sozia­li­sa­ti­ons­re­le­van­ten Sub­kul­tu­ren zeich­net sich die Gene­ra­ti­on X, zumin­dest wenn der Wiki­pe­dia geglaubt wer­den darf, dadurch aus, 

„… dass ihr pro­phe­zeit wur­de, dass sie sich erst­mals ohne Kriegs­ein­wir­kung mit weni­ger Wohl­stand und öko­no­mi­scher Sicher­heit begnü­gen müs­se als die Eltern­ge­nera­tio­nen, aber ande­rer­seits für deren öko­no­mi­sche und öko­lo­gi­sche Sün­den büße.“

Das ist das „no future“, das in ver­schie­dens­ten Aus­prä­gun­gen seit der Jugend der Gene­ra­ti­on X über unse­ren Häup­tern schwebt – Angst vor dem Atom­krieg, die Atom­un­fall­angst nach Tscher­no­byl, ein zyni­sches Ver­hält­nis zur Blüm­schen Ren­ten­si­cher­heit, usw. … 

Aus heu­ti­ger Sicht scheint der gro­ße Gene­ra­tio­nen­gra­ben aller­dings zwi­schen Baby­boo­mern und Gene­ra­ti­on X auf der einen Sei­te und allen nach­fol­gen­den Gene­ra­tio­nen – begin­nend mit den Ange­hö­ri­gen der Millenial-„Generation Y“ – zu ver­lau­fen. Wirt­schaft­lich hat das Ende des Kal­ten Kriegs und der Inter­net­boom noch­mal ein biss­chen Auf­schub ver­schafft, die har­ten öko­lo­gi­schen Fol­gen wer­den erst jetzt spür­bar. Damit ist die Gene­ra­ti­on X bei aller Skep­sis und bei aller selbst­iro­ni­schen Ver­lie­rer­be­schrei­bung aktu­ell Teil der­je­ni­gen, die die „gute alte Zeit“ wei­ter­tra­gen will, die am Ein­fa­mi­li­en­häus­chen­ide­al fest­hält, die tief im Inne­ren doch an Wachs­tum und ein bes­se­res Mor­gen glaubt. Nicht unbe­dingt die bes­ten Vor­aus­set­zun­gen dafür, jetzt die wirt­schaft­li­chen und poli­ti­schen Wei­chen rich­tig zu stellen.

Der Gene­ra­ti­on Y, und erst recht der jetzt ins Berufs- und Erwach­se­nen­le­ben ein­tre­ten­den Gene­ra­ti­on Z, wer­den ganz ande­re Wer­te zuge­schrie­ben. Selbst­ver­wirk­li­chung, selbst­ver­ständ­lich gewor­de­ne digi­ta­le Medi­en, der Rück­zug ins Pri­va­te, die neue Poli­ti­sie­rung, Fach­kräf­te­man­gel und Welt­ver­bes­se­rung. Die hart auf­schla­gen­de Kli­ma­kri­se, Fri­days for Future, die Pan­de­mie, ein Ende des Endes der Geschich­te, neue geo­po­li­ti­sche Situa­tio­nen, der rus­si­sche Krieg und die brö­ckeln­de wirt­schaft­li­che Glo­ba­li­sie­rung bei selbst­ver­ständ­li­chem indi­vi­du­el­lem Welt­bür­ger­tum … all das könn­te die Lebens­welt beschrei­ben, in der die Ange­hö­ri­gen die­ser Alters­ko­hor­ten erwach­sen werden. 

Aus der Zukunft betrach­tet, neh­men wir das Jahr 2050 oder 2070: Für die Ange­hö­ri­gen „mei­ner“ Gene­ra­ti­on sind die 2020er Jah­re eine Zei­ten­wen­de, ein Ende der Gewiss­heit. Für uns hört etwas auf, bricht etwas ab. Eigent­lich soll all die­sen Umbrü­che zum Trotz alles so wei­ter­ge­hen wie bis­her – bit­te! Und es gibt vie­le, die sich an die­se Hoff­nung klam­mern, bis hin zur Ver­drän­gung der Katastrophe.

Für die jün­ge­ren Gene­ra­tio­nen waren die 2020er Jah­re ein Beginn, der Anfang von etwas Neu­em, das erst ent­steht und auf­ge­baut wer­den muss. Die­ses Neue geht von der radi­ka­len Akzep­tanz der Kli­ma­kri­se aus. Dadurch – und durch das Erle­ben der Kri­sen­jah­re – ver­schie­ben sich Prio­ri­tä­ten. Wer sei­ne Ado­les­zenz zwi­schen 2000 und 2020 ver­bracht hat, lebt in einer fra­gi­le­ren Welt. Nicht nur das Kli­ma ist zer­brech­lich. Die Coro­na-Pan­de­mie hat sozia­len Zusam­men­halt und die Arbeits­welt erschüt­tert. Die Abhän­gig­keit von glo­ba­len Lie­fer­ket­ten ruft Fra­ge­zei­chen her­vor. Ein „das war schon immer so“ ist in die­ser neu­en Situa­ti­on nicht mehr akzep­ta­bel – egal, ob es um Beruf, um Bil­dung, um Geschlech­ter­ver­hält­nis­se oder anders geht. Extrem gut gebil­de­te, selbst­ver­ständ­lich inter­na­tio­nal ver­netz­te Ange­hö­ri­ge der Gene­ra­tio­nen Y und Z haben im Rück­blick die Chan­ce ergrif­fen, eine neue Welt zu bau­en. Nicht als Uto­pie, son­dern aus schie­rer Not­wen­dig­keit heraus.

Gene­ra­tio­nen­be­grif­fe sind Ver­su­che, sich ändern­de Lebens­be­din­gun­gen und Deu­tungs­mus­ter zu ver­ste­hen. Sie tref­fen kei­ne Aus­sa­gen über ein­zel­ne Per­so­nen. Inso­fern gibt es sicher­lich Älte­re, die Anschluss an das Mind­set der Gene­ra­tio­nen Y/Z fin­den, und Jün­ge­re, die auf Wei­ter so mit Häus­le bau­en set­zen. In der Sum­me neh­me ich hier aber eine Ver­än­de­rung wahr – und eben einen gro­ßen Gra­ben zwi­schen denen, die bis etwa 1980 gebo­ren sind und an eine alte Welt ver­tei­di­gen wol­len, die immer so wei­ter­läuft; und den Jün­ge­ren, denen die­se Hoff­nung ent­ris­sen wurde. 

Photo of the week: Garden geometry

Garden geometry

 
Foto­gra­fie­ren heißt vor allem, genau hin­zu­se­hen. Und manch­mal hilft es dabei, nah ran­zu­ge­hen und die Far­be weg­zu­las­sen. Dann bleibt Struk­tur – wie hier – zu entdecken.

Leseempfehlung: Ruthanna Emrys – A Half-Built Garden

Gra­de erst habe ich mei­ne SF-Sam­mel­be­spre­chung gepos­tet, die nächs­te dau­ert noch ein biss­chen – aber von die­sem Buch war ich so begeis­tert, dass ich es außer­halb der Rei­he unbe­dingt ans Her­zen legen möchte.

Rut­han­na Emrys sag­te mir bis­her nichts, ihre vor­he­ri­gen Wer­ke schei­nen eher in Rich­tung Hor­ror-Sub­ver­si­on zu gehen, nicht unbe­dingt mein Feld. Mit A Half-Built Gar­den (2022) ist jetzt bei Tor ein lupen­rei­ner Sci­ence-Fic­tion-Roman von ihr erschie­nen, der nicht nur an Le Guin erin­nert – wor­auf bereits der Klap­pen­text auf­merk­sam macht – son­dern für mich auch Anklän­ge an Mar­ge Pier­cys He, She and It (1992) auf­weist, etwa mit Blick auf die jüdi­schen Fei­er­ta­ge und Ritua­le, die im Buch eine Rol­le spie­len, mit Cory Doc­to­rows Wal­ka­way (2017) einen Raum für zeit­ge­nös­si­sche Uto­pien eröff­net, Kim Stan­ley Robin­sons tie­fen Blick für öko­lo­gi­sche Zusam­men­hän­ge auf­nimmt und eine Idee aus Karl Schroe­ders Ste­al­ing Worlds (2019) zu Ende denkt: die enge Ver­net­zung von Men­schen und Natur, die in tech­no­lo­gi­scher Umset­zung von Bru­no Latours Aktor-Net­work-Theo­ry stattfindet.

„Lese­emp­feh­lung: Rut­han­na Emrys – A Half-Built Gar­den“ weiterlesen

Photo of the week: Miri, hidden / Nox im Garten IV

Miri, hidden

Nox im Garten IV

Anläss­lich des Welt­kat­zen­tags ein Dop­pel­fo­to der Woche: unse­re bei­den Kat­zen Miri (oben) und Nox (unten) sind in mei­nem Blog noch gar nicht auf­ge­taucht, glau­be ich, aber seit Novem­ber 2021 bei uns – da waren es noch ein paar Mona­te alte Bau­ern­hof­kätz­chen, jetzt sind die bei­den Schwes­tern zwei aus­ge­wach­se­ne Kät­zin­nen mit recht unter­schied­li­chem Tem­pe­ra­ment. Nox ist eher zier­lich und kobold­haft, Miri liegt dage­gen ger­ne irgend­wo rum und denkt nach. Bei­de las­sen sich manch­mal ger­ne und aus­führ­lich strei­cheln, aber längst nicht immer und längst nicht von jedem.