Gerne wird ja die „Dienstleistungswüste Deutschland“ beschworen, mangelnde Freundlichkeit des „Personals“ und so. Als dahingeworfener Gedanke dazu: was in den Debatten oft kaum vorkommt, ist die Doppelseitigkeit: Freundlichkeit als Einbahnstraße funktioniert nicht bzw. wird dann schnell zu einem aufgesetzten, antrainierten Lächeln der VerkäuferInnen, hinter dem grimmiger Ernst steckt. Die Geschäfte und Gelegenheiten, bei denen ich mich tatsächlich sehr freundlich behandelt fühlte, sind eher die, die bei mir den dringenden Wunsch hervorgerufen haben, mich ebenfalls freundlich zu verhalten, die also, kurz gesagt, authentisch gewirkt haben, wohl sogar authentisch waren. Was sich aber wiederum nicht antrainieren lässt, sondern was damit zu tun hat, dass den Leuten das, was sie machen, gefällt.
Die Zora lernt sprechen
Neurolinguistik ist ziemlich spannend, vor allem, wenn sie zuhause stattfindet.
Zora (2 3/4) kann schon ziemlich gut sprechen, aber sie macht auch noch ziemlich viele interessante (und für Kinder in ihrem Alter meine ich ziemlich typische) Fehler.
So verwendet sie die meisten Verben noch regulär, auch die, die es gar nicht sind (und findet auch nicht immer die richtige Beugungsform bei anderen). Dann gibt es Floskeln, die sie als ganze Floskeln verwendet, auch in Situationen, wo sie nur bedingt passen. („Ich will im großen Bett schlafen“ – „Warum?“ – „Weil es interessant ist“). Und schließlich erfindet sie Wörter (wenn ihr keine einfallen) und versucht, ob diese verwendbar sind („Das ist ein dakadaka.“). Übergeneralisiert wird natürlich auch: Alles, was abmachbar ist, ist „Schale“ – egal, ob an einer Frucht, die Rinde an einem Brötchen oder das Einwickelpapier ums Bonbon.
Am lustigsten aber klingen richtig-falsch zusammengesetzte Wörter: Heute morgen waren wir erst beim „Geldladen“ und dann beim „Brötchenladen“, und zwischen Kopf und Rumpf sitzt der „Kopfstiel“. „So ist das!“
Update zu Die Zora redet.
Photo of the week: Storm beach IV
Twitter, Grüne und Parteitagsinszenierungen
Bündnis 90/Die Grünen haben ja schon relativ lange einen Twitter-Account, über den bisher vor allem „Organisationsgezwitscher“ lief, was ich auch ganz okay fand. Nachdem Hubertus Heil der SPD einiges an positiver Netz-PR beschert hat, wurde daraus gestern ein Bütikofer-Account, was nicht nur positiv aufgenommen wurde. Letztlich scheint einiges dafür zu sprechen, klar zwischen persönlichen und organisationellen Accounts zu trennen (die taz macht das inzwischen auch: mit einem für Chefredakteur Peter Unfried, einem Account für Schlagzeilen und einem für Smalltalk und Gerüchte aus dem taz-Betrieb. Sinnvolle Ausdifferenzierung, also.
Beim grünen Twitter-Account ist es noch nicht so weit, derzeit wird er also von Reinhard Bütikofer aus Denver befüttert. Der hat insofern recht schnell gelernt, als jetzt nicht nur politische Kurzanalysen über den Ticker laufen, sondern auch mal ein Kommentar zur Sicherheitslage („Neue Sicherheitsmaßnahme: Alle Pins und Buttons abnehmen.“), oder auch die (so wie ich ihn kenne) bütikofer-typische Fußball-Wahrnehmung des Politischen („Clinton sehr gut im Angriff gg. McCain. Kerry noch besser: Setzt den Senator McCain gegen den Kandidaten McCain. So funktioniert’s!“). Aber dazu wollte ich jetzt eigentlich nichts schreiben, sondern auf folgenden Eintrag hinweisen:
Demokraten steigern sich jdn. Tag in Message, Inszenierung u. Stimmung. Wird mobilisieren u. die Gegner beeindrucken. Morgen mehr #Bütikofer
Nun werden die Grünen häufiger mal als die Partei bezeichnet, die im politischen Stil den amerikanischen Mobilisierungsparteien am nächsten kommt. Auch heute schon gibt es – und da ist wiederum Bütikofer nicht ganz unschuldig daran – gerne mal stark durchinszenierte Parteitage (siehe Abb.).
BDK 2005 als Beispiel für Parteitagsinszenierungen
Das geht nicht ganz soweit, dass Zwischenrufe zum Abstimmungsverfahren vorher abgesprochen werden; aber einen genauen Zeitplan im Hintergrund, eine öffentliche Botschaft, eine strategische Platzierung von Debatten und Kulisse – all das gibt es auch auf deutschen Parteitagen, und eben auch bei den Grünen. Der Preis dafür, sich als professionelle Medienpartei präsentieren zu können.
Sehr zum Ärger des Noch-Parteichefs geht das nicht immer glatt; auch das macht den Reiz der Grünen aus. (Wobei es, egal wie der Parteitag läuft, immer falsch ist: entweder gibt es eine glatte Inszenierung, und die Medien finden es langweilig, oder es gibt basisdemokratischen Ärger, und die Medien sehen nur Streit).
Ich bin jetzt gespannt, ob Reinhard Bütikofer mal wieder von den USA lernen will, und die nächste BDK – seine letzte als Parteichef – zur großen Spitzenteamkrönungsmesse wird. Seine getwitterte Begeisterung über den US-Parteitag (dessen demokratisches Gewicht eher in den Vorwahlen als in der tatsächlichen Zusammenkunft liegt) legt das irgendwie nahe.
Warum blogge ich das? Weil mich das Zusammenspiel bzw. der Widerspruch zwischen öffentlicher Inszenierung und demokratischer Partizipation spätestens sein meiner Magisterarbeit interessiert.
Mal was anderes als immer nur Pressemitteilungsfloskeln (Update 3: Dialog)
SPD-Generalsekretär Hubertus Heil (35) nutzt Twitter, um seine Eindrücke von der Obama-Nominierung loszuwerden. Das macht er seit ein paar Tagen. Ich habe ein paar Mal reingeschaut (zum „followen“ konnte ich mich allerdings nicht durchringen) und mich drüber gefreut, dass das sehr unverkrampft passiert. In der deutschen Politik eine Seltenheit.
Spiegel Online (Carsten Volkery) verwechselt den Twitter-Feed dagegen mit einer Pressemitteilung oder einem Interview und mokiert sich über Lockerheiten. Der Artikel besteht selbst allerdings zu ungefähr 60 % aus Zitaten aus dem Twitter-Feed. Im Teaser zum Artikel heißt es „Manche reifere Genossen sind peinlich berührt.“ – ich sehe die peinliche Berührtheit eigentlich eher bei manchen Journalisten. Und schließe mich Wolfgang Lünenbürger an, der das ganze als positiven Schritt in Richtung „PR 2.0« bewertet.
So kann Politik im Netz auch aussehen – wichtig ist es dann allerdings, diese Ansprüche auch über den Tag hinaus aufrecht zu erhalten. Bleibt also die Frage, was mit dem Twitter-Account hubertus_heil passiert, wenn der Parteitag der US-Demokraten vorbei ist – und ob der lockere, interaktive Stil auch beibehalten wird, wenn es ans Eingemachte geht (also z.B. beim Twittern von einem SPD-Parteitag nach einer verlorenen Landtagswahl). Ich bin gespannt.
Warum blogge ich das? Weil ich es interessant finde, wie andere Parteien mit der netzbasierten Direktkommunikation umgehen. Daniel Mouratidis (Landesvorsitzender der baden-württembergischen) Grünen twittert z.B. neuerdings auch, ebenso die Partei selbst. Und weil ich denke, dass diese ersten Versuche mit dazu beitragen, den „Stil“ politischer Kommunikation im Web 2.0 zu definieren und deswegen umso wichtiger sind.
Update: Das Thema scheint die Blog-Welt in Aufruhr zu versetzen. Zurecht vermutlich. Eine sehr knappe Zusammenfassung von allem, was dazu gesagt werden muss, findet sich bei Henning (ungefähr fünf kurze Sätze), einige sehr hilfreiche Überlegungen bei Christoph Bieber, dem politikwissenschaftlichen Internet-und-Politik-Experten: „Ja, liebe Journalisten, was denn nun? Seriös, informativ und langweilig oder schnell, unfertig und experimentell?“
Update 2: Kurzer Hinweis auf die Berichterstattung in der taz, deutlich netzaffiner und ausgewogener als SpOn.
Update 3: (29.8.2008) Heute morgen dann richtig überrascht: Hubertus Heil (SPD) und Reinhard Bütikofer (Grüne) twittern nicht nur parallel aus Denver, sondern reagieren aufeinander – Ad-Hoc-Elefantenrunde oder so (von unten her zu lesen)…
Hubertus Heil: @Die_Gruenen .… Es lohnt sich auch fuer uns in deutschland dafuer zu kaempfen. ungefähr 4 Stunden ago from TwitterBerry in reply to Die_Gruenen
Hubertus Heil: @Die_Gruenen Richtig! in zehn jahren unabhaengiger (!) vom oel zu werden ist ein man-to-the-moon-projekt.… ungefähr 4 Stunden ago from TwitterBerry in reply to Die_Gruenen
Bündnis90/Die Grünen: @hubertus_heil Wer das Ziel anzweifelt, wird sich wundern! Das wird wie bei Kennedy und dem Flug zum Mond # Bütikofer ungefähr 4 Stunden ago from web in reply to hubertus_heil
Hubertus Heil: Er will die usa wirklich innerhalb von 10 jahren unabhaenig vom oel aus dem mittleren osten machen. Good. And good luck. Ist das moeglich? ungefähr 5 Stunden ago from TwitterBerry