Nachhaltigkeit als soziologisches Thema?
Jemand fragte mich gerade, ob ich denn gute Texte zum Thema „Nachhaltigkeit soziologisch erklären/analysieren“ kennen würde. Ich finde die Frage gar nicht so einfach. Nachhaltigkeit bzw. nachhaltige Entwicklung sind im Rahmen der Umweltsoziologie, insbesondere wenn’s angewandt wird – sozial-ökologische Forschung und so -, durchaus normative Zielvorgabe. Dort wird dann eher drum gestritten wird, wie Nachhaltigkeit gemessen werden soll, was die richtigen Kriterien sind, ob ökologisches Kapital durch andere Kapitalsorten ersetzt werden kann etc. Aus der Perspektive der allgemeinen Soziologie stellt Nachhaltigkeit aber klar zuerst mal einen bestimmten politisch-gesellschaftlichen Diskurs dar, eine Zielvorgabe oder ein Leitbild (je nachdem, welcher theoretische Ansatz gewählt wird). Jedenfalls etwas, das nicht in sich bereits eine höhere Durchsetzungskraft oder Gültigkeit als andere normative Programme trägt, sondern – aus eben diesem Blickwinkel der allgemeinen Soziologie – vergleichbar ist mit anderen politischen Zielsetzungen.
Trotz dieser Schwierigkeit hier mal einige Texte, die ich hilfreich fand, um sich soziologisch mit Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen:
Allgemein:
Becker, E.; Jahn, T. (Hrsg.): Soziale Ökologie. Grundzüge einer Wissenschaft von den gesellschaftlichen Naturverhältnissen. Frankfurt am Main, New York: Campus. – Genereller Reader/Lehrbuch zum Ansatz der sozialen Ökologie, geht auch auf Nachhaltigkeitsdebatte ein (S. 240–247).
Fritz, Peter / Huber, Joseph / Levi, Hans Wolfgang (Hrsg.) (1995): Nachhaltigkeit in naturwissenschaftlicher und sozialwissenschaftlicher Perspektive. Stuttgart: S. Hirzel. – Band zu einer Tagung mit sozial- wie naturwissenschaftlichen Vorträgen; der eine oder andere ist für die Nachhaltigkeitsdebatte interessant. Eher technische Definitionen.
Grunwald, Armin / Kopfmüller, Jürgen (2006): Nachhaltigkeit. Frankfurt am Main/New York: Campus. – Aus der Technikfolgenforschung kommender Blick auf unterschiedliche Ansätze der Nachhaltigkeit, geht auf Operationalisierung, Indikatoren usw. ein.
Luks, Fred (2002): Nachhaltigkeit. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt. – Populärwissenschaftlicher Überblick über unterschiedliche Aspekte von Nachhaltigkeit.
Umweltbundesamt (Hrsg.) (2002): Nachhaltige Entwicklung in Deutschland. Die Zukunft dauerhaft umweltgerecht gestalten. Berlin: Erich Schmidt Verlag. – Amtliche Sicht der Dinge.
Soziologisch:
Brand, Karl-Werner (Hrsg.) (1997): Nachhaltige Entwicklung. Eine Herausforderung an die Soziologie. Opladen: Leske + Budrich. – Schon etwas älterer Sammelband, insbesondere der Aufsatz von Wehling („Sustainable development – eine Provokation für die Soziologie?“) ist m.E. lesenswert.
Brand, Karl-Werner / Jochum, Georg (2000): Der deutsche Diskurs zu nachhaltiger Entwicklung. MPS-Texte 1/2000, München: Münchener Projektgruppe für Sozialforschung e.V. – Blick auf den Nachhaltigkeitsdiskurs.
Grober, Ulrich (2002): »Modewort mit tiefen Wurzeln – Kleine Begriffsgeschichte von ’sustainability‘ und ‚Nachhaltigkeit‘«, in Günter Altner et. al (Hrsg.): Jahrbuch Ökologie 2003, München: C.H. Beck, S. 167–175. – Umfangreiche Begriffsgeschichte.
Nölting, Benjamin / Voß, Jan-Peter / Hayn, Doris (2004): »Nachhaltigkeitsforschung – jenseits von Disziplinierung und anything goes«, in GAIA, Jg. 13, H. 4, S. 254–261. – Hier ist nachhaltig ganz klar als Zielsystem anerkannt. Nölting, Voß und Hayn stellen dar, was das für Konsequenzen für angewandte, transdizsiplinäre Forschung haben muss.
Kaufmann, Stefan (2004): »Nachhaltigkeit«, in Bröckling, Ulrich / Krasmann, Susanne / Lemke, Thomas (Hrsg.): Glossar der Gegenwart. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 174–181. – Soziologisch aufgeklärte Begriffskritik, stellvertretend für den externen Blick auf den Diskurs.
Kraemer, Klaus (1997): »Nachhaltigkeit durch Konsumverzicht? ‚Sustainable Development‘ – eine soziologische Betrachtung«, in Zeitschrift für angewandte Umweltforschung, Jg. 10, H. 2, S. 198–209. – (Kultur-)soziologischer Blick auf Nachhaltigkeit.
Luks, Fred / Siemer, Stefan Hermann (2007): »Whither Sustainable Development? A Plea for Humility«, in GAIA, Jg. 16, H. 3, S. 187–192. – Plädoyer dafür, erst mal innezuhalten, selbstreflektiv zu werden, und dann erst mit Nachhaltigkeitsforschung fortzufahren.
Tremmel, Jörg (2004): »‚Nachhaltigkeit‘ – definiert nach einem kriteriengebundenen Verfahren«, in GAIA, Jg. 13, H. 1, S. 26–34. – Ein Versuch der Operationalisierung, der vor allem aufgrund der Entgegnungen von Brand, Ott und Sieferle im selben Heft interessant ist.
Das ist jetzt bei weitem nicht vollständig, sondern eher als Einladung zu verstehen, diese Liste zu ergänzen. Was ich hier bewusst komplett weggelassen habe, ist der Blick auf spezialisierte Felder, also zum Beispiel „Nachhaltiger Konsum“, „Nachhaltige Unternehmen“ oder „Lebensstile und Nachhaltigkeit“. Was auch fehlt (Grunwald/Kopfmüller gehen glaube ich darauf ein, wenn ich mich jetzt richtig erinnere), ist der Blick auf Operationalisierungen und Indikatorensysteme.
Warum blogge ich das? Weil ich mir denke, dass das Thema auch andere interessieren könnte (selbst wenn’s erstmal ziemlich unsauber runterschrieben ist), um meine eigenen Gedanken zu sortieren und um möglicherweise Hinweise auf weitere Literatur zu erhalten.
Wie die CDU tickt (Update: Was ist ein Parteiprogramm?)
Ich dachte bisher immer, die undemokratischen Vorstellungen des ehemaligen Rektors der Freiburger Universität (CDU-Mitglied und Politikwissenschaftler), die ich in diversen Unigremien erleben durfte, seien vor allem Ausfluss seiner Persönlichkeit gewesen.
Twitter klärt mich nun darüber auf, dass ein derartiges Bild von Demokratie in der CDU endemisch sein muss. Ausgangspunkt: die CDU hat heute ihr Wahlprogramm vorgestellt – beschlossen vom Parteivorstand. Ein Parteitag – noch nicht einmal ein Akklamationsparteitag wie bei der SPD – war nicht notwendig. Nun ist eine Bundestagswahl nicht ganz unwichtig, und die Frage, was die Regierung machen wird, auch nicht. Insofern habe ich folgendes bei Twitter geschrieben – und es an einen dort aktiven Christdemokraten adressiert:
@Stecki Ich bin ja immer noch fassungslos darüber, dass das Programm einer Volkspartei von deren Vorstand festgelegt wird – #demokratie-
Die Reaktion waren nicht wie erwartet Rechtfertigungsversuche, sondern gegenseitiges Unverständnis. Auf seiner Seite: es ist doch völlig normal, dass der Parteivorstand entscheidet, schließlich sei auch der Bundestag sowas wie der Vorstand des Landes (Gewaltenteilung, hallo?), und auch auf Parteitagen seien ja schließlich nur Delegierte antragsberechtigt. So sei repräsentative Demokratie halt organisiert.
Auf meiner Seite: ich dachte bisher, es sei normal, dass Parteimitglieder bestimmte Rechte haben (z.B. Antragsrecht auf Parteitagen – bei uns sind 20 Unterschriften dafür notwendig, egal ob delegiert oder nicht), dass zumindest formal danach gestrebt wird, Meinungsbildungsprozesse demokratisch zu organisieren, dass eine so zentrale Entscheidung wie die über das Regierungsprogramm eben nicht vom Vorstand gewählt wird.
Klar war mir bewusst, dass das „basisdemokratisch“ im alten Parteislogan der Grünen was damit zu tun hatte, dass andere Parteien das eben nicht so ernst nehmen. Bewusst habe ich mir darüber aber bisher kaum Gedanken gemacht. Wenn, war das ein Kampf aus grauer Vorzeit. Mir geht’s jetzt also so ähnlich wie jungen Frauen und Männern, die denken, dass Feminismus heute – wo doch alle gleichberechtigt sind – nicht mehr notwendig ist. Und plötzlich merken, dass das Gegenteil stimmt.
Nochmal zurück zum Punkt: die CDU-Mitgliedschaft – wenn ich jetzt meine Stichprobe mit N=1 verallgemeinern darf -, scheint Demokratie so zu verstehen, dass ein Vorstand gewählt wird, der ein Präsidium wählt, dass eine starke Frau oder einen starken Mann wählt, der dann sagt, wo’s lang geht. Das Prinzip, seine politischen Rechte an der Wahlurne abzugeben, scheint hier also auch innerparteilich verwirklicht zu sein. (Bei der SPD ist es anders: da soll ein starker Mann vorne stehen, was aber meistens nicht klappt; die Programmarbeit wird dagegen an einen Arbeitskreis abgegeben, der technokratisch das richtige und falsche trennt). Zugleich wird es für normal gehalten, dass nur derjenige Einfluss auf das Programm hat, der halt die richtigen informellen Kontakte hat und auf „Abgeordnete“ bzw. „Delegierte“ bzw. „Vorstände“ einwirken kann.
Ist das wirklich so? Ich habe mal in die Satzung der CDU reingeschaut (Statut der CDU Deutschlands) und festgestellt, dass laut §29 (1) der CDU-Bundessatzung der Parteitag „über die Grundlinien der Politik der Christlich Demokratischen Union Deutschlands und das Parteiprogramm“ beschließt, die „für die Arbeit der CDU-Fraktionen und die von der CDU geführten Regierungen in Bund und Ländern verbindlich“ sind. Jetzt mag es sein, dass bei der CDU ein Parteiprogramm, dass für Regierungen verbindlich ist, etwas ganz anderes als ein Regierungsprogramm ist. Trotzdem bleibt bei mir der Eindruck, dass die CDU sich hier über ihre eigenen Regeln der innerparteilichen Demokratie hinwegsetzt – und die Mitglieder das sogar noch gut finden.
Übrigens: dass der Parteitag über das Parteiprogramm beschließt, steht sogar im Parteiengesetz. Während die SPD sich zumindest noch formal an die Regeln hält, ist die CDU unter Merkel schon einen Schritt weiter auf dem Weg zur postmodernen Führungspartei, die als Marke geführt wird, und in der (vielleicht) Personen zählen, aber keine Programme. Autokratie a la Berlusconi, anyone? Insofern ist es auch schon fast egal, was drin steht.
Warum blogge ich das? Auch bei uns Grünen ist nicht alles Gold, was glänzt, wie ich an verschiedener Stelle in diesem Blog immer wieder deutlich gemacht habe. Trotzdem gibt es die formalen Regeln und de informellen Willen, Mitglieder an der demokratischen Willensbildung zu beteiligen. Ja, wir Grüne sehen das sogar als Recht an. Ich erlebe nun, dass das in anderen Parteien ganz anders gehandhabt wird. Ist einerseits spannend, macht aber auch klar, dass jeder halbwegs an mehr als Repräsentation orientierte Mensch diese nicht wählen sollte. Die CDU müsste übrigens, Pointe zum Schluss, auf den Wahlzetteln in Zukunft wohl als _ _ _ geführt werden – besonders christlich ist ihre Politik nicht, wenn ich da Leuten, die sich besser damit auskennen, Glauben schenken darf. Demokratisch? Nö. Und Union, also Zusammenhalt? Selbst das kriegt sie nur bedingt hin.
Update: Nachdem nun auf Twitter und hier in den Kommentaren darauf hingewiesen wurde: vermutlich ist mit „Parteiprogramm“ in der Satzung der CDU das Grundsatzprogramm gemeint, zuletzt beschlossen 2007 in Leipzig, wenn ich richtig informiert bin. Zumindest der Wikipedia-Eintrag zu diesem Begriff stützt diese These. Das ist insofern interessant, als näheres zum Wahlprogramm weder in der Satzung der CDU noch im Parteiengesetz auftaucht. In seiner konkreten politischen Relevanz scheint mir letzteres – also das Wahlprogramm, insbesondere das Bundestagswahlprogramm – generell jedoch weitaus einflussreicher zu sein als das Grundsatzprogramm. Und auch der Wikipedia-Eintrag zum Thema „Wahlprogramm“ stützt die Auffassung, dass es eigentlich üblich ist, dass ein solches von einem Parteitag beschlossen wird. (Nebenbei: lustig ist ja auch, dass SPD und CDU jeweils von Regierungsprogrammen sprechen – bis vor kurzem waren damit die ausgehandelten Koalitionsverträge gemeint).
Noch ein Nachtrag: Sehr schön auf den Punkt bringt die Süddeutsche das neue Format „Kongress“ – also Wahlparteitag ohne Anträge, Reden, Abstimmungen – mit dem Begriff der „Jubelperser“.
Kurz: Verfehlte Tofuwurstkritik
Ich muss nur mal schnell meinen Ärger über den Beitrag von Till Ehrlich aus der Wochenends-taz loswerden. Vorgeblich soll es sich dabei um eine kleine Kulturgeschichte des Soja-Fleischersatzes handeln. Tatsächlich fasst folgender Satz am Schluss das Problem des Artikels gut zusammen:
Doch warum können und wollen Vegetarier nicht auf Fleischgeschmack verzichten? Und weshalb greifen sie wirklich zu Tofu mit Wurstaroma, obwohl sie Fleisch strikt ablehnen?
Diese Fragen implizieren doch zweierlei: das zu einem „richtigen Essen“ eigentlich – zumindest in unserem Kulturkreis – immer auch Fleisch gehört, und alles andere zweite Wahl ist, und dass VegetarierInnen etwas gegen Fleischgeschmack haben müssen.
Hier kapiert jemand nicht, dass die Entscheidung, sich vegetarisch zu ernähren, in den meisten Fällen gesundheitlich oder politisch-ethisch begründet ist – wer vegetarisch isst, tut das, weil es gesünder sein soll, weil die Ökobilanz von Fleisch verheerend ist, oder weil er oder sie es für falsch hält, Tiere zu halten und umzubringen, um sie zu essen. Nur die wenigsten werden wohl aus geschmacklichen Gründen VegetarierInnen. Natürlich entwickelt, wer sich vegetarisch ernährt, eine andere Ästhetik des Essens als jemand, der das nicht tut. Das heißt aber noch lange nicht, dass es einem Vegetarier oder einer Vegetarierin unmöglich ist, mit Genuß, gebratene oder gegrillte Produkte aus Tofu oder Seitan zu essen, die das Aroma von Fleisch zitieren. Wer so etwas suggeriert (um damit letztlich seine kulinarische Abscheu vor „westlichem“ Tofu zu untermauern), macht was falsch – Spitzenkoch hin oder her.