Experimenteller Technikoptimismus – Update 2016

Deep Dream Dreamscope
Deep Dream Dream­scope, Jes­si­ca Mullen, Public Domain

Vor einem Jahr schrieb ich eine kur­ze Aus­ein­an­der­set­zung mit einem Arti­kel, den Judith Hor­chert, Mat­thi­as Kremp und Chris­ti­an Stö­cker damals bei Spie­gel online ver­öf­fent­licht hat­ten. In dem Arti­kel sind fünf Pro­gno­sen dazu zu fin­den, wel­che Tech­no­lo­gien in naher Zukunft unse­ren All­tag ver­än­dern wer­den. Ich fand das damals alles arg unwahr­schein­lich, und hat­te ver­spro­chen, ein Jahr spä­ter (usw.) nach­zu­schau­en, wie es denn jeweils um den Stand der Tech­nik steht. Mit ein paar Tagen Ver­spä­tung hier nun mein ers­ter Blick auf den Stand der Dinge.

The­men­feld eins bei Hor­chert et al. war die Robo­tik. Dazu schrie­ben sie: „Künf­tig aber dürf­ten Maschi­nen, die schein­bar auto­nom einem oder gleich meh­re­ren Zwe­cken die­nen, sich zuneh­mend in unse­rem All­tag breit­ma­chen. Als schwei­gen­de Hel­fer in Kran­ken­häu­sern, als Lager­ar­bei­ter im Couch­tisch-For­mat oder als Ein­park­hel­fer. Vom Staub­sauger, Fens­ter­put­zer, über Lie­fer­droh­nen bis hin zu huma­no­iden Maschi­nen wie Bax­ter, die in Fabrik­be­trie­ben diver­se Auf­ga­ben übernehmen.“

In mei­nem All­tag sind noch kei­ne auto­no­men Robo­ter auf­ge­taucht. Aber ich gebe zu, dass Staub­sauge­ro­bo­ter und Droh­nen in den letz­ten zwölf Mona­ten an Selbst­ver­ständ­lich­keit gewon­nen haben. Und Fil­me wie „Ex Machi­na“ brach­ten im letz­ten Jahr die Aus­ein­an­der­set­zung um nicht­mensch­li­che, men­schen­ähn­li­che Maschi­nen auch in die Populärkultur.

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Im Herbst 2015 gelesen – Teil II

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Eini­ge weni­ge der Bücher, die unten bespro­chen wer­den – viel liegt auf der Kind­le-App, ande­res steht schon im Regal …

Heu­te set­ze ich dann mei­nen von eini­gen Wochen gepos­te­ten Über­blick dar­über fort, was ich seit dem Som­mer 2015 gele­sen habe.

* * *

Nach­dem ich mit Among others die Autorin Jo Walt­on für mich ent­deckt hat­te, las ich mich wei­ter durch ihr Werk. Tooth and claw (2003), ein Jane-Aus­ten-Fami­li­en­dra­ma, nur mit Dra­chen, war nicht so ganz meines.

Begeis­tert hat mich My real child­ren (2014) – die fik­ti­ve Dop­pel­bio­gra­phie einer in den 1920er Jah­ren gebo­re­nen Eng­län­de­rin, Patri­cia Cowan – zwei sich über­la­gern­de Rück­blen­den über zwei erfüll­te Leben, die in den 1940er Jah­ren an einem Bif­ur­ka­ti­ons­punkt aus­ein­an­der­lau­fen und sich ganz unter­schied­lich ent­wi­ckeln. Wenn My real child­ren in ein Gen­re gepackt wer­den müss­te, wäre es der his­to­ri­sche Was-wäre-wenn-Roman, aller­dings hier aus der Per­spek­ti­ve von unten. Ob Ken­ne­dy ermor­det wird oder nicht, fin­det nur im Hin­ter­grund statt. Im Vor­der­grund zeich­net Walt­on den Weg Patri­cia Cowans zur gefei­er­ten Rei­se­füh­rer-Autorin, die in einem zuneh­mend geein­ten Euro­pa mit ihrer Part­ne­rin und ihren Kin­dern zwi­schen Flo­renz und Groß­bri­tan­ni­en lebt, – und den Weg von Patri­cia Cowan, die nach einer unglück­li­chen Ehe zur loka­len Akti­vis­tin für Frie­den, Frau­en­rech­te und den Erhalt des his­to­ri­schen Stadt­kerns wird. Oder anders gesagt: ein Buch über die Ungleich­zei­tig­kei­ten des 20. Jahr­hun­derts aus bio­gra­phi­scher Per­spek­ti­ve. (Lei­der gibt es kei­ne deut­sche Über­set­zung – ich könn­te mir vor­stel­len, dass das Buch auch außer­halb des Gen­res Anklang fin­den könnte …)

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Kurz: Endspiel im Kampf um die Zukunft der Erde

Wie über Kli­ma­wan­del reden? Das Sci­ence-Fic­tion-Maga­zin io9 stellt eine Arti­kel­se­rie zum in Paris unter die Über­schrift „Future Earth“ und spricht von der Woche, in der die Zukunft der Erde ent­schie­den wird. 

Ich bin hin- und her­ge­ris­sen, ob ich die­ses „Framing“ gut fin­de oder nicht. Die (bedroh­te) Erde als Sym­bol des pla­ne­ta­ren Umwelt­schutz­ge­dan­kes  so neu nicht – von den Apol­lo-Bil­dern über Buck­mi­nis­ter Ful­lers Space­ship Earth und den „Ear­th­day“ bis zur aktu­el­len grü­nen Kam­pa­gne „Es gibt kei­nen Pla­net B“ (Pla­ne­ten, Leu­te!). Und abge­se­hen von der Nicke­lig­keit, dass es dem Pla­ne­ten Erde reich­lich egal ist, wie die Kli­ma­ver­hält­nis­se sich gestal­ten, Erde hier also syn­onym für „Mensch und Umwelt“ steht, eine glo­bal gedach­te Mensch­heit und der Sta­tus quo der ter­res­tri­schen Öko­sys­te­me, ist die Aus­sa­ge ja durch­aus rich­tig: Es geht jetzt dar­um, die poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen zu tref­fen, die aus­schlag­ge­bend dafür sind, wie bewohn­bar die­ser Pla­net in 30, 60, 90 Jah­ren sein wird. Es geht um unse­re kon­kre­te Zukunft als Erdbewohner*innen.

Aber trotz­dem: Kampf um die Zukunft der Erde klingt nach schlech­ter Sci­ence Fic­tion. Und schlim­mer noch: das Pro­blem des mensch­ge­mach­ten Kli­ma­wan­dels mit all sei­nen Kon­se­quen­zen wird durch den Bezugs­punkt Erde so groß, dass es fast unlös­bar erscheint – betrifft uns alle, aber ich als Ein­zel­per­son, Haus­halt, Stadt, Bun­des­land, Staat, Kon­ti­nent kann eh nichts tun, solan­ge nicht … Wie also über Kli­ma­wan­del reden, ohne zu beschö­ni­gen, und ohne durch Alar­mis­mus Untä­tig­keit zu produzieren?

Photo of the week: Particle field

Particle field

 
Nach­dem mir bis­her noch kein über­grei­fen­des Fazit zur heu­ti­gen Ver­an­stal­tung zur Zukunft Par­tei­en­de­mo­kra­tie ein­ge­fal­len ist, doch lie­ber erst ein­mal das Foto der Woche – hier zu sehen ein Aus­schnitt aus der inter­ak­ti­ven Instal­la­ti­on Time of Dou­bles der Künst­ler­grup­pe Arti­fi­ci­al Natu­re. Ein klei­ner Teil der ZKM-GLO­BA­LE-Aus­tel­lung Exo-Evo­lu­ti­on in Karls­ru­he, die sich künst­le­risch mit Zukünf­ten, Wis­sen­schaft, der Anpas­sung an künf­ti­ge Natu­ren und neu­en alten tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten aus­ein­an­der­setzt. Ich war mit mei­nen Kin­dern da, und auch wenn eini­ge Kunst­wer­ke eher gru­se­lig und nicht unbe­dingt kind­ge­recht sind (und zumin­dest anfangs ein „Nicht anfas­sen!“ mein stän­di­ger Ruf war) gab es doch eini­ges, was die bei­den sehr span­nend fan­den. Inklu­si­ve ers­ter Schrit­te in die vir­tu­el­le Rea­li­tät. Inso­fern trotz ande­rer Ziel­grup­pe auch was für Schul­kin­der unter elter­li­cher Beglei­tung – Z. woll­te es übri­gens par­tout nicht als Kunst‑, son­dern als Wis­sen­schafts­aus­stel­lung sehen. So hat jede ande­re Schwer­punk­te und Inter­pre­ta­tio­nen. (Mir haben es ja beson­ders die mobi­len auto­no­men Topf­pflan­zen angetan).

Kurz: Science Fiction weiterhin weltoffen

Im April schrieb ich über den Kul­tur­kampf um das ima­gi­nä­re Land – den Ver­such diver­ser Rechts­au­ßen­grup­pie­run­gen („Sad Pup­pies“, „Rabid Pup­pies“), das Sci­ence-Fic­tion-Fan­dom zu über­neh­men, und ins­be­son­de­re die „Hugo Awards“ für sich zu erobern. Dazu wur­den gesam­melt Stim­men für die Nomi­nie­run­gen für die­se Prei­se abge­ge­ben (um die 200 Stim­men reich­ten oft schon, um auf die vor­de­ren Plät­ze zu kom­men), so dass in vie­len Preis­ka­te­go­rien nur oder fast nur Ver­tre­te­rIn­nen der „Pup­pies“ zur Wahl stan­den. Seit­dem ist eini­ges pas­siert. Es wur­de mobi­li­siert, eini­ge von den „Pup­pies“ Nomi­nier­te woll­ten damit nichts zu tun haben, und zogen zurück, ande­re Vor­schlä­ge waren aus for­ma­len Grün­den nicht wähl­bar. Trotz­dem domi­nier­ten bei den Nomi­nie­run­gen in vie­len Kate­go­rien zunächst die „Puppy“-Nennungen.

Ges­tern abend (Orts­zeit) wur­den nun auf der World­Con die Ergeb­nis­se bekannt­ge­ge­ben. Und es zeigt sich: die über­wäl­ti­gen­de Mehr­heit der knapp 6000 abstim­men­den SF-Fans begeis­tert sich für gut erzähl­te Sci­ence Fic­tion und ist dabei welt­of­fen und libe­ral. Nur etwa 10 % der Stim­men [ande­re Quel­len sagen: max. ein Drit­tel …] kamen von Anhän­ge­rIn­nen der „Pup­pies“. Letzt­lich konn­te sich in kei­ner Kate­go­rie ein ori­gi­nä­rer „Puppy“-Vorschlag durch­set­zen. Dafür wur­de fünf­mal – so oft wie nie zuvor – „No Award“ (kein Preis) auf Platz 1 gewählt, der Hugo in der jewei­li­gen Kate­go­rie also nicht ver­ge­ben. Beim bes­ten Roman hat Liu Cixins The Three-Body Pro­blem knapp vor Kathe­rin Addi­sons The Goblin Emper­or gewon­nen – 200 Stim­men Unter­schied. Bei­des sind auf jeden Fall lesens­wert und zei­gen die gan­ze Band­brei­te zeit­ge­nös­si­scher Sci­ence Fic­tion & Fan­ta­sy; ein leben­di­ges Genre! 

Ins­ge­samt ist die dies­jäh­ri­ge Hugo-Ver­lei­hung glimpf­lich* aus­ge­gan­gen. Ich rech­ne damit, dass die „Pup­pies“ sich nicht davon abhal­ten las­sen, auch im nächs­ten Jahr zu ver­su­chen, „ihre“ Cham­pi­ons kon­zer­tiert zu nomi­nie­ren. Gleich­zei­tig gehe ich davon aus, dass der Nomi­nie­rungs­pro­zess grö­ße­re Auf­merk­sam­keit als bis­her erfah­ren wird. 2014 haben sich in den gro­ßen Kate­go­rien knapp 2000 Per­so­nen dar­an betei­ligt, bei klei­ne­ren („Best Fan Wri­ter“ etc.) waren es eini­ge Hun­dert. Die­se Zah­len dürf­ten zuneh­men; ich gehe auch davon aus, dass es regel­rech­te „Nomi­nie­rungs­kam­pa­gnen“ geben wird, um den einen oder ande­ren guten Roman oder die eine oder ande­re gute SF-Geschich­te auf den Hugo-Stimm­zet­tel zu brin­gen – sofern das Nomi­nie­rungs­ver­fah­ren nicht geän­dert wird. Neben­bei zei­gen die Hugos, dass ein Prä­fe­renz­wahl­ver­fah­ren gut funk­tio­nie­ren kann.

* Glimpf­lich, weil ohne die Pup­py-Kam­pa­gne eine gan­ze Rei­he span­nen­der Leu­te und Geschich­ten zur Abstim­mung gestan­den wären.

P.S.: WIRED berich­tet in einer aus­führ­li­chen Repor­ta­ge über die gan­ze Sache.