Wenn sie später danach gefragt wurde, wie alles angefangen hatte, rückte Rita Klein erst zu fortgeschrittener Stunde damit heraus, wenn überhaupt. Es war der Kunsthistorikerin zugegebenermaßen peinlich, dass sie damals, zu Anfang des Jahres 2012, den Beginn der Epidemie fast verpasst hatte. Wer sie nach dem dritten oder vierten Glas Rotwein danach fragt, konnte dagegen erfahren, dass es einer der hippen jungen Institutsassistenten gewesen war, mit standesgemäßer schwarzer Hornbrille, der ihr den Ausdruck einer Internetseite in die Hand gedrückt hatte.
Kurz: A young lady’s primer
Ich muss vom Smartphone bloggen – Z. blockiert den Computer. Sie schreibt Buchstabe für Buchstabe Buchtitel ab (und ist mächtig stolz darauf). Alle paar Minuten fragt sie mich, weil sie einen bestimmten Buchstaben nicht findet. Noch fehlt auch eine Verbindung zwischen den Formen und dem, was diese Buchstaben jeweils lautlich bedeuten.
Hier würde ich ihr gerne mein Smartphone (oder besser noch ein Tablet) in die Hand drücken. Ich glaube, ihre aktuelle Neugierde auf Buchstaben und Wörter würde sie dazu bringen, sehr schnell von symbolischen Formen zu Lautrepräsentationen zu kommen. Gerade, um diese arbiträren Verbindungen herzustellen, wäre die prinzipiell kinderleichte und multimediale Oberfläche eines Smartphones das ideale Medium.
Nur: Zumindest ein erstes Durchblättern des Android-Market lässt mich nichts dergleichen finden, schon gar nicht in Deutsch. In Neal Stephensons Diamond Age taucht so ein – wir würden heute wohl Tablet dazu sagen – auf: eine vernetzte Künstliche Intelligenz im handlichen Format, die der kindlichen Heldin des Buchs Weltwissen und Kulturtechniken vermittelt (und mit dem Kind wächst). Fürs erste würde mir ja sowas wie eine freundlich „anlautende“ virtuelle Tastatur reichen. Gibt es aber nicht, oder?
In der Buchhandlung
Seit fast einem Jahr war da noch dieser Gutschein über 25 Euro, den ich geschenkt bekommen hatte, und den ich in der großen Buchhandlung hier vor Ort einlösen konnte.
Eigentlich eine gute Sache, so ein Gutschein: Ich lese ziemlich viel; die letzten Bücher, die ich zur Unterhaltung gelesen habe, können hier besichtigt werden. Dann habe ich – darauf werde ich gleich noch zurückkommen – manchmal ziemlich spezielle Vorstellungen davon, was ich gerne lese. Insofern: Gute Idee, einen Gutschein statt ein Buch zu verschenken, das mir vielleicht letztlich doch nicht gefallen hätte.
Dass der Gutschein noch immer uneingelöst von mir hierher und dorther geschleppt wurde, hatte wohl etwas damit zu tun, dass ich seltener in die Innenstadt kam. Aber, das muss ich zugeben, die Tatsache, dass ich den ganz überwiegenden Teil meiner Bucheinkäufe seit einigen Jahren über ein großes Internetversandhandelsunternehmen abwickle – auch diese Tatsache wird dazu beigetragen haben, dass der Gutschein so lange uneingelöst blieb. Kurzum: Erst heute hatte ich die Zeit und die Muße, mich in die große Buchhandlung im Stadtzentrum zu begeben, um das Geschenk endlich aus dem Virtuellen ins Reale zu verwandeln.
Ausblick: So wird 2012
Januar 2012: Trotz Kredit- und Anrufbeantworteraffäre bleibt Christian Wulff vorerst weiter Bundespräsident. Die internen Verhandlungen zwischen BILD und CDU um die Nachfolge laufen jedoch an.
Februar 2012: Twitter, Facebook, einerlei: der Schalttag bringt einiges durcheinander und wird zum letzten Auslöser dafür, dass RLing („real life social networking“) trendet. Formerly known as Kaffeeklatsch.
März 2012: Nach Kredit‑, Anrufbeantworter- und Bratwurstaffäre und mit Blick auf die demnächst schwierigeren Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung beschließen CDU und BILD, dass das Fass jetzt voll ist und Christian Wulff zurücktreten muss. Nachfolgerin in der kurzfristig terminierten Bundesversammlung wird aus Effizienzgründen kurzerhand Angela Merkel, die vorerst jedoch Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende bleibt.
Zukunfts-Apps
Die Zukunft ist da, sie ist nur ungleich verteilt – so ungefähr hat der Autor William Gibson das mal ausgedrückt. Und auch wenn das Zitat schon ein paar Jahre alt ist, hat er immer noch und umso mehr recht. (Nebenbei: Netzpolitik.org weist darauf hin, dass darüber abgestimmt werden kann, welche Teil der Zukunft wann (und wo?) auftauchen sollen …). Bei mir ist mit meinem neuen Smartphone (ich hatte darüber berichtet …) ein gehöriges Stück Zukunft angekommen. Die Kombination aus orts- und bewegungssensiblem Gerät, Videokamera und schnellem Prozessor macht in der Tat einige Dinge möglich, die sich noch sehr nach Science Fiction anfühlen.
Und ich rede dabei jetzt nicht über Internet, Fernsehen und Landkarten „in der Hand“, sondern über Apps, die Mobiltelefon und Umgebung verknüpfen. Dass das ein großer Trend ist, war mir theoretisch klar – samt schöner Stichworte wie „Augmented Reality“ oder „ubiquitous computing“. Aber es fühlt sich halt, wenn diese Dinge in der Hand liegen, doch noch einmal ganz anders an.
Drei (kostenlose, d.h. zumeist werbefinanzierte) Beispiele für solche Zukunfts-Apps:
1. GeoGoogle ist ein Tool, das die Magnetdaten, GPS-Daten und Neigungsdaten des Handys auswertet und über eine Liveaufnahme der Umgebung drüberlegt. Kurz: GeoGoogle macht Himmelsrichtungen und geographische Koordinaten interaktiv sichtbar und blendet diese in die Welt ein. (Ähnlich übrigens auch der Navi-Modus von Google Maps)
2. Augmented Piano Reality ist eher eine Spielerei, zeigt aber als Konzept, was noch möglich ist. Eine auf Papier aufgemalte Klaviatur wird von der Kamera des Smartphones aufgenommen, und nachdem dieses einigermaßen fixiert ist, und das Papier richtig liegt, klappt dann das kleine Wunder: Die aufgemalten Tasten lassen sich spielen – automagisch ertönt die entsprechende Note.
3. barcoo ist ein Barcode-Scanner. Davon gibt es einige. Was diesen hier besonders macht, ist die gelungene Verknüpfung mit einer Produkt- und Bewertungsdatenbank, die barcoo tatsächlich zu einem „Nachhaltigkeitstool“ machen, wie ich das mal genannt habe: Einfach mit dem Smartphone einen Barcode einscannen, und kurz darauf erscheinen Produktname, üblicher Preis, Öko-Bewertungen aus verschiedenen Datenbanken sowie Kommentare von NutzerInnen, die sich dann ebenfalls auf dem Smartphone eintragen und ergänzen lassen.
Warum blogge ich das? Weil’s noch ein bisschen „wow“ für mich ist. Und auch wenn ich mir noch nicht so sicher bin, was ich mit Apps wie diesen tatsächlich anfange, machen sie auf jeden Fall auf sehr handfeste Weise begreiflich, dass ein Smartphone in nahezu idealer Weise eine Schnittstelle zwischen „Realraum“ und Netz darstellt. Und das finde ich auf ganz unterschiedlichen Ebenen spannend.