Kurz: Nudgende Apps

Es fing vor ein­ein­halb Jah­ren damit an, dass unse­re Dienst­han­dys auf Gerä­te von Apple umge­stellt wur­den, Sicher­heits­grün­de. Seri­en­mä­ßig läuft auf Apple-Han­dys „Health“ – und die­se App zählt unent­wegt Schrit­te, Höhen­un­ter­schie­de, usw. – solan­ge das Han­dy dabei ist – und kann auch alle mög­li­chen ande­ren Daten anzei­gen. Eigent­lich soll­te das kei­nen gro­ßen Unter­schied machen, aber zu wis­sen, dass da eine App mit­zählt, und die Mög­lich­keit zu haben, jeder­zeit nach­zu­schau­en, wie vie­le Schrit­te es waren; das macht tat­säch­lich etwas mit einem. Mit mir jeden­falls. Bei­spiels­wei­se hat­te ich durch den Weg zum Bahn­hof und vom Bahn­hof zum Büro in den regu­lä­ren Arbeits­wo­chen eini­ge Tage mit vie­len Schrit­ten, und an den Home­of­fice-Tagen nur etwa halb so vie­le Schrit­te. Mit Beginn der Coro­na-Maß­nah­men sank mei­ne durch­schnitt­li­che monat­li­che Schritt­zahl damit deut­lich, was dazu führ­te, dass ich mir sag­te, dass ich doch durch Spa­zier­gän­ge etc. zumin­dest den weg­fal­len­den Arbeits­weg erset­zen soll­te. Und jetzt spielt das Han­dy schlech­tes Gewis­sen, weil die Zahl für die­se Woche eben doch noch nicht ganz erreicht ist.

Aber „Health“ kann nicht nur Schrit­te zäh­len. In Ver­bin­dung mit ande­ren Apps zählt „Health“ auch, wie vie­le Kilo­me­ter Rad ich gefah­ren bin, wie viel Was­ser ich getrun­ken habe und wie vie­le Kalo­rien ich zu mir genom­men habe – letz­te­res seit etwa ein­ein­halb Mona­ten und dem Vor­satz, mal etwas mehr auf mein Gewicht zu ach­ten. Und da ist es die blo­ße Tat­sa­che, dass ich jedes Nah­rungs­mit­tel in der App nach­schla­gen und ein­ge­ben muss (mit teils recht gro­ben Men­gen­schät­zun­gen – ist ein Pfir­sich wirk­lich 125 g schwer – mehr – weni­ger?), die mein Ver­hal­ten beein­flusst. Essen wird dadurch kom­pli­zier­ter. Mal eben neben­bei eine hal­be Tafel Scho­ko­la­de essen oder die Res­te der Sah­ne­so­ße auch noch – das wür­de ja bedeu­ten, die App (noch­mal) auf­ru­fen und das ein­ge­ben zu müs­sen. Inso­fern esse ich kon­trol­lier­ter. Ob das im End­ef­fekt was hilft, bleibt abzuwarten.

Span­nend fin­de ich es alle­mal, dass ein Smart­phone (bzw. eine App) tat­säch­lich auf die­se Art und Wei­se eine geziel­te Wir­kung auf mein Ver­hal­ten haben kann. Letzt­lich scheint es sich mir um eine Umset­zung von „Nud­ging“ zu han­deln – also der Ver­such, durch Hin­wei­se und klei­ne Schub­ser Ver­hal­ten (zum Bes­se­ren) zu ver­än­dern. Strei­ten lie­ße sich aller­dings dar­über, wer hier der Anschub­ser ist – Apple, weil „Health“ so wun­der­bar mit­zählt und ein­fach von Anfang an läuft, wenn ein iPho­ne ver­wen­det wird, oder ich selbst, weil ich die­se Apps nut­ze und mich davon beein­flus­sen lasse(n will). Ach ja – und die „Coro­na Warn App“? Die gehört auch dazu, glau­be ich. Da ist es aller­dings nicht Apple, son­dern der Staat, der schubst.

Nicht ablenken: die Klimakrise kann nur politisch gelöst werden

Frankfurt to Boston - IV
Oft sind Twit­ter­de­bat­ten furcht­bar, aber manch­mal sind sie tat­säch­lich fruchtbar. 

Aber ich fan­ge noch mal anders an. Neh­men wir an, ein Land hät­te sich vor­ge­nom­men, den Mond zu errei­chen. Ein mil­li­ar­den­teu­res Vor­ha­ben. Es muss eine ent­spre­chen­de For­schungs­land­schaft und Indus­trie auf­ge­baut wer­den. Astronaut*innen müs­sen gefun­den und trai­niert wer­den. Und so wei­ter. In die­sem Land aber ist das anders. Es gibt eine brei­te öffent­li­che Debat­te dar­über, wie wich­tig es sei, den Mond zu errei­chen. Und des­we­gen wür­den alle Bürger*innen ab sofort dazu auf­ge­ru­fen, Lei­tern auf ihren Haus­dä­chern zu befes­ti­gen, ger­ne auch hohe. Jedes biss­chen hilft! Wer Astronaut*in wer­den will, soll­te selbst­ver­ständ­lich auf die höchs­te Lei­ter auf dem höchs­ten Haus klettern.

Der Ver­gleich hinkt. Trotz­dem hilft er. In gewis­ser Wei­se ist die Lösung der Kli­ma­kri­se ein Moonshot-Pro­jekt. Alles muss sich dar­auf aus­rich­ten, Treib­haus­gas­emis­sio­nen zu redu­zie­ren und Sen­ken zu schaf­fen (also zum Bei­spiel Bäu­me zu pflan­zen). Ein rele­van­ter Teil der öffent­li­chen Debat­te beschäf­tigt sich damit, was jede und jeder selbst tun kann. Vege­ta­ri­sche Ernäh­rung. Eine auto­freie Mobi­li­tät. Kei­ne Flüge. 

„Nicht ablen­ken: die Kli­ma­kri­se kann nur poli­tisch gelöst wer­den“ weiterlesen

Zur Erinnerung an Baldo Blinkert

Am 26. Novem­ber 2017 ist der Frei­bur­ger Sozio­lo­ge Bal­do Blin­kert gestor­ben. Da ich, wie Gene­ra­tio­nen Frei­bur­ger Sozio­lo­gie­stu­die­ren­der, viel von ihm gelernt habe, und ihn durch­aus als prä­gen­den Ein­fluss sehe, will ich doch ein paar Wor­te zur Erin­ne­rung in mein Blog setzen.

Ers­tens war Blin­kert der­je­ni­ge, der am immer eher klei­nen Frei­bur­ger Insti­tut für Sozio­lo­gie – und am FIFAS, sei­nem For­schungs­in­sti­tut – die sozi­al­wis­sen­schaft­li­che Metho­den­aus­bil­dung ver­kör­per­te, ins­be­son­de­re mit Blick auf fort­ge­schrit­te­ne­re Sta­tis­tik. Lei­se und beharr­lich erklär­te er uns Alpha- und Beta-Feh­ler, Regres­sio­nen und Varianztests. 

Zwei­tens war Blin­kert für mich die Ver­kör­pe­rung des aka­de­mi­schen Mit­tel­baus. Lan­ge, lan­ge Jah­re wirk­te er als „aka­de­mi­scher Ober­rat“, erst spät wur­de er zum außer­plan­mä­ßi­gen Pro­fes­sor. Ein­ge­bracht hat er sich, so jeden­falls die dama­li­ge stu­den­ti­sche Per­spek­ti­ve, nicht mehr oder weni­ger als die „ordent­li­chen“ Professor*innen. Auch dar­an lie­ße sich viel über das aka­de­mi­sche Berufs­feld erläutern.

Drit­tens und am wich­tigs­ten für das Bild von Blin­kert, wie es in mei­ner Erin­ne­rung bleibt: im Win­ter­se­mes­ter 1998 besuch­te ich bei ihm ein Semi­nar zur Stadt­so­zio­lo­gie, genau­er gesagt: zur Kri­se der Stadt­ent­wick­lung. Da ging es um Glo­ba­li­sie­rung, for­dis­ti­sche und post­for­dis­ti­sche Theo­rien der Stadt und ähn­li­ches mehr. Das war nicht nur inhalt­lich span­nend, son­dern auch des­we­gen inter­es­sant, weil zum Semi­nar Rad­tou­ren in ver­schie­de­ne Frei­bur­ger Stadt­tei­le gehör­ten – Sozio­lo­gie mit direk­ter Erkun­dung des Ver­suchs­ge­gen­stands wirk­li­che Welt, sozusagen.

Wäh­rend der Blin­kert der Metho­den­se­mi­nar tro­cken und manch­mal auch schwer ver­ständ­lich sein konn­te, lern­te ich hier einen enga­gier­ten Sozio­lo­gen ken­nen, bei dem deut­lich wur­de, dass sta­tis­ti­sche Metho­den kein Selbst­zweck sind, son­dern immer das Ziel haben, sich einem Gegen­stand zu nähe­ren und im bes­ten Fall die Per­spek­ti­ve der Betrof­fe­nen sicht­bar zu machen.

Auch über das sozio­lo­gi­sche Semi­nar hin­aus wirk­te Blin­kert in die Stadt hin­ein: mit der Kin­der­stu­die, die Frei- und Bewe­gungs­räu­me von Kin­dern ins Sicht­feld der Stadt gezo­gen hat, und direkt auf die Gestal­tung Frei­burgs Wir­kung zeig­te, mit der jah­re­lan­gen Erstel­lung des Miet­spie­gels, und immer wie­der als Stim­me in Dis­kus­sio­nen und Gesprächsrunden. 

Die­se Stim­me – lei­se und beharr­lich, enga­giert und zugleich beschei­den – ist jetzt ver­stummt. Aber etwas bleibt davon. Bei vie­len, die in Frei­burg stu­diert haben, und auch in der Stadt selbst.

Nach­ruf Ste­fan Kaufmann/Institut für Soziologie
Nach­ruf Tho­mas Goebel/Badische Zeitung

Kurz: AfD, Klimawandel und der „Hexenhammer“

Es liegt mir fern, die AfD zu ver­tei­di­gen. Aber man­che unter­stel­len ihr die fal­sche Sor­te von Dumm­heit. Dazu gehört die jour­na­lis­ti­sche Bericht­erstat­tung zu dem klei­nen Eklat, den es ges­tern um eine Rede des AfD-Abge­ord­ne­ten Podes­wa gab. Die AfD ist ja bekann­ter­ma­ßen davon über­zeugt, dass es kei­nen mensch­ge­mach­ten Kli­ma­wan­del gibt, son­dern wir es mit einem Natur­phä­no­men zu tun haben. Die­se Form von Kli­ma­skep­sis ist in bestimm­ten Krei­sen viru­lent; dort gilt dann der wis­sen­schaft­li­che Kon­sens über den Kli­ma­wan­del als unse­ri­ös und dar­aus abge­lei­te­tes Han­deln als ideo­lo­gisch. Dass auch von halb­wegs klu­gen Men­schen so gedacht wer­den kann, ist bedau­er­lich, aber nicht unge­wöhn­lich – das nach­zu­voll­zie­hen, ist sozu­sa­gen ange­wand­te Wissenssoziologie.

Der Phy­si­ker Podes­wa gehört zu die­sen Krei­sen. In sei­nem Rede­bei­trag – ich hat­te das im Stream ver­folgt – in der gest­ri­gen Aktu­el­len Debat­te zum Kli­ma­wan­del ver­such­te er zunächst, die dazu vor­lie­gen­den Daten in Zwei­fel zu zie­hen (übri­gens hat er das recht geschickt gemacht, mit einer Mischung aus Tat­sa­chen, Fehl­in­ter­pre­ta­tio­nen und dum­men Zeugs). Dann kam er auf die – aus sei­ner Sicht unsin­ni­gen und volks­wirt­schaft­lich schäd­li­chen – Maß­nah­men zur Bekämp­fung des Kli­ma­wan­dels zu spre­chen und zog Par­al­le­len zu einer Ver­gan­gen­heit, in der schon ein­mal ein Buch aus Baden-Würt­tem­berg in einer kli­ma­tisch pro­ble­ma­ti­schen Epi­so­de (der „klei­nen Eis­zeit“) mit Rezep­ten gegen Miss­ern­ten und für ein bes­se­res Kli­ma in ganz Euro­pa kopiert wor­den war. Podes­was Auf­lö­sung: der „Hexen­ham­mer“, also eines der Stan­dard­wer­ke aus der Zeit der Hexen­ver­fol­gung, sei die­ses Buch gewe­sen. Und – in gewis­sen Krei­sen nahe­lie­gend – ähn­lich unauf­ge­klärt und unwis­sen­schaft­lich wie die dama­li­ge Emp­feh­lung, Hexen zu ver­bren­nen, sei­en die heu­ti­gen Emp­feh­lun­gen, Wind­rä­der auf­zu­stel­len und so weiter. 

In der dpa-Bericht­erstat­tung dar­über wur­de dar­aus die Inter­pre­ta­ti­on, Podes­wa emp­feh­le, Hexen gegen den Kli­ma­wan­del zu ver­bren­nen. Auch ande­re, auch im Land­tag, haben wohl den Kon­text igno­riert und damit des­sen Anspie­lung und die damit ver­bun­de­ne iro­ni­sche Sprech­wei­se nicht ver­stan­den, son­dern sei­ne Sät­ze für bare Mün­ze genom­men. (Sie­he auch Ste­fan Nig­ge­mei­er, der das im Detail auf­ar­bei­tet). Jeden­falls ver­brei­te sich über diver­se dpa-Schleu­dern die Mel­dung sehr schnell. Erst heu­te kam dann die aus­führ­li­che Rich­tig­stel­lung der dpa. 

Ich fin­de die­se Fehl­in­ter­pre­ta­ti­on aus meh­re­ren Grün­den bedau­er­lich. Ers­tens kann die AfD sich damit bequem als „Opfer“ der „Kar­tell­par­tei­en“ und der „Lügen­pres­se“ dar­stel­len. Zwei­tens zeig­te die Rede Podes­was auch ohne die Hexen­ham­mer-Auf­re­gung sehr schön, in was für einem geschlos­se­nen Welt­bild, in dem Fak­ten ganz anders gedeu­tet wer­den, sich die AfD bewegt – denn aus Sicht des wis­sen­schaft­li­chen Kon­sen­ses hat er sehr gro­ßen Unsinn dar­über erzählt, wie das Welt­kli­ma funk­tio­niert. Und drit­tens über­schat­te­te die – inso­fern viel­leicht gewoll­te – Pro­vo­ka­ti­on die übri­ge Bericht­erstat­tung, nicht nur zur Aktu­el­len Debat­te, son­dern auch zu The­men wie der Ver­fol­gung von Wissenschaftler*innen in der Tür­kei (TOP 5 der gest­ri­gen Sit­zung, abge­se­hen von der AfD gro­ße Einig­keit, das Baden-Würt­tem­berg hier aktiv wer­den muss, Lob für den Fonds für ver­folg­te Wissenschaftler*innen der BW-Stif­tung – aber eben kein Wort dar­über in der Presse). 

Zur Kategorie ‚Umgang mit Natur‘

Manch­mal haben auch zwölf Jah­re alte Tex­te noch eine gewis­se Rele­vanz. Heu­te erreich­te mich eine Mail, ob ich denn wohl zu einem 2005 gehal­te­nen Vor­trag ein Manu­skript hät­te. Habe ich, und das zum Anlass genom­men, die­ses Manu­skript mit einer gewis­sen Ver­spä­tung heu­te in mein Blog zu stel­len. Es han­delt sich dabei um den Vor­trag Zur Kate­go­rie ‚Umgang mit Natur’. Wie kann Pra­xis­theo­rie zum Ver­ständ­nis des Natur/­Ge­sell­schafts-Ver­hält­nis­ses bei­tra­gen?, den ich auf der 2. Tagung der Nach­wuchs­grup­pe Umwelt­so­zio­lo­gie in Düs­sel­dorf vom 7.–9. April 2005 gehal­ten habe. Die damals ange­dach­te Ver­öf­fent­li­chung wur­de nicht wei­ter­ver­folgt, und auch die Funk­ti­on, Denk­an­stoß, Stein­bruch und Mate­ri­al für das eige­ne Pro­mo­ti­ons­vor­ha­ben dar­zu­stel­len, hat sich mit dem Abbruch des­sel­ben erledigt. 

Inso­fern: wer wis­sen möch­te, wel­che Gedan­ken ich mir 2005 zum Ver­hält­nis von Pra­xis­theo­rie, Umwelt und Natur gemacht habe, fin­det nun hier das Manuskript 

„Zur Kate­go­rie ‚Umgang mit Natur’. Wie kann Pra­xis­theo­rie zum Ver­ständ­nis des Natur/­Ge­sell­schafts-Ver­hält­nis­ses bei­tra­gen?“.

Bes­ser als auf der Fest­plat­te zu ver­stau­ben, ist das allemal …