Soziologische Solidarität

Nicht nur, dass in der neus­ten Aus­ga­be der Fach­ver­bands­zeit­schrift Sozio­lo­gie (4/2007) ein Auf­satz zur „Wider­stän­dig­keit der Theo­rie“ publi­ziert ist, nicht nur, dass eben­dort Hans-Georg Soeff­ner in sei­nem Schrei­ben als neu­er DGS-Vor­sit­zen­der auf die Not­wen­dig­keit zum recht­zei­ti­gen Kampf gegen Insti­tuts­schlie­ßun­gen hin­weist – nein, in der­sel­ben Aus­ga­be fin­den sich auf fünf Sei­ten auch Soli­da­ri­täts­er­klä­run­gen und Stel­lung­nah­men zum Fall Andrej. H.

Hart­mut Häu­ßer­mann erläu­tert den Fall; Deut­sche Gesell­schaft für Sozio­lo­gie (DGS), Wis­sen­schafts­zen­trum Ber­lin (WZB) und das Kul­tur­wis­sen­schaft­li­che Insti­tut NRW (KWI) unter­stüt­zen den Offe­nen Brief an die Gene­ral­bun­des­an­wäl­tin; und die Sek­ti­on Stadt- und Regio­nal­so­zio­lo­gie der DGS soli­da­ri­siert sich. So ist’s rich­tig, und genau die­se manch­mal auch etwas sper­ri­ge Chan­ce, sich selbst als poli­ti­schen Fak­tor begrei­fen zu kön­nen (wenn’s denn not tut) – und streit­bar zu sein –: das macht, so glau­be ich eini­ges, der durch­aus immer wie­der spür­ba­ren inner­fach­li­chen Soli­da­ri­tät aus. Enga­ge­ment aus einem all­ge­mei­nen Ver­ant­wor­tungs­ge­fühl für gesell­schaft­li­che Ent­wick­lun­gen her­aus; und eben nicht ein­fach irgend­ein Enga­ge­ment, son­dern ein reflek­tier­tes und fach­lich unter­füt­ter­tes Enga­ge­ment: das kann, im bes­ten Fall, die gesell­schaft­li­che Rele­vanz der wis­sen­schaft­li­chen Beschäf­ti­gung mit Gesell­schaft sein. Und in einem sol­chen Selbst­ver­ständ­nis, das nicht von außen, son­dern vom Kern des Faches her poli­tisch ist, liegt auch einer der Grün­de für Stär­ke und Selbst­ver­trau­en der Soziologie.

Bleibt nur noch zu hof­fen, dass sich auch Juris­tIn­nen davon beein­dru­cken las­sen. Und wenn nicht die, dann zumin­dest die Politik.

War­um blog­ge ich das? Update zu die­sem Bei­trag.

Gentrification + Google = „militante gruppe“ (Update 3)

Der taz zufol­ge sitzt der Ber­li­ner Stadt­so­zio­lo­gie Andrej H. wohl des­we­gen in Unter­su­chungs­haft, weil sowohl in Beken­ner­schrei­ben der „mili­tan­ten grup­pe“ wie auch in sei­nen Arbei­ten sozio­lo­gi­sche Fach­be­grif­fe wie „Pre­ka­ri­sie­rung“ und „Gen­tri­fi­ca­ti­on“ auf­ge­taucht sind. Wenn’s nicht so ernst­haft wäre, wür­de das gen­re­tech­nisch glatt als Far­ce durchgehen.

Das Ermitt­lungs­ver­fah­ren, das vor drei Wochen zur Fest­nah­me des Ber­li­ner Stadt­so­zio­lo­gen Andrej H. geführt hat, geht offen­bar auf eine Inter­net­re­cher­che des Bun­des­kri­mi­nal­amts mit Hil­fe des Such­por­tals Goog­le zurück. Dies erklär­te ges­tern in Ber­lin H.s Anwäl­tin Chris­ti­na Clemm, die erst­mals Ein­sicht in die Ermitt­lungs­ak­ten neh­men konnte.
Clemm zufol­ge haben die Fahn­der des BKA im Inter­net nach bestimm­ten Stich­wor­ten gesucht, die auch die „mili­tan­te grup­pe“ in ihren Beken­ner­schrei­ben benutzt. Dar­un­ter sei­en Begrif­fe wie „Gen­tri­fi­ca­ti­on“ oder „Pre­ka­ri­sie­rung“. Da H. zu die­sen The­men for­sche, sei­en die Fahn­der auf ihn auf­merk­sam gewor­den. „Das reich­te für die Ermitt­lungs­be­hör­den für eine fast ein­jäh­ri­ge Obser­va­ti­on, für Video­über­wa­chung der Haus­ein­gän­ge und Lausch­an­griff“, so Clemm.

Der offe­ne Brief gegen die­ses Vor­ge­hen wur­de übri­gens laut taz inzwi­schen von über 2000 Leu­ten (aktu­ell: 2600) unter­zeich­net; eine Ein­ord­nung des gan­zen von Saskia Sas­sen und Richard Sen­nett fin­det sich auf der taz-Mei­nungs­sei­te. Zu den Unter­schrif­ten kom­men noch über 1300 Unter­zeich­ne­rIn­nen des inter­na­tio­na­len Briefs hin­zu (via).

Bleibt also nur zu hof­fen, dass die Jus­tiz sich als lern­fä­hig erweist, statt sich am Ter­ror­be­kämp­fungs­vor­bild USA (fal­scher Name = Ter­ro­rist, fal­sche Geträn­ke = Ter­ro­ris­tin, …) zu orientieren. 

War­um blog­ge ich das? Als Update hier­zu und dazu, und weil ich es wei­ter­hin unmög­lich fin­de; im schlimms­ten Fall ist das hier der Anfang einer Kri­mi­na­li­sie­rung kri­ti­scher Sozialforschung!

Update: Zumin­dest Andrej H. wur­de jetzt vor­erst – gegen Kau­ti­on – aus der Unter­su­chungs­haft ent­las­sen. Die Bun­des­an­walt­schaft hat mit­ge­teilt, dass sie dage­gen Beschwer­de erhe­ben wird.

Update 2: Der Voll­stän­dig­keit hal­ber, und weil das The­ma aktu­ell bleibt, noch der Hin­weis auf einen wei­te­ren offe­nen Brief aus Rich­tung Rosa-Luxem­burg-Stif­tung / Gewerkschaften.

Update 3: (03.09.2007) Hin­weis auf ein Inter­view mit Andrej Holms Anwäl­tin zur aktu­el­len Lage.

Netzwerke überall

Dies­mal nicht die sozia­len Netz­wer­ke im Inter­net, oder die Akteurs-Netz­wer­ke, die all­täg­li­che Prak­ti­ken tra­gen, son­dern ein kur­zer Hin­weis auf einen Para­dig­men­wech­sel in der Gentechnik:

To their sur­pri­se, rese­ar­chers found that the human geno­me might not be a „tidy coll­ec­tion of inde­pen­dent genes“ after all, with each sequence of DNA lin­ked to a sin­gle func­tion, like a pre­dis­po­si­ti­on to dia­be­tes or heart disease.

Ins­tead, genes appear to ope­ra­te in a com­plex net­work, and inter­act and over­lap with one ano­ther and with other com­pon­ents in ways not yet ful­ly unders­tood. Accor­ding to the insti­tu­te, the­se fin­dings will chall­enge sci­en­tists „to rethink some long-held views about what genes are and what they do.“

Quel­le, via.

War­um blog­ge ich das? Weil es so scheint, als wäre Netz­werk das neue schwarz, äh, also die neue Groß­theo­rie, die sys­tem­theo­re­ti­sches Den­ken in ziem­lich vie­len Kon­tex­ten hand­hab­bar macht.

Neues zum Fall Andrej H.

Weil’s im Blog ein biß­chen unter­geht: in die­sem Bei­trag habe ich – als PS mit inzwi­schen sechs Updates – ein biß­chen was zur Ver­haf­tung des Ber­li­ner Stadt­so­zio­lo­gen Andrej H. geschrie­ben. Wer sich dafür inter­es­siert, soll­te da nach­le­sen. Das wich­tigs­te ist sicher­lich der von vie­len pro­mi­nen­ten Sozi­al­wis­sen­schaft­le­rIn­nen und über 600 wei­te­ren unter­stütz­te offe­ne Brief, in dem die Gene­ral­bun­des­an­wäl­tin auf­ge­for­dert wird, ihre Pra­xis zu über­den­ken und Andrej Holm frei­zu­las­sen. Inzwi­schen gibt’s auch eine inter­na­tio­na­le Ver­si­on davon einer zwei­ten Initia­ti­ve, näm­lich hier.

War­um blog­ge ich das? Aufmerksamkeitsgenerierung.

Bioläden besser als Supermärkte

In Tei­len Frei­burgs ist heu­te abend meh­re­re Stun­den lang der Strom aus­ge­fal­len – wohl wegen einer defek­ten Tra­fo­sta­ti­on. Genau um die­se Zeit habe ich eine Freun­din dabei beglei­tet, im Stüh­lin­ger – also da, wo der Strom weg war – noch was ein­zu­kau­fen. War ganz schön selt­sam, vor allem des­we­gen, weil der Ede­ka (Roll­trep­pen, künst­li­che Beleuch­tung) ein­fach kom­plett zu war (samt Schild „wegen Strom­aus­fall lei­der gesperrt“ oder so ähn­lich). Im Bio­la­den – die natür­lich auch aus ganz ande­ren Grün­den viel bes­ser als her­kömm­li­che Super­märk­te sind – war’s zwar auch dun­kel, aber der Laden hat­te (trotz skep­ti­scher Nach­fra­ge) geöff­net und ver­kauf­te auch. Scan­ner, Regis­trier­kas­se und Gemü­se­waa­ge waren aller­dings auch dort funktionslos … 

Kurz zuvor hat­te ich noch davon berich­tet, wie schön Pra­xis­theo­rie das „ohne groß drü­ber nach­zu­den­ken“ all­täg­li­cher Hand­lungs­ab­läu­fe erklä­ren kann. Außer, wenn die eben nicht funk­tio­nie­ren. Zum Bei­spiel, wenn in einer Stadt, wo das sonst sehr sel­ten pas­siert, der Strom aus­fällt. Und die all­täg­li­chen Hand­lungs­mus­ter dann eben plötz­lich nicht mehr funk­tio­nie­ren, und statt des­sen all­täg­li­ches Han­deln dann auf ein­mal mit Bewusst­heit, Nach­den­ken und nicht-auto­ma­ti­sier­ten Hand­lungs­voll­zü­gen ver­bun­den ist.

War­um blog­ge ich das? Som­mer­lochan­ek­do­ten­blog­ging. Und weil’s die Pra­xis­theo­rie schön illustriert.