Lesetipp: L.X. Beckett – Gamechanger

LXBeckett/GamechangerGanz frisch und groß­ar­tig: der gera­de bei Tor erschie­ne­ne Roman Game­ch­an­ger von L.X. Beckett.

Die­ser Roman ist die neus­te und jüngs­te Annä­he­rung der Sci­ence Fic­tion an das Pro­blem, aug­men­ted rea­li­ty – also das naht­lo­se Zusam­men­wir­ken „digi­ta­ler“, von intel­li­gen­ten Agen­ten unter­stütz­ter und „ana­lo­ger“, stoff­li­cher Welt – plau­si­bel dar­zu­stel­len. Hier gelingt das und greift neben­bei auch Fra­gen auf wie die danach, ab was für einem Alter dann eigent­lich Kin­der an einer immer vor­han­de­nen digi­ta­len Schicht teil­neh­men, die sich über alles legt. Oder auch: wie sicher­ge­stellt wird, dass sie vor­her Berück­sich­ti­gung fin­den, oder was mit denen ist, die ein Implan­tat ver­wei­gern oder bio­lo­gisch dafür nicht geeig­net sind. Oder: was pas­siert mit @jarheads, Men­schen in kaput­ten Kör­pern, die aber wei­ter am „Sen­so­ri­um“, wie die digi­ta­le Ergän­zung der Welt hier heißt, teil­neh­men? Becketts Roman spielt in einer Zukunft, in der all das selbst­ver­ständ­lich ist. Und die digi­ta­le Schicht bleibt nicht Orna­ment, son­dern ist tief in die Gesell­schaft ein­ge­wo­ben. Ein Bei­spiel dafür ist die Idee, dass strikes/strokes ver­teilt wer­den kön­nen, die eine Art Wäh­rung dar­stel­len. Oder die Art und Wei­se, wie stoff­li­che Räu­me und Games über­ein­an­der gelegt wer­den. Wie sich die Spra­che ver­än­dert hat, die Öko­no­mie – in Rich­tung einer auf­merk­sam­keits­ge­trie­be­nen gig eco­no­my mit post-kapi­ta­lis­ti­schen Cele­bri­ties; aber auch die Poli­tik (glo­ba­le direk­te Demo­kra­tie, aber mit Ein­tritts­hür­den in Form von Tuto­ri­als und Abfra­gen …) und die Medi­en in einer Über­wa­chungs­ge­sell­schaft (Cloud­sight hat da eini­ges gemein­sam mit Mal­ka Olders Infor­ma­ti­on – eine Welt­be­hör­de für Informationskontrolle).

Eine aug­men­tier­te Rea­li­tät plau­si­bel zu schil­dern, pas­siert hier nicht das ers­te Mal. Wer möch­te, kann bis zu Wil­liam Gib­sons Neu­ro­man­cer (1984) zurück­ge­hen. Bei Gib­son ist der Cyber­space vor allem durch Sepa­rie­rung gekenn­zeich­net – er muss betre­ten wer­den, dazu gibt es eine spe­zi­el­le tech­ni­sche Aus­rüs­tung, dort gel­ten ande­re Regeln. Becketts Sen­so­ri­um ist dage­gen ein Teil der Welt, an der alle – oder fast alle – Men­schen in unter­schied­li­chem Aus­maß immer teil­ha­ben. Das ist das neue dar­an. Auch in den neus­ten Büchern von Neal Ste­phen­son (Fall, or Dodge in Hell, 2019), Karl Schroe­der (Ste­al­ing Worlds, 2019) und Tom Hil­len­brand (Holo­gram­ma­ti­ca, 2018) ist aug­men­tier­te Rea­li­tät ein The­ma. Beckett packt da noch­mal eins drauf.

Oder: Wenn Sci­ence Fic­tion auch dazu da ist, gegen­wär­ti­ge Ent­wick­lun­gen zu reflek­tie­ren, dann scheint das selbst­ver­ständ­li­che Inein­an­der­flie­ßen von stoff­li­cher und digi­ta­ler Welt mit allen Kon­se­quen­zen, die sich dar­aus erge­ben, eine der Debat­ten zu sein, die jetzt geführt wer­den muss.

Das zwei­te gro­ße The­ma, mit dem sich Sci­ence Fic­tion gegen Ende der 2010er Jah­re aus­ein­an­der­setzt, ist das Ende der Welt. Die Kli­ma­kri­se und der Zusam­men­bruch der glo­ba­len Ord­nung als apo­ka­lyp­ti­scher Hin­ter­grund sind fast schon ein alter Hut, etwas Gege­be­nes. Bei Beckett heißt die­se Zeit des Zusam­men­bruchs Set­back – und sie beginnt etwa heu­te. Das Buch spielt aber etwa eine Gene­ra­ti­on spä­ter – der Zusam­men­bruch, die Zwangs­maß­nah­men wie Umsied­lun­gen, #tria­ge und Ratio­nie­run­gen sind noch in Kraft, im Vor­der­grund steht jetzt aber der Wie­der­auf­bau, die Erneue­rung der natür­li­chen Kreis­läu­fe, der har­te Kampf um Kli­ma und Sau­er­stoff. Das ist der Lebens­in­halt der Bounce­back-Gene­ra­ti­on: pro­so­zi­al, anpa­ckend, akti­vis­tisch, opti­mis­tisch und höf­lich. Selbst auf der Bar­ri­ka­de wer­den noch die Oran­gen­scha­len fein säu­ber­lich getrennt gesam­melt, um sie wie­der dem Kreis­lauf zuzu­füh­ren. Zur Schau gestell­ter Kon­sum ist ekel­haft. Oder in den Wor­ten der Haupt­per­son, Rubi Whiting: „Row, row, row, ever­yo­ne. All we have is us.“

Wer wach ist, nimmt genau die­sen Geist heu­te wahr. Selbst­ver­ständ­lich ist Sci­ence Fic­tion immer Gegen­warts­li­te­ra­tur – und ja, viel­leicht brau­chen wir, ganz ohne außer­ir­di­sche Bedro­hung und vor Zwangs­um­sied­lun­gen („Ver­dich­tung“) und Ratio­nie­run­gen etwas davon. Fri­days for Future, anyone?

Lite­ra­tur hat dabei Frei­hei­ten – eine gewis­se Her­aus­for­de­rung für mei­ne sus­pen­si­on of dis­be­lief stellt die Tat­sa­che dar, dass der Roman in einer Welt der Knapp­heit spielt, dass aber gleich­zei­tig jede Men­gen Droh­nen, Ser­ver und High-Tech-Din­ge zum Ein­satz kom­men. Im Buch selbst gibt es dafür zwei Erklä­run­gen: das Sen­so­ri­um ist auch ein Ort, an dem Men­schen Spaß haben kön­nen und Din­ge erle­ben, ohne dafür Res­sour­cen etwa in Form von Rei­sen zu ver­brau­chen; und die High-Tech, etwa in Form von Nah­rungs­wür­feln oder sich selbst kon­fi­gu­rie­ren­dem Nano­ma­te­ri­al, das als Klei­dung dient, ist letzt­lich res­sour­cen­scho­nen­der als die hand­ge­mach­te Alter­na­ti­ve, die als Luxus­gut gilt.

Neben­bei ist Game­ch­an­ger ein Buch über zer­brech­li­che Per­so­nen, die jeweils mit ihren eige­nen Dämo­nen kämp­fen. Und auch das trägt dazu bei, dass ich Becketts Buch am liebs­ten am Stück gele­sen hätte.

Klimaaktionstag. Ein Gespräch mit Z.

Der 20. Sep­tem­ber 2019 ist in posi­ti­ver wie nega­ti­ver Hin­sicht ein Tag, der als Kipp­punkt der Kli­ma­kri­se in Erin­ne­rung blei­ben wird. Groß­ar­tig sind die heu­te und in die­ser Woche welt­weit statt­fin­den­den Demons­tra­tio­nen – ein Tag, der mit 300.000 Demons­trie­ren­den in Aus­tra­li­en beginnt, allei­ne in Deutsch­land 1,4 Mio. Demons­trie­ren­de gese­hen hat und mit 250.000 in New York endet. Fri­days for Future hat hier glo­bal etwas in Bewe­gung gesetzt. Gleich­zei­tig ist der 20. Sep­tem­ber 2019 der Tag, an dem die Bun­des­re­gie­rung ihren wenig ambi­tio­nier­ten Kom­pro­miss vor­ge­stellt hat, bei dem heu­te schon klar ist, dass damit die Zie­le des Pari­ser Kli­ma­ab­kom­mens nicht erreicht wer­den kön­nen. Die frei­täg­li­chen Demos und ähn­li­chen Aktio­nen wer­den also weitergehen.

In Frei­burg fand die größ­te Demons­tra­ti­on der Stadt­ge­schich­te statt, mit etwa 30.000 Teil­neh­men­den (bei 230.000 Einwohner*innen). Ich war mit mei­nem Zehn­jäh­ri­gen da – und als wir etwas zu spät anka­men, war nicht nur der Platz der Alten Syn­ago­ge voll, son­dern auch die Ter­ras­se des Thea­ter­ca­fes, die Ber­told­stra­ße und der Rott­eck­ring rund um den Platz. Extrem eindrucksvoll.

Auch mei­ne Toch­ter Z. (fast 14) hat wie an allen bis­he­ri­gen Demos in Frei­burg auch an die­ser teil­ge­nom­men; getrof­fen habe ich sie erst in der Stra­ßen­bahn zurück, so groß war die viel­fäl­ti­ge Men­schen­men­ge. Ich habe ihr ein paar Fra­gen zur Demo und zu den Frei­bur­ger Fri­days-For-Future-Akti­vi­tä­ten gestellt.
„Kli­ma­ak­ti­ons­tag. Ein Gespräch mit Z.“ weiterlesen

Kurz: Frelo

Weil mein Fahr­rad gera­de in der Werk­statt ist, und ich zu faul war, die sie­ben Kilo­me­ter (Bag­ger­see hin und zurück) zu lau­fen, habe ich heu­te mal Fre­lo aus­pro­biert. Das ist ein sta­tio­nen­ge­bun­de­nes Leih­fahr­rad, das die Frei­bur­ger Ver­kehrs­be­trie­be (VAG) zusam­men mit next­bike vor ein paar Wochen gestar­tet haben. Sta­tio­nen für die rot-wei­ßen Räder gibt es über­all im Stadtgebiet.

Um Fre­lo zu benut­zen, ist die App der VAG (oder die von next­bike; an eini­gen Stand­or­ten wohl auch direkt an der Sta­ti­on mög­lich) not­wen­dig, die neben Online­ti­ckets und Fahr­plan­aus­künf­ten inzwi­schen auch Räder ver­lei­hen kann. Die­se läuft auf Apple-Gerä­ten sowie auf aktu­el­len Android-Smart­phones (lei­der nicht auf dem alten Fair­pho­ne 1). Um Fre­los aus­lei­hen zu kön­nen, ist ein­ma­lig eine Anmel­dung nötig, die nicht in der App, son­dern auf einer Web­site statt­fin­det. Neben Adres­se, Tele­fon etc. kann dort auch ein Tarif und ggf. ein Ver­bund­part­ner aus­ge­wählt wer­den. Für Stu­dis und Inhaber*innen eines Regio­kar­ten-Abos ist die ers­te hal­be Stun­de umsonst, ansons­ten kos­tet jede hal­be Stun­de einen Euro, mit Tages­de­ckel bei 12 Euro. Bei der Anmel­dung wird dazu auch eine Zah­lungs­wei­se hin­ter­legt – neben Kre­dit­kar­te (hat bei mir nicht funk­tio­niert) gibt es auch Pay­pal und Bankeinzug.

Das Aus­lei­hen selbst ist ein­fach: an der Sta­ti­on mit der App den QR-Code am Rad scan­nen, fer­tig. Der Sat­tel ist höhen­ver­stell­bar, das Rad wirkt robust, ins­ge­samt gibt es acht Gän­ge. Etwas gestört hat mich der (nicht direkt jus­tier­ba­re) Abstand Sat­tel – Len­ker; und weil ich sonst ein Rad mit Rück­tritt fah­re, war das Brem­sen für mich gewöh­nungs­be­dürf­tig. Zwi­schen­drin gibt es in der App die Funk­ti­on „Par­ken“ und ein dann bedien­ba­res Rah­men­schloss; wer das gepark­te Rad schräg ansieht (oder, wie ich es getan habe, den Sat­tel neu ein­stellt), ern­tet einen schril­len Pfeif­ton. In der App kann das Rad zur Wei­ter­fahrt frei­ge­schal­tet wer­den, damit öff­net sich das Schloss. Am Schluss in einer Sta­ti­on par­ken und abschlie­ßen – fertig.

Mein Ges­ant­ein­druck: recht kom­for­ta­bel, aber nicht ganz güns­tig. Kei­ne Dau­er­lö­sung, aber für Gele­gen­heits­fahr­ten ok. Mal schau­en, das nächs­te Mal dann viel­leicht vom Haupt­bahn­hof ins Rieselfeld.

Nicht ablenken: die Klimakrise kann nur politisch gelöst werden

Frankfurt to Boston - IV
Oft sind Twit­ter­de­bat­ten furcht­bar, aber manch­mal sind sie tat­säch­lich fruchtbar. 

Aber ich fan­ge noch mal anders an. Neh­men wir an, ein Land hät­te sich vor­ge­nom­men, den Mond zu errei­chen. Ein mil­li­ar­den­teu­res Vor­ha­ben. Es muss eine ent­spre­chen­de For­schungs­land­schaft und Indus­trie auf­ge­baut wer­den. Astronaut*innen müs­sen gefun­den und trai­niert wer­den. Und so wei­ter. In die­sem Land aber ist das anders. Es gibt eine brei­te öffent­li­che Debat­te dar­über, wie wich­tig es sei, den Mond zu errei­chen. Und des­we­gen wür­den alle Bürger*innen ab sofort dazu auf­ge­ru­fen, Lei­tern auf ihren Haus­dä­chern zu befes­ti­gen, ger­ne auch hohe. Jedes biss­chen hilft! Wer Astronaut*in wer­den will, soll­te selbst­ver­ständ­lich auf die höchs­te Lei­ter auf dem höchs­ten Haus klettern.

Der Ver­gleich hinkt. Trotz­dem hilft er. In gewis­ser Wei­se ist die Lösung der Kli­ma­kri­se ein Moonshot-Pro­jekt. Alles muss sich dar­auf aus­rich­ten, Treib­haus­gas­emis­sio­nen zu redu­zie­ren und Sen­ken zu schaf­fen (also zum Bei­spiel Bäu­me zu pflan­zen). Ein rele­van­ter Teil der öffent­li­chen Debat­te beschäf­tigt sich damit, was jede und jeder selbst tun kann. Vege­ta­ri­sche Ernäh­rung. Eine auto­freie Mobi­li­tät. Kei­ne Flüge. 

„Nicht ablen­ken: die Kli­ma­kri­se kann nur poli­tisch gelöst wer­den“ weiterlesen