In Erinnerung an Uli Sckerl

Erst vor weni­gen Wochen hat­te Hans-Ulrich „Uli“ Sckerl sei­ne Krebs­er­kran­kung öffent­lich gemacht. Heu­te gab es dann in einer der trau­rigs­ten Frak­ti­ons­sit­zun­gen über­haupt die Mit­tei­lung, dass er ges­tern gestor­ben ist, mit gera­de ein­mal 70 Jah­ren. Ein sehr trau­ri­ger Tag für uns Grü­ne im Land­tag und im Land.

Uli Sckerl war eine Kon­stan­te der baden-würt­tem­ber­gi­schen Grü­nen. Einer, der immer schon da war, und der immer prä­sent war. Einer, der die Par­tei mit gegrün­det und mit auf­ge­baut hat, ins­be­son­de­re in sei­ner Hei­mat, der Kurpfalz. 

Lan­ge, bevor ich in der Frak­ti­on zu arbei­ten begon­nen habe, war Uli mir bekannt – von Par­tei­ta­gen, oft im Prä­si­di­um, als einer aus dem Par­tei­vor­stand, spä­ter dann als Gesicht der GAR, unse­rer kom­mu­nal­po­li­ti­schen Vereinigung. 

Ab 2006 war er dann Land­tags­ab­ge­ord­ne­ter, ab 2011 nicht nur der grü­ne Innen­po­li­ti­ker, son­dern auch par­la­men­ta­ri­scher Geschäfts­füh­rer der gro­ßen Regierungsfraktion. 

Er hat sich um alles geküm­mert – und erst recht um alles, was mit Libe­ra­li­tät, mit Men­schen­rech­ten, mit Flucht und Migra­ti­on, mit Daten­schutz und Selbst­be­stim­mung, aber auch mit der „Blau­licht­fa­mi­lie“ zu tun hat­te. In einer ande­ren Kon­stel­la­ti­on wäre er viel­leicht der ers­te grü­ne Innen­mi­nis­ter geworden.

So war er der Mana­ger der Frak­ti­on, in einer Schar­nier­funk­ti­on: gegen­über der Regie­rung (und der Par­tei!) auf den Par­la­men­ta­ris­mus und die Rech­te der Frak­ti­on pochend, in der Frak­ti­on der, der dafür sorg­te, dass das Ple­num nicht leer und die Mehr­heit bei rele­van­ten Abstim­mun­gen da war. 

Für die Abge­ord­ne­ten war er Ansprech­part­ner und „Kum­mer­kas­ten“, und dass muss er, nach allem, was ich weiß, auch für sei­ne Hei­mat Wein­heim, sei­nen Wahl­kreis gewe­sen sein – mit engen Ver­bin­dun­gen zu den dor­ti­gen Rat­haus­spit­zen und Gemeinderät*innen, und immer mit einem offe­nen Ohr für Bür­ge­rin­nen und Bürger.

Er war – etwa im Vor­stand der Frak­ti­on – immer einer der­je­ni­gen, die ein gutes Gespür für die Lage der Par­tei hat­ten, einer, der sehr fein­füh­lig Stim­mun­gen auf­nahm – etwa die der auf­kom­men­den Kli­ma­schutz­be­we­gung – und die­se in die Frak­ti­on ein­speis­te. Trotz all sei­ner Auto­ri­tät als „Sil­ber­rü­cken“ habe ich ihn als beschei­den erlebt, als selbst­iro­nisch und humor­voll. Und damit war und ist er, wenn ich das rich­tig wahr­neh­me, für vie­le in der Frak­ti­on ein Vorbild. 

Uli fehlt heu­te, schmerz­haft, und sein Feh­len wer­den wir in den nächs­ten Wochen erst rich­tig spü­ren. Ich bin sehr trau­rig; mei­ne Gedan­ken sind bei sei­ner Familie.

Parteitagsnachbericht: Aufstellung als Regierungspartei

Am Frei­tag und Sams­tag fand – mit Sit­zun­gen bis in die Nacht – die 47. Bun­des­de­le­gier­ten­ver­samm­lung von Bünd­nis 90/Die Grü­nen statt, also unser Bun­des­par­tei­tag. Im Mit­tel­punkt – auch der media­len Auf­merk­sam­keit – stan­den dabei die Neu­wah­len des sechs­köp­fi­gen Bun­des­vor­stands (mit Ricar­da Lang und Omid Nou­ri­pour als neu­en Vor­sit­zen­den) und des Par­tei­rats – also in etwa das, was in ande­ren Par­tei­en „Prä­si­di­um“ heißt. Gro­ßen Raum nah­men dane­ben Sat­zungs­än­de­run­gen sowie eine mehr­stün­di­ge Aktu­el­le Debat­te samt Ver­ab­schie­dung der schei­den­den Bun­des­vor­stands­mit­glie­der (Anna­le­na Baer­bock, Robert Habeck, Jami­la Schä­fer und Micha­el Kell­ner) ein. In der Aktu­el­len Debat­te ging es – nach einer letz­ten gemein­sa­men Rede von Anna­le­na und Robert – immer wie­der um die Ukrai­ne-Kri­se und die Hal­tung der Bun­des­re­gie­rung dazu, um die EU-Taxo­no­mie (dazu wur­de auch ein Antrag ver­ab­schie­det), aber auch um Erwar­tun­gen an die grü­ne Regie­rungs­be­tei­li­gung und um den Koalitionsvertrag.

Deut­li­cher Unter­ton: jetzt beginnt eine neue Ära. Die Häu­tung und Neu­auf­stel­lung der Par­tei, die so etwa 2015 begon­nen hat, und an der Micha einen gro­ßen Anteil hat, zu der ein neu­es Grund­satz­pro­gramm gehört und die mit der Wahl von Robert und Anna­le­na 2018 dann in den Boos­ter-Modus der Ver­än­de­rung schal­te­te, ist zunächst ein­mal erfolg­reich abge­schlos­sen. Wir sind mit 125.000 Mit­glie­dern kei­ne klei­ne Par­tei mehr. Wir regie­ren – end­lich wie­der – mit. Und wir ver­ste­hen uns – Minis­ter­prä­si­dent Kret­sch­mann tadel­te das – nicht als „Milieu­par­tei“, son­dern als Bünd­nis­par­tei, die kapiert hat, dass die not­wen­di­gen gro­ßen Ver­än­de­run­gen nur gemein­sam mit der Bevöl­ke­rung, der Wirt­schaft und der Zivil­ge­sell­schaft erreich­bar sind. Das alles gehört zur neu­en Rea­li­tät von Bünd­nis 90/Die Grü­nen – und das alles wird auch die Wahl­kämp­fe in die­sem Jahr (Saar­land, NRW, Schles­wig-Hol­stein, Nie­der­sa­chen) bestimmen. 

„Par­tei­tags­nach­be­richt: Auf­stel­lung als Regie­rungs­par­tei“ weiterlesen

Kurz: Mehrgenerationenprojekt

Ich schrei­be ja nicht oft Leser­brie­fe, aber die­ser Kom­men­tar von BZ-Chef­re­dak­teur Tho­mas Fri­cker ärger­te mich. Des­we­gen habe ich was dazu geschrieben.

Vie­les an dem Kom­men­tie­rung stimmt: die Regie­rungs­be­tei­li­gung im Bund stellt Bünd­nis 90/Die Grü­nen vor neue Her­aus­for­de­run­gen, die Erwar­tun­gen sind groß, und dass es zwi­schen der Not­wen­dig­keit, Kom­pro­mis­se ein­zu­ge­hen, und dem Wunsch, an not­wen­di­gen Idea­len fest­zu­hal­ten, zu Kon­flik­ten kom­men wird, ist absehbar.

Geär­gert habe ich mich aller­dings über die War­nung vor dem „Ein-Gene­ra­tio­nen-Pro­jekt“. Die­se Dia­gno­se ist in etwa so alt wie die Par­tei selbst (die vor kur­zem ihren 42. Geburts­tag fei­er­te), über das „Ergrau­en der Grü­nen“ wur­de schon in den 1990er-Jah­ren spekuliert. 

Die Wirk­lich­keit des grü­nen Mehr­ge­ne­ra­tio­nen­pro­jekts sieht anders aus. Die Par­tei­struk­tur zeigt ein über die Jah­re gleich­blei­ben­des Durch­schnitts­al­ter bei stark stei­gen­den Mit­glie­der­zah­len. Die jüngs­te Abge­ord­ne­te, Emi­lia Fes­ter, kam 1998 zur Welt, für sie liegt die ers­te grü­ne Regie­rungs­be­tei­li­gung also in der frü­hen Kind­heit. Und sowohl Außen­mi­nis­te­rin Anna­le­na Baer­bock wie auch Fami­li­en­mi­nis­te­rin Anne Spie­gel sind Jahr­gang 1980, also etwa so alt wie die Par­tei. Nicht zuletzt der Blick auf die Demo­gra­fie der Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler zeigt, dass das Bild des Ein-Gene­ra­tio­nen-Pro­jekts falsch ist.

Anders­her­um wird ein Schuh dar­aus: dass Bünd­nis 90/Die Grü­nen erfolg­reich sind, hat auch etwas damit zu tun, dass es bis­her gut gelingt, Hal­tung und Erneue­rung zusam­men zu brin­gen. Das in den nächs­ten Jah­ren fort­zu­set­zen, wird die Auf­ga­be der neu­en (gene­ra­tio­nen­über­grei­fen­den) Grünen-Spitze.

Kurz: Aufbruch ins 21. Jahrhundert

Seit rund zwan­zig Jah­ren leben wir im 21. Jahr­hun­dert. (Und fast alle Nega­tiv­pro­gno­sen, die 1997 in WIRED ver­öf­fent­lich wur­den, sind ein­ge­trof­fen). Jetzt end­lich habe ich die Hoff­nung, dass wir eine Regie­rung bekom­men, die im 21. Jahr­hun­dert ange­kom­men ist. Ich habe den Ent­wurf des Koali­ti­ons­ver­trags noch nicht im Detail gele­sen, und bin mir sicher, dass sich neben vie­len gesellschafts‑, digi­tal- und umwelt­po­li­ti­schen Fort­schritts­mo­men­ten auch Din­ge dar­an fin­den, bei denen ich schlu­cken muss. 

Dass das Ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um an die FDP geht – und der Ver­kehrs­teil viel Kon­ti­nui­tät ent­hält, und wenig Auf­bruch – ist so etwas. In der Sum­me ist mein Ein­druck aber bis­her ein posi­ti­ver. Und zu die­sem posi­ti­ven Ein­druck hat wesent­lich auch der Sound und der Stil der Pres­se­kon­fe­renz bei­getra­gen, auf der heu­te der Koali­ti­ons­ver­trag vor­ge­stellt wur­de. Viel­leicht liegt’s dar­an, dass ich die han­sea­ti­sche Zurück­hal­tung mag. Aber ins­ge­samt war das ein Auf­takt, der ehr­lich, demü­tig und zurück­hal­tend wirk­te – und gleich­zei­tig unter dem Mot­to „Mehr Fort­schritt wagen“ den Mut aus­strahl­te, die gro­ßen Auf­ga­ben anzu­ge­hen, und dabei auch Zumu­tun­gen in Kauf zu neh­men. Viel Ver­an­ke­rung in Euro­pa, viel Kli­ma­schutz (ja!), ein Bekennt­nis zu den not­wen­di­gen Inves­ti­tio­nen, zu einem moder­nen und moder­ni­sier­ten Staat und einer viel­fäl­ti­gen Gesell­schaft. Das hat mir gefallen. 

Und beein­druckt hat mich auch, dass alle Redner*innen – Scholz, Habeck, Lind­ner, Baer­bock, Wal­ter-Bor­jans, Esken – den Stil der Zusam­men­ar­beit betont haben, das gemein­sa­me, viel­leicht auch für zwei Legis­la­tur­pe­ri­oden ange­leg­te Pro­jekt, um den not­wen­di­gen Wan­del anzu­ge­hen. Es wur­de nicht ver­schwie­gen, dass es Kon­flik­te gab – und es wur­de nicht ver­schwie­gen, dass jede der drei Par­tei­en etwas auf­ge­ge­ben hat und an dem einen oder ande­ren Punkt dazu­ge­lernt hat. Poli­tik als ler­nen­des Sys­tem, in dem Feh­ler kor­ri­giert wer­den, statt sich ein­zu­gra­ben und die eige­ne Hal­tung als immer schon rich­tig zu ver­tei­di­gen – wenn das in die kom­men­de Regie­rung mit­ge­nom­men wird, dann bin ich nicht ban­ge, dass hier etwas gelin­gen kann. Mit Demut und Zurück­hal­tung statt mit Pomp und Geschrei.

Ich wer­de mir den Koali­ti­ons­ver­trag jetzt im Detail anschau­en und aus der Bewer­tung her­aus dann ent­schei­den, ob ich in unse­rer grü­nen Urab­stim­mung zustim­me. Aktu­ell bin ich heu­te jeden­falls deut­lich posi­ti­ver gestimmt als noch vor ein paar Tagen. 

Etwas bricht auf, oder: das Ende der Ära Merkel

Unexpected rainbow I

Ges­tern hat sich der 20. Deut­sche Bun­des­tag kon­sti­tu­iert, beglei­tet von vie­len Sel­fies und Grup­pen­fo­tos. Und selbst auf die­sen lässt sich erah­nen, dass hier etwas neu­es beginnt. Ins­be­son­de­re ist der Bun­des­tag deut­lich jün­ger und bun­ter gewor­den. Durch die nun grö­ße­ren quo­tier­ten Frak­tio­nen ist er auch etwas weib­li­cher. Es gibt eine Bun­des­tags­prä­si­den­tin, und auch vier der fünf Vizepräsident:innen sind Frauen. 

Noch ist kei­ne neue Regie­rung gewählt; die Regie­rung Mer­kel ist wei­ter geschäfts­füh­rend im Amt. Trotz­dem fühlt sich das jetzt sehr nach Auf­bruch und Neu­be­ginn an. Mit etwas Glück und Ver­hand­lungs­ge­schick kom­men die lau­fen­den Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen zwi­schen den Ampel­frak­tio­nen tat­säch­lich noch vor Weih­nach­ten zu einem erfolg­rei­chen Abschluss. Und dann wür­de nach 16 Jah­ren erst­mals wie­der eine Regie­rung ohne Uni­on das Land len­ken. Auf­ga­ben und Wün­sche gibt es viele. 

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