Mitte Mai habe ich am Alumni*ae-Campus der ehemaligen Stipendiat*innen der Böll-Stiftung teilgenommen. Bisher war dieses Event an mir vorübergegangen; das mag auch daran liegen, dass die bisherigen Campus in der Einöde nördlich von Berlin stattfanden. Dieses Mal: Großraum Stuttgart, genauer gesagt das Naturfreundehaus Strümpfelbach in Weinstadt im Rems-Murr-Kreis. War sehr schön da – aufgrund der Leute, klar, aber auch aufgrund der herausragend hübschen Lage des Naturfreundehauses. Mehr Fotos von Landschaft, Natur und Kunst hier – die auf diesem Foto nur zu erahnende Statue ist ein Werk des Bildhauers Karl Ulrich Nuss und Teil einer ganzen Skulpturenallee, die den Weg zum Naturfreundehaus begleitet.
Monster der Moderne, oder: Ob die Straßenbahn nach Gundelfingen kommt?
Freiburg ist eine Stadt, die inzwischen einen ziemlich guten Modal Split aufweisen kann – also eine Verteilung der Verkehrsträger, bei der viele Wege zu Fuß, mit dem Rad oder eben mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden. Rückgrat dafür ist eine Strategie, die seit vielen Jahren konsequent auf den Ausbau des Straßenbahnnetzes setzt. Im Norden Freiburgs hört die Straßenbahn ziemlich abrupt auf – an der Gemarkungsgrenze zwischen der Stadt und dem Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald liegt die Haltestelle Gundelfinger Straße mit Wendeschleife, Parkplatz, Frelo-Station und Umstiegsmöglichkeit in den Bus.
Wer von dort Richtung Gundelfingen – der aufstrebenden Gemeinde im Norden Freiburgs – weiterläuft, ist nach wenigen Metern mitten im Ort. Die Alte Bundesstraße als Hauptstraße der Gemeinde ist breit ausgebaut. An einigen Stellen ist deutlich zu sehen, dass Platz für einen möglichen Weiterbau der Straßenbahn reserviert ist. So gibt es auf der Höhe Ochsen Grünflächen in der Mitte der Straße. Und auch der Sonneplatz – Gundelfingens Ortsmitte – ist breit angelegt, so dass hier Platz für eine Haltestelle wäre. Nach zwei Kilometern durch Alte Bundesstraße und Waldstraße landet der Fußgänger am Bahnhof, korrekter: am Haltepunkt Gundelfingen, hier hält mehr oder weniger alle halbe Stunde eine S‑Bahn auf der Rheintalstrecke, und verbindet die 12.000-Einwohner-Gemeinde mit Freiburg im Süden bzw. mit Denzlingen, Waldkirch und Emmendingen im Norden.
Darüber, ob die Straßenbahn durch Gundelfingen bis zum Bahnhof verlängert werden soll, wird seit 30 Jahren gestritten. Oder, das ist eigentlich zu viel gesagt: es wird immer wieder gefordert, auf der einen Seite, und auf der anderen Seite eher totgeschwiegen. Klar ist: der Zweckverband Regionalverkehr Freiburg (ZRF) aus Stadt und Landkreisen hätte durchaus ein Interesse daran, die Straßenbahn zu verlängern und mit der Schiene zu verknüpfen. Deswegen die Vorhalteflächen. Es gibt eine Planung aus den 1990er Jahren – und die Aussicht, dass die Finanzierung dieser regional bedeutsamen Strecke mehr oder weniger komplett aus Landes- und Bundesmitteln erfolgen könnte.
Mit der Unterschriftensammlung des rührigen AK Mobilität im Bürgertreff hat das Thema Straßenbahn neue Fahrt aufgenommen. Der AK sammelt Unterschriften für einen Wiedereinstieg in die Planung. Rund 700 sind notwendig, um einen Bürgerentscheid darüber durchzuführen; diese Zahl ist wohl inzwischen erreicht. Der Bürgerentscheid würde im Herbst diesen Jahres durchgeführt – also rechtzeitig, um bei positivem Ausgang dazu zu führen, dass bei den Vergabeentscheidungen des Zweckverbandes Gundelfingen mit berücksichtigt werden könnte. Bis dann fertig geplant ist und gebaut wird, würden dennoch noch einmal mindestens zehn Jahre vergehen. Die Entscheidung ist also keine darüber, ob morgen die Stadtbahn Freiburg in Gundelfingen hält, sondern eine darüber, ob die Straßenbahn Teil eines Mobilitätskonzeptes für die 2030er Jahre sein soll. Eine Entscheidung, die Weitblick und ein gewisses Vorstellungsvermögen für zukünftige Gegebenheiten braucht.
Auch der Gemeinderat beschäftigt sich – aufgrund des Bürgerbegehrens, aufgrund der Thematisierung im Bürgermeisterwahlkampf letzten Jahres, und auch aufgrund eines grünen Antrags, ein Ratsbegehren zur Straßenbahn durchzuführen – inzwischen mit der Straßenbahn.
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Kurz: Doppelspiel der CDU
Dass ich verwundert wäre, wäre jetzt auch falsch. Trotzdem war diese Woche eine, die möglicherweise typisch für die CDU/CSU der nächsten Jahre ist. Auf der einen Seite: munter mit gegen das Gebäudenergiegesetz schimpfen, das nachholt, was in den letzten Jahren nicht gemacht wurde. Und auch wenn’s missglückt ist, „fairheizen“ als Kampagne zu starten (schön, wie effektiv hier die grüne Bundestagsfraktion und die Bundespartei gemeinsam mit Umweltorganisationen einen Hashtag gedreht haben). Grüne in Interviews als Ideologen darstellen, grünen Minister*innen jede Vernunft absprechen. Überhaupt: das mit dem Klimawandel ist vielleicht gar nicht so schlimm, sollten wir uns nicht lieber über Gender-Sterne aufregen? Einen katholischen Kindergarten zum Hassobjekt zu machen, weil den Eltern mitgeteilt wird, dass es keine Muttertagsgeschenke gibt. Und um alles zu toppen: Ein Besuch der CSU in Florida, bei DeSantis, also Trump in radikaler und effektiver. Das ist einer, der gerade massiv in die Freiheit der Universitäten eingreift, der Bücher verbietet, Schulbibliotheken leerräumt, und LSBTTIQ nicht nur verachtet, sondern über politische Maßnahmen wie Behandlungsverbote aktiv bekämpft. Kuschelpartner der Union? (Und über die AfD-nahe Tonalität am Rand des Flüchtlingsgipfels mal gar nicht geredet …).
Auf der anderen Seite: eine ganze Reihe von Ministerpräsidenten und ein stellvertretender Ministerpräsident in Koalitionen der CDU mit Grünen. Das klappt bei allen ideologischen Unterschieden soweit ganz ok, ist jedenfalls eine reale und realistische politische Konstellation.
Was ist jetzt das strategische Ziel davon, Grüne im Bund zu verteufeln? Ich mein, dass es irgendwie seltsam ist, Grüne abends im Bierzelt als Ausgeburt der Hölle darzustellen, und am nächsten Morgen am Kabinettstisch mit ihnen über den besten Weg zur Umsetzung von Klimaschutzgesetzen zu streiten? Da entsteht doch ein Widerspruch, der irgendwann vielleicht auch Wähler*innen auffällt. Mag sein, dass das dahinter steckt, dass Merz etc. nicht einfach nur planlos in die Arme der Finsternis rennen, weil das scheinbar rechte Wähler*innen überzeugt, sondern dass sie aktiv ausschließen wollen, bei den nächsten Wahlen über Koalitionen mit Bündnis 90/Die Grünen auch nur nachdenken zu müssen. Ziele wäre dann entweder – Modell Berlin – eine Koalition mit einer willigen SPD, oder, um noch weiter in die Vergangenheit zu gehen, eine CDU-SPD-FDP-Koalition als Koalition der ganz alten Bundesrepublik. Denkbar – aber da will ich nichts unterstellen – wäre rechnerisch natürlich auch eine Öffnung zur AfD. Österreichische Verhältnisse? Oder gar Ungarn als Vorbild? Ich hoffe doch nicht.
Kurz: Die Krönung
Beim Mittagessenvorbereiten (Spargel schälen und Pfannkuchen zubereiten, yeah!) habe ich ein bisschen in den BBC-Livestream zur heutigen Krönungsmesse und Parade geschaut. Mal abgesehen davon, dass ich mir ziemlich sicher bin, dass Monarchien, adelige Privilegien und aus dem Mittelalter übernommene Traditionen heute eigentlich keine Rolle mehr spielen sollten, war das doch ein beeindruckendes Spektakel. Vor allem ist mir klargeworden, dass vieles, was ich in Fantasy-Romanen gelesen habe, gar nicht so weit weg von der Wirklichkeit einer solchen Ritualhandlung ist – angefangen vom Stone of Scone aus dem frühen Mittelalter, der in den Thron für die Krönung eingelassen wird, bis hin zu dutzenden rituell aufgeladenen Gewändern, Schwertern, Handschuhen, Gürteln, you name it – alle mit speziellen Bedeutungen, alle äußerst prunkvoll geschmückt. Bis hin zu der Krone bzw. den Kronen (wie bei den Gewändern und Kutschen scheint es da auch mehrfache Wechsel zu geben).
Eine eindrucksvolle Inszenierung. Und was mir vorher nicht so ganz klar war: zum einen die extrem enge Verbindung zwischen Königshaus und Church of England (inklusive der Ölung nach biblischem Vorbild), und die Tatsache, dass die Krönungsmesse eine Messe, also ein Gottesdienst ist (gute Frage beim Mittagessen: was, wenn ein*e Thronfolger*in Atheist*in ist?), zum anderen die ehrliche (?) Ergriffenheit der BBC-Kommentator*innen. Für die war das nicht nur ein herausragendes Schauspiel, sondern tatsächlich ein Akt mit Bedeutung. Interessant.
Positiv hervorzuheben die Modernisierungen, die sich trotz aller alter, sehr alter Tradition in diesem Krönungsakt fanden – die Rolle, die Bischöfinnen, religiöse Würdenträgerinnen oder Offizierinnen spielten, der Versuch, auf die religiöse und kulturelle Vielfalt des Vereinigten Königreichs und des Commonwealth einzugehen, und auch das durchgehende Motiv der Blumen, Bäume und Insekten bis hin zum heidnischen Green Man auf der offiziellen Einladungskarte. Weniger schön: dass gegen Proteste wohl hart vorgegangen wurde. Und die politische Einrichtung der Monarchie als solche natürlich auch: warum reiche Erben reicher Diktator*innen weiterhin besondere Rechte genießen sollen, lässt sich im 21. Jahrhundert nicht wirklich beantworten.
Kurz: Technomagie
Vielleicht müssen wir in Zukunft einfach zwischen „Technologie“ (und Ableitungen wie „technologieoffen“) einerseits und „Technomagie“ (entsprechend dann: „technomagieoffen“) andererseits unterscheiden. In letztere Kategorie fallen alle Wundertechnologien, die ganz kurz vor Vollendung stehen, aber bisher keine Wirkung entfalten können – Kernfusion, E‑Fuels, fliegende Autos, die wasserstoffbetriebene Heizung oder auch die wirklich denkende KI. Also, keine Wirkung bis auf die, das Lösen von Problemen auf übermorgen zu verschieben und im Hier und Jetzt nichts tun zu müssen.
Beispielsätze:
„Auf ihrem Parteitag beschloss die FDP, sich weiterhin für Technomagieoffenheit einzusetzen.“
„Windräder, Solarzellen und Wärmepumpen sind Zukunftstechnologien, während E‑Fuels noch im Bereich der Technomagie liegen.“
Und möglicherweise – das schmerzt mich als SF-Fan – ist eine Erklärung dafür, warum eine Partei so unverhohlen auf magisches Denken setzt, darin zu finden, dass zwischen Science Fiction und Scientific Literacy zu wenig unterschieden wird. Nicht alles, was in Romanen und Filmen plausibel und hübsch erscheint, wird irgendwann Wirklichkeit werden. Auch, wenn „SF“ auf der Genre-Schublade steht. Und nur, weil Clarke irgendwann mal schrieb, „any sufficiently advanced technology is indistinguishable from magic“, gilt der Umkehrschluss halt trotzdem nicht. Nur, weil etwas magisch funktionieren soll, gibt es noch längst nicht die passende fortgeschrittene Technologie dafür.