Nachdem ich das als Jugendlicher und junger Erwachsener ziemlich intensiv gemacht hatte – erst ganz klassisch mit Tinte (in Geheimschrift …) auf Papier, dann in Dateien – ließ ich das Tagebuchschreiben irgendwann sein. Mein Blog und später auch Twitter wurden zu einem gewissen Ersatz, auch wenn keine komplette funktionale Äquivalenz besteht. Jetzt habe ich wieder damit angefangen, diesmal mit dem Stift auf dem iPad, das geht sogar halbwegs leserlich und fühlt sich zugleich anders an ala schnödes Tippen. Plus: ich nutze GoodNotes – da funktioniert auch das Hinzufügen von Fotos, Skizzen, abfotografierten Eintrittskarten usw. recht einfach.
Das funktioniert soweit ganz gut – und meine Befürchtung, dass das Jahr 2020 ein interessantes werden könnte, bestätigt sich leider auch. Insofern …
Kurz: Sound ist so langsam
Gestern habe ich – mehr aus Neugierde – mal die Verknüpfung zwischen den beiden Amazon-Produkten Kindle und Audible ausprobiert und zu dem Buch, das ich gerade lese (Max Gladstones Empress of forever) auch das Audiobook gekauft. Zwischen den beiden Darbietungsformen lässt sich nahtlos – na gut, nahezu nahtlos, bisher habe ich nur heraus gefunden, wie das seitenscharf geht – wechseln. Im eBook wird markiert, was gerade gelesen wird, bzw. was gerade gelesen wurde, das hinkt etwas hinterher.
Eigentlich also sehr bequem, und eine gute Möglichkeit, ein Buch auch beim Abwaschen oder beim Abendessen weiter zu, naja, lesen.
Eigentlich. Wenn die Informationsübermittlung via Audio nicht so extrem langsam wäre. Nein, Audiobooks (und Podcasts) sind immer noch nicht mein Kanal. Lesen geht so viel schneller … und führt nicht zu diesen Moment des Abgelenktseins, weil noch Verarbeitungskapazitäten übrig sind. Bei Filmen oder Videos ist das etwas anders, weil ja auch auf dem Bildschirm Dinge passieren.
(Anekdotisches PS: vor einigen Jahren verteilte der Deutschlandfunk seine Nachrichten bei unseren Bundesparteitagen auf Papier – als ich das zum ersten Mal gesehen habe, war ich schockiert, wie wenig Text in den Nachrichten des Informationsflagschiffs steckt – selbst Artikel in der BILD sind da umfangreicher.)
So ’ne Art Jahresrückblick, Teil III: Mein digitales Leben 2019 (A‑Z)
Apple. Bis Anfang 2019 lag meine letzte Begegnung mit Apple-Geräten schon rund zwanzig Jahre zurück (das Layout des u‑asta-info wurde im Freiburger u‑asta standesgemäß auf Macintosh-Computern durchgeführt). Dann gab’s ein Dienst-iPhone (Android ist unserer IT-Abteilung zu unsicher, das bis dahin verwendete Windows-Phone lief aus) und wenig später auch ein Dienst-iPad. bei manchen Gesten und Bewegungen hat es eine Weile gedauert, die Bedienbarkeit ist meistens besser als bei Android-Geräten, manches ist aber auch umständlicher. Schön ist die nahtlose Integration über die iCloud zwischen Smartphone und Pad, sehr gut gefällt mir die Möglichkeit, handschriftliche Notizen auf dem Tablet zu machen, da habe ich bisher in der Android-Welt nichts vergleichbares gesehen. Weniger gut: die immer noch etwas ruckelnde Zusammenarbeit mit der MS-Office-Umgebung auf dem Arbeitscomputer.
Blog. Im Rückblick hat es sich schon etwas länger angedeutet, eigentlich schon seit September 2017, aber überlagert durch Einmaleffekte (ein hochkontroverser Artikel zur OB-Wahl in Freiburg 2018!) wurde es in der Jahresstatistik erst 2019 sichtbar: die Blogzugriffe sind noch einmal etwa um ein Drittel gesunken und liegen jetzt bei rund 16.000 Views, während es die Jahre davor noch rund 24.000 waren. Das ist nicht nur ein Effekt davon, dass ich weniger zum Bloggen komme – auch die Zugriffszahlen auf einzelne Artikel sind deutlich gesunken. Vorsatz für 2020: nicht so sehr auf die Zahlen schauen, sondern weiter das in dieses Gemischtwaren-Blog stellen, was ich interessant und relevant finde. Manches findet seine Leser*innen – etwa ein Blogbeitrag zur grünen Heimatdebatte, der 2019, zwei Jahre nach dem Erscheinen, in der Alternativen Kommunal-Politik veröffentlicht wurde.
Computer. Im Winter 2019 die erschreckende Nachricht: Windows 7 läuft aus. Muss ich wohl auch privat das beruflich seit diesem Jahr genutzte Windows 10 angehen. Disruption heißt ja vor allem, Gewohnheiten zu durchbrechen.
Digitalisierungsdebatte. Erschreckend, wie oft die immer gleichen Debatten wieder geführt werden (zum Teil seit Ende der 1990er Jahre). Mitten in der digitalen Revolution ist die Welt eher unübersichtlich. Alle zwei Jahre gibt es einen neuen Hype, und die ganz großen Vorhersagen sind bisher nicht eingetreten. Oder passieren so schleichend, dass es niemand merkt. Dafür hat jetzt jeder eine Strategie.
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Das letzte heimische Netz
Gestern fand das sehr gelungene erste Netzkulturfestival von Freiburg gestalten statt (umsonst und drinnen, nämlich in der wunderbaren Lokhalle). Kathrin Passig war auch da, und hat erbaulich über die seit 1982 nachweisbare Idee vorgetragen, dass das Netz kaputt sei und früher doch alles besser, schöner, utopischer war – bevor ungewaschene Barbaren und pubertierende Jungs Einzug in das jeweilige Kommunikationsmittel gehalten haben.
Lesetipp: L.X. Beckett – Gamechanger
Ganz frisch und großartig: der gerade bei Tor erschienene Roman Gamechanger von L.X. Beckett.
Dieser Roman ist die neuste und jüngste Annäherung der Science Fiction an das Problem, augmented reality – also das nahtlose Zusammenwirken „digitaler“, von intelligenten Agenten unterstützter und „analoger“, stofflicher Welt – plausibel darzustellen. Hier gelingt das und greift nebenbei auch Fragen auf wie die danach, ab was für einem Alter dann eigentlich Kinder an einer immer vorhandenen digitalen Schicht teilnehmen, die sich über alles legt. Oder auch: wie sichergestellt wird, dass sie vorher Berücksichtigung finden, oder was mit denen ist, die ein Implantat verweigern oder biologisch dafür nicht geeignet sind. Oder: was passiert mit @jarheads, Menschen in kaputten Körpern, die aber weiter am „Sensorium“, wie die digitale Ergänzung der Welt hier heißt, teilnehmen? Becketts Roman spielt in einer Zukunft, in der all das selbstverständlich ist. Und die digitale Schicht bleibt nicht Ornament, sondern ist tief in die Gesellschaft eingewoben. Ein Beispiel dafür ist die Idee, dass strikes/strokes verteilt werden können, die eine Art Währung darstellen. Oder die Art und Weise, wie stoffliche Räume und Games übereinander gelegt werden. Wie sich die Sprache verändert hat, die Ökonomie – in Richtung einer aufmerksamkeitsgetriebenen gig economy mit post-kapitalistischen Celebrities; aber auch die Politik (globale direkte Demokratie, aber mit Eintrittshürden in Form von Tutorials und Abfragen …) und die Medien in einer Überwachungsgesellschaft (Cloudsight hat da einiges gemeinsam mit Malka Olders Information – eine Weltbehörde für Informationskontrolle).
Eine augmentierte Realität plausibel zu schildern, passiert hier nicht das erste Mal. Wer möchte, kann bis zu William Gibsons Neuromancer (1984) zurückgehen. Bei Gibson ist der Cyberspace vor allem durch Separierung gekennzeichnet – er muss betreten werden, dazu gibt es eine spezielle technische Ausrüstung, dort gelten andere Regeln. Becketts Sensorium ist dagegen ein Teil der Welt, an der alle – oder fast alle – Menschen in unterschiedlichem Ausmaß immer teilhaben. Das ist das neue daran. Auch in den neusten Büchern von Neal Stephenson (Fall, or Dodge in Hell, 2019), Karl Schroeder (Stealing Worlds, 2019) und Tom Hillenbrand (Hologrammatica, 2018) ist augmentierte Realität ein Thema. Beckett packt da nochmal eins drauf.
Oder: Wenn Science Fiction auch dazu da ist, gegenwärtige Entwicklungen zu reflektieren, dann scheint das selbstverständliche Ineinanderfließen von stofflicher und digitaler Welt mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben, eine der Debatten zu sein, die jetzt geführt werden muss.
Das zweite große Thema, mit dem sich Science Fiction gegen Ende der 2010er Jahre auseinandersetzt, ist das Ende der Welt. Die Klimakrise und der Zusammenbruch der globalen Ordnung als apokalyptischer Hintergrund sind fast schon ein alter Hut, etwas Gegebenes. Bei Beckett heißt diese Zeit des Zusammenbruchs Setback – und sie beginnt etwa heute. Das Buch spielt aber etwa eine Generation später – der Zusammenbruch, die Zwangsmaßnahmen wie Umsiedlungen, #triage und Rationierungen sind noch in Kraft, im Vordergrund steht jetzt aber der Wiederaufbau, die Erneuerung der natürlichen Kreisläufe, der harte Kampf um Klima und Sauerstoff. Das ist der Lebensinhalt der Bounceback-Generation: prosozial, anpackend, aktivistisch, optimistisch und höflich. Selbst auf der Barrikade werden noch die Orangenschalen fein säuberlich getrennt gesammelt, um sie wieder dem Kreislauf zuzuführen. Zur Schau gestellter Konsum ist ekelhaft. Oder in den Worten der Hauptperson, Rubi Whiting: „Row, row, row, everyone. All we have is us.“
Wer wach ist, nimmt genau diesen Geist heute wahr. Selbstverständlich ist Science Fiction immer Gegenwartsliteratur – und ja, vielleicht brauchen wir, ganz ohne außerirdische Bedrohung und vor Zwangsumsiedlungen („Verdichtung“) und Rationierungen etwas davon. Fridays for Future, anyone?
Literatur hat dabei Freiheiten – eine gewisse Herausforderung für meine suspension of disbelief stellt die Tatsache dar, dass der Roman in einer Welt der Knappheit spielt, dass aber gleichzeitig jede Mengen Drohnen, Server und High-Tech-Dinge zum Einsatz kommen. Im Buch selbst gibt es dafür zwei Erklärungen: das Sensorium ist auch ein Ort, an dem Menschen Spaß haben können und Dinge erleben, ohne dafür Ressourcen etwa in Form von Reisen zu verbrauchen; und die High-Tech, etwa in Form von Nahrungswürfeln oder sich selbst konfigurierendem Nanomaterial, das als Kleidung dient, ist letztlich ressourcenschonender als die handgemachte Alternative, die als Luxusgut gilt.
Nebenbei ist Gamechanger ein Buch über zerbrechliche Personen, die jeweils mit ihren eigenen Dämonen kämpfen. Und auch das trägt dazu bei, dass ich Becketts Buch am liebsten am Stück gelesen hätte.