Kurz: Die Zora und das Mikromanagement
Mit dem Aufstehen und dem in den Kindergarten Gehen ist das so eine Sache. Erst trödel ich rum, dann trödelt Zora rum, und manchmal sind wir dann beide genervt, wenn wir das Haus verlassen. Heute zum Beispiel. Das ging dann so weiter: Zora war mit dem Laufrad unterwegs, ich für den Soundtrack zuständig: „Stopp! Fahr mal auf die andere Seite! Warum bleibst du den ständig stehen? Lass doch die Blume da in Ruhe! Nicht auf die Seite, die andere! Pass doch mal auf! Fahr weiter! Etc.“.
Bis mir dann auf halbem Weg ein anderes Elternteil begegnete und eine organisatorische Frage hatte. Bis die geklärt war, war Zora ein gutes Stück vorgesaust – bis zum Waldrand, um genau zu sein. Und soweit ich das sehen konnte, auf der richtigen Seite, und zügig ohne Stocken. Erst auf dem Waldweg hatte ich sie eingeholt. Ziemlich sauer erklärte sie mir, dass ich gefälligst hier warten solle. Dann habe ich also gewartet, bis sie zum Kindergarten gefahren ist – unsicher auf den joggenden Gegenverkehr, die zwei Hunde, die drei anderen Kinder auf Laufrädern und Fahrrädern und den sperrigen Anhänger schauend. Erst als Zora nicht mehr zu sehen war, bin ich hinterher.
Beim Kindergarten angekommen erklärte Zora mir dann – statt der üblichen langen Abschiedszeremonien – schlicht: „Papa, du kannst jetzt gehen!“. Was ich dann auch machte, einigermaßen stolz auf meine selbständige Tochter.
Die Moral von der Geschichte: zuviel Begleitung kann ganz schön nervig sein – für beide. Mal schauen, ob das Alleine-Fahren eines Teils der Kindergartenwegs sich durchsetzt.
Natur/Gesellschaft: Technik an der Grenze – Beispiel Mobiltelefon
Fragestellung: Technik als Schnittstelle?
In meinem Promotionsvorhaben beschäftige ich mich mit dem Umgang mit alltäglicher Technik in Nachhaltigkeitsmilieus – ein Beispiel ist das Mobiltelefon. An dieser Stelle möchte ich allerdings nur ein Detail herausgreifen, nämlich passend zum Thema „Grenzüberschreitungen“ das Dreiecksverhältnis zwischen „Gesellschaft“, „Natur“ und „Technik“ (Abb. 1). Zwischen den zwei Formen von Materialität spannt sich ein Kontinuum mit den Polen „Natur“, die ich als im Verhältnis zum Menschen unbestreitbar eigensinnige Materialität definiere, und „Technik“ als in Form gebrachte und „informierte“ Materialität. Am Beispiel des Mobiltelefons sollen nun unterschiedliche Ebenen dargestellt werden, auf denen Technik an der Schnittstelle/Grenze zwischen Natur und Gesellschaft agiert.
Abb. 1. Wechselwirkungen zwischen Materialität (Kontinuum „Natur“ – „Technik“) und Sozialität („Gesellschaft“)
Theorien sozio-materieller Wechselwirkung
Im traditionellen Blick der Soziologie von Durkheim bis Luhmann zählt nur, was innerhalb der Gesellschaft geschieht. „Natur“ wie „Technik“ sind nur als kommunikative, also kulturelle Repräsentationen vertreten. Wechselwirkungen zwischen Sozialität und Materialität werden ignoriert, ebenso die Tatsache, dass soziale Praktiken (Reckwitz 2000; Shove 2002) durch ihre materiellen Grundlagen ultimativ begrenzt sind und zugleich erst ermöglicht werden. Gleichzeitig transformieren Praktiken immer Materie: gezielt in der Herstellung z.B. einer technischen Konfiguration, aber ebenso in Form nicht intendierter und zuerst einmal „unsichtbarer“ Handlungsfolgen (vgl. Beck 1986; Giddens 1992). Gezielten Transformationen sind allerdings aufgrund der materiellen Eigendynamik Grenzen gesetzt (Pickering spricht von „material agency“, Michael von „co-agency“). Eine nicht in gesellschaftlicher Selbstbeschau verbleibende Umweltsoziologie muss diese Bezüge aufnehmen (vgl. Brand 1998); etwa im interdisziplinären Ansatz sozial-ökologischer Forschung (Becker/Jahn 2006). Über die bereits von Marx betrachtete Arbeitswelt (vgl. Görg 1999) hinaus sind es Artefakte, die diese Wechselwirkungen im Alltag vermitteln und verstärken.
Abb. 2. An der Praxis des Mobiltelefonierens beteiligte „Akteure“
Veranschaulichung am Beispiel Mobiltelefon
Eine heute simpel erscheinende Praxis wie die Nutzung eines Mobiltelefons ist voraussetzungs- und folgenreich. Neben der sozialen Einbettung und kulturellen Zuschreibungen (vgl. Burkart 2007) spielt dabei Materialität eine große Rolle (vgl. Agar 2003, Reller et al. 2009). Das Artefakt Mobiltelefon ist, getragen von vielfältigen „Akteuren“ (Abb. 2), in mehrfacher Weise in die Vermittlung zwischen Natur und Gesellschaft eingebunden:
1. Voraussetzung der Nutzungspraxis ist das Artefakt Mobiltelefon als Produkt eines globalen Herstellungsprozesses, der auf knappe Rohstoffe angewiesen ist und der riskante Nebeneffekte in der Rohstoffgewinnung und Produktion auslösen kann.
2. Die Nutzung des Mobiltelefons ist an die Existenz mehrerer Infrastrukturen gebunden (Stromnetz; Funktürme, um mobile Kommunikation zu ermöglichen; IT), die wiederum folgenreich sind.
3. Der meist diskutierte Effekt während der Nutzung sind die Emissionen des Telefons und der Funktürme („Elektrosmog“). Auch der verwendete Energiemix ist nicht ohne Umweltfolgen. Zudem wirkt das Artefakt selbst als materieller Körper im Raum.
4. Am Ende der Gebrauchsphase steht nicht nur die Entsorgung (Elektroschrott, Müllhalde, Recycling?), sondern beispielsweise auch der damit verbundene Verlust seltener Metalle.
5. Zu diesen „direkten“ materiellen Effekten kommt die Ebene kommunikativer Vermittlung: von der Landschaftswahrnehmung im Handy-Foto bis hin zur Umweltinformation per SMS.
Fehlende Verschränkung der Perspektiven
In soziologischer Perspektive wird das Mobiltelefon v.a. als perso-nalisiertes, kulturell aufgeladenes Kommunikationsmedium behandelt, das soziale Beziehungen transformiert. In ökologischer Perspektive steht das mögliche Gesundheitsrisiko im Vordergrund; in neuerer Zeit kommt der Blick auf globale Effekte der Verwendung seltener Metalle hinzu. Dagegen fehlt bisher der systematische Blick auf die Verschränkung „materieller“ und „diskursiver“ Effekte beim alltäglichen Mobiltelefonieren, bzw. auf deren Fehlen.
Zitierte Literatur
Agar, Jon (2003): Constant Touch. Cambridge: Icon Books.
Beck, Ulrich (1986): Risikogesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Becker, Egon; Jahn, Thomas (Hrsg.) (2006): Soziale Ökologie. Frankfurt am Main, New York: Campus.
Brand, Karl-Werner (Hrsg.) (1998): Soziologie und Natur. Opladen: Leske+Budrich.
Burkart, Günter (2007): Handymania. Frankfurt am Main/New York: Campus.
Giddens, Anthony (1992): Die Konstitution der Gesellschaft. Frankfurt/ New York: Campus.
Görg, Christoph (1999): Gesellschaftliche Naturverhältnisse. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Michael, Mike (2000): Reconnecting Culture, Technology and Nature: London: Routledge.
Pickering, Andrew (1995): The Mangle of Practice. Chicago/London: University of Chicago Press.
Reckwitz, Andreas (2000): Die Transformation der Kulturtheorien. Weilerswist: Velbrück.
Reller, Armin et al. (2009): „The Mobile Phone: Powerful Communicator and Potential Metal Dissipator“, in GAIA 18, 2, 127–135.
Shove, Elizabeth (2002): Sustainability, system innovation and the laundry. Lancaster: Lancaster University.
Warum blogge ich das? Text für ein Poster für ein Promovierenden-Kolloquium an der Universität Freiburg – bin damit nicht so ganz zufrieden (naja, vor allem unglücklich über das von mir für das gewählte Thema eher als einschränkend empfundene Poster-Format) und wollte das ganze mal in einem anderen Format und mit Feedback-Möglichkeit sehen.
P.S.: War natürlich der einzige, der nicht genau gelesen hat und A0 abgeliefert hat statt des erwünschte A1-Formats, hat aber keine große Rolle gespielt. Das Poster als PDF: Poster „Natur/Gesellschaft“, Milestones-Tagung 2009.
Photo of the week: Refraction
Katze
Seit Montagmorgen ist unsere Katze verschwunden. Wer meine Twitter-Statusmeldungen liest, weiss das schon. Aufgetaucht ist sie bis heute noch nicht. Wir haben gesucht, Zettel aufgehängt, auch das Tierheim informiert. Dass Katzen mal einen Tagesausflug machen, ist nicht so ungewöhnlich. Dass Katze länger als einen Tag weg bleibt, macht mir Sorgen. Allmählich verliere ich die Hoffnung, dass sie wieder auftaucht.
Katze ist zu uns auf ähnlichem Weg gekommen, wie sie jetzt verschwunden ist. Eines Tages – das müsste jetzt sieben Jahre her sein – stand sie vor dem Fenster der Erdgeschosswohnung meiner Freundin. Maunzte kläglich, wollte was zu fressen. Sie hat was bekommen, wollte bleiben. Wir haben Zettel aufgehängt, die Besitzer gesucht. Und sie gefunden. Die hatten aber gar kein großes Interesse daran, dass „Paella“ – so nannten sie Katze – bei ihnen bleibt. Also blieb sie bei uns.
Zutraulich, was Menschen angeht. Aggressiv, wenn sie Hunde sah. Egal, wie groß: Angriff. Nicht ängstlich. Und trotz markantem Stummelschwanz – die Vorbesitzer erzählten, dass der Schwanz gebrochen war und amputiert werden musste – zu allen Katzensprüngen in der Lage.
Wie alle Katzen: eigensinnig. Duldete, im Ausgleich für Streicheleinheiten gefüttert zu werden. Dabei mäckelig, was die richtige Sorte anging, mit wöchentlich wechselnden Gewohnheiten. Sie war nur mit Mühe davon zu überzeugen, dass Tische ganz definitiv nicht Katzenterritorium sind. Versuchte es trotzdem immer wieder, wusste ganz genau, wie Aufmerksamkeit erzeugt werden kann: auf den Tisch klettern, auf die Zeitung springen, vor den Laptop legen.
Katze ist mit uns umgezogen. Zweimal mit meiner Freundin, dann in unsere erste gemeinsame Wohnung, und danach noch zweimal. Sie hat uns dabei ziemlich eingeschränkt – auch das muss mal gesagt werden. Sie wollte offene Fenster oder Katzenklappen. Erdgeschosswohnungen. Gärten oder naheliegende Grünanlagen. Hier im Rieselfeld hat sie sich zuletzt mit der selbstgebauten Katzenleiter ins erste Stockwerk angefreundet – und die Hausverwaltung glücklicherweise auch.
Andere Katzen: in erster Linie Grund für viel Geschrei. Kämpfe. Piratenohren.
Erstaunlich tolerant und sanftmütig dagegen gegenüber Zora. Gegenüber dem schreiendes Baby, die Katze damals noch viel größer. Gegenüber dem zerrenden, innig umarmendem, auf die Katze kletternden Krabbelkind. Und in letzter Zeit gegenüber einem frechen Mädchen, das meint, der Katze sagen zu müssen, wo es lang geht, und wenn sie sich nicht daran hielt, Katze eben rumzutragen. Nicht immer ganz sanft. Trotzdem: weitgehend ohne Kratzer, Bisse und Blessuren. Und sie nahm es auch hin, dass mit Zora und jetzt mit Rasmus nicht mehr so viel Zeit und Zuwendung für sie übrig blieb.
Die andere Seite – sagte ich schon, dass Katze ziemlich sturr sein konnte? Mein Lieblingsplatz. Meiner! Ich geh hier nicht weg! Auf dem Schreibtisch. In der Altpapierkiste. Auf dem Sessel. Im Blumentopf. Jeder Platz bald an einer dichten Schicht Katzenhaar zu erkennen.
Kuschelig. Auf einen wartend. Immer wieder kommend – bisher. In Günterstal hat sie uns teilweise bis in den Wald und bis zur Straßenbahnhaltestelle verfolgt, auf Spaziergängen oder beim Weg zur Arbeit. Anhänglich. Und manchmal auch lästig: wenn sie was in den falschen Hals bekommen hatte, und wenn dann Katzenkotze weggewischt werden musste. Das Katzenklo. Und: Urlaube und längere Abwesenheiten immer genau planen zu müssen, auch hinsichtlich der Katzenbetreuung. Ein, zweimal ist sie auch mitgekommen, in den Weihnachtsurlaub.
Mit diesen Lästigkeiten war sie für uns vielleicht auch ein bißchen der Übungsgegenstand für den Alltag mit Kindern.
Jetzt ist sie weg. Sie fehlt uns. Abends bilden wir uns ein, ihr Kratzen an der Balkontür zu hören. Ihr Maunzen. Aber da ist nichts. Sie ist nicht da.
Vielleicht taucht sie wieder auf. Wenn nicht, hoffe ich, dass ihr nichts passiert ist. Sondern dass sie gegangen ist, wie sie gekommen ist, sich neue Menschen gesucht hat. Unsere Katze. Unsere Katze? Sie war nie unsere Katze, wie jede ordentliche Katze gehörte und gehört sie letzten Endes immer nur sich selbst.