Die PV-Pflicht bei Dachsanierungen in Baden-Württemberg ist ein voller Erfolg. Orte der Zukunft sehen dann nachts so aus – der Vollmond wird hier von der Photovoltaik auf dem Dach eines Nachbarhauses reflektiert.
Science Fiction im Oktober 2023
Auch aufgrund einer ganzen Reihe von Bahnfahrten bin ich im Oktober gut zum Lesen gekommen, genauer gesagt, habe ich einen Near-Future-Thriller und vier Bücher aus drei Space-Opera-Serien gelesen.
Der Thriller heißt Prophet, wurde von Sin Blach und Helen MacDonald geschrieben und ist im August 2023 erschienen. Und vielleicht ist es auch gar kein Thriller, sondern eher eine Art modernes Märchen. Die Protagonisten – Adam Rubenstein, ein erst einmal sehr hart wirkender amerikanischer Geheimdienstler, und Sunil Rao, exzentrisches Wunderkind, das jede Lüge sofort erkennt und in Drogen Zuflucht sucht – stecken in einer Hass-Liebes-Beziehung; nach und nach werden deren Hintergründe und die jeweiligen Persönlichkeiten und deren Geschichte schärfer konturiert. Dritter Protagonist des Buchs ist die titelgebende Substanz „Prophet“, die – wie das funktionieren soll, ist für die Geschichte nicht wichtig – in der Lage ist, mit Nostalgie besetzte Gegenstände, vom Teddybären bis zum vollständigen Diner, aus der Biografie ihrer Nutzer*innen zu materialisieren. Nachteil: die sind danach nicht mehr von diesen Gegenständen zu trennen, wenn es doch versucht wird, kommt es zu Koma und Todesfällen. Natürlich hat auch das Militär Interesse an „Prophet“, und irgendwelche durchgeknallten Tech-Investoren erst recht. Wie gesagt: einerseits ein Thriller mit allen, was dazu gehört – andererseits, vor allem gegen Ende, dann mehr und mehr ein modernes Märchen. Interessant auf jeden Fall.
Marta Randalls Journey ist 2018 im Selbstverlag erschienen, stammt ursprünglich aber aus dem Jahr 1978; das damalige Taschenbuch ist längst vergriffen. Ich bin jedenfalls froh, dass diese Space Opera damit wieder erhältlich ist. Zusammen mit der Fortsetzung, die ich noch nicht gelesen habe, läuft das ganze auch unter dem Serientitel „Kennerin Saga“. Das Szenario ist aus heutiger Sicht ganz typisch – eine wüste Erde, ein fieses bis teilnahmsloses interstellares Imperium, verbunden durch Raumschiffe, die in einer anderen Dimension eintauchen und „driften“, und Planeten am Rande der Grenze, die kolonisiert werden. Es gibt ein quasi-feudales System – und eine dieser Adelsfamilien, die Kennerins, stellen den Fokus des Romans dar. Sie besiedeln den Planeten Aerie, und haben, anders als andere, Empathie für die dort lebenden Aliens und für Flüchtende von anderen Planeten. In Querschnitten durch einige Jahrzehnte sehen wir, wie auf diesem Planeten eine neue Gesellschaft entsteht – immer verwoben mit den Dynamiken innerhalb der Familie, also auch Soap im ganz klassischen Sinne. Wäre durchaus auch verfilmbar.
Ganz neu dagegen The Blighted Stars (2023) und The Fractured Dark (2023), die ersten beiden Bände von Megan E. O’Keefes „The Devoured Worlds“-Serie. Auch hier das bekannte Space-Opera-Szenario, in diesem Fall herrscht ein Quintett von Wirtschaftsmächten – unter dem Kürzel MERIT bekannt. Erster unter Gleichen ist die Familie Mercator (das M in MERIT), die ein Mineral abbaut, das notwendig ist, um Raumschiffe und Raumstationen zu betreiben, und zugleich in Form von subdermalen Schaltkreisen Menschen zu ganz neuen Eigenschaften verhilft. Tarquin Mercator ist das schwarze Schaf dieser Familie – ihn interessieren nicht Machtspiele, sondern Geologie. Der Abbau des Minerals erfolgt mit Hilfe eines angepassten Organismus – und zieht die Zerstörung ganzer Planeten durch eine tödliche Flechte nach sich. Mercator behauptet, Abbau des Relkatite und Flechtenbefall haben nichts miteinander zu tun. Eine Bewegung samt terroristischem Arm vermutet ganz anderes – deren Agentin Naira Sharp versucht, sich in eine Mercator-Expedition auf einen bisher noch nicht ausgebeuteten Planeten einzuschmuggeln (um Menschen über interstellare Distanzen zu transportieren, wird hier eine Art Klonen plus Gehirn-Download verwendet, was zu ganz eigenen Problemen und Möglichkeiten führt). Das Schiff stürzt ab, und der Planet entpuppt sich als lebensfeindlich. Tarquin und Sharp müssen zusammenarbeiten. – Soweit mal die Voraussetzungen, aus denen sich eine sehr lesbare Geschichte entwickelt. O’Keefe verbindet drei Handlungsebenen: die persönliche Geschichte von Tarquin Mercator und Naira Sharp, in mehreren Variationen; die Auseinandersetzungen zwischen und innerhalb der Wirtschaftskonglomerate; und, ohne hier zu viel zu verraten, eine neue Interpretation der Body-Snatcher-Variante von Begegnungen zwischen Menschen und Aliens. Ich bin jedenfalls auf den dritten Band gespannt.
Ebenfalls sehr gut gefallen hat mir das gerade erschienene A Fire Born of Exile (2023), laut Angabe der Autorin Aliette De Bodard eine Neuinterpretation des Grafen von Monte Christo in ihrem sino-vietnamesisch grundierten Xuya Universe. Es geht um Gerechtigkeit vs. Rache, um Familiendynastien und „mind ships“, um die Nachwehen einer gescheiterten Revolution – und nicht zuletzt um eine Liebesgeschichte zwischen Hoa, die Dinge repariert, und der Rebellin Quynh. Sehr gut geschrieben, auch irgendwie Space Opera, aber – wie die anderen Xuya-Universe-Geschichten sehr weit weg von „frontier“ und „Wild West im Weltraum“. Wenn ich eines der im Oktober gelesenen Bücher empfehlen möchte, dann dieses.
Und sonst? Zum Anschauen von Serien bin ich weniger gekommen – ein kurzer Blick auf die zweite Staffel von Loki (hat was, insbesondere nach wie vor die Midcentury-Optik der Zeitreisezentrale) und natürlich Star Trek: Lower Decks (mit einem noch nicht ganz aufgelösten, aber sich andeutenden interessanten Ende für den Hauptgegner dieser Staffel).
Photo of the week: Autumn sun / Maria-Magdalena-Kirche, Freiburg-Rieselfeld
Allmählich heißt es, Abschied zu nehmen vom Rieselfeld. Also, keine Sorge, der Stadtteil bleibt weiter da, nur ich ziehe weg. Meinen Hauptwohnsitz habe ich schon im Sommer nach Gundelfingen umgemeldet, und nach und nach ziehe ich jetzt mit der „Nebenwohnung“ um nach Esslingen. Da fühlt sich die Textur des Alltags ganz anders an, ich weiß nicht genau, woran das liegt, am Licht, oder an den Leuten, oder am deutlich höheren Geräuschpegel. Jedenfalls ist der Abschied vom Rieselfeld doch mit etwas Wehmut verbunden. Ich habe da gerne gewohnt, und ja: Stadtplanung lohnt sich.
Im Bild die Maria-Magdalena-Kirche, mit ihrer ganz besonderen brutalistischen Ästhetik ein bisschen so etwas wie ein Wahrzeichen des Rieselfelds. Bin ja Atheist, aber auch die werde ich vermissen.
Notizen zu Gemeinsam Handeln, Tag 2
Der zweite Tag der Tagung „Gemeinsam Handeln“ des baden-württembergischen Staatsministeriums war wohlgepackt. Und obwohl einige hochkarätige Referent*innen krankheitsbedingt abgesagt hatten, blieb doch einiges an bemerkenswerten Vorträgen und Redner*innen – insofern bin ich auf das angekündigte Buch zur Tagung gespannt. Noch mehr darauf, wie die diskutierten Problemstellungen ihren Weg in das Regierungshandeln finden.
Ging es am ersten Tag um übergreifende Themen, um Bürgerbeteiligung und um die Wirtschaft, so stand am zweiten Tag v.a. der Klimawandel im Mittelpunkt.
Zuvor baute Prof. Jan-Werner Müller aus Princeton (Motto „konservative Denkfiguren für eine progressive Politik fruchtbar machen“) aber noch den ganzen großen politisch-philosophischen Rahmen auf, indem er den Zusammenhang von Freiheit und Zusammenhalt ausleuchtete. Im Kern ging es hier um das Problem des „Verlierers“ in der Demokratie – wie muss ein demokratischer Prozess in einer freiheitlichen und pluralen Gesellschaft aussehen, um am Schluss nicht eine Spaltung in Mehrheit und Minderheit hervorzurufen, sondern ein Ergebnis, das auch von denen mitgetragen wird, die in der Sachfrage verloren haben. Als Voraussetzungen für einen zusammenhaltsfördernden Umgang mit Konflikten nannte Müller drei Punkte: (1) andere nicht kategorial ausschließen, den politischen Gegner nicht zum Feind erklären; (2) zwischen einer gemeinsamen Faktengrundlage und gerne strittigen Meinungen zu gemeinsam geteilten Fakten unterscheiden; (3) nicht auf technokratisches Rechthaben vertrauen.
D.h. auch: wer verliert, muss immer eine Chance haben, seine oder ihre Position in der nächsten Runde durchsetzen zu können. Müller ging dann weiter auf die spezifische Rolle von Parteien und Gerichten ein und stellte dar, dass Bürgerräte ein Instrument der zusammenhaltsfördernden Konfliktlösung sein können, wenn sie als Ergänzung, nicht als Ersatz einer repräsentativen Demokratie konzipiert sind. Diskutiert wurde auf dem anschließendem Podium insbesondere die Frage, was diese Aussagen mit Bezug auf AfD und Rechtsextremismus bedeuten – vor der Folie der Transformation(en). Mitgenommen habe ich das Wort davon, dass der „Kulturkampf die Einstiegsdroge in den Populismus für bürgerliche Kreise ist“ – und die Aufforderung, mit Populist*innen zu reden, aber nicht wie diese.
Das zweite Podium zur „Geschwindigkeit der Demokratie“ wurde krankheitsbedingt zu einem moderierten Zwiegespräch zwischen Pauline Brünger (Fridays for Future) und dem grünen Alt-Vordenker Ralf Fücks. Da ging es relativ heftig zur Sache, die jeweils unterschiedlichen Bewegungserfahrungen wurden sich sich vorgehalten, das Verhältnis zwischen Partei und Bewegung ausgelotet zwischen Verständnis für realpolitische Zwänge und Wunsch beschleunigten Handelns angesichts physikalischer Herausforderungen. Fücks landete letztlich beim grünen Wachstum, bei intelligenten Märkten und der ökologischen Modernisierung im Bündnis mit der Mehrheit, was zu erwarten war. Statt politisch beschleunigt zu regulieren, sollte lieber in die Innovationsfähigkeit der Märkte vertraut werden, sobald die Preise die richtigen Anreize setzen. Alles nichts neues. Interessanter die Haltung von Brünger, die sehr reflektiert die Strategie der Fridays erläuterte, und immer wieder betonte, dass Klimaprotest aus Sicht von FFF eben auch soziale Akzeptanz und Lebenswirklichkeit mitdenkt. Dabei gab es eine deutliche Abgrenzung zu Straßenblockaden um der Blockade willen, besser: sich Kämpfe aussuchen, die für die transformationswillige Mehrheit der Bevölkerung anschlussfähig sind. Zur Reflektion gehörte auch die Feststellung, dass die Klimabewegung von der Debatte um das Heizungsgesetz kalt erwischt wurde – Brünger sprach hier von einem Realitätscheck für zukünftige Kämpfe.
Noch ein Stück weiter in Richtung Klimaschutz und Sozialpolitik zusammendenken ging dann Prof. Anita Engels, die für eine aktive Trägerschaft der Transformation durch weite Bevölkerungskreise plädierte. Sie machte die soziodemografisch sehr unterschiedliche Mitwirkung am Klimawandel deutlich und nahm hier insbesondere die Privatjets der Superreichen in den Blick. Hier liegen – bei zahlenmäßig wenigen Personen, aber extrem hohem Pro-Kopf-CO2-Ausstoss – auch ganz konkrete Handlungsmöglichkeiten. Dem stellte sie am anderen soziodemografischen Ende „Klimaschutz aus Mangel“ gegenüber. Klimaschutz sozial gerecht zu gestalten, ist aus Engels Sicht nicht nur die Herstellung von Sozialverträglichkeit (etwa durch ein Klimageld oder Ausgleichszahlungen), sondern der Blick auf soziale Gerechtigkeit (also eine faire Verteilung von Kosten und Verantwortung). Noch einen Schritt weiter gedacht kommt die angesprochene aktive Trägerschaft ins Spiel. Das könnte z.B. heißen, kleine Gewerbetreibende mit ins Boot zu holen – oder ganz schlicht im Bereich der sozialen Arbeit in den Leistungsvereinbarungen Klima mit zum Thema (und damit zum Gegenstand) zu machen.
Im Block „Wie reden wir über Klimaschutz“ machte die Neurowissenschaftlerin Prof. Maren Urner Werbung für ihr Konzept des „konstruktiven Journalismus“ – da schwebte, neben berechtigter und zugespitzter Erläuterung neurowissenschaftlicher Grundlagen dafür, dass wir die Klimakrise verdrängen, auch viel Werbung für die eigene Person mit.
Highlight zum Schluss der Tagung dann Bundestransformationsminister Robert Habeck, der die Aufgabe hatte, zum Thema „Aus Zuversicht Wirklichkeit machen“ zu sprechen. Das tat er mit einem großen Bogen von den zeitgenössischen Protesten gegen das in Mannheim erfundene Laufrad bis zur heutigen Lage. Statt an unbegründete Hoffnung zu glauben, plädierte er für die begründete Zuversicht – zu der wir mit Arendt verdammt sind. Es geht nicht um Zweckoptimismus, sondern um das in einer gesellschaftlichen Situation machbare, nicht um die immer bessere – apokalyptische – Problembeschreibung, sondern um die Werbung und letztlich Mehrheitsbeschaffung für Lösungen. Interessant für mich, weil das ein sich durchziehendes Thema der Tagung war, der Schwenk hin zu Infrastruktur – auch im Sinne des Erhalts und der Schaffung öffentlicher Räume, an denen unterschiedliche Menschen zusammenkommen. Das dürfe – Seitenhieb in Richtung des Kabinettskollegen – auch nicht an knappen Kassen scheitern. In der öffentlichen Begegnung entsteht Neues, aber auch Realitätssinn, und Zuversicht – und damit Fortschritte – baut genau auf diesem Blick auf die Realitäten auf. Und ganz en vogue: der Blick auf Triggerpunkte (Mau), die zu drücken vermieden werden soll. Statt dessen warb Habeck für integrale Lösungen – und die Wiederentdeckung republikanischer Tugenden von Toleranz bis Neugierde.
Im Schlussfazit des Ministerpräsidenten Kretschmann habe ich insbesondere noch einmal ein Plädoyer für starke Institutionen gehört – auch für die Institution Demokratie selbst als „Infrastruktur der Freiheit“ -; keine Kulturkämpfe, aber auch ein genaues Hinschauen, wo es um ganz normale demokratische Auseinandersetzungen geht, um den zivilisierten Streit auf Faktenbasis – und, im Sinne einfacher, erhellender Botschaften: für eine realistische und in den Tatsachen verankerte Zuversicht.
Photo of the week: Dahlia
Die letzten Tomaten sind geerntet, die Beeren schon längst von den Sträuchern verschwunden, die Obstbäume leer – aber immerhin erfreut der Garten im Herbst du reichlich Blüten. Neben den Dahlien, die dann doch tapfer wiedergekommen sind, auch Astern und die orangenen, gelben und roten Farbtupfer der Kapuzinerkresse.
P.S.: Ich sehe gerade: im letzten Jahr blühten die Dahlien schon im Juli, dieses Jahr erst Ende September. Das Wetter.