Manchmal reicht es, kurz die Tür aus der Nase zu stecken, um in einem Science-Fiction-Bühnenbild zu landen.
Eine Million Menschen gegen Rechts – eine Million Menschen für Demokratie und Rechte
Es ist gar nicht so einfach, den Überblick zu behalten bei den vielen Demos an diesem Wochenende – mit Rekordzahlen in München, Hamburg und Berlin, Aktionen in ganz vielen Städten und hervorragender Beteiligung auch in Ostdeutschland. Heute in Freiburg (bei der dritten Demo in Folge) waren es wohl 25.000 bis 30.000 – aus der Menge heraus einfach viele. Ein paar wenige Parteifahnen, vor allem aber eine Vielzahl kreativer Plakate.
Eine genaue Zahl kenne ich nicht, es ist aber nicht übertrieben, festzuhalten, dass in diesen Tagen deutschlandweit mehr als eine Million Menschen auf die Straßen und Plätze gegangen sind. Und die Botschaft ist überall dieselbe: wir verteidigen unsere Demokratie. Die AfD spricht nicht für die Mehrheit. Deutschland ist bunt, vielfältig und weltoffen.
Ich hoffe, dass dieses Signal ankommt. In der Bundesregierung, in den Ländern, in den Medien. Der Protest gegen Rechts ist laut. Er wird von „ganz normalen Menschen“ getragen. Und er richtet sich gegen die AfD – aber auch gegen diejenigen, die glauben, es würde gegen die Bedrohung von rechts helfen, nach rechts zu rutschen. Das ist das Signal dieser Tage. Und es wird mit der Erwartung verbunden, dass „die Politik“ darauf reagiert.
Erzkonservative frohlockten in den letzten Wochen und Monaten, dass die „kulturelle Hegemonie“ für grüne Ideen gebrochen sei, dass es eine Chance gibt, endlich Kohls geistig-moralische Wende umzusetzen. Wenn in CDU-Programmen von Leitkultur und einer Abschaffung des Asylrechts die Rede ist, dann setzt das in vorauseilendem Gehorsam diesen propagierten Hegemonie-Wechsel um.
Mal abgesehen davon, dass ein progressiver, an Klimaschutz, Respekt und Menschlichkeit orientierter Zeitgeist nie parteipolitisch grün war, sind diese Demos für mich auch ein Zeichen dafür, dass sehr viele Menschen mit einem Rechtsruck nicht einverstanden sind. Die rechte Seite des politischen Spektrums freut sich möglicherweise zu früh.
Zeigen werden das letztendlich erst die Wahlen im Juni und in der zweiten Hälfte des Jahres. Wenn wir Glück haben, erleben wir gerade einen Kipppunkt, ein deutliches „bis hierher und nicht weiter“.
Vielleicht bin ich zu optimistisch. Doch mehr als eine Million Menschen auf der Straße: das macht Mut und lässt sich nicht einfach ignorieren.
Photo of the week: Schluchsee
Am letzten Wochenende fand der Neujahrsempfang des grünen Kreisverbands in Schluchsee oben im Schwarzwald statt. Und während Freiburg unter einer grauen Wolkendecke lag, gab es oben blauen Himmel und Sonnenschein (wie so oft). Und ein paar schöne Fotomotive noch dazu.
Mein Medienmenü 2024
Kathrin Passig lässt uns im Techniktagebuch an ihrem Medienmenü und an den im Lauf der letzten zwölf Jahre stattgefundenen Verschiebungen teilhaben. Interessant, finde ich, und nehme mir gleich mal mein eigenes Büffet vor:
Bücher zur Unterhaltung habe ich in den letzten Jahren fast nur noch digital gelesen, auch aus Mangel an Stellplatz. Fast nur noch, weil es ein paar Ausnahmen gibt: einige Autor*innen (insbesondere Kim Stanley Robinson, Cory Doctorow und Neal Stephenson fallen mir hier ein), die ich „in Papier“, naja, sammle, und außerdem gerne zur Hand habe, um sie zum Beispiel meinen Kindern ganz zufällig nahebringen zu können. Dann habe ich eine Reihe deutschsprachige Romane in Papierform auf meinem Stapel ungelesener Bücher (und ein paar tatsächlich gelesen) – das hat, glaube ich, vor allem etwas damit zu tun, dass hier die E‑Books preislich meist fast genauso teuer sind wie die Papierbücher. Und damit, dass eine ganze Reihe davon Bücher sind, die mir geschenkt wurden. Dann gibt es noch ein paar wenige Taschenbücher, die ich gekauft habe, weil mir beim Warten an irgendwelchen Bahnhöfen langweilig war. Volle Regale, volle Stapel zu lesender Bücher, aber alles wäre noch schlimmer, wenn die digitalen Bücher (zugegebenermaßen auf einem Kindle) auch sichtbar wären.
Bücher, um etwas zu lernen sind – schwierig. Die kaufe ich tatsächlich lieber in Papier, vielleicht, weil das dann doch eher noch den Anreiz gibt, mal reinzuschauen, statt sie in der langen „Ungelesen“-Liste zu vergessen. Ähnlich Museumskataloge. Bei Sachbüchern ist es mit dem Stapel ungelesener Bücher allerdings noch deutlich schlimmer als bei der Unterhaltungsliteratur. (Bei ganz genauer Hinsicht gibt es auch noch eine Mischkategorie: Sachbücher, die ich nicht lese, weil ich glaube, dass sie irgendwie wichtig und relevant sind, also zur politischen Lage oder zur Klimakatastrophe, sondern weil ich ein gewisses Faible für kuriose Fakten habe. Das klappt mit flott geschriebenen englischsprachigen Büchern meist besser.)
Zeitungen und Zeitschriften: Ich lese – das war vor einigen Jahren noch anders, hat was mit erneutem lokalpolitischen Engagement zu tun – jeden Tag die Badische Zeitung (auf dem Tablet, nicht auf Papier). Im Haus haben wir auf Papier zudem die taz, in die ich ab und zu reinschaue. Ich habe eine Reihe von Online-Abos (Guardian, Spiegel, Zeit), die ich mehr oder weniger intensiv nutze – eher, um einzelne Artikel zu lesen, als um Zeitungen durchzuschauen. Bei meinem Umzug habe ich das Abo der Jungle World gekündigt, weil ich festgestellt habe, dass sich diese zu wunderbaren Papierstapeln türmte, ich aber selten Zeit hatte, reinzuschauen. Daneben gibt es eine Reihe von Magazinen (in Papierform), die ich abonniert habe, oder die ich qua Parteimitgliedschaft oder sonstiger Mitgliedschaften zugeschickt bekomme. Auch da gilt: ich schaue seltener rein, als ich das eigentlich möchte.
Zur Kategorie Zeitungen gehört nicht zuletzt der Pressespiegel, den ich beruflich zugeschickt bekomme, und der einen Überblick über das v.a. landespolitische Tagesgeschehen in den Zeitungen Baden-Württembergs gibt. Das ist ein PDF, das ich am PC oder auf dem Tablet lese.
Im Netz bin ich primär auf Mastodon unterwegs, ab und zu schaue ich in Facebook und Linkedin (alle drei über die jeweilige Website, nicht über die Apps). Das meiste, was ich im Netz lese/anschaue (meist auf dem Handy), finde ich – neben den genannten Online-Abos – über Mastodon. Oder halt über eine gezielte Suche – bei mir bisher noch bei Google, damit aber zunehmend unzufrieden. Zudem habe ich von einer Reihe von Blogs, Zeitschriften und anderen Websites den RSS-Feed über Feedly abonniert und schaue da alle paar Tage mal durch, bspw. das Blog von Max Buddenbohm, xkcd oder das Blog des SF-Autors Charles Stross oder SF-lastige Websites wie Gizmodo oder tor.com. Netzpolitik.org nicht zu vergessen! Gleichzeitig stimme ich der Beobachtung von Kathrin Passig zu, dass es viele Blogs schlicht nicht mehr gibt. Besonders traurig stimmt mich jedesmal ein Blick auf BoingBoing, das ich noch in Feedly sehe, das aber zu 90 Prozent inzwischen eine Werbeschleuder geworden ist.
Youtube (und die ganzen anderen Kurzvideoplattformen) lasse ich außer bei Livestreams links liegen. Mit Podcasts werde ich nicht wirklich warm – es gibt einige wenige, die ich tatsächlich bspw. beim Kochen höre (Sternengeschichten, Das Universum), aber viele, die mal angehört habe und damit nicht so viel anfangen konnte. Musik teilweise noch auf CD, inzwischen (noch so ein böser Quasimonopolist) sehr oft über Spotify.
Im Haus haben wir drei bis vier Streaminganbieter abonniert und nutzen die intensiv, deutlich häufiger als die Mediatheken des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die werden sehr anlassbezogen und für wenige Formate (Böhmermann, Anstalt, … ganz selten tatsächlich auch mal Filme/Serien) genutzt. Lineares Radio wird hier teilweise beim Frühstück gehört, ist aber nicht so ganz meins, lineares Fernsehen funktioniert auf unseren TV-Geräten m.W.n. inzwischen nicht mehr. Zwei, dreimal im Jahr gehe ich ins Kino.
Kathrin Passig schreibt, das sie einige Leute über Patreon oder Steady unterstützt und sich die Ergebnisse selten bis nie anschaut – das geht mir teilweise ähnlich: „Es geht mehr ums Prinzip, ich möchte, dass diese Leute weiter Videos machen, Bücher schreiben oder was sie halt so tun.“
Zeit, die Demokratie zu verteidigen
Manchmal ist es ein Kieselstein, der etwas ins Rollen bringt. Die Recherche von Correctiv ist – und das ist jetzt nicht abwertend gemeint – genau so ein Kieselstein. Dass die AfD sich in den letzten Jahren stark radikalisiert hat, dass sie Deportationen plant und allen Rechte entziehen will, die nicht in ihr Weltbild passen, ist nicht neu. Aber jetzt ist es bekannt. Jetzt ist es in der Welt.
Dieser Kieselstein hat etwas in Bewegung gesetzt. Zwar gibt es – rechts der Mitte – Versuche, in das Muster von „wir stellen die AfD, indem wie sie kopieren“ zu verfallen. Ganz überwiegend aber: erschrecken, ein Ernstnehmen der Bedrohung, die diese Partei für unsere Demokratie, unsere Werte, unsere Freiheit und unseren Wohlstand darstellt. Das ist eine abstrakte Bedrohung, aber es ist auch eine ganz konkrete Gefahr – für alle, die nicht ins Bild der AfD passen, aufgrund von Herkunft, Hauptfarbe oder „falschem“ Gedankengut.
In diesem Moment des Schreckens, des Realisierens, dass es denen wirklich ernst ist, und dass Umfragewerte von 20 bis 30 Prozent vielleicht die letzte Gelegenheit bieten, dem Rechtsruck etwas entgegenzusetzen, liegt auch etwas Positives. Ich bin sicher nicht der einzige, der auf einen, nun ja, „Aufstand der Anständigen“ gewartet hat. Der findet jetzt statt. Bundesweit gibt es Demonstrationen und finden sich Bündnisse für die Verteidigung der Demokratie. In kurzer Zeit sind sehr viele Menschen auf die Straße gegangen, 10.000 in Potsdam, 25.000 in Berlin, 30.000 in Köln. Das sind viel mehr als bei den Traktorenprotesten der Landwirt*innen. Und die Liste der Demos für das nächste Wochenende ist lang (ich werde am Sonntag bei der Demo in Freiburg dabei sein, 15 Uhr, Platz der Alten Synagoge).
Und auch die Medien haben endlich gemerkt, dass das kein Spiel ist. Hoffe ich jedenfalls.
Dieser Moment ist auch der richtige, um zu schauen, wie wehrhaft unsere Demokratie ist. Damit meine ich nicht nur die Debatten um ein Parteiverbotsverfahren und ähnliche rechtliche Instrumente, sondern vor allem das Hinsehen, ob die Regeln, die wir uns selbst in Verfassungen, Gesetzen und Geschäftsordnung gegeben haben, geeignet sind, um Rechtsextreme außen vor zu halt und diesen keinen Hebel zu geben, unser Land zu zerstören.
Zu diesen Fragen, wie wetterfest unserer Demokratie ist, gehört auch das Thema Social Media. Der Digital Services Act der EU und die in der Folge erlassenen nationalen Gesetzgebungen haben auch die Aufgabe, „Sorgfaltspflichten für Anbieter von Vermittlungsdiensten im Hinblick auf die Art und Weise, wie jene gegen rechtswidrige Inhalte, Online-Desinformation oder andere gesellschaftliche Risiken [vorgehen]“, zu schaffen. Das passt m.E. nicht zu Algorithmen bei Youtube und Tiktok, die haufenweise AfD-Propaganda hochspielen. Wie scharf oder stumpf dieses Schwert ist, bleibt abzuwarten – jedenfalls gibt es hier Handlungsbedarf.
Es ist jetzt an uns allen, dieses Momentum aufrecht zu erhalten. Die internationale Lage ist düster. Die Verteidigung der Demokratie ist kein Selbstläufer. Sie braucht uns. Aber genauso gilt, jetzt nicht in Fatalismus zu verfallen. Noch kann etwas gegen die Machtergreifung getan werden, von der die AfD träumt. Tun wir es!