Freiburg ist eine Stadt, die inzwischen einen ziemlich guten Modal Split aufweisen kann – also eine Verteilung der Verkehrsträger, bei der viele Wege zu Fuß, mit dem Rad oder eben mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden. Rückgrat dafür ist eine Strategie, die seit vielen Jahren konsequent auf den Ausbau des Straßenbahnnetzes setzt. Im Norden Freiburgs hört die Straßenbahn ziemlich abrupt auf – an der Gemarkungsgrenze zwischen der Stadt und dem Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald liegt die Haltestelle Gundelfinger Straße mit Wendeschleife, Parkplatz, Frelo-Station und Umstiegsmöglichkeit in den Bus.
Wer von dort Richtung Gundelfingen – der aufstrebenden Gemeinde im Norden Freiburgs – weiterläuft, ist nach wenigen Metern mitten im Ort. Die Alte Bundesstraße als Hauptstraße der Gemeinde ist breit ausgebaut. An einigen Stellen ist deutlich zu sehen, dass Platz für einen möglichen Weiterbau der Straßenbahn reserviert ist. So gibt es auf der Höhe Ochsen Grünflächen in der Mitte der Straße. Und auch der Sonneplatz – Gundelfingens Ortsmitte – ist breit angelegt, so dass hier Platz für eine Haltestelle wäre. Nach zwei Kilometern durch Alte Bundesstraße und Waldstraße landet der Fußgänger am Bahnhof, korrekter: am Haltepunkt Gundelfingen, hier hält mehr oder weniger alle halbe Stunde eine S‑Bahn auf der Rheintalstrecke, und verbindet die 12.000-Einwohner-Gemeinde mit Freiburg im Süden bzw. mit Denzlingen, Waldkirch und Emmendingen im Norden.
Darüber, ob die Straßenbahn durch Gundelfingen bis zum Bahnhof verlängert werden soll, wird seit 30 Jahren gestritten. Oder, das ist eigentlich zu viel gesagt: es wird immer wieder gefordert, auf der einen Seite, und auf der anderen Seite eher totgeschwiegen. Klar ist: der Zweckverband Regionalverkehr Freiburg (ZRF) aus Stadt und Landkreisen hätte durchaus ein Interesse daran, die Straßenbahn zu verlängern und mit der Schiene zu verknüpfen. Deswegen die Vorhalteflächen. Es gibt eine Planung aus den 1990er Jahren – und die Aussicht, dass die Finanzierung dieser regional bedeutsamen Strecke mehr oder weniger komplett aus Landes- und Bundesmitteln erfolgen könnte.
Mit der Unterschriftensammlung des rührigen AK Mobilität im Bürgertreff hat das Thema Straßenbahn neue Fahrt aufgenommen. Der AK sammelt Unterschriften für einen Wiedereinstieg in die Planung. Rund 700 sind notwendig, um einen Bürgerentscheid darüber durchzuführen; diese Zahl ist wohl inzwischen erreicht. Der Bürgerentscheid würde im Herbst diesen Jahres durchgeführt – also rechtzeitig, um bei positivem Ausgang dazu zu führen, dass bei den Vergabeentscheidungen des Zweckverbandes Gundelfingen mit berücksichtigt werden könnte. Bis dann fertig geplant ist und gebaut wird, würden dennoch noch einmal mindestens zehn Jahre vergehen. Die Entscheidung ist also keine darüber, ob morgen die Stadtbahn Freiburg in Gundelfingen hält, sondern eine darüber, ob die Straßenbahn Teil eines Mobilitätskonzeptes für die 2030er Jahre sein soll. Eine Entscheidung, die Weitblick und ein gewisses Vorstellungsvermögen für zukünftige Gegebenheiten braucht.
Auch der Gemeinderat beschäftigt sich – aufgrund des Bürgerbegehrens, aufgrund der Thematisierung im Bürgermeisterwahlkampf letzten Jahres, und auch aufgrund eines grünen Antrags, ein Ratsbegehren zur Straßenbahn durchzuführen – inzwischen mit der Straßenbahn.
Soweit, so gut. Ich war gestern bei der öffentlichen Gemeinderatssitzung mit Punkt „Information Straßenbahn“ dabei und dann doch erstaunt bis entsetzt über das Schauspiel, das drei der vier Fraktionen dort abgeliefert haben. Vielleicht ein Wort zur Zusammensetzung des Gemeinderats: stärkste Fraktion sind die Freien Wähler (7 Sitze), dann kommen Grüne (6 Sitze), die
SPD (5 Sitze) und schließlich noch die CDU (4 Sitze). Das ist durchaus typisch für die Gemeinden rings um die Stadt Freiburg – starke Grüne, aber auch starke konservative Kräfte, hier verkörpert durch die in den Freien Wählern versammelten Geschäftsleute.
Die Gemeinderatssitzung war außergewöhnlich gut besucht; ganz offensichtlich hatten sowohl die Freund*innen der Straßenbahn als auch deren Gegner – samt einer Freie-Wähler-nahen „Bürgerinitiative“ – gut mobilisiert. ZRF-Geschäftsführer Schade und der Freiburger Tiefbauamtsleiter Uekermann mit viel Erfahrungen im Straßenbahnbau gaben nach Begrüßung und Einordnung durch Bürgermeister Walz einen kurzen Überblick über den Planungsstand, wiesen darauf hin, dass als erster Schritt eine neue Planung notwendig wäre, und gaben Auskunft zu Finanzierung, den Zielen des ZRF usw.
Dann die erste Überraschung – die Fraktionsvorsitzenden von Freien Wählern, SPD und CDU begannen mit verteilten Rollen ein Stück aufzuführen, dessen erster Akt darin bestand, einen umfassenden Fragekatalog zu verlesen. Wer sich hier an die FDP im Bund erinnert fühlt, liegt richtig – ich habe nicht mitgezählt, aber das waren schon so ungefähr hundert Fragen. Einige davon sehr sinnvoll, andere zum jetzigen Stand ohne weitere Planung nicht zu beantworten (Zahl der Ampeln, Zahl der Masten, genaue Kosten), wieder andere geradezu absurd (Zahl der Unfälle mit Straßenbahnen in Freiburg, ökologische Belastung durch den Bau von Masten, Betriebskosten für Ampeln …). Nach und nach wurde mir jedenfalls sehr deutlich: diesen drei Fraktionen geht es nicht um Informationsgewinnung, denen geht es generalstabsmäßig vorbereitet darum, Zweifel an der Straßenbahn zu säen und Nein dazu zu sagen, ohne Nein zu sagen. Denn klar positionieren wollten sie sich nicht – man darf ja wohl noch Fragen stellen.
Die Herren Schade, Uekermann und Walz sowie Herr Seitz von der Gemeindeverwaltung ließen sich auf dieses Spiel jedoch nicht ein, sondern beantworten sachlich das, was heute zu beantworten ist – und machten deutlich, das anderes erst nach Vorplanung oder gar Detailplanung beantwortbar wäre. Die absurde Fristsetzung, all diese Fragen innerhalb von wenigen Wochen schriftlich zu beantworten, wurde mehr oder weniger ignoriert. Trotzdem gehe ich davon aus, dass die nächsten Ausgaben der Gundelfinger Nachrichten von diesen drei Fraktionen mit dem Versuch vollgestopft werden, Zweifel zu säen und Missinformation zu streuen.
Im Umfeld der Freien Wähler ist das jedenfalls gelungen – auch in der Bürgersprechstunde kamen da immer wieder die im Vortrag schon wiederlegten Punkte.
Im Kontrast zu diesem von mir als Verhinderungsfragenkatalog wahrgenommenen Monstrum stellten Grüne, einige wenige Gemeinderät*innen aus den anderen drei Fraktionen und Bürger*innen Fragen, aus denen ein ehrliches Interesse an einer guten Verkehrsplanung für Gundelfingen sichtbar wurde. Deutlich wurde, dass die Straßenbahn nicht solitär gedacht werden kann, sondern nur in Vernetzung mit anderen Verkehrsträgern, und dass diese bei der Planung berücksichtigt werden müssen. Deutlich wurde auch, dass es unterschiedliche Ideen davon gibt, wie sich Gundelfingen in Zukunft entwickelt – das aber eine Verkehrswende notwendig ist. Und ebenfalls sehr deutlich wurde, dass die Idee eine Ringbus- oder Shuttle-Bus-Systems statt einer Straßenbahn zwar auch ihren Reiz haben mag, aber erstens empirisch unterlegt weniger Menschen zum Umsteigen bewegt, weil Umstiegs- und Wartezeiten hinzukommen, und zweitens, wichtiger noch, eben nicht durch den ZRF finanziert werden würde. Die Straßenbahnverlängerung bekäme Gundelfingen quasi geschenkt – ein Shuttlebus müsste selbst bezahlt werden.
Trotz des Agierens der Fraktionsvorsitzenden von Freien Wählern, SPD und CDU hatte der Abend also definitiv einen Mehrwert im Sinne einer sachlichen Information über Chancen und Konsequenzen einer Entscheidung für oder gegen die Straßenbahn.
Unter dem Punkt „Verschiedenes“ folgte dann der zweite Akt der absurden Theateraufführung. Der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, Herr Hornbruch, verlas im Namen der drei Fraktionen einen Antrag, der im Kern darauf hinauslief, dass die Gemeindeverwaltung bitte noch vor dem Bürgerentscheid eine Theaterattrappe der Straßenbahntrasse in der Gemeinde aufstellen solle. Zwar gibt es keine aktuelle Planung, aus Sicht von Freien Wählern, SPD und CDU soll das Rathaus aber bitte Masten aus Schaumstoff und simulierte Oberleitungen in der Gemeinde verteilen. Sonst würden die Bürger*innen sich doch gar nicht vorstellen können, wie gravierend die Auswirkungen dieses ganz und gar neuartigen Verkehrsmittels auf das beschauliche Dörfchen Gundelfingen mit seinen knapp 12.000 Einwohnern, dem regen Geschäftsleben und den belebten Plätzen sind. Zugleich wurde vorsorglich schon einmal beantragt, einen Straßenbahnkritiker als Experten einzuladen – wenn ich es richtig sehe, den, der die Tübinger Regiostadtbahn gekillt hat. Wäre es zu viel, hier von Panik zu sprechen?
Mich erinnerte dieser Abend zum einen an die Beschreibungen aus der Anfangszeit der Eisenbahn. Peter Rosegger beschrieb das Unwohlsein, dass die Menschen befiel, als sie die unglaubliche 30 km/h schnelle Eisenbahn zum ersten Mal sahen: „… ein kohlschwarzes Wesen. Es schien anfangs stillzustehen, wurde aber immer größer und nahte mit mächtigem Schauben und Pfustern und stieß aus dem Rachen gewaltigen Dampf aus. … Schrecklich schnell ging’s, und ein solches Brausen war, dass einem der Verstand stillstand.“
Zum anderen frage ich mich, was eigentlich die Motivation hinter dieser Verhinderungstaktik ist? Einige Läden und Geschäfte der Freien Wähler liegen an der Strecke – dass es da Angst vor Umsatzverlusten während der Bauzeit einer Straßenbahn in fünf oder zehn Jahren geben kann, mag mir noch einleuchten. Weniger klar ist mir die Motivation der SPD – was verspricht diese sich davon, bei dieser Sache mitzumachen?
Aber ich habe den Eindruck, dass noch etwas tieferes dahinter liegt. Gundelfingen ist eine moderne Gemeinde. Die Verbindungen mit dem Oberzentrum Freiburg sind eng. Menschen wohnen hier und arbeiten dort, kaufen da ein und bringen dort ihre Kinder zur Schule. Mir kommt es so vor, als würde eine engere Vernetzung, ein weiteres Zusammenwachsen dieser Metropolregion mit Sorge betrachtet. Gesehen werden die negativen Seiten – wenn es bequem ist, aus Gundelfingen nach Freiburg zu fahren, kauft niemand mehr beim lokalen Metzger ein oder geht nicht hier in Gundelfingen, sondern in Freiburg zur Physiotherapie. Nicht gesehen wird, dass diese Mobilität in zwei Richtungen geht, dass Menschen aus Zähringen bei einem entsprechenden Angebot dann auch schneller nach Gundelfingen kommen (und eben nicht nur bis zum Ortsrand), um zum Beispiel gastronomische Angebote zu nutzen, den hervorragenden Markt zu besuchen oder hier einzukaufen.
Mir scheint, für einige gilt: Man bleibt lieber unter sich, in einem Dorf, das baulich an vielen Stellen nur noch als Kulisse existiert. Das würde jedenfalls das Theater erklären.
Ich bin froh, dass die grüne Gemeinderatsfraktion und der grüne Ortsverband sich klar positioniert haben: für ein ökologisches und attraktives Verkehrsmittel, für ein Mobilitätskonzept für Gundelfingen – und für eine Gemeinde, die eine Vision, ein Leitbild hat und sich als integraler Teil einer größeren, eng zusammenwachsenden Region sieht. Und ich hoffe, dass der Bürgerentscheid in Gundelfingen im Herbst zeigt, dass diese Vorstellungen von der Mehrheit in der Gemeinde geteilt werden.
Aber selbst, wenn das nicht der Fall ist: dann wäre zumindest klar, dass es auf absehbare Zeit mit der Straßenbahn nichts wird, und dass Gundelfingen dann – aus eigener Kraft – ein anderes Verkehrssystem auf die Beine stellen muss, das nicht nur aus einer wenig verlässlichen S‑Bahn alle halbe Stunde und einem Bus bestehen kann.
So oder so ist es gut, wenn dieses Thema endlich entschieden wird, statt es immer weiter hinauszuzögern und in drei Fraktionen die Arbeit zu verweigern.
Mit dieser klugen Analyse und Kommentierung sprichst mir Till Westermayer aus der Seele!
Als interessierte Bürgerin und als Kreisrätin mit dem ZRF in regelmäßigem Austausch war auch ich Gast bei der besagten Gemeinderatssitzung.
Und auch ich war entsetzt darüber, mit welcher Vehemenz drei Parteien versucht haben, das Thema Straßenbahn in Misskredit zu bringen bzw. durch absurde Anträge eine Stimmung der Angst zu schüren.
Diesen drei Fraktionen möchte ich wirklich zurufen: Wovor habt ihr nur solche Angst??
Es geht um eine zukunftsorientierte Planung unseres ÖPNV und sonst gar nichts.