Die Liste der Science-Fiction- und Fantasy-Werke, die ich gelesen bzw. angeschaut habe, ist schon wieder recht lang. Bevor sie noch länger wird, schreibe ich mal lieber was dazu.
Angeguckt habe ich mir v.a. Serien. Andor (Disney+) spielt im Star-Wars-Universum, ist aber eigentlich ein Film über prärevolutionäre Umstände und (proto-)faschistische Herrschaft. Sehr gut gemacht und sehenswert und ganz anders, als es das Label Star Wars vermuten hätte lassen. Ähnliches gilt für den Animationsfilm Guillermo del Toros Pinocchio (Netflix), der nicht nur eine Umsetzung der Pinocchio-Geschichte ist, sondern diese sehr detailgetreu ins faschistischen Italien der 1930er Jahre versetzt. Auch das sehr gut gemacht.
Mehr Unterhaltung und weniger politischer Kommentar dagegen die beiden Star-Trek-Serien, die ich angeschaut habe bzw. noch anschaue: Strange New Worlds (Paramount+ – habe sie über ein Prime-Probier-Angebot angeschaut, bin aber immer noch genervt davon, dass Star Trek auf ein eigenen Streaming-Kanal wandert …) – also, Strange New Worlds ist ein bisschen Zurück zu den Wurzeln, eine zeitgemäße Neuauflage von TOS, mit ähnliches Ästhetik, abgeschlossenen Geschichten und einem Verzicht auf die Düsternisvon DS9 oder Discovery. Die dritte Staffel von Picard (Prime) holt mehr oder weniger alle TNG-Stars plus Seven ins Boot, bleibt in einem Setting, in dem die Federation korrupt geworden ist, und setzt auf eine übergreifende Geschichte, mysteriöse Rätsel und Verwicklungen und einen überaus mächtigen Gegenspieler. Funktioniert trotzdem besser als die zweite Staffel, würde ich sagen.
Angeschaut habe ich mir auch die zweite Staffel von Shadow & Bone (Netflix) – sie spielt in einer Welt, die unserer recht ähnlich ist, irgendwo zwischen früher Neuzeit und Frühmoderne, nur dass es hier Magie gibt, die bekämpft, als Waffe eingesetzt, verheimlicht oder ganz offen gelebt wird, je nach kulturellem Setting. Die zugrundeliegenden Bücher von Leigh Bardugo laufen unter „Young Adult“ – und, naja, neben dem Kampf zwischen Gut und Böse und interessantem Weltenbuilding usw. ist halt auffällig, dass so gut wie alle Personen (auch, wenn sie hunderte Jahre alt sind) von hübschen Mittzwanzigern gespielt werden.
Gelesen habe ich auch einiges, neben SF und Fantasy auch den historischen Roman Montaignes Katze von Nils Minkmar (2022) – jetzt weiß ich sehr viel mehr über Montaigne und über Frankreich und Europa in den 1580er Jahren, von Minkmar lebendig erzählt – und das Sachbuch Im Mittelalter: Handbuch für Zeitreisende von Ian Mortimer (2008), das ausführlich und lesbar auf Alltagsleben, Gebräuche, Ernährung, Kleidung, Gewalt und Kultur im England des 14. Jahrhunderts eingeht, und es schafft, die Fremdheit unserer Vergangenheit anschaulich zu machen.
In Folgenden geht es mir um die Fantasy-Bücher, die ich gelesen habe – zum Thema Science Fiction komme ich dann in einem zweiten Teil.
Besonders beeindruckt hat mich The Hands of the Emperor (2019) der kanadischen Autorin Victoria Goddard. Ich bin immer noch nicht ganz entschieden, was ich von diesem sehr langen Roman halten soll. Kip – Cliopher Mdang – ist in diesem Buch der Verwaltungschef eines durch Magie zusammengehaltenen, nach einem nie im Detail erklärten Zerfall verunsicherten Imperiums und Privatsekretär des von vielen Tabus umgebenen Kaisers. Was zunächst wie ein Buch über Palastintrigen und die Freuden der Bürokratie aussieht, wird nach und nach zu einer Utopie über Multikulturalismus und die Vorzüge eines bedingungslosen Grundeinkommens. Das alles so geschrieben, dass ich zumindest dann immer noch ein Kapitel mehr lesen musste. Was mich von einer vorbehaltslosen Empfehlung abhält, ist ein Unterton des „edlen Wilden“, der sich v.a. im zweiten Teil dieses langen ersten Bands einschleicht. Mdang ist am Kaiserhof ein Fremder; der erste Angehörige einer Südseekultur („Vangavaye-ve“ ist sehr polynesisch inspiriert), der die Aufnahmeprüfung für den Verwaltungsapparat des Reichs bestanden hat. Wie er mit diesen zwei Welten umgeht, ist interessant – aber irgendwann wird er zu einem Helden, dem (bei allen persönlichen Schwierigkeiten) dann doch alles gelingt, und der von Goddard immer stärker in das Bild eines Auserwählten gepresst wird. Dennoch: wer in eine Welt eintauchen möchte, in der Spannung nicht durch Kämpfe erzeugt wird, in der Magie eher am Rand vorkommt, und in der es hinter der Oberfläche des Weltenbaus weitergeht, wird sich mit The Hands of the Emperor, Kip, seinen Freund*innen und seiner weitverzweigten Familie anfreunden. Und es gibt einen fast ebenso langen zweiten Band und weitere Geschichten Goddards, die in diesem Szenario spielen.
Empfehlen möchte ich Naomi Noviks Scholomance-Serie mit den Bänden A Deadly Education (2020), The Last Graduate (2021) und The Golden Enclaves (2022). Das Setting wirkt auf den allerersten Blick bekannt: es gibt eine Schule, die von den Kindern derjenigen besucht wird, die zaubern können, und die ihre Welt von der „Normalen“ klar abgrenzen und geheim halten. Galadriel „El“ Higgins, die Heldin dieser Trilogie, ist an dieser Schule eine Außenseiterin. Ihre Mutter schlägt sich als Heilerin in Hippiekommunen in Wales durch (erst nach und nach erfahren wir mehr darüber, warum das so ist), die indische Familie ihres Vaters hat sie verstoßen – und: naja, schnell wird klar, dass es hier nicht um High-School-Drama meets Zauberei geht, sondern eher darum, wieviel Leid einzelner in Kauf genommen werden kann, um ein Leben in Luxus und Schönheit zu genießen. Dass die Schule – „Scholomance“, selbst ein magisches Konstrukt – ein absolut nicht ungefährlicher Ort ist, und in allen Ecken Monster lauern, ist nur der erste Hinweis darauf; dass längst nicht alle Schüler*innen den Aufenthalt überleben, passt ins Bild. Kurz gesagt: Novik schafft es, einem inzwischen klischeebesetzten Setting eine ganz neue und deutlich tiefere Geschichte abzugewinnen. Und das lohnt sich.
Mein erster Gedanke beim Titel von Emily Wilde’s Encyclopaedia of Faeries (2023) von Heather Fawcett waren die Bildlexika über Elfen, Zwerge und Drachen, die vermutlich alle Kinder der 1980er kennen. Darum geht es hier aber nicht. Vielmehr folgen wir Emily Wilde anhand ihres Tagesbuchs/Forschungsjournals in eine karge, skandinavisch-nordische Inselwelt; Wilde ist eine britische Professorin für Dryadologie in einem unserem nicht ganz unähnlichen 18. oder 19. Jahrhundert, die sich dran macht, ihre Enzyklopädie zu vervollständigen und die letzten noch nicht beschriebenen Feenwesen zu beobachten und zu erforschen. Mit Menschen kann sie allerdings nicht so gut. Aus der Wissenschaft wird schnell teilnehmende Beobachtung und dann mehr – nämlich die Suche nach einer Antwort auf die Frage, warum Kinder und Jugendliche in der Feenwelt verschwinden. Und auch Wildes Kollege Wendell, der ihr hinterhergereist ist, hat seine ganz eigene Agenda. Schön neben der Geschichte und der Hauptfigur mit ihren Widersprüchen ist an Wilde’s Encyclopaedia auch der eine oder andere Seitenhieb auf akademische Gepflogenheiten.
Snail’s pace (veröffentlich 2023, aber schon vor einigen Jahrzehnten geschrieben) von Susan McDonough-Wachtman ist ein schmales Buch, das mir nur teilweise gefallen hat. Wir folgen Susannah, die im Hongkong des Jahres 1884 – britische Kronkolonie – mittellos und ohne Eltern dasteht – und, ohne es ganz zu verstehen, das Angebot annimmt, als Gouvernante eines jungen Außerirdischen anzuheuern. Dessen Eltern herrschen über diesen Raumsektor. Und nicht nur ihr schneckenartiges Aussehen ist seltsam. Susannah taucht also in eine komplett fremdartige Welt ein, findet Verbündete und begeht schließlich einen Faux-Pas, der sie ins Gefängnis bringt. Während die erste Hälfte schnell und witzig geschrieben ist, und den Kontrast zwischen den Erwartungen Susannahs und der Realität auf diesem Raumschiff voll auslebt, tauchen im zweiten Teil immer mehr Versatzstücke einer christlichen Paradiesgeschichte auf – Schlangen, Äpfel, sprechende Bäume. Nun ja. Zugleich endet das Buch dann recht abrupt – und wirkt so, als wären die 150 Seiten nur die Exposition für die eigentliche Geschichte.