Es wird Zeit für den Rückblick auf die SF- und Fantasy-Medien, die ich über den Sommer gelesen bzw. gesehen habe. Und das waren dann doch einige.
Über A Half-Built Garden von Ruthanna Emrys habe ich ja bereits an anderer Stelle geschrieben. Und auch meine Empfehlung für die Serie For All Mankind, die leider nur im nischigen Apple-TV läuft, kann ich nach Durchsicht der dritten Staffel bedenkenlos aufrecht erhalten und würde gerne bald eine vierte Staffel sehen.
Angeschaut habe ich mir auch die Sandman-Serie (2022, Netflix), die – mit Tiefgang, wenn auch für meinen Geschmack zu sehr im Horror-Genre verankert – insgesamt eine herausragende Umsetzung der Comicserie von Neil Gaiman darstellt. Einiges habe ich, gebe ich zu, erst in der filmischen Umsetzung verstanden und im Comic eher drüber hinweg gelesen.
Weniger begeistert war ich von Everything Everywhere All at Once (2022). Konzeptuell spannend, das eine oder andere visuelle Bild hervorragend, auch die auf den ersten Blick unwahrscheinlichen Heldinnen der Geschichte – aber letztlich fehlte mir beim zugrundeliegenden Zugriff auf Paralleluniversen die Plausibilität, der suspense of disbelief.
Angelaufen sind zudem die Serien The Lord of the Rings: The Rings of Power und eine neue Staffel von Star Trek: Lower Decks, beide bei Amazon Prime. Lower Decks ist nach den ersten Folgen der aktuellen Staffel solide, humorvolle Star-Trek-Unterhaltung. Die Ringe der Macht haben mich als epische Serie positiv überrascht, gerade im Vergleich zur Hobbit-„Verfilmung“.
Soweit die Serien und Filme. Zu den Büchern:
Beeindruckt hat mich die Steerswoman-Serie mit vier Bänden (1989–2004) von Rosemary Kirstein. Angelegt ist die Serie wohl auf sieben Bände, leider ist es unklar, ob bzw. wann der nächste erscheint. Die Serie folgt der Steuerfrau Rowan – einer Art wandernder Universalgelehrten – durch eine anscheinend spätmittelalterliche bzw. frühneuzeitliche Welt. Begleitet wird sie von der Kriegerin Bel aus dem Outskirt. Es gilt, seltsame Vorkommnisse aufzuklären – eine Verschwörung der Zauberer? Doch was anfangs fast klischeehaft erscheint, entpuppt sich nach und nach als deutlich komplexere Angelegenheit, an deren Schluss deutlich wird, dass die Romane nicht nur wegen des sehr genauen Blicks auf den (deduktiven) Erwerb und die (generationenübergreifende) Vermittlung von Wissen eher Science Fiction als Fantasy sind. Und genau deswegen auch eine große Geschichte!
Eindrucksvoll ebenfalls The Actual Star (2021) von Monica Byrne. Das Setting erinnert ein bisschen an David Mitchells Cloud Atlas, insofern es auf drei unterschiedlichen Zeitebenen spielt: 2012, tausend Jahre zuvor sowie tausend Jahre danach. 2012 ist hier durch die Fehlinterpretation des Maya-Kalenders vorgegeben, wie überhaupt die Maya und deren (teilweise blutig-halluzinatorischen) Rituale eine große Rolle spielen. Um das Jahr 1000 herum erleben wir den Untergang eines Mayareichs, im Jahr 2012 geht es um Leah, die aus Michigan nach Belize fliegt, um dort ihrer eigenen Geschichte nachzuspüren – und die ferne Zukunft ist kaum wieder erkennbar, aber umso interessanter. Saint Leah ist die zentrale religiöse Figur, die Werte eine postapokalyptischen, androgynen, in dauerhaftem Frieden lebenden nomadischen High-Tech-Gesellschaft unterscheiden sich deutlich von unseren – und auch hier nehmen Maya eine zentrale Rolle ein, Belize ist das heilige Land, zu dem gepilgert wird.
Eversion (2022) von Alastair Reynolds wirkt auf den ersten Blick wie ein Abenteuerroman aus dem 19. Jahrhundert. Reynolds channelt aber nicht nur Stevenson und Verne, sondern auch Star Trek und die goldene Ära des Pulp. Nach und nach wird klar, das alles ganz anders ist, und wir es eigentlich mit einem SF-Kammerspiel zu tun haben, dessen Hauptperson Dr. Silas Coade ist. Mehr lässt sich der Überraschung wegen nicht sagen – am Schluss stehen ein gelungenes Verwirrspiel, und bei jedem Umblättern bange Fragen an die Grenzen zwischen Narrativ und Realität.
Noch so ein SF-Kammerspiel mit überraschenden Wendungen: Far from the Light of Heaven (2021) von Tade Thompson hat eine ganz andere Tonalität als Rosewater. Wie hängen scheinbar im Tiefschlag geschehene Mordfälle auf dem Kolonienschiff Ragtime mit der um Unabhängigkeit ringenden Raumstation Lagos und dem Kolonieplaneten Bloodroot zusammen? Und wieso kommen in der Auflösung dieses Kriminalfalls persönliche Beziehungen zu Tage, die lange vergessen waren? Thompson bringt diese Fäden (und auch hier: interessante Außerirdische) gekonnt zusammen.
Ebenfalls im Weltraum – aber lange nach der Ära der Menschheit, die nur noch am Rand existiert, geklont und geduldet von hoch-entwickelten Raumschiff-Minds – spielt Cassandra Khaws The All-Consuming World (2021). Wir folgen den Überresten des Dirty Dozens, einer Gang, deren beste Tage hinter ihnen liegen, und die noch einmal für einen großen Coup zusammenkommen (bzw. auferstanden sind). Vor diesem Hintergrund entfaltet Khaw die Lebensgeschichten der Frauen, die diese Klon-Cyborg-Gang bilden – und die explosive Suche nach dem geheimnisvollen Planeten Dimmuborgir. Geschichte, Tonalität und Weltenbau passen hier bestens zusammen.
In einem teilweise ähnlichen Szenario spielt Ten Low (2021) von Stark Holborn. Ein Western-Planet am Rand des Universums bildete die Kulisse für die Flucht einer unwahrscheinlichen Gruppe von Held*innen vor der siegreichen Seite in einem interstellaren Krieg. Und auch hier spielen interessant gezeichnete Außerirdische eine Rolle. Insgesamt habe ich mich aber eher schwergetan mit diesem Buch – trotz einiger origineller Einfälle. Vielleicht zu viel Mad Max und zu wenig Firefly für mich.
Was habe ich noch gelesen? Von Aliette de Bodard die Novelle Charms (2022) in ihrer Fallen-Angel-World, Kelly Robsons High Times in the Low Parliament (2022), urban fantasy über ein von Feen dominiertes Europa im 18. Jahrhundert, mir zu cheesy und halluzinogen – auch wenn die Idee interessant ist – sowie die empfehlenswerte Terry-Pratchett-Biografie The Magic of Terry Pratchett (2020) von Marc Burrows, sowie in der Folge dann nochmal Pratchetts Nightwatch (2002).
Und das war der Sommer.