Mein Blog gibt es – inklusive mehrerer Plattformwechsel – seit dem 5. April 2002, es ist also vor kurzem zwanzig Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass habe ich mir mal angeschaut, wie sich mein Bloggen eigentlich verändert hat. Was auch deswegen spannend war, weil so ein Blog dann irgendwie doch auch eine persönliche Zeitreise ist. Gleichzeitig gibt es vieles, was sich gar nicht so leicht erfassen lässt.
Im Folgenden schaue ich mir die ersten zehn Jahre meines Blogs mal näher an, das heißt den Zeitraum bis Ende 2011. In diesem Zeitraum sind 1315 Blogeinträge entstanden, die sich allerdings nicht gleichmäßig über die Jahre verteilen.
In den ersten drei Jahren (auf Xanga, später auf Livejournal) war mein Bloggen eher mal ein Ausprobieren, was ich überhaupt mit einer solchen Plattform machen kann. Dabei sind dann zwei bis drei Beiträge pro Monat entstanden, wobei die nicht so viel mit dem zu tun haben, was heute in diesem Blog passiert. Dazu gleich mehr.
Von 2005 bis 2008 nahm die Zahl der Beiträge dann zunächst einmal ständig zu, mit einer klaren Spitze in 2008. Ab 2009 ging die Zahl der Beiträge pro Jahr wieder etwas zurück und pendelte sich bei 160 bis 180 Beiträgen pro Jahr ein. Für die letzten Jahre habe ich das noch nicht gezählt, ich vermute aber, dass es noch einmal etwas weniger Beiträge geworden sind (um die 120 vielleicht – bei etwa 50 Fotos pro Woche).
Für sich genommen sagen diese Zahlen allerdings wenig. Deswegen habe ich die Beiträge der ersten zehn Jahre mal grob nach Kategorien aufgeschlüsselt:
Dazu die Vorbemerkung, dass das Aufschlüsseln der Blogbeiträge gar nicht so einfach ist, und hier jetzt teilweise formale Kategorien (Microblogging, Foto der Woche) mit engeren oder breiteren inhaltlichen Kategorien zusammenkommen. Das gibt trotzdem einen ersten Überblick darüber, was in diesem Blog eigentlich passiert ist.
Von oben her ein paar Worte zu den jeweiligen Kategorien:
Vom Anteil her relativ gleichbleibend ist Tagebuch, in eigener Sache. Das sind zum einen Beiträge, die auf Änderungen am Blog selbst verweisen (neue WordPress-Version, RSS funktioniert), zum anderen Lebensereignisse (zum Beispiel die Geburtsanzeigen meiner zwei Kinder).
Alltagskultur, Krimskrams ist eine etwas wild zusammengewürfelte Kategorie – darunter fallen sowohl Beobachtungen und Begebenheiten aus dem Alltag (zum Beispiel Balkongartenprojekte, das Wetter, Überlegungen zu Kaffeemaschinen im ICE) als auch beispielsweise meine Blogeinträge zu schönen Wörtern. Der Anteil dieser Kategorie schwankt deutlich, bei den 17 Prozent 2004 ist zu beachten, dass hier absolut nur wenige Einträge darunter fallen.
Dann wird es mit vier Kategorien zu Politik spannender. Zusammen machen diese ein Viertel bis ein Drittel aller Blogeinträge aus (Ausreißer nochmal 2004). Der Anteil, den Lokalpolitik (in Freiburg), die baden-württembergische Politik, die Politik in Deutschland oder weltpolitische Ereignisse ausmachen, schwankt jedoch deutlich. Ausschlaggebend sind dafür zum einen große Ereignisse (der dritte Golfkrieg 2003 beispielsweise, Bundestagswahlen 2002, 2005, 2009, eine Kommunalwahl in 2008 oder in 2011 dann die Landtagswahl in Baden-Württemberg mit dem Wahlkampf und dem historischen Ereignis der ersten grün-geführten Landesregierung).
Zum anderen spielen hier auch meine eigenen Aktivitäten und Funktionen einen Rolle. So war ich von 2005 bis 2013 Länderratsdelegierter und berichtete ab 2005 regelmäßig vom Länderrat, also dem kleinen Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen. Und natürlich geben auch viele andere Beiträge eine Einschätzung durch eine grüne Brille ab.
Ab Herbst 2011 kommt dann – in diesen ersten zehn Jahren aber damit nur am Rand – meine berufliche Funktion als Parl. Berater für die grüne Landtagsfraktion dazu und ändert den Blickwinkel noch einmal.
Allerdings sind nicht alle politischen Blogbeiträge in diesen Kategorien erfasst, einiges (Stuttgart 21, Fukushima, … oder z.B. die Vorratsdatenspeicherungsdebatten) fällt unter Ökologie bzw. Netzkultur, Netzpolitik. Das ist – wie gesagt – nicht immer ganz trennscharf.
Die Kategorie Rezensionen ist in den ersten paar Jahren des Blogs stark vertreten, hier geht es vor allem um Filmkritiken. 2008 kommen dann Science-Fiction-Buchkritiken dazu (auf einmal importiert aus einem anderen Blogprojekt von mir, zum Teil wohl früher verfasst). Regelmäßige Rezensionen tauchen aber erst später im Blog auf und sind hier noch nicht zu sehen.
Dann gibt es einige Beiträge, die sich mit Science Fiction oder teilweise auch weiter gefassten Zukunftsvisionen befassen, aber keine Rezensionen darstellen (hier SF (ohne Rezensionen)).
Spannend ist die Kategorie Microblog – das sind Blogbeiträge, die nur ein oder zwei Sätze umfassen, meistens Links auf irgendwelche Netzfundstücke enthalten – also prototypische Tweets, nur dass ich erst seit 2007 oder 2008 bei Twitter aktiv bin, und vorher halt alles, was ich interessant fand, in mein Blog gepackt habe. Überhaupt sind anfangs viele Blogbeiträge vor allem Texte der Art „Schaut mal, ich habe hier was interessantes im Netz gefunden“ oder „bei der taz / bei Spiegel online gibt es einen interessanten Artikel“. Längere analytische Texte gibt es erst im Lauf der Zeit, ich habe auch den Eindruck, dass die durchschnittliche Länge der Texte im Blog deutlich zugenommen hat. Was heute unter „Kurz: …“ läuft, war in den Anfangsjahren ein ausführlicher Beitrag.
Netzkultur, Netzpolitik hat Themenkonjunkturen. Auffällig sind die Häufungen 2007, 2009 und 2010. Dabei geht es immer wieder um Zensurfragen – bei mir oft in Verbindung mit Flickr, allgemeiner um Interoperabilität. Ab 2007 kommt dann „Freiheit statt Angst“ dazu, 2009 mehrfach der Niedergang der Wikipedia, diverse Parteitage zu (falsch verstandener Netzpolitik), 2010 das „Politcamp“, Netzpolitik und Feminismus und der Jugendmedienschutzstaatsvertrag. Und die Toolnutzung in Parteien (Wurzelwerk) und die Piraten …
Bei Wissenschaft, Technik handelt es sich um eine etwas unentschlossene Kategorie, in die ich erstens meine eigenen wissenschaftlichen Beiträge gepackt habe (also zum Beispiel Hinweise auf Veröffentlichungen), dann wissenschaftspolitische Debatten und schließlich den einen oder anderen Beitrag, der sich inhaltlich mit naturwissenschaftlichen Phänomenen befasst. Wie den Statistiken zu entnehmen ist, war trotz allen „real science blogger“-Labels Wissenschaft nie das ganz große Thema; gleichzeitig habe ich mich von 2002 bis 2010 eben als Drittmittelforscher und Promovend verstanden und entsprechend auch versucht, mein Blog als Teil eines wissenschaftlichen Diskurses zu sehen (naja, oder halt um auf Veröffentlichungen von mir zur Technik- oder Umweltsoziologie oder zu Geschlechterverhältnissen in der Forstwirtschaft hinzuweisen). Ab 2007 bin ich Sprecher der grünen BAG Wissenschaft, Hochschule, Technologiepolitik, insofern kommen immer wieder auch wissenschaftspolitische Themen vor.
Was mich selbst etwas erstaunt hat ist die Kategorie Ökologie, Nachhaltigkeit. Neben Erlebnisberichten (Ärger über Bahnfahrten, Konsumentscheidungen) tauchen hier ab 2006 immer wieder Beiträge zum Klimaschutz auf. Weitere Themen sind der Atomausstieg (ab 2011 mit Fukushima dann noch einmal prononciert), das Projekt Stuttgart 21 und eben die Frage ökologischer Lebensstile (mit Überschneidungen zur Wissenschaftskategorie).
Unter Gesellschaftskritik, Care, Feminismus habe ich für die Auswertung schließlich Beiträge gepackt, die zum Beispiel meine eigene Erfahrung mit Sorgearbeit reflektieren oder essayartig über gesellschaftliche Fragen sprechen, ohne dass es im engeren Sinne um Politik geht. Diese Kategorie macht allerdings pro Jahr nur wenige Beiträge aus.
Das Foto der Woche gibt es ab 2005 – fast jede Woche! – bis heute. Was ich nicht gemacht habe, ist mir anzuschauen, wie sich die Bildmotive verändern. Neben Makrofotografie, Alltagsgegenständen, Urlaubsbildern, Blumen und Landschaften gibt es – meinem Eindruck nach ab 2008/2009 stärker – auch Fotos von politischen Ereignissen. Und immer mal wieder, meist von hinten oder aus der Ferne, Fotos, auf denen meine Kinder zu sehen sind.
Fiktion schließlich meint Kurzgeschichten, Gedichte und ein 2011 geschriebenes Romanfragment, das nach Kapitel 18 leider abbricht. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass ich derartige Texte nicht unbedingt in mein Blog gepackt habe, sondern dass sich diese eben auch auf meiner statischen Website fanden/finden.
Ebenso ist hier (insgesamt) nicht sichtbar, dass ich zeitweise immer mal wieder auch in anderen (grünen) Blogprojekten etwas geschrieben habe, die allerdings alle nicht die Langlebigkeit des eigenen Blogs hatten – viele Links in den älteren Beiträgen führen inzwischen leider ins Leere.
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Relevant erscheint mir der Hinweis darauf, wie sich der Kontext des Bloggens verändert hat. Wie bereits angesprochen, sind viele der ersten Blogbeiträge eher Tweets, bevor es Twitter gab – kurze Hinweise auf irgendetwas anderes im Netz, teilweise gibt es am Anfang sogar noch Bezüge auf Usenet-Gruppen, in denen spannendes passiert. Das Bloggen passiert zuerst nicht selbstgehostet, sondern auf Plattformen (Xanga ist heute vergessen, Livejournal ist etwas bekannter) – d.h. immer auch im gefühlten Kontext einer Gemeinschaft oder Gruppe, so wie das heute auf den Social-Media-Plattformen der Fall ist. Erst ab Februar 2007 läuft das Blog unter meiner eigenen Domain und dann auf WordPress, nicht mehr auf Livejournal.
Facebook und Twitter kommen ebenfalls 2007/2008 dazu, Flickr bereits 2005. Neben technischen Debatten dazu, wie sich die einzelnen Dienste miteinander verbinden lassen (etwa ein automatisches Posten der Blogbeiträge bei Facebook, was eine Zeit lang möglich war) gibt es dann recht bald Texte zum Charakter dieser Tools und zu AGB-Änderungen und anderen Problemen.
Stichwort Gemeinschaft: Auch im Blog gibt es immer wieder Referenzen auf andere Blogger*innen, insbesondere aus dem grünen Umfeld, mit entsprechender automatischer Verlinkung. Auch hier also das Gefühl, Teil eines technisch mediatisieren Diskurses zu sein – diese Funktion wird heute, wenn überhaupt, von Tweets und Retweets übernommen. Meine Texte stehen stärker für sich und beziehen sich seltener auf externe Auslöser in großen Medien noch auf Texte in anderen Blogs. Hier hat sich also auch der textliche Charakter deutlich verändert.
Entsprechend gibt es in den ersten zehn Jahr mehr Beiträge, die sich direkt an die Blog-Leser*innen richten, Kommentare einfordern und auf Interaktion setzen.
Heute schreibe ich eher für mich selbst, für die Menschen, die mir auf Twitter folgen, und für eine imaginierte allgemeine Öffentlichkeit.
In meinem ersten Text versuche ich mir selbst darüber klarzuwerden, was ich mit diesem Bloggen eigentlich vorhabe. Dort heißt es:
So, einen einigermaßen ordentlich aussehenden Anbieter von WeBLOGs [sic!] habe ich gefunden, registriert bin ich dort inzwischen auch, d.h. ich kann jetzt auch tatsächlich anfangen, mal was zu schreiben. Und dabei im Kopf zu behalten, dass das hier kein Tagebuch ist, sondern eher eine Kolumne.
Und auch von einer „Gratwanderung zwischen öffentlich und privat“ spreche ich dort. Wer mein Blog sehr aufmerksam liest, findet auch Beiträge zu meinem Beziehungsstatus, zu Arbeitgeberwechseln, zu begonnenen und abgebrochenen Forschungsprojekten, zu den Kindern und deren Entwicklung. Zu viel Privatheit? Zu wenig Tagebuch? Oder halt einfach das, was in einem Blog passiert.
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Was ist mir noch aufgefallen? Fast überall verwende ich in den ersten zehn Jahren das Binnen‑I zum Gendern. „*“ etc. kommen erst später. Und natürlich hat sich auch mein Schreibstil verändert, bis hin zur bereits angesprochenen Länge der Texte.
Zeitweise hatte ich hinter längere Texte eine Reflektion gepackt („Warum blogge ich das?“), das habe ich inzwischen wieder aufgegeben. Und irgendwann in den ersten Jahren ergibt sich eine Formatdifferenzierung: Kurze Texte (wobei das anfangs eher drei, vier Sätze sind, inzwischen bis zu drei Absätze), das Foto der Woche, bestehend aus einem Bild, irgendwann dann samt kurzem Text, und längere Texte, die ausführlicher einer Frage nachgehen.
Nicht untersucht habe ich die Zeitpraktiken des Bloggens. Sichtbar wird, dass Ferien und Wochenenden – heute noch viel stärker – ein Mehr an Textproduktion bedeuten. Der Aufwand, um etwas ins Blog zu stellen, ist mit der Länge der Texte und dem eigenen Anspruch gewachsen.