Allerorten finden derzeit grüne Jubiläumsveranstaltungen statt. Im September wurde die Landespartei vierzig, im März wird die Landtagsfraktion feiern, und auch die Bundespartei hat nächstes Jahr ihren vierzigsten Gründungstag. Halb so alt – und Zwanzig ist auch ein Grund für Feiern und Reflektionen – ist Campusgrün, das Bündnis grüner und grün-naher Hochschulgruppen.
Als Mitglied des Gründungsvorstands durfte ich gestern in Berlin bei der Bundesmitgliederversammlung dabei sein und ein bisschen was aus den ersten paar Jahren des Verbandes berichten. Ein gemeinsames Motiv der Exvorstände aus verschiedenen Jahrgängen, die gestern dabei waren (Patrick Luzina, Luisa Schwab, Philipp Bläss, Ricarda Lang), war übrigens der Weg in die Hochschulpolitik: ganz oft spielten Studistreiks dabei eine große Rolle – und wo das nicht der Fall war, politisierte die Hochschulgruppenarbeit und wurde zum Sprungbrett in grüne Politik hinein.
Thematisch zeigte sich eine interessante Debattenkontinuität – darauf wies auch Kai Gehring als hochschulpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion hin. Er nannte zehn zentrale Hochschulpolitik-Themen – und zumindest Studiengebühren und Studienfinanzierung, Hochschulfinanzierung und Studienreform (Bologna, seit 1998!) sind Themen, die eben auch 1999 schon auf der Agenda standen.
Campusgrün heute ist größer, professioneller – es gibt eine organisatorische Geschäftsführerin und ein Bildungswerk – und in gewisser Weise auch allgemeinpolitischer, als wir es damals waren. Micha Kellner, der für den Bundesvorstand der Partei gratulierte (und seinen politischen Weg in der Grünen Hochschulgruppe Potsdam begonnen hat) stellte die mit dem Zwischenbericht zum Grundsatzprogramm verbundenen Wertedebatten vor, warb für Diskussionen dazu an den Hochschulen – und musste sich im Anschluss einer Debatte stellen, die von Hongkong bis zur Sicherheitspolitik reichte, in der es um Schuldenbremse, Gleichheit und Hartz-IV ging, und in der auch heftig darüber gestritten wurde, ob und unter welchen Umständen lagerübergreifende Koalitionen erlaubt sein könnten. Manche Diskussionsbeiträge erschienen mir dabei ein bisschen schablonenhaft, andere sehr ehrlich und authentisch – aber vielleicht gehört auch dieses Spektrum zur politischen Sozialisation an Hochschulen dazu. Zugleich sind Studierendenparlamente und ASten auch Orte, an denen politisches Handwerkszeug und ein gewisser Pragmatismus gelernt werden können.
(Aus meiner eigener Erfahrung: mit dem zu dem härtesten, was mir politisch begegnet ist, gehören bis spät in die Nacht reichende fzs-Mitgliederversammlung, bei denen mit allen Bandagen gerungen wird …)
Anlässlich der Veranstaltung hatte ich noch einmal auf meiner Festplatte und in Ordnern geguckt, und dabei nicht nur einige alte Dokumente gefunden – unter anderem einen Brief (nein, ein Fax), in dem die damalige „Bundeskoordination grüner und grün-naher Hochschulgruppen“, der Vorgänger des 1999 gegründeten Verbandes, die damalige Grünenvorsitzende Gunda Röstel um finanzielle Unterstützung bat, sondern auch meine eigenen Tagebuchaufzeichnungen aus 1998/1999. (Erstaunlich, wie jung ich mit 23 war …)
Wie war das 1998? Kohl war gerade abgewählt worden, die rot-grüne Regierung neu im Amt. Die Grüne Jugend (damals noch Grün-Alternatives Jugendbündnis – GAJB) gab es seit einigen Jahren, ebenso Hochschulgruppen an vielen Orten, nur lose verbunden in einer „Bundeskoordination“ ohne Mandat. Das Bundesbildungsministerium war in SPD-Hand, Edelgard Bulmahn als Ministerin zeichnete sich durch einen gewissen Reformeifer aus. Eine Bafög-Reform stand an, die Studiengebührendebatte stand im Raum, … und eine Struktur, um diese Debatten gebündelt zu beeinflussen, fehlte. Matthias Berninger als junger Bundestagsabgeordneter vertrat nicht unbedingt die Position der Hochschulgruppen, die Bundesarbeitsgemeinschaft mit Sabine Kiel an der Spitze wirkte eher nach innen.
Vom 4.–6. Dezember 1998 (in einem gewissen Sinne ist Campusgrün also schon 21 Jahre alt …) fand in Siegen ein Treffen der grünen und grün-nahen Hochschulgruppen statt, das der Vorbereitung einer Verbandsgründung dienen sollte. Ich war damals Umweltreferent im u‑asta, wenn ich mich recht entsinne, und arbeitete in Freiburg in einer Gruppe Grün-Alternativer Studierender (GRAS) mit, die im undogmatischen Fachschaften-AStA dabei war. Zu Siegen hatte ich mir damals notiert:
Dort [in Siegen] liegt noch viel mehr Schnee als in Freiburg, kälter ist es außerdem. Habe lange überlegt, ob ich hinfahre, fahre schließlich hin. […] Kulturcafe des Siegener RCDS-LHG-Unabhängige AStA […]
Es sind ziemlich viele Leute da (na ja, 20 oder so), von denen ich nur einige kenne (D.T., O.I., O.P., S.Sch., …). Nach dem Abendessen (Essen und Rahmenprogramm gibt es ausführlich) diskutieren wir mit Sigrid Metz-Göckel über die Internationale Frauenuniversität.
Die HBS [Heinrich-Böll-Stiftung] ist auch da.
Danach gibt es eine lokale Band, die einigermaßen gut ist […] Leider bin ich zu krank, um die Musik wirklich genießen zu können. Und den vielen Schnee ringsrum (die Uni liegt auf einem Hügel über Siegen und sieht – typische 70er Jahre Architektur – eher wie eine Fabrik aus) finde ich auch eher zuviel …
Übernachtung in der Turnhalle, geht so.
Der Samstag widmet sich dann – nach einem Gespräch mit Sabine Kiel, Berninger konnte/wollte nicht – der Debatte über die Verbandsgründung. Die Vorbereitung ist alles andere als gut, es wird schnell sehr grundsätzlich, konkrete Entwürfe etc. liegen nicht vor … Kleingruppen sollen dieses Problem lösen – unsere Gruppe besteht vor allem darin, daß M. aus Trier und ich uns darüber zoffen, ob mensch Hierarchien, Verbänden etc. überhaupt trauen darf. […] Andere Gruppen erarbeiten tatsächlich inhaltliche oder formale Eckpunkte. […]
M. beeindruckt mich dadurch, daß sie genau weiß, was ihre Grundsätze sind, aber gar nicht das Ziel hat, diese durchzusetzen – weswegen sie sich auch in der Lage sieht, problemlos ihre Gruppenmeinung (kein Verband) zu vertreten, auch wenn sie selbst einen Verband durchaus befürwortet. […]
Sonntag morgen dann der Versuch, gemeinsame Eckpunkte zusammenzufassen, was mehr oder weniger gut gelingt. Es wird eine neue Bundeskoordination gewählt, in die ich auch reingerate (ich hatte den Satz angefangen mit „Ich will nicht in die Buko, aber gerne an den Strukturen für den Verband mitarbeiten“, was als Kandidatur gewertet wurde). Der BuKo kriegt den Auftrag, Satzungen und Modelle auszuarbeiten und alles zur Bildung einer festeren Struktur vorzubereiten. Danach dann Treffen der frisch gewählten fünfköpfigen BuKo (Lena, Kerstin, Daniel, me, Jörg).
Neben der lokalen grünen Arbeit im Kreisverband und der hochschulpolitischen Arbeit im u‑asta war ich damit also im Gründungsteam für den Verband. Noch weitgehend ohne Handys, mit E‑Mail und dem einen oder anderen Fax und Telefonat versuchten wir, die Verbandsgründung „aus dem Nichts“ durchzuführen. Am Gründungstreffen – der nullten Sitzung – des Verbandes vom 4. bis 6. Juni 1999 in München nehmen zehn Gruppen teil. Beschlossen wird dort nach langen Diskussionen die Satzung und auch der Name – mit knapper Mehrheit entscheidet sich die Versammlung für „Bündnis grün-alternativer Hochschulgruppen“ als Bezeichnung. Das schmissigere „Campusgrün“ taucht erst einige Jahre später auf (wobei die Website und die Mailadresse spätestens seit 2002 campusgruen.de lautete). Politisch zeigt sich inzwischen, dass das rot-grüne Projekt nicht nur golden glänzte, sondern seine eigenen Untiefen hat.
Im Vergleich zum gemütlichen Freiburg beeindruckte mit München (ich nehme an, dass es das erste Mal war, dass ich dorthin gefahren bin – Politik, insbesondere Bundespolitik, hat viel mit Reisen zu tun …). Nochmal aus meinen Tagebuchaufzeichnungen:
Wie abgesprochen lasse ich meine Info-Vorlesung ausfallen und fahre früh nach München. […] Auf dem riesigen Münchener Hbf hatten wir zwar einen Treffpunkt vereinbart, doch treffe ich dort erstmal nur B. und kurz darauf auch K. Wir warten ziemlich lange auf D., der nicht kommt, und fahren dann in die Studentenstadt. Nach Zwischenstopp im Copyshop kommen wir dort an. Es dauert eine Weile, bis wir das richtige Haus und dann dank Bj. auch einen Schlüssel dafür finden. Schließlich treffen wir auch D. Letzte organisatorische Vorbereitungen, dann Stadtbummel […]
Abends trudeln nach und nach die Leute ein – leider sind es deutlich weniger als erwartet – und es geht los mit dem inhaltlichen Teil. Das spannendste daran ist für mich das Referat von Margarete Bause vom bayerischen grünen Lavo (Soziologin) über Wissenschaft und Gesellschaft.
Nachts dann gemeinsam nach München, Besuch zwar nicht des Hofbräuhauses, sondern nur des etwas weniger prominenten Augustinerkellers (riesige Ausmaße, sehr typisch) und eines Biergartens (bis zwei Uhr oder so), einige gehen danach noch in die Disko.
Am Samstag morgen Frühstück, dann fängt das eigentliche Bundestreffen an. K. leitet die langwierige Satzungsdebatte, nach fünf oder sechs Stunden haben wir dann eine runde Satzung und stimmen dieser auch zu. Alle anwesenden zehn Hochschulgruppen treten dem neuen Verband bei – der in einem aufwendigen Verfahren den Namen „Bündnis grün-alternativer Hochschulgruppen“ erhalten hat. GHG-Bündnis ist meine interne Abkürzung dafür, mal sehen, ob ich sie durchsetzen kann … Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich kandidieren soll oder nicht.
Abends geht es mit der Gründungsversammlung weiter, lange Debatte über den Krefelder Aufruf des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren, danach dann Arbeitskreise (in einer Kneipe auf dem Dach eines der vielen Betonklötze, die die Studentenstadt München bilden und von oben ganz interessant aussehen). Blick auf das nächtliche München, nett. Nur der AK läuft erstmal nicht so toll, drei Debatten parallel, kein Fokus. Wir trennen uns, die Clique um J., R. und D. diskutiert Strukturen, K., L. und ich mit B. und den Hamburgern überlegen, wie das Arbeitsprogramm aussehen könnte. Nach den offiziellen Arbeitsgruppen findet dann noch eine schreckliche inoffizielle Runde statt […] um den Vorstand auszumauscheln – ach nee, den Sprecherinnenrat.
„Mehrheiten müssen organisiert werden“ – ich finde das ganze etwas überdosiert für einen Verband, der sich gerade gegründet hat. Die Bösen sind die Hamburger und Münchener […] Mir wird klar, wie verbohrt manche linke Zirkel inzwischen sind (die Ergebnisse aus Dortmund am nächsten Tag passen gut dazu). Im Endeffekt ist die Vorstandsdebatte ergebnislos, es wird wohl mehr Kandidaten als Plätze geben. Und D. wird nicht Schatzmeister (schade).
Sonntag fängt gut an, auch wenn das Wetter schlechter geworden ist. Arbeitsprogramm, lange Debatten über dieses und jenes, … schließlich die Wahlen zum SprecherInnenrat. Unerwartet kandidiert auch C. (aus Lüneburg), und schafft es dann sogar, R. rauszuwerfen.
Damit fängt die Verbandsgeschichte von Campusgrün dann richtig an. Die erste ordentliche Bundesverammlung findet im November 1999 in Hamburg statt, zwanzig Leute auch acht Gruppen und Gäste u.a. von den Juso-Hochschulgruppen diskutieren über Studienfinanzierung, über ein Arbeitsprogramm und beginnen mit der Debatte über ein Grundsatzpapier. Es gibt politische Konflikte – wie in der ganzen Partei, die Nähe/Haltung zu den Grünen ist immer wieder ein Thema. Und eine Finanzordnung wird auch beschlossen. In der 2. ordentlichen Bundesversammlung (8.–9. Juli 2000) können wir dann über die inzwischen erfolgte Anerkennung durch die Partei berichten. Mit Matthias Berninger wird über das Bildungskontenmodell diskutiert, das – ganz der neoliberale Zeitgeist – die Fraktion erarbeiten will.
Auf der 3. ordentlichen Bundesversammlung in Würzburg wird aus dem SprecherInnenrat ein Bundesvorstand. Der Verband hat inzwischen eine Website und wurde im Schrägstrich, dem damaligen Magazin der Partei vorgestellt. Inhaltlich geht es unter anderem um eine Reformdebatte für den fzs. Die Hürden der rein ehrenamtlichen Arbeit werden deutlich, etwa im Hinblick auf die Bearbeitung von Finanzanträgen. In den folgenden Bundesversammlungen geht es u.a. um das Welthandelsabkommen GATS, um Öko-Aktionen der einzelnen Gruppen, aber auch um eine Selbstverständnisdebatte zur „Zukunft grün-alternativer Hochschulgruppen“. Immer wieder als schwierig erweist sich die Einhaltung der eigentlich vorgesehenen Quotierung.
Ich bleibe bis November 2002 Mitglied des Vorstands, das letzte halbe Jahr als Sprecher des Vorstands zusammen mit Christine Scholz. Auf der 6. Mitgliederversammlung im November 2002 in Karlsruhe geht es insbesondere um die Koalitionsverhandlungen und um Forderungen an die Regierung Schröder II. Vorher wurde auf der Wahlprogramm-BDK erfolglos für eine klare Absage an Studiengebühren geworben und den Delegierten ins Gewissen geredet (siehe Flyer rechts). Im „Vier-Jahres-Papier“ mit Forderungen an die Regierung heißt es u.a. kritisch:
Sofern sie nicht zwischen den Zeilen versteckt sind, verzichtet der Koalitionsvertrag […] auf grundlegende [hochschulpolitische] Reformprojekte genauso wie auf Informationen zur konkreten Ausgestaltung der recht wolkig beschriebenen Ziele. Statt dessen werden eher Themen genannt, an denen gearbeitet werden soll, während prinzipiell der Status quo erhalten bleibt.
Wir fordern die Koalition auf, ihre Hochschulpolitik in Zusammenarbeit mit den studentischen Verbänden weiter zu entwickeln. Insbesondere muss der fzs stärkere Beachtung erfahren. Als Bündnis grün-alternativer Hochschulgruppen wollen wir die Kommunikation mit Fraktion und Partei verbessern.
Politische Schwerpunkte des Papiers sind die Dauerbrenner: Qualität der Hochschulen, Internationalisierung, Frauenförderung, die nach der Bulmahn-Reform verschlimmbesserte Arbeitssituation an den Hochschulen, Lebensunterhaltsfinanzierung, Hochschulfinanzierung durch den Bund, Studiengebühren, die Frage der politischen Vertretung der Studierendenschaften sowie der „ökologische Umbau der Hochschulen“.
2002 liegt mein Studium schon zurück, ich arbeite inzwischen in einem Drittmittelprojekt an der Uni als wissenschaftlicher Mitarbeiter, bleibe der Hochschulpolitik aber weiter treu – als baden-württembergischer Delegierter für die BAG Wissenschaft, Hochschule und Technologiepolitik von Bündnis 90/Die Grünen, ab 2007 bis 2019 als BAG-Sprecher und ab Herbst 2011 bis Ende 2018 als Parlamentarischer Berater für Wissenschaft, Forschung, Kunst und Medien in der baden-württembergischen Landtagsfraktion.
Die oben genannten Themen tauchen dabei immer wieder auf. Mit der Digitalisierung aller Lebensbereiche, mit einem Blick auf Diversität und Heterogenität sowie mit dem Umbau der Hochschulfinanzierung durch die Exzellenzinitiative kommen neue Felder dazu. Wissenschaftlichkeit als Wert an sich ist für die Partei eine Neuentdeckung, die erst in diesem Jahrzehnt ihre Wirkung entfaltet. Daneben geht es aber seit zwanzig Jahren immer und immer wieder um Geld: Wie kann eine auskömmliche Lebensunterhaltsfinanzierung für Studierende aussehen? Wie kommt die Grundfinanzierung der Hochschulen in angemessener Höhe zustande? Und wie halten Grüne es – in Pendelbewegungen zwischen vorsichtiger Zustimmung und deutlicher Ablehnung – mit Studiengebühren, Studienkonten und ähnlichen Instrumenten.
Insofern ist es gut, dass Campusgrün ein Verband mit hohem „Durchlauf“ ist, und immer wieder neue Generationen sich neu mit diesen Themen auseinandersetzen. Für einige ist Campusgrün der Startpunkt für eine politische oder berufliche Karriere im grünen Umfeld geworden. Andere haben hier (und in studentischen Gremien) einiges über die Innenseite von Politik gelernt – hilfreich, wichtig und nützlich auch in ganz anderen Feldern. Insofern ist es gut, dass aus dem am Anfang um Arbeitsfähigkeit und Akzeptanz ringenden Verband heute eine breit aufgestellte Organisation geworden ist, die eine Stimme im grünen Kontext erheben kann. Herzlichen Glückwunsch – und weiter fruchtbare Diskussionen!
Warum blogge ich das? Um das eine oder andere für die Veranstaltung gestern recherchierte dem Netz anzuvertrauen.