Die Frage, wie ein möglicher Kanzlerkandidat Merz zu bewerten sei, führte auf meinem Facebook-Account zu einer regen Debatte. Ins Auge stechen, auch nach der Pressekonferenz heute, vor allem zwei Aspekte. Parteipolitisch würde Merz die CDU klarer auf der konservativen Seite des politischen Spektrums positionieren. Das könnte dazu führen, dass die CDU Wähler*innen von der AfD zurückgewinnt, es könnte aber auch dazu führen, dass Menschen, die eine unter Merkel etwas liberaler und „mittiger“ gewordene CDU wählbar fanden, sich dauerhaft wieder davon abkehren. Das könnte den in Bayern und Hessen zu beobachtenden Trend einer Wählerwanderung von der CDU zu Bündnis 90/Die Grünen stärken. Auch im Sinne einer klaren Unterscheidbarkeit politischer Angebote wäre eine Merz-CDU möglicherweise gar nicht so blöd. Ein Nebeneffekt könnte dann der sein, dass Grün dauerhaft zur zweiten Kraft in Deutschland wird.
Aber es gibt ja nicht nur eine parteipolitische Perspektive. Für das Land wäre ein möglicher Kanzler Merz ein deutlicher Rückschritt. Kaum jünger als Merkel, dafür deutlich konservativer und „schnittiger“, ein Mann, eng mit der „Großindustrie“, wie das früher einmal hieß, verbunden. Eher so 1998 als 2018. Und eine Koalition, womöglich gar eine Jamaika-Koalition, mit einer rechtskonservativen CDU und einer wirtschaftliberalen FDP – auch das ist schwieriger vorstellbar als in der aktuellen Konstellation.
Aber vielleicht ist es ja die Synthese beider Argumente, die weiterhilft: ein Kanzlerkandidat Merz – möglicherweise wäre das die Projektionsfläche, um in einer Bundestagswahl von der bürgerlich-liberalen Mitte bis nach links zu mobilisieren und dann eine Mehrheit jenseits der CDU/CSU zu finden. Oder, wie es Bernd Ulrich von der ZEIT auf Twitter gestern auf den Punkt brachte:
„Nur damit hinterher niemand sagt, ich hätte es vorher sagen sollen: Wenn #Merz Vorsitzender wird, wird #Habeck Kanzler. #Grüne #CDU“.
Letztlich muss die CDU entscheiden, wie sie nach Merkels vorzüglich in Szene gesetztem Ausstieg weitermachen möchte.