Vermutlich muss ich den Titel dieses Blogbeitrags erklären, und vermutlich muss ich dafür etwas weiter ausholen.
Ausgangspunkt ist die Art und Weise, wie wir – z.B. in der grünen Partei, oder in der Wissenschaft, oder in den Medien – den Prozess der Digitalisierung betrachten, verstehen und vor allem auch darstellen. Immer wieder finden sich da Bilder wie das der (vierten industriellen) Revolution, der Zeitenwende, der neuen Ära oder Epoche. Der „digitale Wandel“ verändert alles, kein Stein bleibt auf dem anderen, und was gestern noch galt, wird morgen ungewiss sein. Das lässt sich jetzt zum einen auf verschiedene Bereiche durchdeklinieren – was macht „DeepTech“ (so der schöne Begriff, den Holger Schmidt auf der Open! 2016 für die Kombination aus Internet-der-Dinge, Sensorik, AR/VR, Künstliche Intelligenz und verteilte Plattformmodelle prägte) mit der Automobilindustrie, wird die Arbeitswelt und der Alltag „in Zukunft“ ganz anders aussehen als heute, ändern sich fundamental nicht nur Bildung, Kompetenzen und Kulturtechniken, sondern auch Vorstellungen von Raum und Zeit, usw. usf. Das ganze lässt sich als technophile Utopie zeichnen, oder als Menetekel, als Warnung vor der großen Katastrophe (Facebook zerstört, Google hat uns im Griff, …).
All diesen Bildern und Vorstellungen gemeinsam ist, dass großer Wert darauf gelegt wird, zu zeigen, was sich ändern wird (durch Mächte, auf die Politik keinen Einfluss nehmen kann, wie die dunklen Herrscher des Silicon Valleys …), was geändert werden muss, und wo der große Transformationsprozess noch beeinflusst werden kann. Gedacht als Anpassung, ganz selten als totale, resignierte Ablehnung.
Ich möchte diese Blickrichtung umdrehen, ohne darauf eine komplette Antwort zu haben: Was bleibt, was hat Bestand, was gilt weiterhin – auch nach der Digitalisierung?
Warum ist das eine sinnvolle Frage? Unlängst wurde darüber diskutiert, wie das mit dem Vertrauen in die Politik und mit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt so ist. Ein Treiber für das Gefühl einer immer schneller auseinanderdriftenden Gegenwartsgesellschaft ist das, was wir unter dem Schlagwort „Globalisierung“ bündeln. Weltweite, schnelle Handelsketten, Kommunikation und Logistik, eine nachziehende politische Regulation auf planetarer Ebene, so etwas wie eine globale Öffentlichkeit, Bilder- und Menschenströme, vielleicht auch eine Art globale Elite oder transnationale Klasse, die ein Netzwerk bildet, das gleichzeitig exkludiert und zurückgelassene Orte, Gesellschaften und Milieus produziert. Auch Globalisierung wird und wurde als Kraft beschrieben, die nicht aufzuhalten ist – und schon Ende des 20. Jahrhunderts schreibt zum Beispiel Manuel Castells darüber, dass Globalisierung gleichzeitig auch zu nationalen und religiösen Fundamentalisierungen, identitätsbezogenen Bewegungen und ähnlichen Gegenreaktionen führen wird – bis hin zum terroristischen Kampf gegen die Globalisierung mit Hilfe globaler Kommunikations- und Transportwege. Verkürzt auf den Punkt gebracht: auch der aktuelle Aufschwung der Rechtspopulist*innen mag etwas damit zu tun haben, dass Welt heute sich nicht ohne Blick auf transnationale Zusammenhänge verstehen lässt, und dabei kein Stein auf dem anderen bleibt.
Lenin wird das Zitat „Kommunismus – das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes“ zugeschrieben. In ähnlicher Weise hängen (und auch das lässt sich schon bei Castells finden) Globalisierung, Informationskapitalismus und Digitalisierung zusammen. Und selbst die utopischen Gegenmodelle einer schönen neuen Welt ohne Arbeitszwang, mit bedingungslosem Grundeinkommen und digital gestützten Formaten der Selbstverwirklichung bekommen Probleme, wenn sie heute im nationalen Rahmen gedacht werden.
(Völlig außen vor: die ökologischen planetaren Grenzen, die immer deutlicher nur noch globale Lösungen kennen – allen voran der Klimawandel, aber auch die Fragen des Ressourcenverbrauchs und der Biodiversität. Und die komplexen Wechselwirkungen zwischen eine ökonomisch und medial globalisierten Welt, den Ungleichheiten, die mit der Arbeitsteilung in dieser Welt zusammenhängen, und der Tatsache, dass Digitalisierung nicht nur Software bedeutet, sondern auch Hardware, vom IoT-Sensor über das Smartphone bis zum Rechenzentrum, und dass diese Infrastruktur wiederum etwas mit dem immer schneller werdenden Erreichen der ökologischen planetaren Grenzen zu tun hat …)
Was ich sagen will: Digitalisierung kann möglicherweise als eine Art „Globalisierung 2.0“ verstanden werden. Dann aber stellt sich nicht nur die Frage nach den tatsächlichen disruptiven Wirkungen, nach dem Einhegen und Gestalten, nach den möglichen Gegenreaktionen (und der optimierten Nutzung digitaler Kommunikationswege durch Feinde einer offenen Welt) – sondern eben auch die Frage danach, in welcher Weise das Bild der Revolution, des Umbruchs, der Zeitenwende selbst dazu beiträgt, dass Digitalisierung (von einigen) vor allem als Bedrohung verstanden wird. Und ob wir mit solchen Bildern und gleichzeitig fortbestehenden Institutionen, die so tun, als ob nichts wäre, nicht letztlich an einem Ast sägen, den wir noch brauchen.
Ich will auch noch explizit dazusagen, dass es mir nicht darum geht, so etwas wie „Digitalisierungsleugnung“ ins Leben zu rufen. Dass allgegenwärtige, vernetzte und nach plattformkapitalistischen Modellen organisierte digitale Kommunikations- und Informationsverarbeitungstechnologie ziemlich grundlegende Veränderungen nach sich zieht, und dass wir uns mitten in diesem Veränderungsprozess befinden, ist wohl so. Den Kopf in den Sand zu stecken und zu glauben, dass auch in zehn Jahren noch das benzingetriebene feinmechanische Automobil ohne Intelligenz das Maß der Dinge darstellt (um bei einem hierzulande beliebten Wirtschaftszweig zu bleiben), wäre falsch.
Was ich mit der Frage danach, was Bestand hat, bewirken möchte, ist eher ein unaufgeregter Blick darauf, was sich tatsächlich ändert, und was eben nicht. Ich denke dabei – und vielleicht ist das naiv – beispielsweise daran, dass Bildung nach wie vor eine hohe Bedeutung haben wird. Dass Werte einer freiheitlichen Gesellschaft sich nicht verändern müssen, nur weil es neue Kommunikationswege und Medienmodelle gibt. Dass Wälder Wälder bleiben, und Kultur Kultur. Dass Menschen, die – auf welchen Kanälen auch immer – miteinander reden, statt übereinander herzufallen, die Welt besser machen können. Solche Dinge. Und vielleicht sollten wir das betonen.
Warum blogge ich das? Weil ich das Gefühl hatte, dass die Frage danach, was nach der Digitalisierung bleibt, ohne Erläuterung nicht verständlich ist – und ich aber gerne darüber diskutieren möchte.