Ökologische Verelendungstheorie

Cloudporn III

In die­ser Woche fin­det der „Earth Over­shoot Day“ statt – also der Tag, an dem der Res­sour­cen­ver­brauch des Jah­res das nach­hal­tig nutz­ba­re Res­sour­cen­bud­get des Jah­res über­schrei­tet. Idea­ler­wei­se soll­te er frü­hes­tens auf dem 31. Dezem­ber lie­gen, statt des­sen wächst der Res­sour­cen­ver­brauch, so dass er im Herbst und inzwi­schen deut­lich im Som­mer liegt. Jahr für Jahr rückt das Datum des Earth Over­shoot Days nach vor­ne. So weit die Fakten. 

Was mich umtreibt, ist etwas, was sich – je nach Lau­ne – als „TINA-Para­dig­ma“ der Öko­sze­ne oder als „öko­lo­gi­sche Ver­elen­dungs­theo­rie“ beschrei­ben ließe. 

TINA, „The­re is no alter­na­ti­ve“ stammt wohl von der frü­he­ren bri­ti­schen Pre­mier­mi­nis­te­rin Mar­ga­ret That­cher, aber auch Bun­des­kanz­le­rin Mer­kel agiert ger­ne „alter­na­tiv­los“. In bei­den Fäl­len ist damit gemeint, dass die jewei­li­ge (neo­li­be­ra­le) Poli­tik den ein­zi­gen über­haupt denk­ba­ren Weg dar­stellt. Ange­sichts der öko­lo­gi­schen Fak­ten liegt es nahe, TINA zu über­neh­men: Die Welt muss öko­lo­gi­scher und nach­hal­ti­ger wer­den, oder sie wird unter­ge­hen. Klingt nach einer ein­fa­chen Wahr­heit, ist aber letzt­lich doch kom­pli­zier­ter – denn TINA könn­te auch „The­re is no auto­ma­tism“ heißen.

Das heißt: Aus den öko­lo­gi­schen Fak­ten folgt noch lan­ge kei­ne poli­ti­sche Ein­sicht, denn die­ser Wil­lens­bil­dungs­pro­zess fin­det nach wie vor in der poli­ti­schen Are­na statt, in der unter­schied­li­che Inter­es­sen, Welt­sich­ten und „Sach­zwän­ge“ auf­ein­an­der pral­len. Fak­ten im Sin­ne außer­so­zia­ler Tat­sa­chen spie­len bei der Mei­nungs­bil­dung eine Rol­le (Kret­sch­mann: „Gegen Zah­len lässt sich nicht anbrül­len!“) – aber sie sind eben nicht der ein­zi­ge Fak­tor. Was als wahr gilt, was wie inter­pre­tiert wird, was gese­hen und was aus­ge­blen­det wird, wel­cher Weg in Rich­tung Nach­hal­tig­keit als taug­lich ange­se­hen wird, und wel­cher nicht – hier haben wir es mit sozia­len Tat­sa­chen zu tun, die sich eben nicht auto­ma­tisch aus den schlich­ten Res­sour­cen­ver­brauchs­zah­len und deren Extra­po­la­ti­on erge­ben. Poli­tik braucht wei­ter­hin über­zeu­gen­de Akteu­re und Akteurinnen. 

Wenn öko­lo­gi­sche Poli­tik alter­na­tiv­los ist, dann heißt das also noch lan­ge nicht, dass nicht hart dar­an gear­bei­tet wer­den muss, die­se Alter­na­ti­ve auch tat­säch­lich zur im Dis­kurs domi­nan­ten poli­ti­schen Opti­on zu machen. Und sie dann auch noch umzusetzen.

Wenn TINA der Leit­stern der har­ten Neo­li­be­ra­len ist, dann ist die Ver­elen­dungs­theo­rie der Hoff­nungs­trä­ger einer bestimm­ten Sor­te von Mar­xis­tIn­nen. Zuge­spitzt und popu­la­ri­siert: der Kapi­ta­lis­mus wird letzt­lich durch eine zuneh­men­de Ver­schlech­te­rung der Lebens­be­din­gun­gen der Arbei­te­rIn­nen schon selbst dafür sor­gen, dass es zur gro­ßen Revo­lu­ti­on und zum Umschwung der Ver­hält­nis­se kommt. So etwas in der Art gibt es auch in grün – wenn Peak Oil über­schrit­ten ist, wenn die Böden aus­ge­laugt sind, wenn die Nah­rungs­mit­tel­ver­sor­gung zusam­men­ge­bro­chen ist – spä­tes­tens dann, mit der gro­ßen Kri­se, wird der gro­ße Umschwung zu nach­hal­ti­gen und öko­lo­gi­schen Pro­duk­ti­ons- und Lebens­wei­sen kom­men. Weil’s halt ein­fach gar nicht anders geht, und dann jeder und jede die öko­lo­gi­sche Wahr­heit sehen wird.

Mal abge­se­hen davon, dass bei der Hoff­nung auf Ver­elen­dung immer auch Zynis­mus mit­schwingt, hal­te ich die eine wie die ande­re Vari­an­te die­ser Vor­stel­lung für falsch. Auch hier sind die Ver­hält­nis­se kom­pli­zier­ter, auch hier scheint es mir kei­ne Auto­ma­tis­men zu geben. Allein schon des­we­gen, weil die welt­wei­ten Chan­cen und öko­lo­gi­schen Abhän­gig­kei­ten so ungleich ver­teilt sind bzw. als unglei­che Ver­tei­lung geschaf­fen und auf­recht erhal­ten wur­den und wer­den. Zudem blei­ben Inno­va­ti­ons­kraft und gegen­läu­fi­ge Ten­den­zen unterbelichtet.

Unterm Strich bleibt die Aus­sa­ge, dass es dumm wäre, öko­lo­gi­sche Poli­tik auf die Hoff­nung auf Auto­ma­tis­men auf­zu­bau­en. Es bleibt die Not­wen­dig­keit – und das ist Arbeit – sich in den unter­schied­lichs­ten gesell­schaft­li­chen Are­nen wei­ter­hin selbst dar­um zu küm­mern, dass es in Rich­tung Nach­hal­tig­keit geht. Dar­auf, dass sich hier bereits eini­ges bewegt, dass es durch­aus auch posi­ti­ve Nach­rich­ten gibt, Hoff­nun­gen zu set­zen, erscheint mir weit­aus sinn­vol­ler, als es die men­ta­le Vor­be­rei­tung auf den „unaus­weich­li­chen“ öko­lo­gi­schen Kol­laps wäre. 

War­um blog­ge ich das? Weil es manch­mal hilf­reich ist, sich die Begren­zun­gen der poli­ti­schen Wirk­sam­keit außer­so­zia­ler Fak­ten vor Augen zu füh­ren. Selbst psy­cho­lo­gisch lässt sich ganz gut erklä­ren, war­um es manch­mal ein­fa­cher ist, kon­tra­fak­tisch auf z.B. einer unbe­ding­ten Wachs­tums­ori­en­tie­rung zu behar­ren, als die Gren­zen des Wachs­tums zur (poli­ti­schen) Kennt­nis zu nehmen.

2 Antworten auf „Ökologische Verelendungstheorie“

  1. Eigent­lich ist TINA nur ein Wei­ter­spin­nen der «rea­lis­ti­schen» Ansicht, dass es im poli­ti­schen Han­deln die eine (rela­tiv ratio­nals­te) Hand­lungs­op­ti­on gibt, und dass die­se dann «natür­lich» das Han­deln bestimmt; dass optie­ren, also die bewuss­te Aus­wahl unter Mög­lich­kei­ten eine Unmög­lich­keit ist. Die Fra­ge ist nun: «Was ist ‹ratio­nal›»? Ist es ratio­nal, die Erde zu erhal­ten, nur damit unse­re Kin­der wei­ter­hin dar­auf leben kön­nen? Oder ist es ratio­nal, sein Ver­hal­ten nur an sei­nen eige­nen unmit­tel­bar ersicht­li­chen Vor­tei­len aus­zu­rich­ten (Stich­wort Smit­hs unsicht­ba­re Hand)? Dann kom­men noch die Spiel­theo­re­ti­ker hin­ein und sagen, wenn der eine öko­lo­gi­scher und nach­hal­ti­ger hand­le, erleich­te­re er nur den ande­ren die Aus­beu­tung, und der Ehr­li­che sein nicht nur der Dum­me, er habe auch in der Sum­me rein gar nichts erreicht. Da erscheint es fast zwangs­läu­fig, einen Wan­deln von öko­lo­gisch aus­beu­te­ri­schem Ver­hal­ten zu öko­lo­gisch nach­hal­ti­ge­rem erst dann für mög­lich zu hal­ten, wenn die Kon­se­quen­zen ver­gan­ge­nen aus­beu­te­ri­schen Ver­hal­tens die Umwelt­be­din­gun­gen (im dop­pel­ten Sin­ne) so ver­än­dert haben, dass nach­hal­ti­ges Ver­hal­ten nicht aus Able­gung ego­is­ti­schen Den­kens, son­dern als Fol­ge dar­aus resul­tiert; sprich, wenn jeder die Fol­gen sei­ner eige­nen Kurz­sich­tig­keit spürt, und sich der Wider­spruch zwi­schen kurz­sich­ti­gem Ego­is­mus und nach­hal­ti­gem Altru­is­mus auflöst. 

    Die Fol­gen umwelt­aus­beu­te­ri­schen Ver­hal­tens ist längst nicht mehr abs­trakt: nicht nur die Men­schen in Daf­ur, die am wenigs­ten für den Kli­ma­wan­del kön­nen und als Volk mit die stärks­ten Fol­gen davon zu tra­gen haben, spü­ren sie, son­dern zuneh­mend auch die Men­schen in den Indus­trie­län­dern, sei­en es ersti­cken­de Städ­ter oder stramm christ­de­mo­kra­ti­sche, an der Dür­re lei­den­de Bau­ern. Die For­de­run­gen nach stren­ge­ren Abgas­nor­men für Indus­trie, Autos und Hei­zun­gen beka­men erst dann gesell­schaft­li­chen Dri­ve, als man in den Indus­trie­re­gio­nen in den 70ern weder in den Flüs­sen schwim­men noch Wäsche auf­hän­gen konnte.

    Aber um noch­mal auf den Ver­gleich zwi­schen TINA, der Umwelt­be­we­gung und den his­to­ri­schen Mate­ria­lis­mus zurück­zu­kom­men, den Du impli­zit gezo­gen hast. Sowohl der his­to­ri­sche Mate­ria­lis­mus als auch die Umwelt­be­we­gung den­ken vom Ende her. Ers­te­res an die sozia­lis­ti­schen Gesell­schaft als zwangs­läu­fi­ge Fol­ge der Wider­sprü­che der Klas­sen­ge­sell­schaft; letz­te­res als Dua­lis­mus – ent­we­der, wir kom­men zur einer nach­hal­ti­gen Res­sour­cen­nut­zung, oder die Welt wird zugrun­de­ge­hen. Man kennt das Ziel, aber nicht not­wen­di­ger­wei­se den Weg. Bei TINA ist es genau anders­her­um: es gibt nur einen Weg, aber wohin die­ser führt, inter­es­siert nicht. Über Mer­kel las ich mal, dass lang­fris­ti­ge Pla­nung für sie «zwei Wochen» bedeu­te. Und dass ihr Han­deln nicht einer sach­be­zo­ge­nen, son­dern rein einer poli­ti­schen Logik folgt, ist evi­dent. Letz­ten­en­des ist es das Dilem­ma, das aus die­sen ver­schie­de­nen Rea­lis­men folgt, das man aner­ken­nen muss, wenn man es über­win­den will.

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