Beteiligt euch! Oder: die Angst der deutschen Behörde vor dem Unkalkulierbaren

Tunnel of power I

Ein Auf­re­ger­the­ma der letz­ten Tage war im poli­ti­schen Baden-Würt­tem­berg die Betei­li­gungs­platt­form. Eigent­lich war klar, dass es die­se Ergän­zung des Lan­des­por­tals geben soll­te – weni­ge Tage vor dem Start mel­de­te sich dann die SPD-Frak­ti­on in Per­son ihres Anfüh­rers pres­se­öf­fent­lich mit Beden­ken. Es müs­se doch erst ein­mal einen Pro­be­lauf geben – und zwi­schen den Zei­len habe ich auch Beden­ken gele­sen, dass (orga­ni­sier­te) Bür­ge­rIn­nen eine Betei­li­gungs­platt­form dazu nut­zen könn­ten, sich (orga­ni­siert) zu betei­li­gen. Und auf die­se popu­lä­ren Mei­nungs­äu­ße­run­gen müss­te dann ja reagiert – und mög­li­cher­wei­se gegen den geäu­ßer­ten Volks­wil­len – regiert werden.

Heu­te ist das Betei­li­gungs­por­tal der Staats­rä­tin für Zivi­li­ge­sell­schaft und Bür­ger­be­tei­li­gung Gise­la Erler jetzt doch gestar­tet. Im Pro­be­be­trieb, d.h. mit gerin­ge­rer Ver­pflich­tung für die ein­zel­nen Häu­ser, mit­zu­ma­chen, und mit dem Ziel einer Eva­lua­ti­on. Aber: es läuft! 

Wer sich das Por­tal anschaut, mag sich ob der Auf­re­gung ver­wun­dert den Kopf krat­zen. Denn tech­nisch-ästhe­tisch ist es zwar schick gestal­tet und wirkt soli­de gemacht, ent­hält aber nichts furcht­bar Neu­es – eine Mischung aus Infor­ma­ti­on über Betei­li­gungs­ver­fah­ren, der Mög­lich­keit, Kom­men­ta­re zu Gesetz­ent­wür­fen abzu­ge­ben, und Anre­gun­gen und Votings in frü­hen Gesetz­ge­bungs­pro­zes­sen (exem­pla­risch der­zeit beim Umwelt­ver­wal­tungs­ge­setz gestar­tet). Die heu­te von der CDU geäu­ßer­te Kri­tik, das sel­be – also nament­lich die Kom­men­tie­rung von Gesetz­ent­wür­fen – sei doch auch unter service-bw.de (dem eGo­vern­ment-Por­tal des Innen­mi­nis­te­ri­ums) schon län­ger mög­lich gewe­sen, hat einen wah­ren Kern. 

War­um also die Auf­re­gung? Ich glau­be, die­se hat weni­ger mit den tat­säch­li­chen oder ver­mu­te­ten Funk­tio­nen des Por­tals zu tun, son­dern beruht auf zwei ganz ande­ren Dingen.

Zum einen rückt Bür­ger­be­tei­li­gung mit dem Por­tal ins sicht­ba­re Zen­trum der Poli­tik. Das ist auch gut so und ent­spricht den von Win­fried Kret­sch­mann ver­kör­per­ten Anspruchs der (grü­nen?) Poli­tik des Gehört­wer­dens. Selbst wenn die Funk­tio­na­li­tät kom­plett iden­tisch zu den ent­spre­chen­den Tei­len von service-bw.de wäre – was sie nicht ist – macht die pro­mi­nen­te Plat­zie­rung auf und die Inte­gra­ti­on in das Lan­des­por­tal einen Unter­schied. Es kommt eben auch auf die Posi­tio­nie­rung an. (Hand aufs Herz: Wer hat schon ein­mal von der Mög­lich­keit gehört, Geset­zes­ent­wür­fe auf service-bw.de kom­men­tie­ren zu kön­nen, geschwei­ge denn die­se Mög­lich­keit tat­säch­lich genutzt?)

Mit der Sicht­bar­keit steigt auch der Anspruch. Auf einer sym­bo­li­schen Ebe­ne sagt das pro­mi­nent plat­zier­te Betei­li­gungs­por­tal auch noch ein­mal sehr deut­lich, dass der Anspruch, eine umfas­sen­de Bür­ger­be­tei­li­gung umzu­set­zen, ernst gemeint ist. Nach außen, aber vor allem wird die­ses Signal nach innen gesetzt. Wir machen Bür­ger­be­tei­li­gung zur Chef­sa­che, wir machen ernst damit. Das war vor­her nicht so deutlich.

Und das erklärt dann auch Ängs­te und Wider­stän­de. Denn digi­tal gestütz­te Bür­ger­be­tei­li­gung – für mich passt das Schlag­wort „open govern­ment“ her­vor­ra­gend dazu – meint auch eine Öff­nung, eine Reor­ga­ni­sa­ti­on von Abläu­fen. Ele­men­te des Unkal­ku­lier­ba­ren kom­men dazu. Lang­jäh­ri­ge Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten und Pfrün­de wer­den in Fra­ge gestellt.

Vor die­sem Hin­ter­grund ist es ver­ständ­lich, dass es ein biss­chen Auf­re­gung um ein eigent­lich recht simp­les Tool­set gab. Viel­leicht ist es ganz gut, dass es „nur“ um Umfra­gen und Kom­men­tie­run­gen geht, ähn­lich wie im bekann­ten Ver­bän­de­an­hö­rungs­ver­fah­ren. Damit gibt es in den Ver­wal­tun­gen Anknüp­fungs­punk­te an Bekann­tes. Adho­cra­cy oder ela­bo­rier­te­re Betei­li­gungs­tools wären toll – wür­den aber erst recht Gefüh­le von Hilf­lo­sig­keit und Über­for­de­rung in den Minis­te­ri­en auslösen.

Die heu­te gestar­te­te Betei­li­gungs­platt­form ist ein pro­mi­nent plat­zier­ter Ort, an dem digi­tal unter­stütz­te Betei­li­gung für die gan­ze Lan­des­re­gie­rung gebün­delt wird. Egal, was noch wird, ist dies ein wich­ti­ger Anfang auf dem Weg zur bür­ger­ori­en­tier­ten, geöff­ne­ten Poli­tik auch in den minis­te­ri­el­len Appa­ra­ten. Und was dar­aus erwächst, wird sich zeigen.

War­um blog­ge ich das? Weil ich das Pro­jekt seit gerau­mer Zeit mit gro­ßem Inter­es­se beob­ach­te und glau­be, dass es wich­tig ist, hin­ter die Ober­flä­che des Tools zu blicken.

2 Antworten auf „Beteiligt euch! Oder: die Angst der deutschen Behörde vor dem Unkalkulierbaren“

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