Die Schlacht ist geschlagen, das Umfragenpatt gerade noch einmal abgewendet – Ende gut, alles gut?
1. Wir leben in einem tief gespaltenen Land. Ja, mit ein paar Pünktchen weniger für Piraten oder LINKE wäre es klarer ausgegangen, ja, ohne Steinbrück-Faktor wäre es klarer ausgegangen – aber sichtbar wird doch, dass zwischen „Mehrheitslager“ und „Minderheitslager“ bei denen, die überhaupt zur Wahl gehen, nur eine knappe Differenz liegt. Das macht Wahlabende spannend. Mit einer klaren! Bevölkerungsmehrheit für eine progressive Politik wäre mir allerdings deutlich wohler, als mit, böse gesagt, Zufallsmehrheiten in Abhängigkeit von Besonderheiten des Wahlsystems. Anders gesagt: Mehr denn je muss progressive Politik um so etwas wie eine gesellschaftliche Hegemonie kämpfen, um jenseits von zeitgeistigen Stimmungsschwankungen die großen Transformationsprojekte umsetzen zu können. Dafür braucht es, nebenbei gesagt, nicht nur Themen, sondern auch Köpfe – mit der richtigen Art Kantigkeit.
2. Niedersachsen gewonnen, aber den Bundestag noch lange nicht. Denn da wird niemand mit einer Einstimmenmehrheit regieren wollen, und da gibt es noch das kleine Problem LINKE – selbst wenn diese „nur“ als ostdeutsche Regionalpartei gewählt wird, wird sie sehr wahrscheinlich im nächsten Bundestag sitzen. Solange die SPD hier jede Zusammenarbeit kategorisch ausschließt, ist die LINKE ein zusätzliches Handycap dafür, eine progressive Gestaltungsmehrheit im Bundestag zu bekommen. Bis zum Herbst kann sich noch viel ändern – aber zumindest im Moment sieht alles nach Großer Koalition in Berlin aus (wenn nicht gar Merkel-Rösler ihre Arbeit fortsetzen können …). Keine schönen Aussichten!
3. Die SPD versucht derzeit, uns Grüne in den Lagerwahlkampf einzugliedern – etwa wenn Sigmar Gabriel an ihn gerichtete Fragen gleich mal für uns mitbeantwortet. Rot-Grün ist das inhaltlich naheliegendste Bündnis; dennoch sollten wir mehr denn je Wert auf grüne Eigenständigkeit legen. Wir sind nicht die FDP der SPD, sondern eine Partei mit klugen Konzepten, für die wir in den letzten Jahren zunehmend geschlossen und zunehmend erfolgreich kämpfen. Eigenständigkeit heißt nicht Äquidistanz, sondern Eigenständigkeit heißt, dass wir uns Themen und Strategien des Wahlkampfs nicht von der SPD vorgeben lassen. Das betrifft übrigens auch das Verhältnis Erst- und Zweitstimmen – ich erinnere mich noch gut an eine Bundestagswahl, bei der aus einem grün unterstützten Wahlkreiskandidat der SPD, der die Große Koalition heftigst ausgeschlossen hatte, ein Staatsminister eben dieser Koalition wurde. Für mich heißt das beispielsweise auch: Erststimmendeals in Zukunft nur auf Gegenseitigkeit.
Warum blogge ich das? Weil ich glaube, dass das einige knifflige Fragen sind, denen wir uns stellen müssen – auch wenn es keine einfachen Antworten darauf gibt.
Grundsätzlich: Ich glaube nicht, dass die Spaltung so tief ist, wie es die letzten Lagerwahlkämpfe vielleicht nahelegen. Das ist eine Zuspitzung, die sich stark aus wahlstrategischen Überlegungen speist. Inhaltlich sind die Gräben so groß wie sie rhetorisch erscheinen dann doch nicht. Gerade weil eine ganze Reihe „progressiver“ Themen mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind.
Zum Thema Erststimmen: da es ja zur Bundestagswahl keine unausgeglichenen Überhangsmandate mehr geben wird, entfällt eine wichtige Grundlage für taktisches Stimmensplitting. Insofern geht es „nur“ noch darum, die eigene Region am besten vertreten zu wissen und um die zusätzliche Medienaufmerksamkeit, die ein Direktmandat bringt (und um den Spielraum, den ein Direktmandat dem Sieger bringt: Als Direkt Gewählter bringt man ein Legitimationsplus mit und muß weniger auf die Bundes-/Landespartei Rücksicht nehmen.)