Vor einigen Tagen hat die grüne Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke angekündigt, wie das bereits seit längerem angedeutete Beteiligungsverfahren zum Bundestagswahlprogramm aussehen soll.
Das Wahlprogramm selbst wird wie bisher auch von einer Schreibgruppe entworfen. BAGen lieferen Input dazu, als Antrag auf die Bundesdelegiertenkonferenz (BDK) wird der Entwurf vom Bundesvorstand eingebracht. Auf der BDK wird dann über – wahrscheinlich auch diesmal wieder – mehrere hundert Änderungsanträge entschieden, mit Übernahmen durch die Antragskommission und einigen wenigen kontroversen Abstimmungen je Themenblock.
Neu ist die Möglichkeit, dass alle knapp 60.000 grünen Mitglieder über das Programm mitentscheiden können sollen. Dabei geht es zum Glück nicht um ein symbolisches Abnicken per Briefwahl. Vielmehr sollen im Juni 2013 zeitgleich Kreismitgliederversammlungen stattfinden, auf denen über das dann beschlossene Programm diskutiert wird. Vorgeschaltet ist eine bundesweite Onlinedebatte. Auf den Versammlungen soll dann jeweils (per Wahlzettel) über ein Ranking der Themen entschieden werden. Am Ende des Tages steht dann fest, was die aus Sicht der grünen Basis wichtigsten Themen im Programm sind – relevant beispielsweise für die Frage, welche Themen plakatiert werden.
Mir gefällt diese Idee ganz gut – gerade in der Verbindung aus Online-Debatte und synchroner, verteilter Offline-Entscheidung. Es kann sein, dass vor allem die üblichen aktiven Mitglieder zu diesen Versammlungen kommen. Aber warum auch nicht – davon lebt die Partei! Gleichzeitig kann ich mir vorstellen, dass die vorgeschaltete Online-Debatte eher virtuell aktive Mitglieder dazu bringt, dann doch zur jeweiligen Versammlung zu kommen. Vielleicht gibt’s ja auch Briefwahloptionen.
Das Ganze verknüpft verschiedene Formen des Engagements und bringt lokale und Bundespolitik zusammen. Dabei wird, wenn’s gut läuft, der grüne Wert der Basisdemokratie voll zur Geltung kommen: Der Prozess ist zwar von oben gesteuert, das Ergebnis wächst aber von unten.
Nicht zuletzt ist die Ereignishaftigkeit dieses Vorschlags eine Stärke: Dass über Parteitage intensiv berichtet wird, hat auch damit zu tun, dass sie – anders als digitale Feedbackprozesse – zu einem Ereignis, einem „happening“ konzentriert stattfinden und wahrgenommen werden. Dieses mediale Aufmerksamkeit generierende Moment ist hier ebenfalls gegeben – der Parteitag findet gleichzeitig, aber auf viele „Wahllokale“ in der ganzen Republik verteilt statt.
Warum blogge ich das? Weil mir dieser Vorschlag sehr grün und vitalisierend vorkommt – und intelligent zeigt, wo grüne Stärken liegen. Ob wir es schaffen, 300+ Kreismitgliederversammlungen mit einem synchronen Videostream einer Rede des oder der SpitzenkandidatIn oder des Bundesvorstand zu starten? Fände das jedenfalls eine gute Vorstellung.
Ich find’s immer noch ganz grauenvoll. Demokratisches Kasperltheater für eine Scheinentscheidung ohne größere Relevanz. Einfach bloß peinlich. Aber definitiv ein „Happening“, ja…
Ich sehe das Potenzial zur Relevanz. Kasperletheater war das, was ich befürchtet habe, aber Steffi Lemkes Brief klingt anders. Messlatte sind für mich nachher die Plakate und die Leitthemen im Wahlkampfmaterial – die sollten dann einigermaßen kongruent mit dem Abstimmungsergebnis sein.
Erfreulich: Die GRÜNEN-Mitglieder können zehn Schwerpunkte des Bundestagswahlprogrammes 2013 bestimmen. Ich würde mich freuen, wenn neue Beteiligungs-Verfahren auch bei anderen Gelegenheiten zur Einbindung der Basismitglieder in die Entscheidungsfindung angewendet werden würden.
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Antrag zur BDK in Hannover vom 16. bis 18.11.2012
Deine Meinung ist gefragt: Basisdemokratie auf Bundesebene stärken!
Wir träumen von einer basisdemokratischen Partei BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, die auch auf Bundesebene die Meinung aller Parteimitglieder noch stärker beachtet. Nicht alle Freundinnen und Freunde können oder wollen beispielsweise an der Bundesdelegiertenkonferenz teilnehmen, aber auch die Stimmen der alleinerziehenden Eltern, der pflegenden Familienangehörigen und der Menschen, die aus anderen Gründen nicht das ganze Wochenende der Bundespolitik widmen möchten oder können, sollten wir hören. Wir können ihnen Brücken bauen, damit sie sich auch auf Bundesebene einbringen, ein unkomplizierter Weg dazu ist die Umfrage im Internet, die dann eine Empfehlung an die Entscheidungsgremien darstellt.
1. BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN werden daher zukünftig Umfragen mit unverbindlichem, aber empfehlendem Charakter im Mitgliedernetzwerk „Wurzelwerk“ oder auf einer anderen geeigneten Internetseite durchführen, um möglichst viele Mitglieder in die Meinungsfindung einzubeziehen.
2. Die Ergebnisse der unverbindlichen, empfehlenden Umfragen, sozusagen das „kleine Basisvotum“, werden den jeweils zuständigen Entscheidungsgremien ‑also beispielsweise der Bundesdelegiertenkonferenz, dem Bundesvorstand, dem Bundesfrauenrat, den Bundesarbeitsgemeinschaften, dem Landesparteirat und dem Parteirat usw.- schriftlich und im Rahmen eines Redebeitrages zur Kenntnis gegeben.
3. Die abschließende Entscheidung bleibt wie bisher den oben genannten Gremien überlassen.
4. Die Durchführung dieser regelmäßigen Umfragen ist mit den unten genannten Antragssteller_innen abzustimmen, sie kann auch innerhalb der bereits existierenden und funktionierenden Wurzelwerk-Gruppe „Umfragen im Wurzelwerk“ stattfinden, die im Juni 2011 gegründet wurde.
5. Die Umsetzung dieser zusätzlichen Beteiligungsmöglichkeit sollte spätestens innerhalb von drei Monaten nach der BDK in Hannover abgeschlossen sein, also bis Ende Februar 2013, damit wir das „kleine Basisvotum“ schon bald einholen können.
6. Sinnvoll ist eine Erläuterung der neuen Umfrage-Funktion im Schrägstrich und per E‑Mail-Verteiler des Bundesverbandes. Zudem kann bei der Versendung der Wurzelwerk-Zugangsdaten auf diese neue Beteiligungsmöglichkeit hingewiesen werden.
7. Unser Bundesvorstand wird zudem gebeten, innerhalb von maximal sechs Monaten ein offenes Forum einzurichten, um auch Nicht-Parteimitgliedern die Möglichkeit einzuräumen, dort über Politik allgemein und über GRÜNE Inhalte zu diskutieren. Bis zum Jahr 2011 wurde ein solches Forum durch die Bundestagsfraktion betrieben, die Abschaltung dieses Forums führte dann zu einer Behinderung der offenen Diskussion und brachte uns im Vergleich zur Piratenpartei einen leicht vermeidbaren Nachteil.
Begründung
Das Internet bietet uns Möglichkeiten, die zur Zeit der Gründung unserer Partei bekanntlich noch nicht bestanden. Daher wurde im Juni 2011 die Wurzelwerk-Gruppe „Umfragen im Wurzelwerk“ gegründet, in dieser Gruppe machen mittlerweile bereits über 1.950 Parteimitglieder und damit deutlich mehr als 3% unserer Partei mit:
https://wurzelwerk.gruene.de/group/2639588/startseite
In dieser Gruppe wird schon heute über Umfragen zu verschiedenen wichtigen Themen abgestimmt, hier einige der dort diskutierten und zur Abstimmung gestellten Fragen:
• Wann sollte das letzte Atomkraftwerk in Deutschland abgeschaltet werden?
• Eine parteiinterne Kommission hat unsere Steuerpolitik durchgerechnet, unter dem Strich bleibt ein Milliardendefizit zwischen Einnahmen und Ausgaben. Daher wird auch eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes diskutiert, derzeit beträgt der Spitzensteuersatz 42%. Für welchen Spitzensteuersatz bist Du?
• Sollte das Rauchen im Auto verboten werden, wenn Kinder mitfahren?
• Was hältst Du von einem generellen Tempolimit auf allen deutschen Autobahnen?
Beachtliche 91% der Befragten wünschen sich eine basisdemokratische Beteiligungsmöglichkeit auf Bundesebene, dies ergab eine Umfrage im Wurzelwerk.
Also: Fangen wir an – Denn deine Meinung ist gefragt! Auch auf Bundesebene!
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Unterstützer_innen der Basisdemokratie auf Bundesebene:
Philipp Schmagold, KV Kiel
(weitere Namen gelöscht)
Eine große Hürde ist die Verknüpfung digitaler und analoger Beteiligung an basisdemokratischen Beteiligungsprozessen. Da ist die Entscheidung des BuVo analoger Beteiligung den Vorrang zu geben legitim, auch wenn ich es anders gemacht hätte.
Was mich wurmt ist das „Auszahlungsverfahren“ oder genauer die Datenaggregation. Ich bin dagegen, dass es „Entscheidungen der Kreisverbände“ gibt. Je näher an Einzelstimmen desto besser, u.a. ob des Minderheitenschutzes.
Wo nimmst du das mit dem Auszählverfahren her? Ich verstehe das so, dass auf KV-Ebene Stimmen abgegeben und ausgezählt werden (sicherlich auch mit medialen „KV xz setzt Thema Z auf Platz 1“), letztlich aber alle Stimmen zusammen entscheiden. Spannend ist noch, was für ein Wahlverfahren gewählt wird, sprich, wie viele Stimmen pro Person genommen werden.
Das Auszählverfahren fehlt mir tatsächlich. Also wann und wo fallen das erste Mal Stimmen unter den Tisch. D.h. konkret geben Zum Beispiel der KV Rostock und der KV Köln je nur eine einzige Prioritätenliste weiter oder tatsächlich „Punkt A: Auf Platz 1 bei x Personen, auf Platz 2 bei y Personen …“? Sollte pro KV/OV je nur eine Liste abgegeben werden, wäre die Frage, wie gewichtet wird.
Zur Stimmanzahl pro Person: Ich bin jetzt immer entweder von einem Ranking oder von 10 Stimmen (Stimmanzahl = Platzanzahl) ausgegangen. Was sind Deine Gedanken dazu?