Kurz zur grünen Landtagswahlkampagne 2011

Seit der Lan­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz Anfang Dezem­ber erstrahlt die Web­site der baden-würt­tem­ber­gi­schen Grü­nen in neu­em Glanz (und prompt gibt es gute Kri­ti­ken im Han­dels­blatt zum Online-Wahl­kampf). Sicht­bar ist hier die „Linie“ für den dies­jäh­ri­gen Land­tags­wahl­kampf, mit „aus­ge­ris­se­nen“ Text­blö­cken und einer col­la­gen­ar­ti­gen Gestal­tung. Und dem Cla­im „JETZT!“, der end­lich groß und öffent­lich über allem prangt und nicht mehr geheim gehal­ten wer­den muss. Dem­nächst wird es dann auch die Pla­ka­te geben. Einen Vor­ge­schmack, wie the­ma­ti­sche Posi­to­nie­rung und Gestal­tungs­li­nie dort zusam­men­wir­ken, gibt das Groß­flä­chen­pla­kat, für das jetzt schon Spen­de­rIn­nen gesucht werden. 

Auch wenn mir bei einer Betrach­tung im Detail sicher­lich Kri­tik­punk­te ein­fal­len wür­den, muss ich doch sagen, dass ich mit Cla­im und Gestal­tungs­li­nie ins­ge­samt sehr zufrie­den bin. „Poli­tik wech­seln“ ist mein Lieb­lings­mo­tiv aus der Pla­kat­rei­he, aber nach allem, was ich bis­her davon ken­ne, wer­den auch die ande­ren Pla­ka­te rich­tig gut wer­den. Der Wahl­kampf kann kommen!

Plakat "Politik wechseln. Jetzt!"

Der Fortschritt der SPD. Eine Exegese

Ich gebe zu: einen Moment lang war ich ziem­lich erschro­cken, als ich gele­sen habe, dass die SPD jetzt auch in Fort­schritt machen will. Erschro­cken vor allem des­we­gen, weil ich mir seit gerau­mer Zeit Gedan­ken dar­über mache, dass es doch eigent­lich drin­gend not­wen­dig wäre, mal eine grü­ne Debat­te dar­über zu initi­ie­ren, was denn nun eigent­lich unser Ver­hält­nis zum Fort­schritt sei. „Der Fort­schritt der SPD. Eine Exege­se“ weiterlesen

Demokratische Kultur und bürgerliche Negativkampagnen

Ohne jetzt noch­mal wirk­lich über­all nach­ge­le­sen zu haben – die Medi­en­be­rich­te zu gelb statt grün (FDP), die-dagegen-partei.de (CDU) und „niveau­los“ (CSU) sind, so mein Ein­druck, in einem einig. Näm­lich dar­in, dass es inter­es­sant ist, dass die Uni­on und die FDP sich jetzt die Grü­nen als Haupt­geg­ner aus­er­ko­ren haben – und dar­in, dass die Mach­art und Wir­kungs­wei­se nur auf sehr begrenz­te Zustim­mung stößt. 

Grüne Kampagne: Dagegen/dafür braucht

Der Voll­stän­dig­keit hal­ber sei auch auf die grü­ne Auf­lis­tung hin­ge­wie­sen, die das gan­ze Gere­de von der Dage­gen­par­tei auf­nimmt: Dage­gen braucht’s grün bzw. Dafür braucht’s grün. Eine gute Zusam­men­stel­lung zen­tra­ler grü­ner Posi­tio­nen (mal den ein­zel­nen Links fol­gen, da steckt rich­tig Inhalt dahin­ter), die klar macht, dass es wenig bringt, kon­text­los das Dage­gen­sein zum Haupt­mo­tiv einer Anti-Grün-Kam­pa­gne zu machen.

Auch zum The­ma „Fort­schritt“ bzw. „Fort­schritts­feind­lich­keit“ (letzt­lich ja der gern der Nega­tiv­kam­pa­gnen) lie­ße sich eini­ges sagen, samt eini­ger Sei­ten­hie­be auf die SPD und deren stolz und grund­los mit dem Begriff „neu­er Fort­schritt“ beti­tel­tem Pro­gramm­ent­wurf. Aber das las­se ich jetzt mal. Grund mei­nes Pos­tings ist viel­mehr die simp­le Fra­ge nach der Bür­ger­lich­keit. Wiki­pe­dia ver­weist bei der Suche nach „bür­ger­lich“ auf das Bür­ger­tum und refe­riert dann eini­ge der sozio­lo­gi­schen und sozi­al­ge­schicht­li­chen Theo­rien dazu. Letzt­lich wird deut­lich, dass „Bür­ger“ hier ein Begriff der Abgren­zung ist – his­to­risch gegen Bau­ern­schaft, Adel und Arbei­te­rIn­nen, heu­te gegen – ja, gegen wen eigent­lich? Was kenn­zeich­net die­ses angeb­lich exis­tie­ren­de „bür­ger­li­che Lager“, das jetzt mit Klau­en und Zäh­nen davon über­zeugt wer­den soll, dass es auf gar kei­nen Fall vom Groß‑, Mit­tel- oder Klein­bür­ger zum „Wut­bür­ger“ (oder zur „Wut­bür­ge­rin“) wer­den darf, um dann die schlim­me Tat des Grün-Wäh­lens zu bege­hen? Gemein­hin als bür­ger­lich ver­stan­de­ne Tugen­den kön­nen es jeden­falls schon ein­mal nicht sein. Jeden­falls dann nicht, wenn das Niveau der Nega­tiv­kam­pa­gnen, der Wes­ter­wel­le-Reden oder die poli­ti­sche Hal­tung der Sar­ra­zin-Gut­fin­de­rIn­nen hier typisch sein sollten.

Oder noch ein­mal anders gefragt: Gibt es tat­säch­lich sowas wie eine sta­bi­le sozia­le Kon­fi­gu­ra­ti­on eines „bür­ger­li­chen Milieus“, das ein­deu­tig von ande­ren sozia­len Milieus abgrenz­bar ist? Und was war dann noch ein­mal die „neue Mit­te“, wie­so wählt die kon­sum-hedo­nis­ti­sche „Unter­schicht“ auch ger­ne mal CDU, und wie konn­te es pas­sie­ren, dass schon seit lan­gem bei SINUS eines der (bür­ger­li­chen?) Leit­mi­lieus als „post­ma­te­ria­lis­tisch“ beschrie­ben wird? Zwi­schen Lebens­stil und poli­ti­schen Wahl­ent­schei­dun­gen gibt es schon seit län­ge­rem Diver­gen­zen, eine kla­re Zuord­nung eines poli­ti­schen Lagers zu einem Milieu wird kom­pli­zier­ter. Angeb­lich woll­te sich ja selbst die CDU schon mal für jun­ge urba­ne Krea­ti­ve öff­nen, oder so … auch wenn sie davon inzwi­schen wohl wie­der abge­kom­men ist. (Und neben­bei bemerkt, wider­spricht die Idee einer Volks­par­tei ja eigent­lich auch der Idee einer engen Milieu­bin­dung – you can’t have both).

Mei­ne Ver­mu­tung: Die Behaup­tung, dass es bei die­sen Kam­pa­gnen dar­um geht, eine bestimm­te sozia­le For­ma­ti­on an sich zu bin­den (vul­go: „das bür­ger­li­che Lager“), ist nicht son­der­lich stich­hal­tig. Viel­mehr fin­det das, was wir gera­de sehen, auf zwei ande­ren Ebe­nen statt. Zum einen geht es um den Kon­kur­renz­kampf zwi­schen Par­tei­en und dabei um den Ver­such, Grü­ne klein zu hal­ten – egal, was dafür gera­de als Argu­ment her­hal­ten muss, und wie es begrün­det wird. Das hat etwas damit zu tun, dass sich die Uni­on bis­her als mit Abstand meist­ge­wähl­te Par­tei mit dem Nie­der­gang der SPD sicher fühl­te, und jetzt fest­stel­len muss, dass es zu einer Ver­schie­bung im Par­tei­en­sys­tem kommt, die lang­fris­tig den Macht­er­halt extrem erschwert. 

Zum ande­ren zie­len die­se Kam­pa­gnen dar­auf, Leit­ideen im gesell­schaft­li­chen Dis­kurs zu beset­zen, also die Leit­kul­tur­de­bat­te durch die Hin­ter­tür. Wahr­schein­lich erin­nert vie­les auch des­we­gen so an die geis­tig-mora­li­sche Wen­de der 1980er Jah­re Hel­mut Kohls. Hier aber erscheint mir – um an den Anfang zurück­zu­keh­ren – das media­le Echo nicht gera­de dafür zu spre­chen, dass die­se leit­kul­tu­rel­le Bot­schaft dis­kur­siv ankommt. Wenn die Ver­mu­tung stimmt, dass die Schlich­tung bei Stutt­gart-21 etwas gebracht hat, und Men­schen, die das bis­her nicht im Traum zu den­ken gewagt haben, jetzt bei Mei­nungs­um­fra­gen ange­ben, grün wäh­len zu wol­len (ganz egal, ob sie es dann wirk­lich tun oder nicht) – dann hat die CDU mit­tel­fris­tig ver­lo­ren. Denn dann ist bis weit ins „bür­ger­li­che Lager“, in die „neue Mit­te“ oder ande­re Ecken der Gesell­schaft hin­ein die Bot­schaft ange­kom­men, dass Poli­tik von oben nicht mehr ankommt. Und dann funk­tio­niert das Poli­tik­spiel aus Macht­er­halt, Seil­schaf­ten und „fort­schritt­li­chen“ Groß­pro­jek­ten schlicht­weg nicht mehr, ohne immer aufs Neue Wider­stand zu ent­zün­den. Die Kam­pa­gnen der CDU, der CSU und der FDP zie­len mei­nes Erach­tens genau hier­auf: zu ver­hin­dern, dass sich auf Dau­er ein demo­kra­ti­sches Ver­ständ­nis von Bür­ger­ge­sell­schaft festsetzt. 

Dar­um, und nicht um 18, 20 oder 25% bei den nächs­ten Wah­len geht es.

War­um blog­ge ich das? Eigent­lich woll­te ich nur kurz was dazu sagen, dass ich den Begriff des Bür­ger­li­chen als Abgren­zungs­be­griff im poli­ti­schen Raum vor­de­mo­kra­tisch fin­de. Und dann ist es län­ger gewor­den. Jetzt fra­ge ich mich, ob mei­ne Schluss­fol­ge­rung stimmt – und was das für evtl. grü­ne und „bür­ger­ge­sell­schaft­li­che“ Reak­tio­nen auf die­se Nega­tiv­kam­pa­gnen bedeu­tet. Und ob ich nicht doch noch was über den Fort­schritts­be­griff der SPD blog­gen sollte.

Photo of the week: Fireworks XIV

Fireworks XIV

 

Wun­der­ker­zen eig­nen sich viel bes­ser als Feu­er­werks­ra­ke­ten für stim­mungs­vol­le Sil­ves­ter­fo­tos. Fin­de ich jeden­falls. Und wer mit mir auf das neue Jahr ansto­ßen will, kann das mor­gen, am 8.1. ab 10.30 Uhr in Bad Kro­zin­gen tun – da fin­det näm­lich der dies­jäh­ri­ge grü­ne Neu­jahrs­emp­fang des Kreis­ver­ban­des statt.