Die unvermittelte Gleichzeitigkeit von Panik und Alltag

Der plötz­li­che Ein­bruch des Schre­ckens in den dar­auf voll­kom­men unvor­be­rei­te­ten All­tag. Was heu­te in Oslo und in Utøya pas­siert ist, macht mich fas­sungs­los. Viel­leicht auch des­we­gen, weil ich mich über die umfang­rei­chen Poli­zei­kordons im Regie­rungs­vier­tel in Ber­lin bis­her eher lus­tig gemacht habe. Weil ich mir die Harm­lo­sig­keit eines gesel­li­gen Som­mer­la­gers einer poli­ti­schen Jugend­or­ga­ni­sa­ti­on aus eige­ner Erfah­rung her­aus gut vor­stel­len kann. Weil die Anschlä­ge das Zen­trum eines Lan­des und doch ganz Unbe­tei­lig­te treffen.

Panik und Ter­ro­ris­mus sind zwei Wor­te, die zusam­men beschrei­ben, was hier gera­de pas­siert. Bei­den gemein­sam ist, dass sie aus der Fer­ne betrach­tet harm­los klin­gen, weil sie medi­al viel­fach Ver­wen­dung fin­den für Ereig­nis­se, die im Ver­gleich zu dem, was da gera­de in Nor­we­gen pas­siert ist, unbe­deu­tend sind. „Ter­ror“ kommt wohl aus dem Latei­ni­schen und meint eine gro­ße Angst. „Panik“ bezieht sich, wenn ich mich rich­tig erin­ne­re, auf das urplötz­li­che Erschei­nen des grie­chi­schen Got­tes Pan, das damit ver­bun­de­ne Auf­schre­cken aus dem som­mer­li­chen Dahindösen. 

Ter­ro­ris­mus ist auf die Spit­ze getrie­be­ne Poli­tik der Angst. Und ja: die Anschlä­ge, die Nor­we­gen aus dem Som­mer geris­sen haben, machen mir Angst. Aber ich glau­be, es ist viel zu früh, das, was da gera­de pas­siert ist, poli­tisch reflek­tie­ren zu wol­len. Ich fin­de es rich­tig, dass Ange­la Mer­kel den Men­schen in Nor­we­gen ihr Mit­ge­fühl aus­ge­spro­chen hat. Dar­um muss es in die­sem Moment gehen. 

Ich schrei­be die­sen Blog­ein­trag aber nicht nur, um mich mit mei­ner Fas­sungs­lo­sig­keit, mit dem Nahe-Gehen des Ter­rors auseinanderzusetzen. 

Dass in Oslo etwas Schlim­mes pas­siert ist, habe ich heu­te nach­mit­tag erfah­ren, als ich Twit­ter auf­ge­macht habe. Mein zwei­ter Blick ging dann in die Online­me­di­en, um nähe­res dar­über zu erfah­ren, was da pas­siert ist. Twit­ter ist ein sehr unmit­tel­ba­res Medi­um. Viel­leicht trägt das dazu bei, dass mir die­se Anschlä­ge als gra­vie­ren­der Erschei­nen als die in Lon­don oder in Spa­ni­en vor eini­gen Jah­ren. Das geht bis hin zu Live-Tweets aus Utøya. 

Aber es ist nicht nur das Gefühl, direkt dabei zu sein, das am Medi­um Twit­ter hängt. Es ist – so mei­ne ich jeden­falls – auch die Uner­wart­bar­keit der Kata­stro­phe in die­sem Rah­men. Wer Nach­rich­ten­sen­dun­gen anschaut, geht davon aus, dass es hier auch schreck­li­che Bil­der geben kann. Wer sei­ne Twit­ter-Time­line liest, hat zumeist ande­re impli­zi­te Erwartungen.

Schlim­mer noch: Der Ein­bruch des Schre­ckens, der pani­sche Schock – das fin­det auf Twit­ter nur bedingt statt. Zur Unmit­tel­bar­keit von Twit­ter gehört auch eine Ungleich­zei­tig­keit der kom­mu­ni­zier­ten Rea­li­tä­ten. Die Hälf­te der Tweets in mei­ner Time­line beschäf­ti­gen sich gera­de mit den Anschlä­gen in Nor­we­gen. Die ande­re Hälf­te ver­ar­bei­tet und ver­brei­tet wei­ter­hin pri­va­te und poli­ti­sche Net­tig­kei­ten, die im unge­stör­ten All­tag den Reiz von Twit­ter aus­ma­chen, im direk­ten Neben­ein­an­der­ste­hen aber nur noch banal und takt­los wir­ken. Wahl­um­fra­gen, Nicke­lig­kei­ten bezüg­lich des S21-Stress­tests, Flirts, Wit­ze über das Wet­ter – müss­te nicht all die­ses kom­mu­ni­ka­ti­ve Pro­zes­sie­ren von All­täg­lich­keit ange­sichts der Anschlä­ge ins Sto­cken kom­men, stop­pen, pausieren? 

Mir jeden­falls schlägt mei­ne Time­line gera­de in die­sem Neben­ein­an­der, wo doch ein Aus­nah­me­zu­stand herr­schen müss­te, akut auf den Magen.

Das Neben­ein­an­der von Kata­stro­phe und Bana­li­tät ist natür­lich nicht auf Online­ka­nä­le wie Twit­ter beschränkt. Hier wum­mern die Bäs­se vom Stadt­teil­fest, wäh­rend ich die­sen Blog­ein­trag schrei­be. Zei­tun­gen dru­cken stän­dig Nich­tig­kei­ten neben Höchst­re­le­van­tem, gene­rie­ren Abge­brüht­heit, wo Emp­find­sam­keit über­for­dert wäre. Oder ver­bin­den im Sen­sa­ti­ons­jour­na­lis­mus bei­des – machen die Kata­stro­phe in ihrer Per­ma­nenz zur Banalität.

Kurz­um: Die moder­ne Gesell­schaft kennt kei­ne Pau­sen­tas­te. Aber ein­fach zum All­tag über­ge­hen, wenn die medi­al mit­ge­teil­te Wirk­lich­keit emo­tio­na­le Schreck­star­re ver­mit­telt – kann es das sein?

War­um blog­ge ich das? Weil ich mich erschreckt habe.

Photo of the week: Green light

Green light

 

Letz­te Woche war ich erst in Ros­tock und dann in Stutt­gart und hat­te kei­ne Lust, zwi­schen­drin ein Foto ins Blog zu stel­len. Des­we­gen gab’s letz­te Woche kein Foto der Woche. 

Dies­mal aber: Die Grün­pha­se mei­nes Zim­mer­re­gen­bo­gens vor Fensterbretttomatenpflanzen.

Unsere tägliche Misstrauenskultur gib uns heute

Street pattern

Zwei auf den ers­ten Blick unzu­sam­men­hän­gen­de Beobachtungen:

1. Anfang der Woche hat­ten wir im Land­tag ein Gespräch mit Ver­tre­te­rIn­nen ver­schie­de­ner baden-würt­tem­ber­gi­scher ASten und Ana­log­mo­del­le über die Ein­füh­rung der Ver­fass­ten Stu­die­ren­den­schaft. Inhalt­lich war das durch­aus span­nend, aber dar­um geht es mir jetzt nicht – son­dern dar­um, dass zumin­dest zu Beginn der Ver­an­stal­tung ein sehr star­kes Miss­trau­en der Stu­die­ren­den­ver­tre­te­rIn­nen zu spü­ren war. Betei­li­gung, Teil­ha­be, Mit­wir­kung, eine Ein­la­dung zum Gespräch – schö­ne Wor­te, aber in Wirk­lich­keit inter­es­siert „die“ (also in dem Fall die grü­nen MdLs Salo­mon, Schmidt-Eisen­l­ohr und Lede Abal, pro­ji­ziert: die Regie­rung) doch über­haupt nicht, was wir wol­len. „Die“ machen doch eh, was sie wol­len. Das war so die Grund­stim­mung, die sich im Lauf des Gesprächs glück­li­cher­wei­se etwas ver­än­dert hat. Mal schau­en, wie die wei­te­re Zusam­men­ar­beit läuft.

2. Gera­de eben klin­gel­te es an der Haus­tür. Ein Ver­tre­ter der Tele­kom woll­te von mir (Name jedoch falsch vom Klin­gel­schild abge­le­sen) wis­sen, was für einen Ver­trag ich den habe, wie­viel ich im Monat zah­le. Die klas­si­sche Haus­tür­ge­schäfts­si­tua­ti­on. Ich hat­te kei­ne Lust und kei­ne Zeit, trotz­dem dräng­te der Tele­kom-Mann drauf. Die Lei­tun­gen sei­en hier neu gelegt wor­den, des­we­gen sei es jetzt mög­lich, zum glei­chen Preis (ich habe doch sicher die­sen und jenen Ver­trag) eine viel bes­se­re DSL-Leis­tung zu erhal­ten. Irgend­was mit Glas­fa­sern, neu­er Tech­nik. Er müs­se nur kurz eine Mes­sung vornehmen. 

Ich habe ihn abge­wim­melt – aus einem grund­sätz­li­chen Miss­trau­en her­aus. Da will mir jemand was ver­kau­fen, da muss es doch einen Haken geben. War­um machen „die“ das? Viel­leicht gibt es den Haken nicht, viel­leicht gibt es wirk­lich zum glei­chen Preis einen tech­nisch bes­se­ren Ver­trag – aber war­um muss ich das in ein paar Minu­ten an der Haus­tü­re ent­schei­den? (Call-Cen­ter – so die Ant­wort auf mei­ne Fra­ge, war­um die Tele­kom Haus­be­su­che macht und trotz­dem nicht weiß, mit wem sie es zu tun hat – wür­den nicht funtionieren).

=> Bei­de Begeg­nun­gen haben eines gemein­sam: Den Ver­dacht, dass „die“ – wer auch immer das ist – eigent­lich nur ihr eige­nes Inter­es­se haben, und es, wenn sie dar­auf behar­ren, im Inter­es­se eines ande­ren zu han­deln, höchs­te Zeit ist, miss­trau­isch zu wer­den. Muss das so sein?

War­um blog­ge ich das? Weil ich das Miss­trau­en der Stu­den­ten­schaft erwar­tet habe (und unser Gespräch von Ange­sicht zu Ange­sicht aus mei­ner Sicht auch eine ver­trau­ens­bil­den­de Maß­nah­me dar­stellt – hof­fe ich jeden­falls), und weil ich mich jetzt gera­de ein biss­chen über mein eige­nes Ver­hal­ten an der Haus­tür geär­gert habe. Dahin­ter steht letzt­lich der u.a. von Luh­mann unter­such­te Pro­zess, wie in der moder­nen Gesell­schaft das auf per­sön­li­che Bekannt­schaft beru­hen­de Sozi­al­ver­trau­en durch Sys­tem­ver­trau­en (Insti­tu­tio­nen, Zer­ti­fi­ka­te, Gut­ach­ten usw.) ersetzt wur­de. Sozia­le Medi­en sind ein Stück weit eine Wie­der­her­stel­lung von Mög­lich­kei­ten, in einer mas­sen­me­dia­li­sier­ten Gesell­schaft, in der sozia­le Nähe nicht mehr mit räum­li­cher Nähe iden­tisch ist, Sozi­al­ver­trau­en her­zu­stel­len. So rich­tig funk­tio­niert das aber auch nicht immer. Miss­trau­en scheint in einer gro­ßen, anony­men, funk­tio­nal dif­fe­ren­zier­ten Gesell­schaft eine Grund­vor­aus­set­zung zu sein – die dann aber Ver­trau­ens­bil­dun­gen immer wie­der zunich­te macht. Wie damit umgehen?

Ergän­zung: Nach einem Anruf bei der Tele­kom deu­tet eini­ges dar­auf hin, dass mein Miss­trau­en an der Haus­tür berech­tigt war – dass Tele­kom-Mit­ar­bei­te­rIn­nen an der Haus­tür nach Ver­trags­da­ten fra­gen, sei eher unüb­lich („wir haben die ja schon“); zudem mache die Tele­kom selbst kei­ne Haus­tür­ge­schäft, son­dern wenn, sei­en die­se freie Unter­neh­me­rIn­nen, die so Pro­vi­sio­nen bei Ver­trags­ver­mitt­lung abkas­sie­ren wol­len. Zudem erscheint mir nach eini­gem Nach­den­ken die Sto­ry des Ver­tre­ters noch unglaub­wür­di­ger als zuvor: Wenn die Tele­kom allen Flat­rate-DSL-Kun­den eine neue tech­ni­sche Mög­lich­keit zum glei­chen Preis ein­räu­men möch­te, kann sie das ein­fach tun – ohne Neu­ver­trä­ge und ohne „Mes­sun­gen“. Soviel also zur sozia­len Funk­ti­on von Miss­trau­en (was aber nicht an der grund­sätz­li­chen Fra­ge ändert, wie Ver­trau­en in einer sozi­al ver­netz­ten, funk­tio­nal dif­fe­ren­zier­ten Gesell­schaft eigent­lich funk­tio­nie­ren kann und soll).