Wer meine Tweets über den heutigen Tag verfolgt hat, hat gesehen, dass ich immer mal wieder in die Livestreams zur öffentlichen Präsentation des Stresstests zu Stuttgart 21 reingeschaltet und das Geschehen dort kommentiert habe.
Photo of the week: Pusteblume
Die unvermittelte Gleichzeitigkeit von Panik und Alltag
Der plötzliche Einbruch des Schreckens in den darauf vollkommen unvorbereiteten Alltag. Was heute in Oslo und in Utøya passiert ist, macht mich fassungslos. Vielleicht auch deswegen, weil ich mich über die umfangreichen Polizeikordons im Regierungsviertel in Berlin bisher eher lustig gemacht habe. Weil ich mir die Harmlosigkeit eines geselligen Sommerlagers einer politischen Jugendorganisation aus eigener Erfahrung heraus gut vorstellen kann. Weil die Anschläge das Zentrum eines Landes und doch ganz Unbeteiligte treffen.
Panik und Terrorismus sind zwei Worte, die zusammen beschreiben, was hier gerade passiert. Beiden gemeinsam ist, dass sie aus der Ferne betrachtet harmlos klingen, weil sie medial vielfach Verwendung finden für Ereignisse, die im Vergleich zu dem, was da gerade in Norwegen passiert ist, unbedeutend sind. „Terror“ kommt wohl aus dem Lateinischen und meint eine große Angst. „Panik“ bezieht sich, wenn ich mich richtig erinnere, auf das urplötzliche Erscheinen des griechischen Gottes Pan, das damit verbundene Aufschrecken aus dem sommerlichen Dahindösen.
Terrorismus ist auf die Spitze getriebene Politik der Angst. Und ja: die Anschläge, die Norwegen aus dem Sommer gerissen haben, machen mir Angst. Aber ich glaube, es ist viel zu früh, das, was da gerade passiert ist, politisch reflektieren zu wollen. Ich finde es richtig, dass Angela Merkel den Menschen in Norwegen ihr Mitgefühl ausgesprochen hat. Darum muss es in diesem Moment gehen.
Ich schreibe diesen Blogeintrag aber nicht nur, um mich mit meiner Fassungslosigkeit, mit dem Nahe-Gehen des Terrors auseinanderzusetzen.
Dass in Oslo etwas Schlimmes passiert ist, habe ich heute nachmittag erfahren, als ich Twitter aufgemacht habe. Mein zweiter Blick ging dann in die Onlinemedien, um näheres darüber zu erfahren, was da passiert ist. Twitter ist ein sehr unmittelbares Medium. Vielleicht trägt das dazu bei, dass mir diese Anschläge als gravierender Erscheinen als die in London oder in Spanien vor einigen Jahren. Das geht bis hin zu Live-Tweets aus Utøya.
Aber es ist nicht nur das Gefühl, direkt dabei zu sein, das am Medium Twitter hängt. Es ist – so meine ich jedenfalls – auch die Unerwartbarkeit der Katastrophe in diesem Rahmen. Wer Nachrichtensendungen anschaut, geht davon aus, dass es hier auch schreckliche Bilder geben kann. Wer seine Twitter-Timeline liest, hat zumeist andere implizite Erwartungen.
Schlimmer noch: Der Einbruch des Schreckens, der panische Schock – das findet auf Twitter nur bedingt statt. Zur Unmittelbarkeit von Twitter gehört auch eine Ungleichzeitigkeit der kommunizierten Realitäten. Die Hälfte der Tweets in meiner Timeline beschäftigen sich gerade mit den Anschlägen in Norwegen. Die andere Hälfte verarbeitet und verbreitet weiterhin private und politische Nettigkeiten, die im ungestörten Alltag den Reiz von Twitter ausmachen, im direkten Nebeneinanderstehen aber nur noch banal und taktlos wirken. Wahlumfragen, Nickeligkeiten bezüglich des S21-Stresstests, Flirts, Witze über das Wetter – müsste nicht all dieses kommunikative Prozessieren von Alltäglichkeit angesichts der Anschläge ins Stocken kommen, stoppen, pausieren?
Mir jedenfalls schlägt meine Timeline gerade in diesem Nebeneinander, wo doch ein Ausnahmezustand herrschen müsste, akut auf den Magen.
Das Nebeneinander von Katastrophe und Banalität ist natürlich nicht auf Onlinekanäle wie Twitter beschränkt. Hier wummern die Bässe vom Stadtteilfest, während ich diesen Blogeintrag schreibe. Zeitungen drucken ständig Nichtigkeiten neben Höchstrelevantem, generieren Abgebrühtheit, wo Empfindsamkeit überfordert wäre. Oder verbinden im Sensationsjournalismus beides – machen die Katastrophe in ihrer Permanenz zur Banalität.
Kurzum: Die moderne Gesellschaft kennt keine Pausentaste. Aber einfach zum Alltag übergehen, wenn die medial mitgeteilte Wirklichkeit emotionale Schreckstarre vermittelt – kann es das sein?
Warum blogge ich das? Weil ich mich erschreckt habe.
Photo of the week: Green light
Unsere tägliche Misstrauenskultur gib uns heute
Zwei auf den ersten Blick unzusammenhängende Beobachtungen:
1. Anfang der Woche hatten wir im Landtag ein Gespräch mit VertreterInnen verschiedener baden-württembergischer ASten und Analogmodelle über die Einführung der Verfassten Studierendenschaft. Inhaltlich war das durchaus spannend, aber darum geht es mir jetzt nicht – sondern darum, dass zumindest zu Beginn der Veranstaltung ein sehr starkes Misstrauen der StudierendenvertreterInnen zu spüren war. Beteiligung, Teilhabe, Mitwirkung, eine Einladung zum Gespräch – schöne Worte, aber in Wirklichkeit interessiert „die“ (also in dem Fall die grünen MdLs Salomon, Schmidt-Eisenlohr und Lede Abal, projiziert: die Regierung) doch überhaupt nicht, was wir wollen. „Die“ machen doch eh, was sie wollen. Das war so die Grundstimmung, die sich im Lauf des Gesprächs glücklicherweise etwas verändert hat. Mal schauen, wie die weitere Zusammenarbeit läuft.
2. Gerade eben klingelte es an der Haustür. Ein Vertreter der Telekom wollte von mir (Name jedoch falsch vom Klingelschild abgelesen) wissen, was für einen Vertrag ich den habe, wieviel ich im Monat zahle. Die klassische Haustürgeschäftssituation. Ich hatte keine Lust und keine Zeit, trotzdem drängte der Telekom-Mann drauf. Die Leitungen seien hier neu gelegt worden, deswegen sei es jetzt möglich, zum gleichen Preis (ich habe doch sicher diesen und jenen Vertrag) eine viel bessere DSL-Leistung zu erhalten. Irgendwas mit Glasfasern, neuer Technik. Er müsse nur kurz eine Messung vornehmen.
Ich habe ihn abgewimmelt – aus einem grundsätzlichen Misstrauen heraus. Da will mir jemand was verkaufen, da muss es doch einen Haken geben. Warum machen „die“ das? Vielleicht gibt es den Haken nicht, vielleicht gibt es wirklich zum gleichen Preis einen technisch besseren Vertrag – aber warum muss ich das in ein paar Minuten an der Haustüre entscheiden? (Call-Center – so die Antwort auf meine Frage, warum die Telekom Hausbesuche macht und trotzdem nicht weiß, mit wem sie es zu tun hat – würden nicht funtionieren).
=> Beide Begegnungen haben eines gemeinsam: Den Verdacht, dass „die“ – wer auch immer das ist – eigentlich nur ihr eigenes Interesse haben, und es, wenn sie darauf beharren, im Interesse eines anderen zu handeln, höchste Zeit ist, misstrauisch zu werden. Muss das so sein?
Warum blogge ich das? Weil ich das Misstrauen der Studentenschaft erwartet habe (und unser Gespräch von Angesicht zu Angesicht aus meiner Sicht auch eine vertrauensbildende Maßnahme darstellt – hoffe ich jedenfalls), und weil ich mich jetzt gerade ein bisschen über mein eigenes Verhalten an der Haustür geärgert habe. Dahinter steht letztlich der u.a. von Luhmann untersuchte Prozess, wie in der modernen Gesellschaft das auf persönliche Bekanntschaft beruhende Sozialvertrauen durch Systemvertrauen (Institutionen, Zertifikate, Gutachten usw.) ersetzt wurde. Soziale Medien sind ein Stück weit eine Wiederherstellung von Möglichkeiten, in einer massenmedialisierten Gesellschaft, in der soziale Nähe nicht mehr mit räumlicher Nähe identisch ist, Sozialvertrauen herzustellen. So richtig funktioniert das aber auch nicht immer. Misstrauen scheint in einer großen, anonymen, funktional differenzierten Gesellschaft eine Grundvoraussetzung zu sein – die dann aber Vertrauensbildungen immer wieder zunichte macht. Wie damit umgehen?
Ergänzung: Nach einem Anruf bei der Telekom deutet einiges darauf hin, dass mein Misstrauen an der Haustür berechtigt war – dass Telekom-MitarbeiterInnen an der Haustür nach Vertragsdaten fragen, sei eher unüblich („wir haben die ja schon“); zudem mache die Telekom selbst keine Haustürgeschäft, sondern wenn, seien diese freie UnternehmerInnen, die so Provisionen bei Vertragsvermittlung abkassieren wollen. Zudem erscheint mir nach einigem Nachdenken die Story des Vertreters noch unglaubwürdiger als zuvor: Wenn die Telekom allen Flatrate-DSL-Kunden eine neue technische Möglichkeit zum gleichen Preis einräumen möchte, kann sie das einfach tun – ohne Neuverträge und ohne „Messungen“. Soviel also zur sozialen Funktion von Misstrauen (was aber nicht an der grundsätzlichen Frage ändert, wie Vertrauen in einer sozial vernetzten, funktional differenzierten Gesellschaft eigentlich funktionieren kann und soll).