Jamaika im Politbarometer, und so

Einer der neus­ten Tweets von Rein­hard Büti­ko­fer aka „bue­ti“:

Inter­es­sant! Laut ZDF-Polit­ba­ro­me­ter 64% Gruen­waeh­le­rIn­nen fuer Jamai­ka auf Lan­des­ebe­ne, 15% dagg. Mal sehen, was Par­tei­lin­ke dar­aus macht. 

Johan­nes Wald­schütz vermutet:

@bueti da wer­den dann die Umfra­ge in Zwei­fel gezo­gen, über Aus­trit­te berich­tet und sin­ken­de Wahl­er­geb­nis­se pro­phe­zeit werden. 

Sven Kind­ler, neu­er grü­ner MdB, reagiert prompt mit:

@bueti @lefthandcph @danielmack Wür­de da eher der aus­führ­lichs­ten Grü­nen­wäh­ler­stu­die (intern) vor der #BTW09 ver­trau­en. 80% gg. Jamaika. 

Wor­um geht’s? Und wer hat recht? Aus­gangs­punkt der Debat­te ist die­se Befra­gung des ZDF-Polit­ba­ro­me­ters. Dem­nach gilt für Grünen-AnhängerInnen:

64 Pro­zent fin­den dies als Koali­ti­ons­op­ti­on auch für ande­re Bun­des­län­der gut, hieß es im ZDF-„Politbarometer“ am Frei­tag. 15 Pro­zent der Grü­nen-Anhän­ger hal­ten nichts von einer Jamai­ka-Koali­ti­on, die ihren Namen aus der Anspie­lung auf die Flag­ge des Insel­staa­tes in der Kari­bik (schwarz-gelb-grün) bekom­men hat­te. 20 Pro­zent ste­hen sol­chen Koali­tio­nen gleich­gül­tig gegenüber. 

Wei­ter unten wird das dann inso­fern rela­ti­viert, als die Wer­te für die Bun­des­ebe­ne deut­lich schlech­ter aus­fal­len. In der Ori­gi­nal-Pres­se­mit­tei­lung Okt. II heißt es dazu (Herv. von mir):

Eine Jamai­ka-Koali­ti­on auf Bun­des­ebe­ne wird mehr­heit­lich in der Bevöl­ke­rung abge­lehnt, bei den Anhän­gern der Grü­nen trifft sie aber auf 50 Pro­zent Zustim­mung, 32 Pro­zent fän­den sie schlecht (14 Pro­zent: egal). 

Klingt erst­mal beacht­lich. Dass unge­fähr 40 bis 50 Pro­zent der Wäh­le­rIn­nen von Bünd­nis 90/Die Grü­nen einem Jamai­ka-Bünd­nis auf­ge­schlos­sen gegen­über­ste­hen, habe ich auch anders­wo schon gehört. Aber 64%? Wie es Johan­nes oben vor­ge­schla­gen hat, möch­te ich die­se Umfra­ge­er­geb­nis­se ger­ne ein biß­chen in Fra­ge stel­len. Und zwar in drei Punkten:

  1. Als Grü­nen-Anhän­ge­rIn­nen wer­den hier – wenn ich das rich­tig ver­ste­he – Men­schen defi­niert, die ange­ben, bei der nächs­ten Bun­des­tags­wahl grün wäh­len zu wol­len. Par­al­lel dazu wäre es span­nend, zu sehen, wie es bei den­je­ni­gen ist, die bei der letz­ten Wahl tat­säch­lich grün gewählt haben. Inso­fern die Jamai­ka-Ent­schei­dung schon eine Aus­wir­kung auf die geäu­ßer­te Wahl­ab­sicht für den kom­men­den Bun­des­tag mit sich bringt, kann es daher auch sein, dass eini­ge, die am 27.9. noch grün gewählt haben, jetzt schon nicht mehr dabei sind (und ande­re dazu­ge­kom­men sind).
  2. Gemäß der Metho­dik des ZDF-Polit­ba­ro­me­ters wer­den dafür ca. 1250 zufäl­lig aus­ge­wähl­te Men­schen befragt. Sowohl in der poli­ti­schen Stim­mung als auch bei der Pro­jek­ti­on der For­schungs­grup­pe Wah­len liegt der Anteil für Bünd­nis 90/Die Grü­nen der­zeit bei 11 Pro­zent. D.h., die abso­lu­te Basis der Aus­sa­ge oben liegt bei ca. 140 Per­so­nen. Von die­sen sind ca. 89 „Jamai­ka“ auf Lan­des­ebe­ne nicht prin­zi­pi­ell abge­neigt. Offen bleibt, ob die Reprä­sen­ta­ti­vi­tät der Zusam­men­set­zung der Stich­pro­be ins­ge­samt auch für die Teil­men­ge „Anhän­ge­rIn­nen von Bünd­nis 90/Die Grü­nen“ gilt, ob die­se also reprä­sen­ta­tiv für die 4.643.272 Wäh­le­rIn­nen der Grü­nen sind. 
  3. Neben die­sen bei­den letzt­lich für jede Aus­sa­ge zu Anhän­ge­rIn­nen der Grü­nen gel­ten­den Kri­tik­punk­ten kann auch die ver­wen­de­te Fra­ge selbst kri­tisch betrach­tet wer­den. Soweit sich das ohne wei­te­re Recher­chen rekon­stru­ie­ren lässt, muss sie in etwa so gelau­tet haben: „Im Saar­land wol­len nun CDU, FDP und Grü­ne koalie­ren, die soge­nann­te Jamai­ka-Koali­ti­on. Fin­den Sie Koali­tio­nen zwi­schen CDU, FDP und Grü­nen auf Lan­des­ebe­ne gut, schlecht oder sind sie ihnen egal?“. Es wur­den hier also nicht ver­schie­de­ne Koali­ti­ons­op­tio­nen gegen­ein­an­der gestellt, son­dern spe­zi­ell die Jamai­ka-Koali­ti­on genannt. Unter den 64% (Lan­des­ebe­ne) bzw. 50% (Bund), die unter Grü­nen-Anhän­ge­rIn­nen nach die­ser Umfra­ge eine sol­che Koali­ti­on gut fin­den, kön­nen also durch­aus eni­ge sein, die rot-grün deut­lich bes­ser, schwarz-grün eben­falls um Wel­ten bes­ser fän­den, aber prin­zi­pi­ell z.B. jede grü­ne Regie­rungs­be­tei­li­gung gut finden. 

Abseits der metho­di­schen Krit­te­lei­en und dem gene­rel­len Rat, der­ar­ti­gen Aus­sa­gen gegen­über nicht all­zu gläu­big zu sein, ver­bin­det sich mit die­sen 64 Pro­zent aber auch eine prin­zi­pi­el­le Fra­ge, näm­lich die nach der inner­par­tei­li­chen Demo­kra­tie, bzw. der demo­kra­ti­schen Ein­fluss­nah­me auf die par­tei­li­che Mei­nungs­bil­dung. Auf dem Par­tei­tag in Ros­tock wer­den die unge­fähr 800 Dele­gier­te auch über Anträ­ge abstim­men, bei denen es dar­um geht, ob Grü­ne Jamai­ka auf Bun­des­ebe­ne wei­ter aus­schlie­ßen sol­len oder nicht. Die Dele­gier­ten ver­tre­ten die ca. 45.000 Par­tei­mit­glie­der. Gewählt wur­den sie auf Mit­glie­der­ver­samm­lun­gen der Par­tei, zu denen viel­leicht 10 % der jewei­li­gen Mit­glie­der kom­men. Dar­über, ob Grü­ne Jamai­ka aus­schlie­ßen oder nicht, ent­schei­den letzt­lich – neben öffent­li­chen Dis­kur­sen etc.* – for­mal ca. 800 Leu­te, die von ca. 4.500 Leu­ten bestimmt wur­den. Bleibt die Fra­ge, ob es sinn­voll oder sogar not­wen­dig ist, den 4.643.272 – 4.500 = 4.638.772 wei­te­ren Grün-Wäh­le­rIn­nen (Bun­des­tags­wahl 2009) auch eine Stim­me zu geben, in wel­cher Form auch immer. 

War­um blog­ge ich das? Weil ich mir die 64% mal näher anschau­en wollte.

* Die här­tes­te Kri­tik an Jamai­ka kommt von Ex-Grü­nen, die jetzt bei der Links­par­tei sind, und die stärks­ten Fans sind Mit­glie­der der CDU, der FDP und mehr oder weni­ger kon­ser­va­ti­ve JournalistInnen.

16 Antworten auf „Jamaika im Politbarometer, und so“

  1. Klingt alles ein biss­chen hilf­los. Ganz dane­ben fin­de ich aber, das BDK-Ergeb­nis schon im Vor­hin­ein als nicht legi­ti­miert abzu­tun. Nicht nur, dass das dann auch auf alle stus­si­gen Beschlüs­se der letz­ten BDKen von 5 DM bis Afgha­ni­stan anzu­wen­den wäre, nein: Mei­ne Erfah­rung ist vor allem die: je mehr Mit­glie­der pro­zen­tu­al dabei sind, umso prag­ma­ti­scher ist die Ver­samm­lung. Ich erin­ne­re an die Urab­stim­mung zur Tren­nung von Amt und Man­dat oder an die Lan­des­mit­glie­der­ver­samm­lun­gen zu Schwarz-Grün in Ham­burg. Bei letz­te­ren haben vor der ers­ten Ver­samm­lung 15–20 Leu­te lau­ten Krach gemacht, so dass man deut­li­chen Gegen­wind erwar­te­te. Auf der Lan­des­mit­glie­der­ver­samm­lung kamen dann sagen­haf­te 30–40% aller Mit­glie­der und stimm­ten mit an die 90% für schwarz-grün. Soviel zur Wis­dom of Crowds bei den Grünen ;-)

  2. Lars, ich kann mir durch­aus vor­stel­len, dass an den 64% was dran ist. Oder dass von denen, die uns 2013 wäh­len wer­den, eine Mehr­heit Jamai­ka als mög­li­che Opti­on gut findet. 

    Dass da oben ist ja vor allem erst mal ein Abche­cken, was eigent­lich hin­ter so einer Aus­sa­ge steht. Und die hat mich dann, und des­we­gen fin­de ich das ab „Ganz dane­ben …“ falsch, dazu gebracht, ein­fach noch­mal in den Raum zu stel­len, dass im Gegen­satz zu Mit­glie­dern (die sich bewusst und meist län­ger­fris­tig für eine Par­tei ent­schei­den und zumin­dest bestimm­te demo­kra­ti­sche Rech­te in die­ser Par­tei haben) die Anhän­ge­rIn­nen, die im Rah­men von Umfra­gen wie die­ser ja immer mal wie­der durch die Medi­en geis­tern, ein ziem­lich vages Geschöpf sind. Vor dem inne­ren Auge hat­te ich da auch die „regis­tered voters“ der US-Parteien.

    Hin­ter der Fra­ge „Was sagt es uns, wenn 64% der­je­ni­gen, die ange­ben, grün wäh­len zu wol­len, Jamai­ka auf Lan­des­ebe­ne gut fin­den?“ steckt also auch die Fra­ge „Was haben wir eigent­lich für ein Ver­hält­nis zu unse­ren Wäh­le­rIn­nen? Und was für eines wol­len wir haben – sind das für uns poten­zi­el­le Mit­ge­stal­te­rIn­nen unse­rer Poli­tik, oder eher Kon­su­men­tIn­nen, die sich halt für Mar­ke A bis Z ent­schei­den kön­nen, beim Wahl­zet­tel, und die ein­tre­ten müs­sen, wenn sie mehr wol­len?“. Das wei­ter­zu­den­ken, fin­de ich auch demo­kra­tie­theo­re­tisch spannend.

    Zurück zu Ham­burg: ich glau­be auch, dass die Ent­schei­dung für schwarz-grün damals der inner­par­tei­li­chen „Mei­nung“ ent­sprach. Trotz­dem: die dama­li­gen Wäh­le­rIn­nen der Grü­nen wur­den nicht gefragt (sie – oder zumin­dest eine zah­len­mäs­sig etwa gleich­gro­ße Grup­pe – hat grün dann wei­ter die Stan­ge gehal­ten, sie­he BTW). Wie wür­de eine Demo­kra­tie aus­se­hen, die das tut? Und, gene­rel­ler gefragt: Was tun bei einem Posi­ti­ons­mis­match zwi­schen poten­zi­el­len Wäh­le­rIn­nen und tat­säch­li­chen Mitgliedern?

  3. Auch 140 sind noch reprä­sen­ta­tiv, wenn die ursprüng­li­che Stich­pro­be reprä­sen­ta­tiv ist (und die Aus­wahl der 140 kor­rekt gelau­fen ist). was sich ver­än­dert ist die Spann­brei­te der Feh­ler durch die klei­ne Anzahl, nicht die Fra­ge ob reprä­sen­ta­tiv oder nicht (und dafür ist es auch (rela­tiv) egal wie groß die Gesamt­men­ge der Popu­la­ti­on ist).

    Und am Ende kann man nie genau sagen, wie sich so etwas im tat­säch­li­chen Wahl­ver­hal­ten aus­drückt – das hängt dann sicher vor allem von der tat­säch­li­chen Poli­tik die­ser Koali­ti­on ab. Die rei­ne Teil­nah­me an der Koali­ti­on kann auch Wäh­ler kos­ten, aber auch neue brin­gen – das ist extrem schwer zu beur­tei­len und die Umfra­ge wohl nur ein Indi­ka­tor, dass es auf jeden Fall nicht so dra­ma­tisch ist, wie man­che behaup­ten (in HH läufts ja auch und in vie­len ande­ren Städ­ten auch).

    1. @Daniel: die Fra­ge ist ja, was „die Aus­wahl der 140 kor­rekt gelau­fen ist“ bedeu­tet. Bevor ich jetzt hier anfan­ge, Bei­spie­le mit Äpfeln, Bir­nen, grü­nen Früch­ten und Wür­mern zu kon­stru­ie­ren: Die Aus­wahl der Befrag­ten der FG Wah­len ist laut deren Metho­dik reprä­sen­ta­tiv für die deut­sche Bevöl­ke­rung qua Zufalls­aus­wahl. Das stimmt nun, wenn die Zufalls­aus­wahl ernst­haft ist, bei deut­li­cher Ver­grö­ße­rung der Feh­ler natür­lich auch für eine Zufalls­aus­wahl von 140 als Teil der Gesamt­strich­pro­be. Dann steht im Metho­den­pa­pier der FG Wah­len aber auch:

      In einem zwei­ten Schritt erfolgt eine Kor­rek­tur der Aus­fäl­le durch Anpas­sung der Struk­tu­ren der Stich­pro­be an die Struk­tu­ren der Grund­ge­samt­heit. Die Soll­ver­tei­lun­gen für Geschlecht, Alter und Bil­dung sind dem Mikro­zen­sus und der reprä­sen­ta­ti­ven Wahl­sta­tis­tik ent­nom­men. Die gewich­te­te Umfra­ge ist unter Berück­sich­ti­gung der wahr­schein­lich­keits­theo­re­ti­schen Grund­la­gen von Stich­pro­ben reprä­sen­ta­tiv für die wahl­be­rech­tig­te Bevöl­ke­rung Deutschlands. 

      D.h., wenn ich das rich­tig ver­ste­he, dass die Gesamt­stich­pro­be durch Gewich­tung so lan­ge ange­passt wird, bis sie hin­sicht­lich Geschlecht, Bil­dung und Alter der „Soll­ver­tei­lung“ ent­spricht. Ich hat­te das beim Schrei­ben des Bei­trags erst­mal für eine Anpas­sung direkt bei der Aus­wahl der Befrag­ten gehal­ten, aber selbst wenn nur im Nach­hin­ein gewich­tet wird, schei­nen mir hier Ver­zer­run­gen in Teil­grup­pen mög­lich zu wer­den (die Gesamt­stich­pro­be bleibt auch dann noch reprä­sen­ta­tiv, wenn alle 140 Grün-Wäh­le­rIn­nen Frau­en und alle 150 LIN­KE-Wäh­le­rIn­nen Män­ner sind).

  4. Kurz zur Begriffs­bil­dung, Till: „von denen, die uns 2013 wäh­len wer­den“: Wir wis­sen nicht, wer uns 2013 wäh­len wird. Wir müs­sen jede und jeden immer neu über­zeu­gen, auch die, die uns schon­mal gewählt haben. Und die Bür­ge­rIn­nen, auch wenn sie das jetzt sagen, wis­sen es auch noch nicht. Demo­kra­tie halt. Und dar­um ist so eine Umfra­ge eben ein Schlag­licht. Und als Schlag­licht inter­es­sant und z.B. nicht als „Wäh­le­rIn­nen in inner­par­tei­li­che Struk­tu­ren einbinden“-Grundlage (Grund­ge­dan­ke ist trotz­dem nicht uninteressant).

    Eine ech­te Fehl­ein­schät­zung ist „(Jamai­ka-) Fans sind (…) und mehr oder weni­ger kon­ser­va­ti­ve Jour­na­lis­tIn­nen“. Was mehr oder weni­ger bei Dir ist, weiß ich nicht genau. Aber die, die nicht Ulri­ke Win­kel­mann sind, sind des­halb nicht kon­ser­va­tiv. Ich ken­ne wirk­lich eini­ge älte­re und vie­le Jour­na­lis­ten zwi­schen 30 und 40, die rot-grün waren und auch irgend­wie noch sind, jetzt zum einen wie wir sel­ber offe­ner sind und vor der Bun­des­tag­wahl hoch­frus­triert waren von der Aus­sicht, dass es wenn es blöd läuft dem Land vie­le Jah­re groß­ko­ali­ti­ö­nä­re, ent­po­li­ti­sie­ren­de Ödnis droht. Mut und Risi­ko­be­reit­schaft mit Jamai­ka statt immer nur über­vor­sich­ti­ge, tak­tie­ren­de Poli­ti­ker, führ­te zu viel Lob von nicht-kon­ser­va­ti­ven Jour­na­lis­ten! Das ist kei­ne hin­rei­chen­de Legi­ti­ma­ti­on für Jamai­ka, aber ein­fach wahr.

    1. @Andrea: Natür­lich hast du in bei­den Punk­ten recht. Wir gehen mit unse­ren Wäh­le­rIn­nen inner­par­tei­lich aber ger­ne mal so um, als wäre das eine fixe Mas­se. Und selbst wenn das Ver­hal­ten der­zeit eher einem Markt ent­spricht (immer wie­der über­zeu­gen, Pro­dukt „Grü­ne“ zu wäh­len), hal­te ich es schon für legi­tim, zu fra­gen, in wel­cher Form in einer Par­tei­en­de­mo­kra­tie eine Mit­wir­kung der ehe­ma­li­gen, aktu­el­len und poten­zi­el­len Wäh­le­rIn­nen am Mei­nungs­bil­dungs­pro­zess der Par­tei­en wün­schens­wert ist oder nicht.

      Bei den Jour­na­lis­tIn­nen ist die Pole­mik viel­leicht ein biß­chen mit mir durch­ge­gan­gen. Mein Ein­druck: es gibt – bis hin zur taz – ziem­lich vie­le Jour­na­lis­tIn­nen, die Jamai­ka haben wol­len, und zwar nicht aus inhalt­li­chen Grün­den (wes­we­gen das Adjek­tiv „kon­ser­va­tiv“ nicht unbe­dingt stimmt, das war dann mehr das FAZ/­Welt-Sub­sam­ple), son­dern weil davon aus­zu­ge­hen ist, dass eine sol­che Kon­stel­la­ti­on deut­lich span­nen­der, d.h. letzt­lich nach­rich­ten­rei­cher ist als die GroKo.

  5. Was mir in der Ana­ly­se eigent­lich fehlt – und was Dani­el in mei­nen Augen gera­de zu Recht get­weetet hat – ist die Fra­ge danach, ob die Zustim­mung nicht auch gera­de daher kommt, was die Grü­nen im Saar­land her­aus­ver­han­delt haben. Das erscheint mir – soll­te die Koali­ti­on das nicht nur aufs Papier eines Koali­ti­ons­ver­tra­ges brin­gen (selbst das fehlt ja noch), son­dern auch tat­säch­lich umset­zen – ein wirk­lich sicht­ba­re „grü­ne Hand­schrift“ in grü­nen „Kern­be­rei­chen“ und daher tat­säch­lich mit ein ent­schei­den­der Aspekt zu sein.

    Und ein Aspekt, den gera­de wir als Grü­ne, wol­len wir nicht die ewig glei­chen ideo­lo­gi­schen Gefech­te aus­tra­gen und vor allem län­ger­fris­tig unse­re Glaub­wür­dig­keit gegen­über *allen* unse­ren Wähler_innen behal­ten viel stär­ker wahr­neh­men und beto­nen müssen.

    „Auf die Inhal­te kommt es an“ darf eben nicht zur Chif­fre für einen „eigent­lich gemein­ten“ Inhalt ver­kom­men (wenn es die­se Aus­sa­ge inner­par­tei­lich lei­der nicht schon längst ist…) im Sin­ne eines Aus­schlus­ses des einen oder der Befür­wor­tung eines ande­ren „Farb­spiel­chens“ – son­dern die glaub­wür­di­ge (!) Maxi­me für unser Handeln.
    Das heißt aber u.a. auch: Man muss uns glau­ben, Ver­hand­lun­gen auch plat­zen zu las­sen, wenn die Inhal­te nicht stim­men. Egal, mit wel­chen „Part­nern“. Selbst den blo­ßen Ein­druck eines „Fähn­chens im Wind“ müs­sen wir unbe­dingt ver­mei­den – denn unse­re Wähler_innen wol­len ins­be­son­de­re auch wis­sen, was sie von uns auf jeden und was sie von uns auf kei­nen Fall zu erwar­ten haben.

    Grund­sätz­li­che­re Gedan­ken dazu hab ich mir kürz­lich mal auf Grue­nes­Frei­burg gemacht

  6. @Till ‚Nach­rich­ten­rei­cher‘ als Lobes­grund für Jamai­ka ist zwar eine mög­li­che Deu­tung, aber so nach­rich­ten­arm war Schwarz-Rot nicht: Wie­vie­le hun­dert Vari­an­ten hat­te der Gesund­heits­fonds? Es war aber den­noch poli­tisch und intel­lek­tu­ell eher öde. Es fehl­te nicht an Schlag­zei­len, son­dern an sub­stan­zi­el­ler Pro­blem­be­ar­bei­tung. Und da Poli­tik-Jour­na­lis­ten wohl mehr­heit­lich hoch­po­li­ti­sche Men­schen sind, haben sie dafür ein gutes Gespür und sind natür­lich auch job­mä­ßig davon betroffen.

    Es gab auch vie­le, die ab Schrö­ders Ver­trau­ens­fra­ge genervt von Rot-Grün waren und sich sag­ten: Gut, wenn die bei­den zusam­men es jetzt nicht packen, wäre Schwarz-Rot gar nicht so schlecht, dann müs­sen die bei­den Gro­ßen sich eini­gen und brin­gen das auch durch den Bun­des­rat: Föde­ra­lis­mus, Finanz­ver­fas­sung zwi­schen Bund, Län­dern und Kom­mu­nen, Steu­ern tat­säch­lich ver­ein­fa­chen, Haus­halts­kon­so­li­die­rung. Und so war es nicht. Drum war die Bun­des­tags­wahl-Kon­stel­la­ti­on Schwarz-Gelb oder Schwarz-Rot doch für vie­le so ätzend, und alles, was zu einem lang­fris­ti­gen Aus­weg dar­aus bei­tra­gen könn­te, wird nun begrüßt. Zurecht.

  7. So sehr es mich reizt, aber ich hal­te mich jetzt hier mal inhalt­lich zurück… Aber eine Berich­ti­gung sei doch ange­bracht: Unse­re Par­tei hat inzwi­schen 47.410 Mitglieder… :-)

  8. Ich fin­de Dei­nen Bei­trag dies­mal ein wenig ver­murkst, das liegt vor allem dar­an, dass Dei­ne ers­ten bei­den Punk­te nicht viel her­ge­ben. „Argu­men­tie­ren mit Zah­len“ auf der­sel­ben Zah­len­ebe­ne kon­tern zu wol­len geht ger­ne schief, solan­ge es nicht die eige­nen Zah­len sind.
    Des­we­gen ist Punkt 3 der ent­schei­den­de (aber geht lei­der ein wenig unter): Wie war die Fra­ge­stel­lung und wel­che Alter­na­ti­ven gab es? Die für mich inter­es­san­te Fra­ge ist doch, ob unse­re Wäh­le­rIn­nen Grün lie­ber mit Schwarz-Gelb oder mit Rot-Rot zusam­men sehen wol­len. Und die Dif­fe­ren­zie­rung Bund vs. irgend­wel­che Län­der ist auch wich­tig. Was juckt mich an der Ost­see, was der Lan­des­ver­band Saar­land macht?
    Ent­schei­dend ist für mich, dass aus die­sem hier dis­ku­tier­ten demo­skpi­schen Wert kei­nes­wegs der Schluss gezo­gen wer­den kann, grü­ne Wäh­le­rIn­nen fän­den Jamai­ka bes­ser als irgend­was ande­res. Damit sind die 64% wie so man­che auf den ers­ten Blick bemer­kens­wer­te Zahl – wertlos.

    1. @Lars K.: Stimmt, ist erfreu­lich, ändert aber an den Grö­ßen­ord­nun­gen am Schluss des Tex­tes nichts.

      @Kay: Dan­ke für die offe­ne Rück­mel­dung – bin auch nicht so ganz zufrie­den damit. Umso inter­es­san­ter fin­de ich die Dis­kus­si­on, die hier und bei Face­book dar­um jetzt ent­bran­det ist. Am Anfang stand bei mir das Unbe­ha­gen – und das ist wei­ter vor­han­den – aus einem Teil­kol­lek­tiv einer Stich­pro­be, das 140 Leu­te umfasst, „Grü­ne wol­len Jamai­ka“ abzu­lei­ten. Es gibt ja durch­aus eini­ge, die das jetzt als legi­ti­mes Argu­ment für eine all­sei­ti­ge Öff­nung anfüh­ren. Aber du hast recht – die span­nen­de­ren Dif­fe­ren­zie­run­gen lie­gen nicht dar­in, den Polit­ba­ro­me­ter-Zah­len bis ins Detail zu fol­gen, son­dern zum einen in der Legi­ti­mi­tät der Fra­ge­stel­lung (an was den­ken 140 zufäl­lig aus­ge­wähl­te poten­zi­el­le Wäh­le­rIn­nen der Grü­nen, wenn all­ge­mein – und ohne Ver­gleich zu ande­ren Koali­ti­ons­op­tio­nen – nach Jamai­ka auf Lan­des­ebe­ne gefragt wird, und so klingt das in der Pres­se­mit­tei­lung zur Umfra­ge), und dann eben zum ande­ren in dem eigent­lich erst in der Debat­te aus­ge­ar­bei­te­ten Gedan­ken, dem Ver­hält­nis zwi­schen Par­tei – Mit­glie­dern – Wäh­le­rIn­nen – dif­fu­sen Anhän­ge­rIn­nen und deren jewei­li­gen „Ein­fluss­le­gi­ti­ma­tio­nen“ ein­mal näher nachzugehen.

  9. Ich fin­de die Dis­kus­si­on eigent­lich müs­sig, weil ich mei­ne Inhal­te und die Durch­setz­bar­keit mei­ner Inhal­te eigent­lich nicht davon abhän­gig machen möch­te, ob „der/die Wäh­le­rIn“ davon abge­schreckt oder ange­zo­gen wird. Poli­tik soll­te inhalt­lich gut begrün­de­te Ange­bo­te machen und für die­se Ange­bo­te und ihre Rea­li­sie­rungs­chan­cen kämp­fen. Wäh­le­rIn­nen und Par­tei­mit­glie­der, die Koali­ti­ons­op­tio­nen wie Jamai­ka oder RRG aus­schlie­ßen, denen geht es offen­sicht­lich nicht um Inhal­te, son­dern um eige­ne Befindlichkeiten.

  10. @Tim: fin­de ich zu kurz gegrif­fen. Auch die eige­nen Befind­lich­kei­ten haben was mit Inhal­ten zu tun. Und wenn wir nicht gewählt wer­den, weil vie­le Wäh­le­rIn­nen Pro­ble­me mit ihrer Befind­lich­keit bekom­men, wenn eine Koali­ti­on mit DIE LINKE mög­lich ist, oder wenn wir stark von Men­schen gewählt wer­den, die nicht nur grü­ne Inhal­te wol­len, son­dern am liebs­ten in Form eines a. „brei­ten lin­ken Bündnis“-Projekts oder b. in Form einer klar bür­ger­li­chen Mehr­heit, dann haben Befind­lich­kei­ten und Wahl­ver­hal­ten – und damit letzt­lich auch unse­re Stär­ke, Inhal­te umzu­set­zen – schon was mit­ein­an­der zu tun. 

    Klar soll­ten die „inhalt­li­chen Inhal­te“ im Vor­der­grund, aber so zu tun, als wür­de es nie­man­den inter­es­sie­ren oder ange­hen, wie die­se Inhal­te umge­setzt wer­den kön­nen, ist nicht gera­de weitsichtig.

  11. Kurz­sich­tig oder nicht: Zuerst die Inhal­te, dann stra­te­gi­sche Fra­gen. Und: Ich bin strikt dage­gen, von „inhalt­li­chen Inhal­ten“ zu reden und damit Befindlichkeiten/strategische Fra­gen zu „nicht-inhalt­li­chen Inhal­ten“ auf­zu­wer­ten. Ent­we­der man meints ernst mit „Inhal­te zuerst“ und grü­ner Eigen­stän­dig­keit, oder eben nicht.
    Klar inter­es­siert es die Men­schen, wie unse­re Inhal­te durch­ge­setzt wer­den. Aber ich habe ganz stark den Ein­druck, dass es man­che in der Par­tei in viel stär­ke­rem Maß inter­es­siert und es um inner­par­tei­li­che Macht­spiel­chen geht und nicht dar­um, wie wir die Par­tei so auf­stel­len, dass wir mög­lichst viel unse­rer Inhal­te umset­zen können.
    Auf­ga­be der Par­tei ist es, den Wäh­le­rIn­nen deut­lich zu machen, dass es uns um die Inhal­te geht und nicht um Far­ben­spie­le. Nur so blei­ben wir glaubwürdig.
    Und ich wüss­te wirk­lich mal ger­ne, wo der inhalt­li­che Unter­schied lie­gen soll, wenn bei iden­ti­schen Inhal­ten mit SPD oder CDU koaliert wird…

  12. @Tim: Dein letz­ter Satz sagt mehr über den aktu­el­len Zustand der SPD aus als über die Unter­schei­dung zwi­schen „inhalt­li­chen Inhal­ten“ und „kon­tex­tu­el­len Inhal­ten“. Selbst im von dir ja mit­un­ter­zeich­ne­ten Reform­er­plus-Antrag heißt es: 

    Jen­seits der klas­si­schen poli­ti­schen Lager zu agie­ren, wird nicht immer leicht sein. Denn es gibt kei­ne Äqui­di­stanz zu allen Wett­be­wer­bern. Wir ste­hen in der har­ten Oppo­si­ti­on gegen die Plä­ne von Schwarz-Gelb im Bund. Dem geplan­ten Aus­stieg aus dem Atom­aus­stieg wer­den wir uns gemein­sam mit unse­ren gesell­schaft­li­chen Ver­bün­de­ten mit aller Kraft entgegensetzen. 

    Das ist für mich nur ein Bei­spiel dafür, wo Inhal­te in einer „schwar­zen“ Koali­ti­on ver­mut­lich deut­lich schwe­rer durch­setz­bar sein wer­den als in einer „roten“ Koali­ti­on. Mir ist dabei auch klar, dass ins­be­son­de­re die SPD aus die­ser ver­meint­lich inhalt­li­chen Distanz­lo­sig­keit zu uns schnell den Schluss zieht, Grün nicht für voll zu neh­men – was Koali­ti­ons­ver­ein­ba­run­gen mit fer­ner ste­hen­den Par­tei­en rela­tiv dazu gese­hen ver­sach­licht. Trotz­dem heißt Eigen­stän­dig­keit nicht, fern allen Wis­sens über ver­gan­ge­ne und gegen­wär­ti­ge Grau­sam­kei­ten, Posi­tio­nie­run­gen und Plä­ne ande­rer Par­tei­en zu sein.

    Noch was ganz ande­res: Juli­an Kar­warth kommt bei Grue­nes­Frei­burg zum Schluss, dass eine der Ursa­chen der erbit­ter­ten Streis über die Far­ben­leh­re im Zwang zur Koali­ti­on liegt – und dass daher wech­seln­de Mehr­hei­ten grü­ner Eigen­stän­dig­keit eigent­lich viel ange­mes­se­ner wären. Bei allen Pro­ble­men der Umsetz­bar­keit fin­de ich das als Gedan­ken sehr brauchbar.

  13. zu den wech­seln­den mehr­hei­ten: das ist etwas, was kurz- und mit­tel­fris­tig mE nicht zur debat­te steht und doch eher als theo­re­ti­sche dis­kus­si­on inter­es­sant ist und nicht als prak­ti­sche politik.
    mir geht es nicht um die durch­setz­bar­keit von inhal­ten, son­dern dar­um, dass es mir ziem­lich egal ist, mit wem die durch­set­zung statt­fin­det. wenn wir eine inhalt­lich begrün­de­te alli­anz mit schwarz, rot oder wem auch immer ein­ge­gan­gen sind, hat die durch­setz­bar­keit ja schon statt­ge­fun­den. in dem antrag steht drin, dass es mit man­chen mit­be­wer­bern schwie­ri­ger ist, alli­an­zen zu bil­den. das stimmt. aber das ist kein argu­ment gegen die­se alli­an­zen, wenn die inhal­te stimmen.

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