Einer der neusten Tweets von Reinhard Bütikofer aka „bueti“:
Interessant! Laut ZDF-Politbarometer 64% GruenwaehlerInnen fuer Jamaika auf Landesebene, 15% dagg. Mal sehen, was Parteilinke daraus macht.
Johannes Waldschütz vermutet:
@bueti da werden dann die Umfrage in Zweifel gezogen, über Austritte berichtet und sinkende Wahlergebnisse prophezeit werden.
Sven Kindler, neuer grüner MdB, reagiert prompt mit:
@bueti @lefthandcph @danielmack Würde da eher der ausführlichsten Grünenwählerstudie (intern) vor der #BTW09 vertrauen. 80% gg. Jamaika.
Worum geht’s? Und wer hat recht? Ausgangspunkt der Debatte ist diese Befragung des ZDF-Politbarometers. Demnach gilt für Grünen-AnhängerInnen:
64 Prozent finden dies als Koalitionsoption auch für andere Bundesländer gut, hieß es im ZDF-„Politbarometer“ am Freitag. 15 Prozent der Grünen-Anhänger halten nichts von einer Jamaika-Koalition, die ihren Namen aus der Anspielung auf die Flagge des Inselstaates in der Karibik (schwarz-gelb-grün) bekommen hatte. 20 Prozent stehen solchen Koalitionen gleichgültig gegenüber.
Weiter unten wird das dann insofern relativiert, als die Werte für die Bundesebene deutlich schlechter ausfallen. In der Original-Pressemitteilung Okt. II heißt es dazu (Herv. von mir):
Eine Jamaika-Koalition auf Bundesebene wird mehrheitlich in der Bevölkerung abgelehnt, bei den Anhängern der Grünen trifft sie aber auf 50 Prozent Zustimmung, 32 Prozent fänden sie schlecht (14 Prozent: egal).
Klingt erstmal beachtlich. Dass ungefähr 40 bis 50 Prozent der WählerInnen von Bündnis 90/Die Grünen einem Jamaika-Bündnis aufgeschlossen gegenüberstehen, habe ich auch anderswo schon gehört. Aber 64%? Wie es Johannes oben vorgeschlagen hat, möchte ich diese Umfrageergebnisse gerne ein bißchen in Frage stellen. Und zwar in drei Punkten:
- Als Grünen-AnhängerInnen werden hier – wenn ich das richtig verstehe – Menschen definiert, die angeben, bei der nächsten Bundestagswahl grün wählen zu wollen. Parallel dazu wäre es spannend, zu sehen, wie es bei denjenigen ist, die bei der letzten Wahl tatsächlich grün gewählt haben. Insofern die Jamaika-Entscheidung schon eine Auswirkung auf die geäußerte Wahlabsicht für den kommenden Bundestag mit sich bringt, kann es daher auch sein, dass einige, die am 27.9. noch grün gewählt haben, jetzt schon nicht mehr dabei sind (und andere dazugekommen sind).
- Gemäß der Methodik des ZDF-Politbarometers werden dafür ca. 1250 zufällig ausgewählte Menschen befragt. Sowohl in der politischen Stimmung als auch bei der Projektion der Forschungsgruppe Wahlen liegt der Anteil für Bündnis 90/Die Grünen derzeit bei 11 Prozent. D.h., die absolute Basis der Aussage oben liegt bei ca. 140 Personen. Von diesen sind ca. 89 „Jamaika“ auf Landesebene nicht prinzipiell abgeneigt. Offen bleibt, ob die Repräsentativität der Zusammensetzung der Stichprobe insgesamt auch für die Teilmenge „AnhängerInnen von Bündnis 90/Die Grünen“ gilt, ob diese also repräsentativ für die 4.643.272 WählerInnen der Grünen sind.
- Neben diesen beiden letztlich für jede Aussage zu AnhängerInnen der Grünen geltenden Kritikpunkten kann auch die verwendete Frage selbst kritisch betrachtet werden. Soweit sich das ohne weitere Recherchen rekonstruieren lässt, muss sie in etwa so gelautet haben: „Im Saarland wollen nun CDU, FDP und Grüne koalieren, die sogenannte Jamaika-Koalition. Finden Sie Koalitionen zwischen CDU, FDP und Grünen auf Landesebene gut, schlecht oder sind sie ihnen egal?“. Es wurden hier also nicht verschiedene Koalitionsoptionen gegeneinander gestellt, sondern speziell die Jamaika-Koalition genannt. Unter den 64% (Landesebene) bzw. 50% (Bund), die unter Grünen-AnhängerInnen nach dieser Umfrage eine solche Koalition gut finden, können also durchaus enige sein, die rot-grün deutlich besser, schwarz-grün ebenfalls um Welten besser fänden, aber prinzipiell z.B. jede grüne Regierungsbeteiligung gut finden.
Abseits der methodischen Kritteleien und dem generellen Rat, derartigen Aussagen gegenüber nicht allzu gläubig zu sein, verbindet sich mit diesen 64 Prozent aber auch eine prinzipielle Frage, nämlich die nach der innerparteilichen Demokratie, bzw. der demokratischen Einflussnahme auf die parteiliche Meinungsbildung. Auf dem Parteitag in Rostock werden die ungefähr 800 Delegierte auch über Anträge abstimmen, bei denen es darum geht, ob Grüne Jamaika auf Bundesebene weiter ausschließen sollen oder nicht. Die Delegierten vertreten die ca. 45.000 Parteimitglieder. Gewählt wurden sie auf Mitgliederversammlungen der Partei, zu denen vielleicht 10 % der jeweiligen Mitglieder kommen. Darüber, ob Grüne Jamaika ausschließen oder nicht, entscheiden letztlich – neben öffentlichen Diskursen etc.* – formal ca. 800 Leute, die von ca. 4.500 Leuten bestimmt wurden. Bleibt die Frage, ob es sinnvoll oder sogar notwendig ist, den 4.643.272 – 4.500 = 4.638.772 weiteren Grün-WählerInnen (Bundestagswahl 2009) auch eine Stimme zu geben, in welcher Form auch immer.
Warum blogge ich das? Weil ich mir die 64% mal näher anschauen wollte.
* Die härteste Kritik an Jamaika kommt von Ex-Grünen, die jetzt bei der Linkspartei sind, und die stärksten Fans sind Mitglieder der CDU, der FDP und mehr oder weniger konservative JournalistInnen.
Klingt alles ein bisschen hilflos. Ganz daneben finde ich aber, das BDK-Ergebnis schon im Vorhinein als nicht legitimiert abzutun. Nicht nur, dass das dann auch auf alle stussigen Beschlüsse der letzten BDKen von 5 DM bis Afghanistan anzuwenden wäre, nein: Meine Erfahrung ist vor allem die: je mehr Mitglieder prozentual dabei sind, umso pragmatischer ist die Versammlung. Ich erinnere an die Urabstimmung zur Trennung von Amt und Mandat oder an die Landesmitgliederversammlungen zu Schwarz-Grün in Hamburg. Bei letzteren haben vor der ersten Versammlung 15–20 Leute lauten Krach gemacht, so dass man deutlichen Gegenwind erwartete. Auf der Landesmitgliederversammlung kamen dann sagenhafte 30–40% aller Mitglieder und stimmten mit an die 90% für schwarz-grün. Soviel zur Wisdom of Crowds bei den Grünen ;-)
Lars, ich kann mir durchaus vorstellen, dass an den 64% was dran ist. Oder dass von denen, die uns 2013 wählen werden, eine Mehrheit Jamaika als mögliche Option gut findet.
Dass da oben ist ja vor allem erst mal ein Abchecken, was eigentlich hinter so einer Aussage steht. Und die hat mich dann, und deswegen finde ich das ab „Ganz daneben …“ falsch, dazu gebracht, einfach nochmal in den Raum zu stellen, dass im Gegensatz zu Mitgliedern (die sich bewusst und meist längerfristig für eine Partei entscheiden und zumindest bestimmte demokratische Rechte in dieser Partei haben) die AnhängerInnen, die im Rahmen von Umfragen wie dieser ja immer mal wieder durch die Medien geistern, ein ziemlich vages Geschöpf sind. Vor dem inneren Auge hatte ich da auch die „registered voters“ der US-Parteien.
Hinter der Frage „Was sagt es uns, wenn 64% derjenigen, die angeben, grün wählen zu wollen, Jamaika auf Landesebene gut finden?“ steckt also auch die Frage „Was haben wir eigentlich für ein Verhältnis zu unseren WählerInnen? Und was für eines wollen wir haben – sind das für uns potenzielle MitgestalterInnen unserer Politik, oder eher KonsumentInnen, die sich halt für Marke A bis Z entscheiden können, beim Wahlzettel, und die eintreten müssen, wenn sie mehr wollen?“. Das weiterzudenken, finde ich auch demokratietheoretisch spannend.
Zurück zu Hamburg: ich glaube auch, dass die Entscheidung für schwarz-grün damals der innerparteilichen „Meinung“ entsprach. Trotzdem: die damaligen WählerInnen der Grünen wurden nicht gefragt (sie – oder zumindest eine zahlenmässig etwa gleichgroße Gruppe – hat grün dann weiter die Stange gehalten, siehe BTW). Wie würde eine Demokratie aussehen, die das tut? Und, genereller gefragt: Was tun bei einem Positionsmismatch zwischen potenziellen WählerInnen und tatsächlichen Mitgliedern?
Auch 140 sind noch repräsentativ, wenn die ursprüngliche Stichprobe repräsentativ ist (und die Auswahl der 140 korrekt gelaufen ist). was sich verändert ist die Spannbreite der Fehler durch die kleine Anzahl, nicht die Frage ob repräsentativ oder nicht (und dafür ist es auch (relativ) egal wie groß die Gesamtmenge der Population ist).
Und am Ende kann man nie genau sagen, wie sich so etwas im tatsächlichen Wahlverhalten ausdrückt – das hängt dann sicher vor allem von der tatsächlichen Politik dieser Koalition ab. Die reine Teilnahme an der Koalition kann auch Wähler kosten, aber auch neue bringen – das ist extrem schwer zu beurteilen und die Umfrage wohl nur ein Indikator, dass es auf jeden Fall nicht so dramatisch ist, wie manche behaupten (in HH läufts ja auch und in vielen anderen Städten auch).
@Daniel: die Frage ist ja, was „die Auswahl der 140 korrekt gelaufen ist“ bedeutet. Bevor ich jetzt hier anfange, Beispiele mit Äpfeln, Birnen, grünen Früchten und Würmern zu konstruieren: Die Auswahl der Befragten der FG Wahlen ist laut deren Methodik repräsentativ für die deutsche Bevölkerung qua Zufallsauswahl. Das stimmt nun, wenn die Zufallsauswahl ernsthaft ist, bei deutlicher Vergrößerung der Fehler natürlich auch für eine Zufallsauswahl von 140 als Teil der Gesamtstrichprobe. Dann steht im Methodenpapier der FG Wahlen aber auch:
D.h., wenn ich das richtig verstehe, dass die Gesamtstichprobe durch Gewichtung so lange angepasst wird, bis sie hinsichtlich Geschlecht, Bildung und Alter der „Sollverteilung“ entspricht. Ich hatte das beim Schreiben des Beitrags erstmal für eine Anpassung direkt bei der Auswahl der Befragten gehalten, aber selbst wenn nur im Nachhinein gewichtet wird, scheinen mir hier Verzerrungen in Teilgruppen möglich zu werden (die Gesamtstichprobe bleibt auch dann noch repräsentativ, wenn alle 140 Grün-WählerInnen Frauen und alle 150 LINKE-WählerInnen Männer sind).
Kurz zur Begriffsbildung, Till: „von denen, die uns 2013 wählen werden“: Wir wissen nicht, wer uns 2013 wählen wird. Wir müssen jede und jeden immer neu überzeugen, auch die, die uns schonmal gewählt haben. Und die BürgerInnen, auch wenn sie das jetzt sagen, wissen es auch noch nicht. Demokratie halt. Und darum ist so eine Umfrage eben ein Schlaglicht. Und als Schlaglicht interessant und z.B. nicht als „WählerInnen in innerparteiliche Strukturen einbinden“-Grundlage (Grundgedanke ist trotzdem nicht uninteressant).
Eine echte Fehleinschätzung ist „(Jamaika-) Fans sind (…) und mehr oder weniger konservative JournalistInnen“. Was mehr oder weniger bei Dir ist, weiß ich nicht genau. Aber die, die nicht Ulrike Winkelmann sind, sind deshalb nicht konservativ. Ich kenne wirklich einige ältere und viele Journalisten zwischen 30 und 40, die rot-grün waren und auch irgendwie noch sind, jetzt zum einen wie wir selber offener sind und vor der Bundestagwahl hochfrustriert waren von der Aussicht, dass es wenn es blöd läuft dem Land viele Jahre großkoalitiönäre, entpolitisierende Ödnis droht. Mut und Risikobereitschaft mit Jamaika statt immer nur übervorsichtige, taktierende Politiker, führte zu viel Lob von nicht-konservativen Journalisten! Das ist keine hinreichende Legitimation für Jamaika, aber einfach wahr.
@Andrea: Natürlich hast du in beiden Punkten recht. Wir gehen mit unseren WählerInnen innerparteilich aber gerne mal so um, als wäre das eine fixe Masse. Und selbst wenn das Verhalten derzeit eher einem Markt entspricht (immer wieder überzeugen, Produkt „Grüne“ zu wählen), halte ich es schon für legitim, zu fragen, in welcher Form in einer Parteiendemokratie eine Mitwirkung der ehemaligen, aktuellen und potenziellen WählerInnen am Meinungsbildungsprozess der Parteien wünschenswert ist oder nicht.
Bei den JournalistInnen ist die Polemik vielleicht ein bißchen mit mir durchgegangen. Mein Eindruck: es gibt – bis hin zur taz – ziemlich viele JournalistInnen, die Jamaika haben wollen, und zwar nicht aus inhaltlichen Gründen (weswegen das Adjektiv „konservativ“ nicht unbedingt stimmt, das war dann mehr das FAZ/Welt-Subsample), sondern weil davon auszugehen ist, dass eine solche Konstellation deutlich spannender, d.h. letztlich nachrichtenreicher ist als die GroKo.
Was mir in der Analyse eigentlich fehlt – und was Daniel in meinen Augen gerade zu Recht getweetet hat – ist die Frage danach, ob die Zustimmung nicht auch gerade daher kommt, was die Grünen im Saarland herausverhandelt haben. Das erscheint mir – sollte die Koalition das nicht nur aufs Papier eines Koalitionsvertrages bringen (selbst das fehlt ja noch), sondern auch tatsächlich umsetzen – ein wirklich sichtbare „grüne Handschrift“ in grünen „Kernbereichen“ und daher tatsächlich mit ein entscheidender Aspekt zu sein.
Und ein Aspekt, den gerade wir als Grüne, wollen wir nicht die ewig gleichen ideologischen Gefechte austragen und vor allem längerfristig unsere Glaubwürdigkeit gegenüber *allen* unseren Wähler_innen behalten viel stärker wahrnehmen und betonen müssen.
„Auf die Inhalte kommt es an“ darf eben nicht zur Chiffre für einen „eigentlich gemeinten“ Inhalt verkommen (wenn es diese Aussage innerparteilich leider nicht schon längst ist…) im Sinne eines Ausschlusses des einen oder der Befürwortung eines anderen „Farbspielchens“ – sondern die glaubwürdige (!) Maxime für unser Handeln.
Das heißt aber u.a. auch: Man muss uns glauben, Verhandlungen auch platzen zu lassen, wenn die Inhalte nicht stimmen. Egal, mit welchen „Partnern“. Selbst den bloßen Eindruck eines „Fähnchens im Wind“ müssen wir unbedingt vermeiden – denn unsere Wähler_innen wollen insbesondere auch wissen, was sie von uns auf jeden und was sie von uns auf keinen Fall zu erwarten haben.
Grundsätzlichere Gedanken dazu hab ich mir kürzlich mal auf GruenesFreiburg gemacht
@Till ‚Nachrichtenreicher‘ als Lobesgrund für Jamaika ist zwar eine mögliche Deutung, aber so nachrichtenarm war Schwarz-Rot nicht: Wieviele hundert Varianten hatte der Gesundheitsfonds? Es war aber dennoch politisch und intellektuell eher öde. Es fehlte nicht an Schlagzeilen, sondern an substanzieller Problembearbeitung. Und da Politik-Journalisten wohl mehrheitlich hochpolitische Menschen sind, haben sie dafür ein gutes Gespür und sind natürlich auch jobmäßig davon betroffen.
Es gab auch viele, die ab Schröders Vertrauensfrage genervt von Rot-Grün waren und sich sagten: Gut, wenn die beiden zusammen es jetzt nicht packen, wäre Schwarz-Rot gar nicht so schlecht, dann müssen die beiden Großen sich einigen und bringen das auch durch den Bundesrat: Föderalismus, Finanzverfassung zwischen Bund, Ländern und Kommunen, Steuern tatsächlich vereinfachen, Haushaltskonsolidierung. Und so war es nicht. Drum war die Bundestagswahl-Konstellation Schwarz-Gelb oder Schwarz-Rot doch für viele so ätzend, und alles, was zu einem langfristigen Ausweg daraus beitragen könnte, wird nun begrüßt. Zurecht.
So sehr es mich reizt, aber ich halte mich jetzt hier mal inhaltlich zurück… Aber eine Berichtigung sei doch angebracht: Unsere Partei hat inzwischen 47.410 Mitglieder… :-)
Ich finde Deinen Beitrag diesmal ein wenig vermurkst, das liegt vor allem daran, dass Deine ersten beiden Punkte nicht viel hergeben. „Argumentieren mit Zahlen“ auf derselben Zahlenebene kontern zu wollen geht gerne schief, solange es nicht die eigenen Zahlen sind.
Deswegen ist Punkt 3 der entscheidende (aber geht leider ein wenig unter): Wie war die Fragestellung und welche Alternativen gab es? Die für mich interessante Frage ist doch, ob unsere WählerInnen Grün lieber mit Schwarz-Gelb oder mit Rot-Rot zusammen sehen wollen. Und die Differenzierung Bund vs. irgendwelche Länder ist auch wichtig. Was juckt mich an der Ostsee, was der Landesverband Saarland macht?
Entscheidend ist für mich, dass aus diesem hier diskutierten demoskpischen Wert keineswegs der Schluss gezogen werden kann, grüne WählerInnen fänden Jamaika besser als irgendwas anderes. Damit sind die 64% wie so manche auf den ersten Blick bemerkenswerte Zahl – wertlos.
@Lars K.: Stimmt, ist erfreulich, ändert aber an den Größenordnungen am Schluss des Textes nichts.
@Kay: Danke für die offene Rückmeldung – bin auch nicht so ganz zufrieden damit. Umso interessanter finde ich die Diskussion, die hier und bei Facebook darum jetzt entbrandet ist. Am Anfang stand bei mir das Unbehagen – und das ist weiter vorhanden – aus einem Teilkollektiv einer Stichprobe, das 140 Leute umfasst, „Grüne wollen Jamaika“ abzuleiten. Es gibt ja durchaus einige, die das jetzt als legitimes Argument für eine allseitige Öffnung anführen. Aber du hast recht – die spannenderen Differenzierungen liegen nicht darin, den Politbarometer-Zahlen bis ins Detail zu folgen, sondern zum einen in der Legitimität der Fragestellung (an was denken 140 zufällig ausgewählte potenzielle WählerInnen der Grünen, wenn allgemein – und ohne Vergleich zu anderen Koalitionsoptionen – nach Jamaika auf Landesebene gefragt wird, und so klingt das in der Pressemitteilung zur Umfrage), und dann eben zum anderen in dem eigentlich erst in der Debatte ausgearbeiteten Gedanken, dem Verhältnis zwischen Partei – Mitgliedern – WählerInnen – diffusen AnhängerInnen und deren jeweiligen „Einflusslegitimationen“ einmal näher nachzugehen.
Ich finde die Diskussion eigentlich müssig, weil ich meine Inhalte und die Durchsetzbarkeit meiner Inhalte eigentlich nicht davon abhängig machen möchte, ob „der/die WählerIn“ davon abgeschreckt oder angezogen wird. Politik sollte inhaltlich gut begründete Angebote machen und für diese Angebote und ihre Realisierungschancen kämpfen. WählerInnen und Parteimitglieder, die Koalitionsoptionen wie Jamaika oder RRG ausschließen, denen geht es offensichtlich nicht um Inhalte, sondern um eigene Befindlichkeiten.
@Tim: finde ich zu kurz gegriffen. Auch die eigenen Befindlichkeiten haben was mit Inhalten zu tun. Und wenn wir nicht gewählt werden, weil viele WählerInnen Probleme mit ihrer Befindlichkeit bekommen, wenn eine Koalition mit DIE LINKE möglich ist, oder wenn wir stark von Menschen gewählt werden, die nicht nur grüne Inhalte wollen, sondern am liebsten in Form eines a. „breiten linken Bündnis“-Projekts oder b. in Form einer klar bürgerlichen Mehrheit, dann haben Befindlichkeiten und Wahlverhalten – und damit letztlich auch unsere Stärke, Inhalte umzusetzen – schon was miteinander zu tun.
Klar sollten die „inhaltlichen Inhalte“ im Vordergrund, aber so zu tun, als würde es niemanden interessieren oder angehen, wie diese Inhalte umgesetzt werden können, ist nicht gerade weitsichtig.
Kurzsichtig oder nicht: Zuerst die Inhalte, dann strategische Fragen. Und: Ich bin strikt dagegen, von „inhaltlichen Inhalten“ zu reden und damit Befindlichkeiten/strategische Fragen zu „nicht-inhaltlichen Inhalten“ aufzuwerten. Entweder man meints ernst mit „Inhalte zuerst“ und grüner Eigenständigkeit, oder eben nicht.
Klar interessiert es die Menschen, wie unsere Inhalte durchgesetzt werden. Aber ich habe ganz stark den Eindruck, dass es manche in der Partei in viel stärkerem Maß interessiert und es um innerparteiliche Machtspielchen geht und nicht darum, wie wir die Partei so aufstellen, dass wir möglichst viel unserer Inhalte umsetzen können.
Aufgabe der Partei ist es, den WählerInnen deutlich zu machen, dass es uns um die Inhalte geht und nicht um Farbenspiele. Nur so bleiben wir glaubwürdig.
Und ich wüsste wirklich mal gerne, wo der inhaltliche Unterschied liegen soll, wenn bei identischen Inhalten mit SPD oder CDU koaliert wird…
@Tim: Dein letzter Satz sagt mehr über den aktuellen Zustand der SPD aus als über die Unterscheidung zwischen „inhaltlichen Inhalten“ und „kontextuellen Inhalten“. Selbst im von dir ja mitunterzeichneten Reformerplus-Antrag heißt es:
Das ist für mich nur ein Beispiel dafür, wo Inhalte in einer „schwarzen“ Koalition vermutlich deutlich schwerer durchsetzbar sein werden als in einer „roten“ Koalition. Mir ist dabei auch klar, dass insbesondere die SPD aus dieser vermeintlich inhaltlichen Distanzlosigkeit zu uns schnell den Schluss zieht, Grün nicht für voll zu nehmen – was Koalitionsvereinbarungen mit ferner stehenden Parteien relativ dazu gesehen versachlicht. Trotzdem heißt Eigenständigkeit nicht, fern allen Wissens über vergangene und gegenwärtige Grausamkeiten, Positionierungen und Pläne anderer Parteien zu sein.
Noch was ganz anderes: Julian Karwarth kommt bei GruenesFreiburg zum Schluss, dass eine der Ursachen der erbitterten Streis über die Farbenlehre im Zwang zur Koalition liegt – und dass daher wechselnde Mehrheiten grüner Eigenständigkeit eigentlich viel angemessener wären. Bei allen Problemen der Umsetzbarkeit finde ich das als Gedanken sehr brauchbar.
zu den wechselnden mehrheiten: das ist etwas, was kurz- und mittelfristig mE nicht zur debatte steht und doch eher als theoretische diskussion interessant ist und nicht als praktische politik.
mir geht es nicht um die durchsetzbarkeit von inhalten, sondern darum, dass es mir ziemlich egal ist, mit wem die durchsetzung stattfindet. wenn wir eine inhaltlich begründete allianz mit schwarz, rot oder wem auch immer eingegangen sind, hat die durchsetzbarkeit ja schon stattgefunden. in dem antrag steht drin, dass es mit manchen mitbewerbern schwieriger ist, allianzen zu bilden. das stimmt. aber das ist kein argument gegen diese allianzen, wenn die inhalte stimmen.