Science Fiction und Fantasy im April (und Mai) 2025

Firenze, day 3 - Giardini di Boboli, Glasshouse - XI

Nicht zuletzt auf­grund des Ent­schlus­ses, erst ein­mal kei­ne wei­te­ren E‑Books bei Ama­zon zu kau­fen, habe ich im April ins­be­son­de­re Bücher gele­sen, die schon län­ger auf mei­nem Kind­le herumlagen.

Bruce Ster­ling hat die 2014er-Aus­ga­be des MIT-Sci­ence-Fic­tion-Review unter dem Titel Twel­ve Tomor­rows her­aus­ge­ge­ben. Dar­in fin­den sich Kurz­ge­schich­ten von gro­ßen Namen aus dem Cyber­punk-Umfeld. Wil­liam Gib­son mit einer Stu­die zu sei­nen Peri­phe­ral-Roma­nen fand ich ohne deren Kon­text nicht gut ver­ständ­lich, War­ren Ellis vage – umso inter­es­san­ter die Zukunfts­vi­sio­nen von Pat Cadi­gan, Lau­ren Beu­kes, Paul Gra­ham Raven und Ster­ling hims­elf. Allen gemein­sam: gut zehn Jah­re alte Near-Future-SF, die – mehr oder weni­ger cyber­pun­kig – sozio­tech­ni­sche Impli­ka­tio­nen erforscht, wirkt heu­te durch­wach­sen. Vie­les ist recht prä­zi­se extra­po­liert. An ande­ren Stel­len hat die Wirk­lich­keit die SF über­holt. Und die Hoff­nung auf spon­ta­ne, tech­no­lo­gisch ver­mit­tel­te Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on in den Hin­ter­las­sen­schaf­ten der neo­li­be­ra­len Kata­stro­phe wirkt heu­te fast schon naiv. Statt ara­bi­schem Früh­ling gab’s Coro­na und Trump I und II, statt auto­no­men Netz­wer­ken das Meta-Goog­le-Apple-Ama­zon-Quar­tett. Aber gera­de des­we­gen: durch­aus inter­es­sant zu lesen.

In Notes from the Bur­ning Age (2021) von Clai­re North – die mir bis­her kein Begriff war, und wohl eini­ge span­nen­de Sachen geschrie­ben hat – geht es um eine etwas fer­ne­re Zukunft. Nach dem gro­ßen Crash wur­de die Welt in einem bewuss­te­ren und öko­lo­gi­sche­ren Maß­stab neu auf­ge­baut – auch auf­grund der Inter­ven­ti­on der Kakuy, Wesen, die die Natur ver­kör­pern, und um die her­um sich die in der Gegen­wart des Buches herr­schen­de Reli­gi­on ent­wi­ckelt hat. Ven ist ein Kind sei­ner Zeit, war Mönch die­ser Reli­gi­on, und zieht jetzt mit einer Mis­si­on durch die Pro­vin­zen des ehe­ma­li­gen Mit­tel­eu­ro­pas. Was bis hier­hin einen Solar­punk- oder Hope­punk-Roman beschrei­ben könn­te, nimmt eine ganz ande­re Wen­dung, denn wir erle­ben durch Vens Augen den Auf­stieg einer patri­ar­cha­len „Bru­der­schaft“, die zurück zur sagen­um­wo­be­nen fos­sil-faschis­ti­schen Moder­ne will. North beschreibt die sich dar­aus erge­ben­den Aus­ein­an­der­set­zung mit viel Lie­be zum all­täg­li­chen Detail. Gleich­zei­tig erin­nert mich (trotz ganz ande­rem World­buil­ding) Notes from the Bur­ning Age ein wenig an Iain M. Banks „Spe­cial Cir­cum­s­tances“ in sei­ner uto­pi­schen Cul­tu­re (oder an die „Sec­tion 31“ – aber mit Gewis­sens­bis­sen – im uto­pi­schen Star-Trek-Mythos). Lesenswert!

Gut gefal­len hat mir auch Dan­ge­rous Games von Mar­ta Rand­all. Die Fort­set­zung ihrer Space-Ope­ra Jour­ney ist ursprüng­lich bereits 1980 erschie­nen und wur­de vor eini­gen Jah­ren als E‑Book wie­der­ver­öf­fent­licht. Rand­alls Ken­ne­rin-Saga wirkt frisch und gegen­wär­tig und über­haupt nicht so, als sei sie über vier­zig Jah­re alt. Mög­li­cher­wei­se liegt das auch dar­an, dass ihre Space Ope­ra sich nur wenig für tech­ni­sche Gege­ben­hei­ten inter­es­siert – die Mensch­heit hat (wie­der­holt) das All besie­delt, um von Sys­tem zu Sys­tem zu kom­men, tau­chen Raum­schif­fe in eine alter­na­ti­ve Dimen­si­on ein, in der Zeit nicht exis­tiert – son­dern vor allem sozio­po­li­ti­sche und psy­cho­lo­gi­sche Bli­cke auf ihre Cha­rak­te­re wirft. Eine Beson­der­heit des Aerie-Pla­ne­ten der Ken­ne­rins ist, dass hier Men­schen und Ali­ens eine gemein­sa­me Gesell­schaft auf­ge­baut haben. Das hat sich am Ende von Jour­ney ange­deu­tet – eini­ge Jah­re spä­ter keh­ren wir nun zur weit ver­zweig­ten Fami­lie Ken­ne­rin zurück. Die Ent­wick­lun­gen, die die Cha­rak­te­re durch­ge­macht haben, wir­ken plau­si­bel, das World­buil­ding ist ideen­reich und die Kon­flik­te, die die Geschich­te vor­an­trei­ben, las­sen uns mit­fie­bern.. Erstaun­lich, dass die­se Duo­lo­gie nicht mehr Auf­merk­sam­keit gefun­den hat.

Eben­falls um einen zwei­ten Band han­delt es sich bei Inter­fe­rence (2019) von Sue Bur­ke. Hier lie­gen zwi­schen bei­den Bän­den jedoch eini­ge Gene­ra­tio­nen. Der Pla­net Pax, auf dem Men­schen und meh­re­re ande­re intel­li­gen­te Spe­zi­es eine Form des sym­bio­ti­schen Zusam­men­le­bens ent­wi­ckelt haben, und die Erde haben sich – unwis­sent­lich, da ohne Kon­takt – aus­ein­an­der ent­wi­ckelt. Das patri­ar­cha­lisch-faschis­to­ide Erd­sys­tem mit all­ge­gen­wär­ti­ger Ver­net­zung beschließt, auf Pax nach dem Rech­ten zu sehen und schickt ein Raum­schiff auf die lan­ge inter­stel­la­re Rei­se. Zwei Wel­ten pral­len auf­ein­an­der, doch auch Pax selbst ist weni­ger fried­lich als gedacht. Wäh­rend mir das Set­ting mit einem zwei­ten Erd­raum­schiff erst wenig plau­si­bel erschien, macht Bur­ke dar­aus letzt­lich doch eine recht span­nen­de Fortsetzung.

Star­dust Grail (2024) von Yume Kitas­ei ist kei­ne Fort­set­zung von Kitas­eis Erst­ling, son­dern eine eigen­stän­di­ge Space Ope­ra. Men­schen sind nicht allein im Uni­ver­sum, es gibt viel­mehr eine Rei­he wich­ti­ge­rer Spe­zi­es, die in Kon­flik­ten mit­ein­an­der lie­gen. (Nicht, dass ich das bewusst so aus­ge­wählt hät­te – aber irgend­wie sehe ich da ein The­ma mei­ner Lek­tü­re). Ins­be­son­de­re geht es um die Kon­trol­le des Wurm­loch-Netz­werks. Maya ver­sucht sich wenig erfolg­reich an einer aka­de­mi­schen Lauf­bahn in extra­ter­res­tri­scher Archäologie/Anthropologie, doch bald holt sie ihre Ver­gan­gen­heit – und ihre Zukunft – ein. Ein außer­ir­di­scher Virus führt zu Visio­nen. Und ihr ehe­ma­li­ger Heist-Part­ner, ein kra­ken­ähn­li­ches Wesen, taucht auf und über­re­det sie, die Suche nach dem Star­dust Grail wie­der auf­zu­neh­men. Doch auch die Erd­streit­kräf­te wol­len die­ses Arte­fakt … Kitas­ei macht dar­aus eine gute Geschich­te, die Maya (neben viel Situa­ti­ons­ko­mik und fas­zi­nie­ren­den Wel­ten) vor eine exis­ten­zi­el­le Fra­ge stellt.

The Employees (2020) von Olga Ravn han­delt in gewis­ser Wei­se eben­falls vom Zusam­men­le­ben von Men­schen, Huma­no­iden und Ali­ens auf einem Raum­schiff, das einen fer­nen Pla­ne­ten erforscht. Wobei „han­delt“ nicht ganz stimmt – das Buch besteht nur aus Pro­to­kol­len eines Komi­tees mit den unter­schied­li­chen Beschäf­tig­ten des Raum­schif­fes, nicht ganz in chro­no­lo­gi­scher Ord­nung. Nach und nach ent­steht so eine Ver­mu­tung dar­über, was vor­ge­fal­len sein könn­te, ohne dass dies je expli­zit gemacht wird. Expe­ri­men­tell, sage ich mal.

Außer­dem habe ich zwei Comics gele­sen, genau­er gesagt: eine Gra­phic Novel und eine Samm­lung kur­zer Comicgeschichten.

Bei der Gra­phic Novel han­delt es sich um Metro­po­lia – Ber­lin 2099 (2025) von Fred Duval und Ingo Röm­ling, den ers­ten Band einer Duo­lo­gie. Ele­gant gezeich­net, geht es hier um Sascha Jäger, der als eine Art Pri­vat­de­tek­tiv in einem zukünf­ti­gen Ber­lin unter­wegs ist. Das durch­aus noch als Ber­lin erkenn­bar ist – auch wenn die Archi­tek­tur orga­ni­scher gewor­den ist, digi­ta­le Ein­blen­dun­gen und Cyborg-Ele­men­te vie­les über­la­gern, und Flug­rei­sen uner­schwing­lich gewor­den sind. Dafür zählt jeder Schritt. Ohne zuviel zu ver­ra­ten: die Gra­phic Novel ist auf ihre Art auch eine Aus­ein­an­der­set­zung mit der Fra­ge, wie mit KI umge­hen (wie so vie­les zur Zeit). Hier ist das gut umge­setzt – ich bin auf den zwei­ten Band gespannt.

Die Antho­lo­gie heißt The Future is … 14 Comics über die Zukunft (2024) und wur­de von Lili­an Pithan her­aus­ge­ge­ben. Die 14 ein­zel­nen Comics – jeweils von einer Zeich­ne­rin – setz­ten sich in ganz unter­schied­li­chen Sti­len, teil­wei­se eher asso­zia­tiv, teil­wei­se eher nar­ra­tiv, mit Zukunft aus­ein­an­der. Das Spek­trum reicht von vir­tu­el­len Wel­ten und krea­ti­ver Aus­beu­tung bis zu absur­den Vari­an­ten der Post­apo­ka­lyp­se. So ganz warm­ge­wor­den bin ich mit dem Kon­zept aller­dings nicht – eini­ge Comics hät­ten län­ger sein kön­nen, da wür­de ich ger­ne tie­fer in die jewei­li­gen Wel­ten ein­tau­chen, mit ande­ren konn­te ich wenig anfan­gen. Aber so ist das bei Antho­lo­gien wohl konzeptbedingt.

Last but not least das Audio­vi­su­el­le. Die Ver­fil­mung von Simon Stå­len­hags Gra­fik­buch The Elec­tric Sta­te (Net­flix) wur­de ziem­lich kri­ti­siert – ich fand, sie hat den Vibe des Buches ganz gut ein­ge­fan­gen, bes­ser als bei Ama­zons Tales from the Loop-Ver­fil­mung. Inhalt­lich geht es, wie sie oft in letz­ter Zeit, um KI und Robo­ter und die Fra­ge, was pas­siert, wenn die­se sich gegen die Mensch­heit erhe­ben usw. – bzw. das, was danach passiert. 

Weni­ger anfan­gen konn­te ich mit Fran­cis Ford Cop­po­las Film Mega­lo­po­lis, die jetzt bei einem der Strea­ming-Anbie­ter zu sehen war. Die Geschich­te hin­ter die­sem Film ist fast schon tra­gisch – Cop­po­la hat­te bereits in den 1980er Jah­ren ers­te Ideen zu die­ser SF-Geschich­te, die ein Gescheh­nis aus dem römi­schen Reich (Cati­li­na) in ein New York einer alter­na­ti­ven Zeit­li­nie (hier: New Rome) ver­legt, in dem Rom wei­ter bestand und die Gegen­wart durch Brot und Spie­le, Nepo­tis­mus und die Intri­gen rei­cher Sena­to­ren gekenn­zeich­net ist. Zu dem gan­zen kommt eine Geschich­te über ein ver­kann­tes Genie, das außer­dem – war­um auch immer – die Zeit anhal­ten kann, ein Wun­der­ma­te­ri­al, das Men­schen hei­len und ganz neue Städ­te ent­ste­hen las­sen kann, und ein über­trie­be­nes städ­te­bau­lich-uto­pi­sches Sze­na­rio (bei dem mir das Gerns­back-Kon­ti­nu­um in den Sinn kam – nicht unbe­dingt mei­ne Vor­stel­lung einer bes­se­ren Zukunft). Das alles und noch viel mehr hat Cop­po­la in einem selbst­fi­nan­zier­ten Her­zens­pro­jekt ver­mischt, das zwar schö­ne Bil­der lie­fert, aber eine doch eher alt­ba­cke­ne Geschich­te. Geschlech­ter­ver­hält­nis­se wie im alten Rom, die SF-Bezü­ge pas­sen nicht so rich­tig, die Kri­tik am gegen­wär­ti­gen Nepo­tis­mus krie­gen ande­re bes­ser hin, und war­um dies und das pas­siert, bleibt oft unklar. 

Dann noch zwei Seri­en. Ich habe mich end­lich getraut, die fina­le vier­te Staf­fel von For All Man­kind (2023, Apple TV) zu begin­nen und wur­de nicht ent­täuscht. Mars­be­sie­de­lung hät­te aus mei­ner Sicht nicht sein müs­sen, die Serie macht das aber gut und setzt gleich­zei­tig die bio­gra­fi­schen Ver­wick­lun­gen aus den letz­ten Staf­feln gekonnt im neu­en Set­ting – der rus­sisch-ame­ri­ka­nisch-nord­ko­rea­ni­schen Mars­sied­lung – fort. 

Ent­deckt habe ich zudem die Come­dy-Serie Ghosts (2021, Net­flix). Das Set­ting: das jun­ge New Yor­ker Paar Sam und Jay hat den Plan, aus dem geerb­ten Land­haus ein Bed-and-Break­fast zu machen. Sam fällt die Trep­pe hin­ab – danach sieht sie Geis­ter. Und davon gibt es in die­sem alten Haus eini­ge. Jay sieht wei­ter kei­ne Geis­ter. Allein das schon führt zu jeder Men­ge Komik. Die Geschich­te wird weit­ge­hend epi­so­disch erzählt – nach und nach ler­nen wir Hin­ter­grün­de zu ein­zel­nen Geis­tern oder es kommt aus ande­ren Grün­den zu Ver­wick­lun­gen. Alles sehr gegen­wär­tig und aus mei­ner Sicht jeden­falls sehr lus­tig gemacht.

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