Nach der verlorenen Bundestagswahl 2005

Beim Ent­rüm­peln und Weg­wer­fen alter BDK-Unter­la­gen sind mir auch die Dele­gier­ten­un­ter­la­gen von der grü­nen Bun­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz 2005 in Olden­burg wie­der in die Hän­de gefal­len. Ich habe sie wie vie­les ande­re end­lich ins Alt­pa­pier gewor­fen, aber nicht, ohne vor­her den Leit­an­trag einzuscannen. 

Wir erin­nern uns: 2005 – nach vor­ge­zo­ge­nen Wah­len nach einem bewusst her­bei­ge­führ­ten Miss­trau­ens­vo­tum Ger­hard Schrö­ders kommt es zur Gro­ßen Koali­ti­on unter Kanz­le­rin Ange­la Mer­kel. Grü­ne stür­zen von 8,7 auf 8,1 Pro­zent ab („sehr gutes Ergeb­nis erkämpft“), und wer­den – was 2005 noch nicht abseh­bar ist – lan­ge in der Oppo­si­ti­on bleiben. 

Der Par­tei­tag dient vor allem dem Wun­den­le­cken nach der ver­lo­re­nen Wahl. Ent­spre­chend – fast trot­zig – klingt die­ser Leit­an­trag. „Wir GRÜNE haben uns schon seit der Ent­schei­dung des Bun­des­kanz­lers für Neu­wah­len … auf Oppo­si­ti­on als rea­lis­ti­sche Opti­on ein­ge­stellt. Oppo­si­ti­on ist kein ‚Mist‘ – son­dern wir ach­ten den Auf­trag zur Oppo­si­ti­on als unver­zicht­ba­re demo­kra­ti­sche Aufgabe.“

Schuld waren die ande­ren: der Bun­des­kanz­ler mit sei­nen blö­den vor­ge­zo­ge­nen Neu­wah­len, die Absa­ge von SPD und PDS an ein Links­bünd­nis, die feh­len­den inhalt­li­chen Schnitt­men­gen mit der FDP, die „Jamai­ka“ oder eine „Ampel“ ver­hin­der­ten (hört, hört), und nicht zuletzt die Tat­sa­che, „dass die Uni­on nicht bereit oder in der Lage war, aus dem Schei­tern ihrer markt­ra­di­ka­len und anti-öko­lo­gi­schen Stra­te­gie grund­le­gen­de Kon­se­quen­zen zu ziehen.“

Der Rest des Papiers wid­met sich der (dif­fe­ren­zier­ten) Bewer­tung der grü­nen Erfol­ge in der Koali­ti­on 1998–2005 und der anste­hen­den „Auf­ga­ben“. Die Arbeits­markt­po­li­tik (Hartz IV) wird noch nicht so kri­tisch betrach­tet, wie das eini­ge Jah­re spä­ter der Fall sein wird.

Ins­ge­samt ein inter­es­san­tes Zeit­do­ku­ment – auch mit Blick auf heute.

> Leit­an­trag „Grün macht den Unter­schied“

Oh, wie schön war Jamaika

May V

Ich war dann doch ver­nünf­tig genug, ges­tern Abend vor Mit­ter­nacht ins Bett zu gehen. Da sah es noch so aus, als wür­de es eine Eini­gung in den Jamai­ka-Son­die­rungs­ver­hand­lun­gen geben kön­nen. Irri­tie­ren­de Tweets von Nico­la Beer, dass wie­der alles offen sei, mal bei­sei­te. Jeden­falls wur­de klar, wo die grü­nen Schmerz­gren­zen lie­gen. Ein CSU-Hin­ter­bänk­ler ver­kün­de­te Eini­gun­gen bei siche­ren Her­kunfts­län­dern, in mei­ner Time­line folg­te fast schon ritua­li­sier­te Empö­rung, bis des­sen 15 Minu­ten vor­bei waren, und das Gan­ze sich als Gerücht entpuppte. 

Dass die Ver­hand­lun­gen sich so lan­ge hin­zo­gen, hät­te irri­tie­ren kön­nen. Am frü­hen Abend lag für mein Gefühl, was ich so las und wahr­nahm, der Abbruch schon in der Luft. Ich schrieb, dass hier ein Paar ver­han­delt, des­sen Bezie­hung geschei­tert ist, dass sich das Ende aber nicht ein­ge­ste­hen möch­te. Als sich die Gesprä­che dann doch wei­ter in den Abend hin­zo­gen, war mei­ne Inter­pre­ta­ti­on ein „jetzt haben sie’s“, der Punkt des Schei­terns schien über­wun­den, der letz­te Kom­pro­miss gefun­den, der Kno­ten durchgehauen.

Wie weit unser grü­nes Son­die­rungs­team dabei tat­säch­lich gegan­gen ist, und wie weit die Par­tei dem gefolgt wäre, wer­den wir nun aller­dings nicht erfah­ren. Denn zur Abstim­mung über die Auf­nah­me von Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen wird es nicht kommen. 

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Kurz: Klimaschutzkoalition

Iro­nie der Geschich­te: par­al­lel zu den Jamai­ka-Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen, äh, Son­die­run­gen fin­det in Bonn der Kli­ma­gip­fel statt und macht drei Din­ge überdeutlich:

1. Das Zeit­fens­ter, poli­tisch zu han­deln und noch etwas dage­gen zu unter­neh­men, dass der Kli­ma­wan­del kata­stro­pha­le Fol­gen zei­tigt, ist jetzt – und es schließt sich zuneh­mend. Auch wie gehan­delt wer­den müss­te, ist doch recht klar.

2. Es gibt eine gro­ße Koali­ti­on der Wil­li­gen – Staa­ten und Staa­ten­bünd­nis­se, Kom­mu­nen und Regio­nen, Wirt­schafts­ak­teu­re, die viel beschwo­re­ne Zivil­ge­sell­schaft, aber auch z.B. die Mehr­heit der Bürger*innen in Deutschland.

3. Die abge­wähl­te Regie­rung mit Koh­le­mi­nis­ter Gabri­el hat nur wenig bis nichts erreicht – und es sieht nicht so aus, als ob die Bun­des­kanz­le­rin hier vor­an­ge­hen möchte.

Für mich unter­streicht das, dass es eine ordent­li­che Kli­ma­po­li­tik auf Bun­des­ebe­ne – mit ent­spre­chen­der inter­na­tio­na­ler Strahl­kraft – nur mit star­ken Grü­nen an ent­schei­den­den Stel­len geben kann. Lei­der sieht es bis­her nicht danach aus, als ob Jamai­ka eine Koali­ti­on der inno­va­ti­ven Kli­ma­schutz-Maß­nah­men wer­den wür­de. Wenn das so bleibt, sehe ich wenig Sinn dar­in, die­ses lager­über­grei­fen­de Bünd­nis zu formen. 

Mor­gen Nacht soll das Son­die­rungs­er­geb­nis vor­lie­gen, am 25. Novem­ber ent­schei­det die grü­ne BDK, ob Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen auf­ge­nom­men wer­den sol­len. Nach der­zei­ti­gem Stand fän­de ich das schwie­rig – und wür­de mich als Ersatz­de­le­gier­ter auch ent­spre­chend ein­brin­gen. Für unse­re Zukunft auf die­sem Pla­ne­ten wäre es zu hof­fen, dass es bis dahin noch über­ra­schend Bewe­gung in Sachen Jamai­ka als Kli­ma­schutz­bünd­nis gibt.

Grüne Heimat: die Suche nach dem richtigen Maß an Distanz

Mal wie­der, aber dies­mal mit einer gewis­sen Dring­lich­keit, dis­ku­tie­ren Grü­ne über „Hei­mat“.

Mal wie­der, weil bei­spiels­wei­se die Kul­tur­kon­fe­renz der grü­nen Bun­des­tags­frak­ti­on 2009 unter dem Mot­to „Hei­mat. Wir suchen noch.“ stand. Weil die bay­ri­schen Grü­nen sich – schon 2011inten­siv mit Hei­mat befasst haben (dan­ke, Ulrich!). Weil die Land­tags­frak­ti­on der baden-würt­tem­ber­gi­schen Grü­nen als Cla­im der 15. Legis­la­tur­pe­ri­ode – 2011 bis 2016 – den Spruch „Im Grü­nen daheim“ ver­wen­de­ten. Oder weil in Schles­wig-Hol­stein Robert Habeck bereits 2012 als einer cha­rak­te­ri­siert wird, der „pro­blem­los von ‚Hei­mat‘ spricht“. Und in Öster­reich hat Alex­an­der van der Bel­len offen­siv auf den Begriff „Hei­mat“ gesetzt und damit eine Wahl gewon­nen. Auch eines der Pla­ka­te der nie­der­säch­si­schen Grü­nen für die dies­jäh­ri­ge Land­tags­wahl trägt – etwas anders akzen­tu­iert – den Slo­gan „Eine offe­ne Gesell­schaft ist die bes­te Heimat“.

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Mal aufgelistet: Was ist jetzt mit Jamaika?

Weil eini­ge danach fra­gen, was ich von Jamai­ka halte:

1. Wir sind in die­sen Wahl­kampf mit Eigen­stän­dig­keit gezo­gen. Das war ernst gemeint.

2. Auf die Ergeb­nis­se – wie viel grü­ne Inhal­te las­sen sich durch­set­zen, wie vie­le rech­te „Krö­ten“ sind dabei – kommt es an. Ver­hand­lun­gen kön­nen auch scheitern.

3. So rich­tig vie­le Alter­na­ti­ven gibt es im Moment nicht. Ich habe das mal aufgeschrieben:

A. SPD lässt sich über­re­den, doch noch­mal Gro­Ko zu machen. Am Ende der Legis­la­tur ist sie bei 12 %. Grü­ne ste­hen als Hasen­fü­ße da, die nach 2013 zum zwei­ten Mal eine Opti­on aus­ge­schla­gen haben.

B. Jamai­ka wird erfolg­reich ver­han­delt (d.h. für uns: es tau­chen gute und vie­le grü­ne Inhal­te in uns wich­ti­gen The­men auf), und Jamai­ka regiert …
B.1 … erfolg­reich: Dann dürf­te das einen Baden-Würt­tem­berg-Effekt haben, wir wer­den dau­er­haft zwei­stel­lig und kön­nen ent­spre­chend viel umsetzen.
B.2 … weni­ger erfolg­reich: Dann ist das für uns ein exis­ten­zi­el­les Risi­ko (wie Habeck schreibt). Ver­mut­lich wür­de die Koali­ti­on dann irgend­wann schei­tern. Fol­gen – unklar.

C. Neu­wah­len, unab­seh­ba­re Kon­se­quen­zen, noch­mal ein hal­bes Jahr Wahl­kampf, am Schluss viel­leicht eine 25-Pro­zent-AFD oder ein Kanz­ler Seehofer.

D. Grü­ne dul­den schwarz-gel­be Min­der­hei­ten­re­gie­rung – war­um soll­ten wir, bringt die Risi­ken von B.2 mit, ohne auch nur den gerings­ten Einfluss.

E. FDP dul­det schwarz-grü­ne Min­der­hei­ten­re­gie­rung. Etwas wahr­schein­li­cher als D., weil die FDP nach 2009/2013 vor­sich­tig ist. Aber ich hal­te es für unwahrscheinlich.

F. Rot-gelb-rot-grün: Wäre inhalt­lich und poli­tisch mei­ne Lieb­lings­farb­kom­bi, aber real scheint’s mir völ­lig unrea­lis­tisch. Wagen­knecht und Lind­ner an einem Kabinettstisch?

G. Schwarz-gelb-hell­blau -> da wür­de ich dann übers Aus­wan­dern nachdenken. 

Mehr fiel mir an Optio­nen nicht ein. Auch des­we­gen fin­de ich es mehr als ok, wenn wir schau­en, ob Jamai­ka inhalt­lich mög­lich ist. Danach wird dann entschieden.

Ich hat­te das zuerst auf Face­book gepos­tet, auf­grund des regen Inter­es­ses dort auch noch ein­mal im Blog. Dort gab es in den Kom­men­ta­ren auch noch den Hin­weis auf eini­ge wei­te­re Mög­lich­kei­ten, die ich doch nen­nen will.

H. Ech­te Min­der­hei­ten­re­gie­rung nach skan­di­na­vi­schem Vor­bild: CDU/CSU stellt die Kanz­le­rin und das Kabi­nett, für Vor­ha­ben müs­sen jeweils Mehr­hei­ten im Par­la­ment gesucht wer­den. Hät­te anders als bei D/E den Vor­teil, dass es nicht „ech­te“ und „unech­te“ Mit­re­gie­ren­de gibt. Nach­teil: die AfD wäre die „ein­zig wah­re Opposition“.

I. Von der CDU gedul­de­te Ampel. Sozu­sa­gen die Kom­bi­na­ti­on aus H und einem Kanz­ler­wech­sel. Hal­te ich für extrem unwahr­schein­lich und poli­tisch weit, weit weg von allem, was Deutsch­land bis­her kennt.

J. Kon­kor­d­anz­re­gie­rung nach Schwei­zer Vor­bild. Gene­rell clasht das aus mei­ner Sicht mit der Richt­li­ni­en­kom­pe­tenz der Kanzlerin.
J.1 Ohne AfD, sprich: im Kabi­nett sit­zen Minister*innen von CDU, CSU, SPD, FDP, GRÜNEN und LINKEN. Im Par­la­ment wer­den jeweils Mehr­hei­ten gesucht. Aller­dings wäre die AfD dann die ein­zi­ge „ech­te“ Oppo­si­ti­ons­par­tei. Zudem müss­te nach Schwei­zer Vor­bild die Kanz­ler­schaft rotie­ren – passt nicht zu Deutsch­land, leider.
J.2 Ohne AfD und ohne LINKE (weil die Uni­on nur mit­macht, wenn Äqui­di­stanz zu allen „extre­men Kräf­ten“ gewahrt wird. Fak­tisch eine super­gro­ße Koali­ti­on (vgl. Sach­sen-Anhalt), die dann ver­mut­lich eher ver­wal­tet als zu regie­ren. Könn­te zu Deutsch­land pas­sen, wür­de aber gleich­zei­tig ent­we­der zu einer Lahm­le­gung des Par­la­ments oder zu einem Sys­tem­wech­sel im Par­la­ment füh­ren (wech­seln­de Mehrheiten).
J.3 Kon­kor­danz mit allen Frak­tio­nen inkl. AfD am Kabi­netts­tisch. (Wobei die Minister*innen nach Schwei­zer Vor­bild trotz­dem eine Mehr­heit im Par­la­ment bräuch­ten.). Lie­ber nicht.