Ursula K. LeGuin: The Telling

TitelseiteAka ist eine Welt, die nur aus einem Kon­ti­nent besteht. Vor etwa sieb­zig Jah­ren gab es den ers­ten Kon­takt zur Hai­nish-Eku­me­ne, und in die­sen sieb­zig Jah­ren hat sich Aka zu einem Mus­ter­bei­spiel eines Cor­po­ra­te-Sta­te ent­wi­ckelt, in dem Büro­kra­tie, Gewalt, Kon­sum und ein uner­müd­li­cher Fort­schritts­glau­be den All­tag bestim­men. Die Kehr­sei­te davon war eine Art Kul­tur­re­vo­lu­ti­on – die alte ideo­gra­phi­sche Spra­che ist ver­bo­ten, die alten Dia­lek­te sind ver­bo­ten, die alten Bücher sind ver­bo­ten und wer­den ver­brannt. Und die Maz, die Erzäh­len­den, wer­den ver­folgt und umerzogen.

Die Eku­me­ne ist mit vier Per­so­nen auf die­sem Pla­ne­ten ver­tre­ten; mehr sind nicht erlaubt. Eine davon ist die Ang­lo-Inde­rin Sut­ty, die der Tod ihrer Gelieb­ten und einer im Bür­ger­krieg zwi­schen Eku­me­ne und reli­giö­sen Unitis­ten gefan­ge­nen Erde ins All ent­flo­hen ist, im Glau­ben, auf Aka eine hier­ar­chie­lo­se, dis­kri­mie­rungs­freie Gesell­schaft zu fin­den – nicht den büro­kra­ti­schen, homo­pho­ben Cor­po­ra­te Sta­te, in dem sie nach 60 Jah­ren NAFAL-Flug ankommt. Obwohl sie es sich zuerst nicht zutraut, ist sie umso glück­li­cher, als ers­te der vier Eku­me­ne-Bot­schaf­te­rIn­nen die Haupt­stadt Akas ver­las­sen zu dür­fen, und in Okzat-Ozkat, einer länd­li­chen Stadt recher­chie­ren zu dür­fen. Sie hofft, dort noch auf Über­res­te der rigo­ros aus­ge­lösch­ten Ver­gan­gen­heit Akas zu sto­ßen – und ent­deckt weit mehr, als sie gesucht hat. Lang­sam fin­det sie Spu­ren, die sich zu einem Gesamt­bild eines Sys­tems zusam­men­fü­gen, das im Unter­grund wei­ter­lebt: The Tel­ling. Und sie fin­det Hin­wei­se dar­auf, dass das, was auf der Erde pas­siert, und das, was auf Aka pas­siert, durch­aus mit ein­an­der zu tun hat

Gran­di­os erzähl­te Sci­ence-Fic­tion mit einem durch­aus ein­ge­lös­ten lite­ra­ri­schen Anspruch eine Geschich­te, die auch als eine Alle­go­rie gele­sen wer­den kann auf den Zusam­men­stoß zwi­schen Wes­ten und Nicht­wes­ten, der den Nicht­wes­ten dazu bringt, sich selbst aus­zu­lö­schen im schei­tern­den Ver­such, dem Wes­ten gleich zu wer­den. Und wie üblich bei Le Guin sind die Figu­ren des Buchs über­zeu­gend und tief­grün­dig – und las­sen einen auch nach dem Lesen nicht mehr los.

LeGu­in, Ursu­la K. (2000): The Tel­ling. New York / San Die­go / Lon­don: Harcourt.
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Ursula K. LeGuin: The Left Hand of Darkness

TitelseiteEin SF-Roman von Ursu­la K. LeGu­in, der im Hai­nish-Uni­ver­sum spielt. Es han­delt sich dabei um den Bericht des »Erst­kon­tak­ters« Gent­ly Ai (ein Ter­ra­ner), der ver­sucht, den Pla­ne­ten Winter/Gethen in die Eku­me­ne ein­zu­bin­den. Win­ter ist ein Pla­net in der Eis­zeit, auf dem es zwar Tech­no­lo­gien wie Radio, Moto­ren, etc. gibt, der aber kei­ne indus­tri­el­le Revo­lu­ti­on erlebt hat. Außer­dem gibt es kei­ne Män­ner oder Frau­en – die Bewoh­ne­rIn­nen(?) sind geschlechts­los, bis auf eine kur­ze Pha­se jeden Monat, in dem sie je nach Zufall, Part­ner etc. männ­lich oder weib­lich wer­den (Kem­mer) und Sex haben können.

Gent­ly beschreibt sei­ne Rei­se durch das feu­da­le Kar­hi­de und das büro­kra­ti­sche Orgoreyn, lie­fert Doku­men­te aus der Geschich­te der Gethe­ni­er, kommt in ein Arbeits­la­ger, wird von Estra­ven befreit, – dem/der er nicht traut – reist mit ihm/ihr im Schlit­ten über das Eis (der IMHO ein­drucks­volls­te Teil des Buches), erreicht sein Ziel, freun­det sich mit sei­nem Befreier/seiner Befreie­rin an, … 

Das Buch erhielt den Hugo und den Nebu­la; die­se Aus­ga­be ent­hält außer­dem eine Ein­füh­rung von LeGu­in aus dem Jah­re 1976. Ziem­lich beeindruckend/fesselnd.

LeGu­in, Ursu­la K. (1976): The Left Hand of Dark­ness. New York: Ace (Orig. 1969).
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Ursula K. LeGuin: The Lathe of Heaven

TitelseiteEine groß­ar­tig geschrie­be­ne 170 Sei­ten lan­ge Meta­pher, die für die Ambi­va­lenz von Zukunfts­ent­wür­fen und die Not­wen­dig­keit einer Balan­ce zwi­schen Wirk­lich­keit und Traum steht. Geor­ge Orr [G. Orwell???] hat die Fähig­keit, mit sei­nen Träu­men Din­ge wirk­lich zu machen, die gesche­hen sind. Auf den ers­ten Blick sieht das aus wie die Fähig­keit, die Welt zu verändern. 

Sein Orrs Psych­ia­ter erkennt die­se Fähig­keit und nutzt die­se dazu aus, die Welt zu ver­bes­sern – was u.a. zur Inva­si­on der Ali­ens und zu einer Welt führt, in der alle ein­heit­lich grau und lang­wei­lig sind. Jede Ver­bes­se­rung ist gleich­zei­tig auch eine Kata­stro­phe. Natür­lich kommt’s zu Grö­ßen­wahn sei­tens des Psych­ia­ters, und einem ent­spre­chen­den Ende – er blickt dem nuklea­ren Welt­krieg ins Auge, der Rest der Welt erlebt ein zwei­stün­di­ges Nichts – und am Schluß exis­tiert eine Unord­nung aus Bruch­stü­cken ver­schie­dens­ter Wel­ten. With a litt­le help of your fri­ends, den net­ten und sehr frem­den Ali­ens von Alde­ba­ran, wird’s schon wie­der wer­den – und ist zumin­dest lebens­wer­ter und balan­cier­ter als das, was davor war. Und alles endet mit dem Anfang einer Liebesgeschichte.

Le Guin, Ursu­la K. (1997): The Lathe of Hea­ven. New York: Avon Books (Orig. 1971).
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Ursula K. LeGuin: The Dispossessed

Ein SF-Roman, der auf den bei­den Zwil­lings­wel­ten Urras und Anar­res spielt. She­vek, ein Phy­si­ker von Anar­res durch­bricht die über hun­dert Jah­re lang wäh­ren­de Iso­la­ti­on des Pla­ne­ten, um sei­ne Ergeb­nis­se publi­zie­ren zu kön­nen, stellt aber schnell fest, daß Urras auch nicht sein Ide­al darstellt.

Urras ent­spricht weit­ge­hend der Situa­ti­on der Erde heu­te, Anar­res wird als anar­chis­ti­sche (bzw nicht-auto­ri­tär-kom­mu­nis­ti­sche) Sied­lung dar­ge­stellt. Anar­res ist dabei ein unwirt­li­cher Pla­net, der von Urras aus als eher unin­ter­es­san­ter Mond ange­se­hen wird und etwa 140 Jah­re vor der Zeit, in der der Roman spielt den Anhän­ge­rin­nen von Odo (die so ähn­lich wie Marx etc. dar­ge­stellt wird) über­las­sen wur­de. Die­se haben dort eine freie Gesell­schaft errich­tet, in der sich aber rela­tiv bald schon wie­der ziem­lich wich­ti­ge infor­mel­le Struk­tu­ren (Odo hat gesagt, daß …; sozia­ler Druck als höchs­tes Gut) her­aus­ge­bil­det haben. Merk­ma­le der Gesell­schaft: Abso­lu­te Gleich­be­hand­lung von Män­nern und Frau­en (zum Bei­spiel Namens­ver­ga­be durch Com­pu­ter, Namen asso­zie­ren kei­ne Geschlech­ter), Los­ver­fah­ren zur Beru­fung in das zen­tra­le Pla­nungs­ko­mi­tee, Sied­lungs­rä­te, frei­wil­li­ge Arbeits­ein­sät­ze, Gemein­schafts­schlaf­räu­me, so gut wie kein Pri­vat­be­sitz, kein Geld, strik­te antie­go­is­ti­sche Erzie­hung (die Gesell­schaft ist alles, Du bist nichts …).

Der Roman ist (a) gut les­bar und (b) regt er an, dar­über nach­zu­den­ken, wie eine anar­chis­ti­sche Gesell­schaft denn nun tat­säch­lich aus­se­hen könn­te. Inzwi­schen ein Klas­si­ker moder­ner Utopien.

Eine inter­es­san­te Ergän­zung zu The Dis­pos­s­es­sed stellt die Kurz­ge­schich­te „The day befo­re the revo­lu­ti­on“ dar, die online ver­füg­bar ist. Die­se Kurz­ge­schich­te spielt in der Vor­ge­schich­te der Welt von Anar­res, sie ist aber auch eine Geschich­te über LeGu­ins Vor­stel­lung von Anar­chis­mus, vor allem aber eine Geschich­te über Laia Odo (nach der der Odo­nia­nis­mus benannt ist), die zum Zeit­punkt des Tex­tes eine alte Frau ist, am Tag vor der Revo­lu­ti­on, ihrer Revolution.

Le Guin, Ursu­la K. (1996): The Dis­pos­s­es­sed. An Ambi­gous Uto­pia. Glas­gow: Har­per­Coll­ins (Orig. 1974).
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Kurzeintrag: Kommunalwahl Schleswig-Holstein (Update 3: Jamaika?)

Nach ers­ten Trend­aus­sa­gen haben bei der heu­ti­gen Kom­mu­nal­wahl in Schles­wig-Hol­stein bei­de grö­ße­ren Par­tei­en deut­lich Ver­lus­te hin­neh­men müs­sen (CDU: ‑10 Punk­te, SPD, ‑4 Punk­te), wäh­rend die klei­ne­ren Par­tei­en mehr oder weni­ger deut­li­che Stimm­ge­win­ne hat­ten. Beim NDR heißt es dazu:

Nach einer ers­ten Schät­zung der Lan­des­wahl­lei­te­rin liegt die CDU bei 40,1 Pro­zent, das sind 10,7 Punk­te weni­ger als 2003. Die SPD ver­liert 3,6 Punk­te und erreicht 25,7 Pro­zent. Die Grü­nen lie­gen lan­des­weit bei 9,6 Pro­zent (2003: 8,4 Pro­zent), die FDP bei 8,3 Pro­zent (5,7). Die Lin­ke kommt auf Anhieb auf 7,3 Pro­zent, der Süd­schles­wig­sche Wäh­ler­ver­band (SSW) erreicht 3,0 Pro­zent (2003: 2,5 Pro­zent). (Quel­le)

Mit dazu bei­getra­gen hat mög­li­cher­wei­se auch das Ver­bot der bis­he­ri­gen 5%-Hürde; damit ist das Risi­ko, Stim­men, die an klei­ne Par­tei­en gehen, effek­tiv zu ver­lie­ren, gesun­ken. Wie dem auch sei, auf jeden Fall sind die 9,6 % ein gutes grü­nes Ergeb­nis. Mal schau­en, ob es bei die­sen Trend­aus­sa­gen bleibt, und schon mal herz­li­chen Glück­wunsch in den Norden!

Update: Sehr schön eini­ge Ein­zel­er­geb­nis­se – so sind die Grü­nen in Lübeck in zwei Wahl­krei­sen stärks­te Par­tei, in Kiel in vier Wahl­krei­sen zweit­stärks­te Par­tei mit Pro­zent­sät­zen um die 20 %. Inter­es­sant fin­de ich das doch über­ra­schend gute Abschnei­den der LINKEN – auch im Hin­blick dar­auf, dass wir in Baden-Würt­tem­berg 2009 Kom­mu­nal­wah­len haben werden.

Update 2: Ein inter­es­san­ter Neben­ef­fekt des Kie­ler Ergeb­nis­ses ist, dass die bis­her dort regie­ren­de schwarz-grü­ne Koali­ti­on nun kei­ne Mehr­heit mehr hat.

Update 3: (26.05.2008) Die WELT – wer auch sonst – dis­ku­tiert das Wahl­er­geb­nis als Start­schuss für Jamai­ka-Koali­tio­nen in vie­len Städ­ten und Gemein­den. Und zitiert den Lan­des­vor­sit­zen­den der Grü­nen Schles­wig-Hol­stein, Robert Habeck, damit, dass es tat­säch­lich eine Wäh­ler­wan­de­rung von der CDU zu den Grü­nen (im End­ergeb­nis sogar bei 10,3%) gege­ben habe, ins­be­son­de­re im Ham­bur­ger Umland.