Kurz: Multiple Heimatsdimensionen

Ganz kurz, weil im Zuge des letz­ten Spie­gels etc. mal wie­der über Hei­mat etc. dis­ku­tiert wird, bis hin zur Hei­mat Inter­net: Ich glau­be, vie­les ver­wir­rend Erschei­nen­de wird kla­rer, sobald Stadt und Land, Real­raum und Inter­net etc. etc. nicht mehr als Gegen­satz­paa­re gedacht wer­den, son­dern als ortho­go­na­le Kontinuume. 

Soll hei­ßen: in der glo­ba­li­sier­ten Infor­ma­ti­ons­ge­sell­schaft der Spät­mo­der­ne ist Hei­mat nicht ein­fach hier oder da, son­dern bei­des, oder sogar alles drei. Bedingt sowohl durch die erhöh­te phy­si­sche Mobi­li­tät als auch durch neue Kom­mu­ni­ka­ti­ons­struk­tu­ren über­la­gern sich plötz­lich meh­re­re Netz­wer­ke: Eines sozia­ler Bezie­hun­gen, in dem meh­re­re Orte (Her­kunfts­ort, Wohn­ort, Arbeits­ort, Freun­de­sor­te, Stan­dard­ur­laubs­or­te) Rol­len spie­len – je nach Ein­kom­men und Sta­tus auch trans­na­tio­nal – und eines der sozia­len Kom­mu­ni­ka­tio­nen im Netz. Cloud, Wol­ke, beschreibt bei­de sozia­le For­men ganz gut. Migra­ti­on und glo­ba­le Bil­der­strö­me (da den­ke ich an Appa­du­rai) tra­gen ein ihres zu die­sen Netz­werk­bil­dun­gen bei.

Wenn Hei­mat nicht mehr mono­gam gedacht ist, erschei­nen schein­bar gegen­läu­fi­ge Ent­wick­lun­gen plötz­lich gar nicht mehr so selt­sam: gleich­zei­tig regio­na­ler und glo­ba­ler zu wer­den, wie­der mehr Wert auf den Ort samt geni­us loci zu legen und in aller­lei gro­ße Dis­kur­se ein­ge­bun­den zu sein, sich sowohl bestimm­ten klein­tei­li­gen, viel­leicht sogar loka­len Sti­len affin zu füh­len als auch gro­ßen Iden­ti­täts­clus­tern hei­mat­lich ver­bun­den zu sein: 

All das und viel mehr ist dann denk­bar. Hei­mat der sozi­al ver­netz­ten Welt­bür­ge­rIn­nen ist dann eben nicht allei­ne, son­dern auch ein Teil des Internets.

7 Antworten auf „Kurz: Multiple Heimatsdimensionen“

  1. Die Beschrei­bung des Hei­mat­be­griffs im Vir­tu­el­len greift mir zu kurz. Das geht weit über den Kom­mu­ni­ka­ti­ons­aspekt hin­aus. Es gibt dafür das Kon­zept des „vir­tu­el­len Rau­mes“, das hier m. E. zwin­gend erwähnt wer­den muß. Ein plas­ti­sches Bei­spiel kann ver­deut­li­chen, was ich mei­ne. Wenn ich in einem Online-Rol­len­spiel eine Gegend beson­ders mag, für sie an Wett­be­wer­ben teil­neh­me oder sie gar mit­ent­wick­le, sie bele­be, viel­leicht eine Geschich­te dazu erfin­de, so kann die­se Gegend für mich eine vir­tu­el­le Hei­mat sein. Die­se vir­tu­el­le Hei­mat kann sich viel­leicht sogar bis ins Off­line-Leben aus­wir­ken, wenn ich auf Spie­ler­tref­fen in Wett­be­wer­ben für die Gegend antre­te. Der sprin­gen­de Punkt ist: Es fin­det eine Iden­ti­fi­ka­ti­on mit dem vir­tu­el­len Raum statt, die nahe­zu iden­tisch mit der Iden­ti­fi­ka­ti­on mit einer rea­len Hei­mat im Sin­ne einer Gegend ist, in der man sich wohl­fühlt, wo man sich ein­bringt und mit der man sich iden­ti­fi­zie­ren kann. Auch die von dir erwähn­te Kom­mu­ni­ka­ti­on und Gemein­schaft spie­len dabei natür­lich eine gewich­ti­ge Rol­le. Men­schen ler­nen sich dort ken­nen, kom­mu­ni­zie­ren mit­ein­an­der, freun­den sich viel­leicht an. Das geht sogar so weit, daß für Spie­ler, die real ver­stor­ben sind, von ande­ren Spie­lern in die­ser vir­tu­el­len Welt Grab­mä­ler ange­legt wer­den. Im MUD Unito­pia gibt es so etwas, und es gibt dort mitt­ler­wei­le über 10 Off­line-Jah­re alte Grä­ber, die von „vir­tu­el­len“ Freun­den der ver­stor­be­nen Per­so­nen nach wie vor gepflegt wer­den. Ich den­ke, das zeigt ein­drück­lich, wie sehr Men­schen in einer vir­tu­el­len Umge­bung ver­haf­tet sein kön­nen. Mir fällt es schwer, hier dann nicht von Hei­mat zu reden.

    1. Hei­mat im Vir­tu­el­len – kann ich durch­aus nach­voll­zie­hen, und dach­te, dass ich das oben auch mit­ge­meint hat­te. Aber ist’s tat­säch­lich der „Raum“ (je län­ger es das Netz gibt, des­to weni­ger hal­te ich Raum­me­ta­phern für brauch­bar), oder sind’s nicht doch (z.T. sedi­men­tier­te) Kom­mu­ni­ka­tio­nen, die hier eine Dimen­si­on Hei­mat erschaffen?

      1. Das kommt ganz stark auf das Medi­um an. Bei den moder­nen sozia­len Medi­en wie Face­book und Twit­ter wür­de ich dir Recht geben. Da paßt die Raum­me­ta­pher nur ganz am Ran­de. In den alten sozia­len Netz­wer­ken wie IRC oder ins­be­son­de­re in MUDs ist der vir­tu­el­le Raum dage­gen enorm prä­sent, und da paßt die Meta­pher sehr gut. Neh­men wir als Bei­spiel IRC. Im IRC hast du Chan­nel. Das sind abge­grenz­te vir­tu­el­le Räu­me, die mit rea­len Räu­men sehr viel gemein­sam haben. Wenn ich einen IRC-Chan­nel betre­te, wer­de ich genau­so mit einem gewis­sen Publi­kum, mit Regeln und Gepflo­gen­hei­ten kon­fron­tiert, wie wenn ich eine Knei­pe oder einen ande­ren rea­len Raum betre­te. Sicher, auch hier spielt Kom­mu­ni­ka­ti­on eine gro­ße Rol­le, aber der IRC-Chan­nel ist auch dann ein abge­grenz­ter Raum, der vie­le Ähn­lich­kei­ten mit rea­len Räu­men hat, wenn sich nur eine Per­son dar­in befin­det. Bei­spiels­wei­se kann der Raum abge­schlos­sen wer­den, und es kommt nur rein, wer den rich­ti­gen Schlüs­sel hat. Man kann Leu­te in den Raum ein­la­den, wie man Leu­te zu sich in die Woh­nung ein­la­den kann. 

        In MUDs wird das alles noch viel plas­ti­scher. Hier ist Kom­mu­ni­ka­ti­on über­haupt nicht mehr not­wen­dig, um den vir­tu­el­len Raum als sol­chen zu erle­ben. Die Räu­me dort kann ich erfor­schen. Ich kann Din­ge im Raum anfas­sen, mich umhö­ren, rie­chen, mir Details im Raum anse­hen, wie in jedem rea­len Raum auch. Vor dem geis­ti­gen Auge ent­steht dann auch schnell ein Bild die­ses Rau­mes. In Bezug auf die Fra­ge von Hei­mat kann ich aus eige­ner Erfah­rung sagen, daß für mich eine Raum­be­schrei­bung, die Atmo­sphä­re, die damit geschaf­fen wur­de, aus­schlag­ge­bend für die Fra­ge war, wel­che Gegend in dem MUD ich als vir­tu­el­le Hei­mat für mei­nen Cha­rak­ter anse­he. Die­se Gegend wird von Spie­lern kaum besucht. Kom­mu­ni­ka­ti­on fin­det dort also so gut wie nicht statt, auch nicht mit Non-Play­er-Cha­rak­te­ren, denen man dort bes­ser aus dem Weg geht, als sie anzu­spre­chen. In dem Fall ist es also kei­nes­wegs die Kom­mu­ni­ka­ti­on, son­dern wirk­lich die Raum­er­fah­rung, die hei­mat­stif­tend ist.

        1. Der Schritt vom Con­tai­ner (du hast Recht – auch Use­net habe ich oft so emp­fun­den) zum Strom/Netzwerk ist viel­leicht tat­säch­lich einer, der etwas mit „Web 1.0“ (wobei WWW dabei nur die gerings­te Rol­le spielt) und „Web 2.0“ zu tun hat. 

          Beim MUD wer­de ich … hmm … doch noch ein­mal haar­spal­te­risch: Das „anfas­sen, mich umhö­ren, rie­chen, anse­hen“ usw. ist ja letzt­lich auch nichts ande­res als Kom­mu­ni­ka­ti­on (bzw. Medi­en­re­zep­ti­on). Du bist nicht in die­sem Raum, du kennst nur Kom­mu­ni­ka­tio­nen dar­über, die es dir ermög­li­chen, dir ein inten­si­ves Bild davon zu machen und den ima­gi­nier­ten Raum als Raum zu erle­ben. (Ob das mit real­räum­li­chen Hei­mat­ge­füh­len ganz anders ist, sei jetzt mal dahin­ge­stellt – auch da spielt die ima­gi­nier­te, auf Kom­mu­ni­ka­tio­nen und Medi­en­re­zep­ti­on auf­bau­en­de Vor­stel­lung des Raums Hei­mat mög­li­cher­wei­se eine grö­ße­re Rol­le als die tat­säch­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit ört­li­chen Gegebenheiten …).

  2. Das „anfas­sen, mich umhö­ren, rie­chen, anse­hen“ ist für mich kei­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on. Wir wür­den ja auch nicht sagen, daß wir mit einem Stuhl kom­mu­ni­zie­ren, den wir off­line anschau­en. Es han­delt sich um vir­tu­el­le Hand­lun­gen. Daher greift auch der Begriff Medi­en­re­zep­ti­on m. E. zu kurz, weil man bei einer rei­nen Rezep­ti­on nicht aktiv ein­greift. Hier aber grei­fe ich aktiv ein, etwa wenn ich einen vir­tu­el­len Gegen­stand in einem vir­tu­el­len Raum neh­me. Ich ver­än­de­re also den Raum. Sicher fin­det erst mal eine Medi­en­re­zep­ti­on statt, wenn ich die Raum­be­schrei­bun­gen lese, und ich bin sicher­lich nicht phy­sisch vor Ort. Aber bei real­räum­li­chen Hei­mat­ge­füh­len lau­fen m. E. trotz phy­si­scher Anwe­sen­heit ähn­li­che Pro­zes­se ab. Wie du rich­tig sagst, spielt die „ima­gi­nier­te … Vor­stel­lung des Raums Hei­mat“ eine gro­ße Rol­le. Denn Hei­mat­ge­fühl ist nichts, was objek­tiv vor­han­den ist, es ist ein sub­jek­ti­ves Emp­fin­den. Und die­ses Emp­fin­den kann on- wie off­line entstehen.

    1. Wie gesagt, haar­spal­te­risch: stär­ker noch als im „rea­len“ Raum gibt es im „vir­tu­el­len“ Raum kei­ne Sin­nes­ein­drü­cke, die nicht medi­al ver­mit­telt sind. Statt vir­tu­ell zu han­deln, erzählst du nur – gemein­sam mit ande­ren und mit non-humans – eine Geschichte.

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