Kurz hatte ich ja schon darauf hingewiesen, dass es hier in Freiburg durch den Austritt von Coinneach McCabe und Monika Stein aus der grünen Fraktion gerade turbulent hergeht. Etwas schief angeguckt wurde ich, weil ich diesen Austritt u.a. damit kommentiert habe, dass das beste Ergebnis wohl zwei grüne Listen wären. Was meine ich damit?
Einen Haken für jeden politischen Mantel?
Derzeit ist das Verständnis der Situation ja folgendes: zwei „Abtrünnige“ treten aus der Fraktion aus, die letztlich auf die Wahlversammlung der grünen Parteimitglieder zurückgeht, und machen eine eigene Gruppe im Gemeinderat auf, mit der Ankündigung, vielleicht auch bei den Wahlen 2009 anzutreten. Der erste Gedanke eines guten Parteimitglieds muss jetzt natürlich sein: das geht nicht, jedenfalls nicht, solange die Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen bleiben, denn dann gäbe es eine konkurrierende Liste und damit ein parteischädigendes Verhalten. Das ganze wäre auch insofern paradox, als ja beispielsweise alle in Freiburg wohnenden grünen Parteimitglieder (so sie generell wahlberechtigt sind) die Kommunalwahlliste aufstellen. Dann könnten auch auf konkurrierenden Listen antretende Parteimitglieder mitentscheiden, wer denn da gegen sie aufgestellt wird. Ist schräg und zurecht durch Satzungen gedeckelt.
Das ganze ließe sich aber auch noch aus einem ganz anderen Blickwinkel anschauen. Bei der letzten Kommunalwahl haben die Freiburger Grünen – als Volkspartei, die sie hier sind – 25,8 Prozent und damit 13 Sitze erhalten (Quelle). Möglicherweise liegt das kommunale WählerInnen-Potenzial für grüne Politik im weiteren Sinne jedoch noch deutlich höher. Eine Volkspartei hat immer das Problem, relativ kompromisshaltige Programme schreiben und umsetzen zu müssen. Je stärker die Ausrichtung in eine Richtung (das muss jetzt nicht mal unbedingt das klassische Schema links-rechts sein, sondern kann auch z.B. heißen Kulturpolitik vs. Umweltschutz) geht, und je eher das über die tatsächliche WählerInnenschaft hinausgehende Potenzial in dieser Richtung „abgeschöpft“ wird, desto größer ist das Risiko von Verlusten am entgegengesetzten Rand des Spektrums der Partei. Entsprechend kommt es zu Wanderungen zu anderen Listen oder ins Lager der NichtwählerInnen.
Die derzeitige Fraktion in Freiburg besteht aus den Grünen und aus der Liste Junges Freiburg, die eigenständig angetreten ist. Auch diese Konstellation ist nicht ohne Schwierigkeiten, zuletzt gab es ja auch hier Ausschlüsse, Übertritte, und so weiter. Trotzdem ist zu vermuten, dass die von zwei getrennten Listen „Junges Freiburg“ einerseits und „Die Grünen“ andererseits erreichte Prozent- und Sitzzahl höher ist als die einer gemeinsamen Liste, die sich von vorneherein auf Kompromisse einigen hätte müssen. Das Wahlsystem setzt dem Prinzip „getrennt antreten, vereint schlagen“ enge Grenzen; auch das Auszählungsverfahren nach d’Hondt begünstigt tendenziell größere Listen.
Jetzt ganz hypothetisch gesprochen: was würde passieren, wenn die Freiburger Grünen feststellen, dass ein bestmögliches Angebot für relevante und politisch nahestehende WählerInnen-Zielgruppen darin bestehen würde, nicht mit einer Liste anzutreten, sondern mit zwei Listen, die beide von der Partei Bündnis 90/Die Grünen unterstützt und – vielleicht proportional zu einem Abstimmungsergebnis – mit Geldern für den Wahlkampf versehen werden? Einmal abgesehen davon, dass das ein solches Vorgehen möglicherweise rechtlich problematisch ist (Darf eine Partei überhaupt zwei Listen ins Rennen schicken? Wer stellt dann wen auf?) könnte ich mir vorstellen, dass unter der Rahmenbedingung „Volkspartei mit großem WählerInnen-Potenzial“ ein Antreten mit zwei Listen zu einem besseren Gesamtergebnis führt als eine Liste. Beide Listen müssten dann natürlich programmatisch klar von einander abgegrenzt sein und jeweils ein eigenes Profil haben – vielleicht einen Kern von gemeinsamen Forderungen, und dann jeweils eine differenzierende Akzentsetzung. Damit würden zielgruppenspezifische Produkte auf den Wahlmarkt geworfen, die – so die jeweiligen Versprechen dann auch gehalten werden – insgesamt zu einer größeren Akzeptanz führen könnten als eine gemeinsame Liste.
Um es klar zu sagen: bei einem Potenzial im einstelligen Bereich bietet sich so ein Vorgehen genauso wenig an wie z.B. bei Bürgermeisterwahlen, wo ja letztlich nur eine Person gewählt werden kann. Aber wenn es darum geht, mehr als ein Viertel der Bevölkerung mit angemessener Politik zu versorgen, könnten zwei profilierte Listen eine interessante Lösung sein.
Soweit das Gedankenexperiment – die rechtlichen Möglichkeiten und die politischen Realitäten sehen vermutlich anders aus. Und auch die kleine Lösung, also eine gemeinsame Liste, aber eine klare Identifikation von einzelnen Gruppen auf dieser Liste, um die in Baden-Württemberg vorgesehene Möglichkeit des Kumulierens mit Leben zu füllen, erscheint mir leider recht unwahrscheinlich.
Trotzdem ist es vielleicht gar nicht so falsch, eben gerade auch angesichts der relativ verfahrenen aktuellen Situation darüber nachzudenken, ob mit innovativen Strategien nicht doch letztlich mehr daraus werden kann als eine große Schlammschlacht kurz vor der Wahl. Querzudenken (beliebte grüne Fähigkeit, außer, sie wird eingesetzt) kann hier vielleicht mehr gewinnen als der Rückgriff auf scheinbar bewährte Handlungsrollen.
Warum blogge ich das? Weil kurze schnippische Kommentare leicht missverstanden werden.
Dass man mit zwei programmatisch ähnlichen Parteien potentiell mehr Wähler ansprechen kann, ist ja vielleicht richtig. Allzu groß dürfte der Effekt aber nicht sein, denn für den an Umweltschutz interessierten Wähler wird wahrscheinlich auch eine kulturorientierte grüne Partei die Partei seiner Wahl sein – Wahlentscheidungen sind ja immer Abwägungsentscheidungen; man wählt ja häufig die am wenigsten schlechte Partei. Wohl kaum ein Wähler findet sich im Wahlprogramm der von ihm unterstützten Partei zu 100 % wieder.
Aber selbst wenn bspw. die Grünen in der Lage wären, sich durch eine Spaltung in zwei Parteien von 25 auf 30 % zu verbessern, so ergibt sich doch nachher das Problem, dass die Abstimmungsschwierigkeiten in der Koalition sehr viel größer werden und darunter letztlich der politische Prozess leidet.
Hinzu kommt noch, dass durch eine derartige Spaltung häufig auch Wähler abgeschreckt werden. Die Öffentlichkeit erwartet von Parteien geschlossenes Auftreten. Diskussion ist innerhalb eines gewissen Rahmens zwar gut, aber zuviel Diskussion wird an der Wahlurne gnadenlos bestraft: siehe SPD. Die haben sich ja in den letzten Jahren praktisch in zwei Parteien gespalten (SPD und Linkspartei), bekommen aber auch nicht mehr Stimmen als vorher. Und regierungsfähig scheinen sie auch nicht unbedingt im Moment.
Danke für den ausführlichen Kommentar – dazu vielleicht zwei Anmerkungen:
1. Ich sehe einen Unterschied zwischen einer Spaltung und einer Strategie, in der eine Partei zwei „Markenprodukte“ für unterschiedliche Segmente anbietet. Das SPD/Linkspartei-Beispiel illustriert das sehr gut – zumindest meiner Einschätzung nach hängt das Nullsummenspiel hier auch mit der stark auf persönliches Beleidigtsein zurückzuführenden Einstellung „mit euch, die ihr euch von uns abgespalten habt“ zusammen. Daraus resultiert Koalitionsunfähigkeit und der Zwang zum gegenseitigen Dissen.
2. Was mir nach dem Schreiben und auch durch den Kommentar nochmal deutlich geworden ist: die Arena, in der dann sinnvoll politisch zusammengearbeitet werden kann, darf natürlich kein Parlament mit Fraktionszwang und Regierung/Opposition sein, sondern müsste eigentlich – und die baden-württembergische Kommunalverfassung eröffnet hier durchaus Möglichkeiten – ein Parlament wechselnder Mehrheiten und thematischer Zusammenarbeit sein. Dann wäre es auch kein Problem (sondern Profilbildung und Wählerauftrag), wenn Liste 2 bei Einzelentscheidungen andres als Liste 1 abstimmt.
Im ersten Moment habe ich gedacht, du willst das buf a/b‑Modell übertragen aber die Vergleichbarkeit hältst sich doch sehr in Grenzen.
Bei einem spontanen Blick ins KomWG habe ich erstmal keine Regelung gefunden, die das explizit verbietet (beim Bundestagswahlrecht ist es explizit verboten) , allerdings kann ich mir kaum vorstellen, dass das so einfach geht.
Die Sache hat auch sonst mehrere Haken. Ich kann mir nicht vorstellen, wie der Wahlkampf aussieht, wo es einen ständigen zwang zu Abgrenzung, Profilierung und Kritik gibt. Wie würde unsere Wählerschaft auf solche Tricks reagieren? Ich bezweifle, dass sie das toll finden. Was passiert langfristig, wenn das die anderen Parteien auch machen?
Der Wahlkampf muss ja nicht gegeneinander (also gegen jede andere Liste) geführt werden – beim vorletzten rot-grünen Koalitionswahlkampf hat das ja auch ganz gut geklappt. Und bezüglich der Wählerschaft: Cola light und Cola classic zur Auswahl ist doch nicht schlecht, oder?
Letztlich geht es auch in der Kommunalpolitik um Entscheidungen. Man kann beispielsweise nicht gleichzeitig Einsparungen in bestimmten Politikfeldern aufgrund der Haushaltslage fordern und nicht fordern. Man kann auch nicht Häusle verkaufen und nicht verkaufen. Ein späteres „vereint schlagen“ setzt aber bereits voraus, dass man diese Entscheidungen getroffen hat und diese nur noch in einem eingeschränkten maße zur profilierung einzelner gruppen zur verfügung stehen, bzw. eben genau die einlösung der wahlversprechen nicht gelingt.
ein weiteres problem: wenn ich nicht mal die mir am nahestehendste gruppierung (meine partei) auf meine seite bekomme – wie will ich dann mehrheiten organisieren? letztlich führt das zu rein symbolischer politik, wie sie in freiburg zum teil die UL betreiben. symbolische politik als einfache lösung aber verunmöglicht leider oft tatsächlich sinnvolle politische debatten und damit innovative lösungen.
dass eine solche lösung kurzfristig vielleicht mehr grüne in den gemeinderat bringt, mag stimmen. mittelfristig und langfristig aber schadet es aber eher.
die markenproduktanalogie finde ich irgendwie verfehlt. cola und cola light sind vollkommen andere produkte, das einzig verbindende ist, dass eine bestimmte firma in atlanta profitiert. falls es sich lohnen würde, würde diese firma auch münsterwurst-cola produzieren. das ist bei politischen parteien anders. sie wollen zwar wahlen gewinnen, aber eben nicht um jeden preis. eine ausdifferenzierung auf lokaler ebene ist zudem schwer vermittelbar, weil der großteil der wähler sich allen unkenrufen zum trotz auch bei kommunalwahlen an parteien orientiert. und parteien eben auf allen ebenen existieren: land, bund, europa. die kommunalwahlen in bw – daran sei erinnert – sind übrigens zeitgleich mit den europawahlen.
Hallo Tim, klar geht es um Entscheidungen – ich stelle nur in Frage, ob der Komplexitätsreduktionsmechanismus Partei/Fraktion mit harten Grenzen der beste ist. Oder ob es der Gegenwart nicht angemessener wäre, wenn bestimmte „flache Gräben“ schon von vorneherein auf dem Wahlzettel stünden. Wenn also, um die Erfahrung mit rot-grün heranzuziehen, von vorneherein klar ist: zwar eint grüne Liste „classic“ und grüne Liste „light“ der Wunsch nach mehr Umweltschutz, aber in der Sozialpolitik und in der Friedenspolitik gibt es Differenzen, und parlamentarische (Koalitions-)Mehrheiten gibt es in der Sozial- und Friedenspolitik mit der grünen Liste „classic“ weniger schnell als real unter rot-grün.
Das Argument, des „Mehrheiten organisierens“ verliert an Gewicht, wenn es themenspezifisch differierende Mehrheiten gibt. Das verändert natürlich den Charakter von Politik. Um das Beispiel Freiburg heranzuziehen: statt monolithischer Entscheidungen CDU/Freie Wähler/Grüne+JF wäre es mir zumindest manchmal lieber gewesen, eine Mehrheit aus SPD, UL, Teilen der Grünen und vielleicht Teilen der Freien Wählern zu haben. Richtig an dem Argument ist, dass höhere Flexibilität und genauere Interessenabbildung von Wählerwünschen zu weniger Verlässlichkeit und geringerer Stabilität führt. Da muss ein parlamentarisches System erstmal mit klarkommen, und hier liegt vielleicht auch tatsächlich ein Schwachpunkt im Experiment.
Trotzdem glaube ich, dass es der Demokratie gut tut, wenn WählerInnen genauer bestimmen können, wie ihre Interessen vertreten werden. Das kann über direktdemokratische Elemente passieren, über eine Personalisierung (vgl. Hamburg, vgl. Kumulieren/Panaschieren) – die dann aber schlecht wieder von Fraktionszwängen aufgefressen werden darf – aber auch über eine Ausweitung der Produktpalette. Natürlich ist meine Markenproduktanalogie nur eine Analogie (und wenn es statt Cola light/classic unterschiedliche Bionade-Geschmacksrichtungen sind, passt sie vielleicht noch besser: alle Grün-WählerInnen wollen Bionade, aber die einen lieber Holunder und die anderen lieber Litschi – wenn über zufällige Mehrheiten in der Produktionsanlage bestimmt wird, was in der Flasche landet, wird es den wenigsten schmecken.
Insofern traue ich WählerInnen möglicherweise ein bißchen mehr Ausdifferenzierung als Gegenstück zu einer differenzierten Wirklichkeit zu – den Umgang damit zu lernen und entsprechende politische Praktiken zu finden, ist dann noch was anderes. Ist aber ja hier auch erstmal nichts weiter als eine Überlegung.
Letzter Satz: dass Kommunal- und Europawahlen zeitgleich stattfinden, ist zwar praktisch, hilft aber nur bedingt – jedenfalls schneiden z.B. die „freien Wähler“ in den letzten Jahren nicht schlechter ab, obwohl es dort diese Doppelwahlen gibt.
lieber till,in kürze nur zu den wechselnden mehrheiten, weils spät ist…
zumindest in der freiburger konstellation sind wechselnde mehrheiten, die eine GAL organisiert, GEGEN die grüne mehrheitsfraktion kaum denkbar. wechselnde mehrheiten mit der grünen mehrheitsfraktion sind denkbar und – da gebe ich dir vollkommen recht – man hätte sie sich vielleicht bei einzelnen entscheidungen auch gewünscht. wie in einer solchen gemengelage es einfacher sein soll als grüne splittergruppe mehrheiten zu organisieren, erschließt sich mir nicht. vielmehr ist der entscheidende erste schritt, sich die grünen stimmen zu sichern. wie das mit zwei gruppierungen einfacher sein soll, erschliesst sich mir absolut nicht.
@Tim: aus Tageszeitgründen ebenfalls nur ganz kurz – wenn Du nicht von einer grünen Mehrheitsfraktion mit zwölf Sitzen oder so und einer GAL mit zwei Sitzen ausgehst, sondern von einer Fraktion mit z.B. acht Sitzen und einer mit z.B. sechs Sitzen, dann sieht das Spiel gleich ganz anders aus.* Für die derzeitige Zusammensetzung des Freiburger Gemeinderats hast du recht.
* Um dem Argument vorzugreifen: machtpolitisch, z.B. im Zugriff auf Ausschusssitze und Bürgermeisterposten, ist eine große Fraktion definitiv besser als zwei kleinere. Oder: Einmal an einem losen Faden ziehen, und schon hängt das ganze ausbalancierte System in den Seilen.
Inzwischen sind Coinneach und Monika auch aus der Partei ausgetreten – folgerichtig, aber irgendwie auch schade.
!Ola aus Costa Rica,
danke fuer die Anregungen. Koennten wir doch auch mal in Kirchzarten ausprobieren, da haben wir BuendnisGruenen ja bisher ueber 25% Stimmanteil.…
Gruss von der BaumInvest Investorenreise als gwaehlter Beirat der Investoren von # http://www.bauminvest.de # aus MalPais am Pacifico!
Na, zuviel Freizeit in Costa Rica, dass hier alte Blogposts aufgestöbert werden?
Jedenfalls hat mein Gedankenexperiment oben auch ein paar notwendige Voraussetzungen – nämlich die prinzipielle Einigkeit, mit zwei unterschiedlich profilierten Listen anzutreten. Nur dann halte ich es für sinnvoll. Insofern sehe ich nicht, dass das ein Modell für Kirchzarten sein könnte ;-)