Zwischen Wissenschaft und Kunst (Update: Bebilderung)

I am a hard bloggin' scientist. Read the Manifesto.

Futu­ris­ti­sches fran­zö­si­sches Design – selt­sam geschwun­ge­ne Lini­en und Far­ben – sind viel­leicht der rich­ti­ge Kom­men­tar zu der Kon­fe­renz, an der ich gera­de zeit­wei­se teil­ge­nom­men habe. Das Design lie­fert der TGV, der mich von Zürich, der unbe­kann­ten Metro­po­le in den Ber­gen, zurück zur deut­schen Gren­ze bringt. Der dies­jäh­ri­ge Kon­gress der Schwei­zer STS-Com­mu­ni­ty (STS steht je nach Kon­text für Sci­ence, Tech­no­lo­gy, Socie­ty oder für Sci­ence & Tech­no­lo­gy Stu­dies) stand unter dem Mot­to „Sci­ence­Fu­tures“: wis­sen­schaft­li­che Zukunfts­bil­der, Zukunfts­for­schung, lite­ra­ri­sche und künst­le­ri­sche Ver­ar­bei­tun­gen etc. 

TGV Zürich-Paris
Die ange­spro­che­nen Design-Eigen­hei­ten sind in die­sem ver­rausch­ten Han­dy-Foto eher zu erah­nen denn zu sehen

Da ich nur an zwei der drei­ein­halb Kon­gress­ta­ge teil­neh­men konn­te, kann ich zum eigent­lich Kon­gress­pro­gramm gar nichts rich­tig aus­führ­li­ches sagen. Es war jeden­falls bunt gemischt; so rich­tig fremd fühlt man sich als Sozio­lo­ge erst, wenn die Debat­te zwi­schen Desi­gnern, Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin­nen und „hard sci­en­tists tur­ned his­to­ri­ans of their disci­pli­ne“ statt­fin­det. Aber ich schwei­fe ab, und auch das ein­drucks­vol­le Inne­re der ETH Zürich soll hier nicht The­ma sein. Mich hat­ten vor allem die Sci­ence-Fic­tion-ori­en­tier­ten Panels ange­zo­gen (u.a. gab es einen schö­nen Vor­trag über das Wis­sen­schafts­bild in Greg Egans Distress und Kim Stan­ley Robin­sons Ant­ar­c­ti­ca). Selbst habe ich auch was vor­ge­tra­gen; unter dem Titel „From Eco­to­pia to ever­y­day life: the making of sus­taina­bi­li­ty“ habe ich ange­schaut, wie ein pra­xis­theo­re­ti­sche, auf Akteurs-Netz­wer­ke gestütz­ter Ansatz auf Dis­kurs­frag­men­te – hier das für den „Neu­en-Lebens­stil-Dis­kurs“ der 1970er Jah­re typi­sche Buch „Eco­to­pia“ von Ernest Cal­len­bach – ange­wen­det wer­den kann. Und wie immer zuviel rein­ge­packt; dazu, danach zu fra­gen, ob die heu­ti­gen „mul­ti­ple sus­taina­bi­li­ties“ eigent­lich eine ähn­lich aus­sa­ge­kräf­ti­ge Uto­pi­sie­rung erfah­ren, bin ich gar nicht mehr gekom­men (BTW: www.utopia.de ist in dem Kon­text auch inter­es­sant, gera­de weil’s kei­ne Uto­pie sucht, dar­stellt, ist).

Ziem­lich typisch für die STS-Com­mu­ni­ty sind Grenz­über­schrei­tun­gen der ver­schie­dens­ten Art; Dis­zi­plin­gren­zen wer­den genau­so über­wun­den, durch­bro­chen oder über­setzt wie die Grenz­zie­hun­gen zwi­schen Kunst und Wis­sen­schaft, sei es als Gegen­stand der For­schung, sei es als The­ma­ti­sie­rungs­form. Das fin­de ich sym­pa­thisch, wenn auch manch­mal etwas anstren­gend. Sie­he oben die Bemer­kung zur sozio­lo­gi­schen Fremd­heits­er­fah­rung. Das letz­te Panel auf die­sem Kon­gress (glück­li­cher­wei­se dort­hin ver­scho­ben, sonst hät­te ich nicht teil­neh­men kön­nen) stell­te eine aus mei­ner Sicht beson­ders inno­va­ti­ve Form dar, eta­lier­te wis­sen­schaft­li­che Rou­ti­nen und Prak­ti­ken frag­wür­dig wer­den zu las­sen und einen Reflek­ti­ons­raum zu schaf­fen. Micha­el Gug­gen­heim, Rai­ner Egloff und Sha LaBa­re haben unter dem Titel „The Sci­ence Fic­tion of STS“ an die Stel­le der übli­chen Prä­sen­ta­tio­nen refle­xi­ve Nar­ra­ti­ve aus den Gen­res Sci­ence Fic­tion bzw. Fan­ta­sy gesetzt, um so die Zukünf­te der STS aus­zu­lo­ten. Dies war auf jeden Fall unter­halt­sam. Ob das Reflek­ti­ons­ziel erreicht wur­de, – da bin ich mir nicht so sicher. Gug­gen­heim trat in der Rol­le des sei­ner All­ge­gen­wart müden „Actua­li­ser“ auf: aus dem fol­low the actors wird ein eli­mi­na­te con­tin­gen­cy, eli­mi­na­te histo­ry, wenn die STS-For­schung einem selbst­be­wuss­ten Com­pu­ter über­tra­gen wird. Egloff bezog sich in sei­ner ver­schach­tel­ten Erzäh­lung dar­auf und dis­ku­tier­te in Form eines Brie­fes aus dem wis­sen­schaft­li­chen Unter­grund die Gren­zen und Not­wen­dig­kei­ten links­in­tel­lek­tu­el­len Enga­ge­ments. Eine etwas ande­re Per­spek­ti­ve nahm LaBa­re ein, der in die Rol­le eines Dra­chens – bei LeGu­in kön­nen Dra­chen nur wahr lügen – schlüpf­te und über Ler­nen und Ver­ges­sen und die Vor­zü­ge der Igno­ranz berichtete.

ETH plaza I
Typi­scher Blick von der ETH auf die Stadt. Und unter den komi­schen Kegeln liegt die Vor­fahrt Leo­pold­stra­ße im drit­ten Tief­ge­schoss, oder so.

Wie gesagt, als Expe­ri­ment auf jeden Fall span­nend. Was aller­dings nicht so gut funk­tio­nier­te, war Kom­mu­ni­ka­ti­on inner­halb die­ses nar­ra­ti­ven Rah­mens. Erst trau­te sich nie­mand, fra­gen zu stel­len (wiss. Kon­fe­ren­zen funk­tio­nie­ren bekannt­lich nach dem Mus­ter Vor­trag-Fra­gen-Vor­trag-Fra­gen-Vor­trag-Fra­gen-Dank), und als es dann doch noch zu einer Debat­te kam, war dies vor allem eine dar­über, was sol­che Grenz­über­schrei­tun­gen bewir­ken. Einen Dis­ku­tan­ten erin­ner­te das alles – posi­tiv oder nega­tiv gemeint, blieb unklar – sehr an die 1970er Jah­re. Die Zukunft der STS, die Fra­ge, ob eine Kon­fe­renz zur Wahr­heits­fin­dung bei­trägt, und das kri­ti­sche Enga­ge­ment von Intel­lek­tu­el­len wur­den dage­gen in der Dis­kus­si­on nicht the­ma­ti­siert (wohl aber in der anschlie­ßen­den Kaffeepause).

Zürich view II (night view)
Züri at night – viel bes­ser als die meis­ten ande­ren Groß­städ­te im nähe­ren Umfeld mei­nes Wohnorts.

Mein per­sön­li­ches Fazit: sich bewusst zu sein, dass auch wis­sen­schaft­li­che Tex­te Nar­ra­tio­nen sind ist eben­so frucht­bar wie das Spiel mit den Gren­zen des Gen­res. Für eine Inte­gra­ti­on der­ar­ti­ger For­men in die all­täg­li­chen Prak­ti­ken wis­sen­schaft­li­chen Aus­tau­sches scheint mir dage­gen mehr not­wen­dig zu sein als ein­fach nur der Aus­tausch des Vor­trags­for­mat mit dem Erzäh­lungs­for­mat. Hier ist noch Brü­cken­bau­ar­beit zu leis­ten. Dann könn­te dar­aus auch metho­do­lo­gisch etwas span­nen­des werden.

War­um blog­ge ich das? Um ein paar Gedan­ken zum inter­es­san­tes­ten Ele­ment die­ser Kon­fe­renz los­zu­wer­den, und weil ich mich an der Gren­ze zwi­schen STS und Sozio­lo­gie ste­hend in der STS immer nur halb hei­misch fühle.

P.S.: Bil­der fol­gen, sobald die Tele­kom in der Lage ist, mir nicht nur die DSL-Hard­ware, nach einer Erin­ne­rung dann auch eine DSL-Lei­tungs­frei­schal­tung, son­dern auch eine Anschluss­ken­nung zuzuschicken. 

Update: Der Tele­kom ist’s gelun­gen. Also bit­te: Bilder.

Menschheitsgeschichte in 60 Sekunden?

Via Worlds­fair: Prof. Alan Charles Kors von der Uni­ver­si­ty of Penn­syl­va­nia ver­sucht, die Geschich­te der Mensch­heit in 60 Sekun­den zu erklä­ren. Hier fin­det sich das Tran­skript zu sei­nem Vor­trag. Und hier fin­det sich mein Ver­such, das gan­ze schnell mal eben ins Deut­sche zu übersetzen:

- Am Anfang Stäm­me: har­tes Leben.
– Über den engen Kreis hin­aus waren Gewalt, Abnei­gung gegen­über Unter­schied­lich­keit und Skla­ve­rei das Nor­ma­le. Über­all Aberglaube.
– Kul­tur trägt zu deren Über­win­dung bei.
– Regen-Land­wirt­schaft macht Ver­rück­te möglich.
– Bewäs­se­rungs-Land­wirt­schaft bevor­zugt Gemeinschaften.
– Arbeits­tei­lung und Han­del füh­ren zu gegen­sei­ti­ger Koope­ra­ti­on, auch über den Stamm hinaus.
– Immer aber der Impuls: „Töte oder ver­skla­ve den Außenseiter!“
– Schritt für Schritt ent­steht Wis­sen­schaft aus Athens Pakt mit der Vernunft.
– Arbeits­tei­lung, Han­del, Wis­sens­meis­ter­schaft, und mit der Zeit Mehr­wert, manch­mal erwei­ter­te Frie­dens­herr­schaft und viel­fäl­tig ent­stan­den­de Regeln und Zusam­men­ar­beit zwi­schen Frem­den: immer in der Abwehr gegen die grim­mi­ge Nor­ma­li­tät der Stam­mes­herr­schaft, Gewalt und Ignoranz.
– Nie­mand, der hier lehrt, weiss was in Zukunft pas­sie­ren wird.

War­um blog­ge ich das? Weil ich inter­es­sant fin­de, wie sich über die Form („Mensch­heits­ge­schich­te in 60 Sekun­den“) die­se Kurz­dar­stel­lung ver­brei­tet (ich tra­ge mit die­sem Ein­trag natür­lich auch dazu bei), und weil mir gera­de in der kom­pak­ten Form auf­fällt, dass ich mich fra­ge, ob ich die­se Dar­stel­lung eigent­lich plau­si­bel fin­de (Arbeits­tei­lung, Han­del und Wis­sen als Moto­ren des Fort­schritts), oder ob wir es hier letzt­lich mit einem sehr guten Bei­spiel für eine aus einer ganz bestimm­ten Kul­tur her­aus gese­he­nen Reinter­pre­ta­ti­on des Welt­ge­sche­hens zu tun haben. Jeden­falls scheint mir die Mensch­heits­ge­schich­te in 60 Sekun­den eini­gen Stoff für Dis­kus­sio­nen zu bieten.

Google regulieren statt Wikipedia schlagen (Update 3: Knol)

Her­mann Mau­rer ist ein distin­gu­ier­ter Pro­fes­sor für Infor­ma­tik an der TU Graz. Ste­fan Weber hat sich dem Kampf gegen die „Copy-and-Pas­te-Kul­tur“ ver­schrie­ben. Bei­de zusam­men haben mit wei­te­ren Mit­ar­bei­te­rIn­nen jetzt einen „For­schungs­re­port“ ver­fasst, der dar­le­gen soll, dass ers­tens Goog­le eine Gefahr für min­des­tens die Welt­wirt­schaft dar­stellt und dass zwei­tens „other Web 2.0 rela­ted phe­no­me­na, par­ti­cu­lar­ly Wiki­pe­dia, Blogs, and other rela­ted com­mu­ni­ty efforts“ – also die Orga­ni­sa­ti­on von Infor­ma­tio­nen durch Lai­en statt durch pro­fes­sio­nel­le Exper­ten-Soft­ware – eben­so brand­ge­fähr­lich sei­en. Das gan­ze hat dem Gra­zer Insti­tut eini­ge Schlag­zei­len gebracht („Goog­le zer­schla­gen“ (Netzpolitik.org), „Goog­le muss zer­schla­gen wer­den (heise.de)).

UB terminals waiting
Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek – Kata­log­su­che noch ganz ohne Google-Know-How …

Hin­ter dem Getö­se scheint mir aller­dings nicht sehr viel zu ste­cken. Viel­mehr wird wild mit Ver­mu­tun­gen um sich geschla­gen (etwa der Ste­fan-Weber­schen „The­se“ des „Goog­le Copy Pas­te Syn­dro­me“ oder einer ver­schwö­rungs­theo­re­tisch erklär­ten Höher­ran­kung von Wiki­pe­dia-Arti­keln bei Goog­le). Ins­be­son­de­re wer­den zwei Sachen zusam­men­ge­wor­fen: die Tat­sa­che, dass es eine qua­li­ta­ti­ve Ver­än­de­rung von Web 1.0 zu Web 2.0 gab, also die stär­ke­re Ein­be­zie­hung von Nut­ze­rIn­nen in die Gene­rie­rung von Con­tent, und die Tat­sa­che, dass eine basa­le Infra­struk­tur – näm­lich die meist­ge­nutz­te Such­ma­schi­ne – in pri­va­ter Hand ist. Die Kri­tik an Punkt 1 erscheint mir nur aus dem aka­de­mi­schen Elfen­bein­turm her­aus ver­ständ­lich (bzw. nur im Kon­text kul­tur­pes­si­mis­ti­scher Welt­bil­der). Die Kri­tik an Punkt 2 hat eini­ges für sich, wird aber so in ein fal­sches Licht gestellt – und führt ange­sichts des Hin­ter­grunds der AutorIn­nen (und der For­de­rung nach regio­na­len bran­chen­spe­zi­fi­schen Such­ma­schi­nen) zur Fra­ge, was die­se sich davon ver­spre­chen. Zumin­dest wei­te­re For­schungs­gel­der für öffent­lich geför­der­te Such­ma­schi­nen soll­ten wohl – so mei­ne ins Blaue zie­len­de Ver­mu­tung – wohl raus­sprin­gen, oder?

Wenn wir das Getö­se und den (ja auch schon in der Tele­po­lis und in ande­ren Medi­en zu Hau­fe wahr­nehm­ba­ren) Ärger Ste­fan Webers über die Mög­lich­keit des erleich­ter­ten Abschrei­bens dank digi­ta­ler Kopier­bar­keit mal bei­sei­te las­sen, bleibt die Fra­ge, ob ange­sichts eines Geschäfts­mo­dells, bei dem mög­lichst genau­es Wis­sen über die Nut­ze­rIn­nen zur Erleich­te­rung ent­spre­chen­der Wer­be­ver­käu­fe den Grund­stock bil­det, Goog­le nicht tat­säch­lich eine Gefahr dar­stellt. Darf eine pri­va­te Fir­ma – und sei sie auch noch so bemüht, sich mög­licht un-evil zu geben – die Kon­trol­le über einen wich­ti­gen Teil der Web­in­fra­struk­tur haben? Und dass eine Such­ma­schi­ne heu­te für die Funk­ti­on des Inter­nets extrem wich­tig ist – noch dazu eine, die z.B. in Fire­fox als Stan­dard ein­ge­stellt ist – und dass damit Nut­zer­da­ten en mas­se gewon­nen wer­den – stimmt auf jeden Fall. Was nicht in Goog­le auf­taucht, wird tat­säch­lich sel­ten gese­hen. Ande­rer­seits sind auch die Tele­fon- und Daten­net­ze in pri­va­ter Hand. War­um also nicht der Lay­er „Such­ma­schi­ne“? Und auch die Auf­merk­sam­keits­bün­de­lung funk­tio­niert ja nicht nur über Goog­le. Ers­tens gab es davor ande­re Such­ma­schi­nen (die Zei­ten von Alta­vis­ta …), die von Goog­le vor allem auf­grund der bes­se­ren Ergeb­nis­se und Bedien­bar­keit abge­löst wur­den, zwei­tens gibt es wei­ter­hin ande­re Such­ma­schi­nen (z.B. Yahoo und die Ver­su­che von Micro­soft), drit­tens tra­gen pri­va­te Medi­en­an­ge­bo­te wie Spie­gel online sicher­lich eben­so mas­siv zur For­mie­rung von Welt­bil­dern bei, wie dies Wiki­pe­dia-Ein­trä­ge und Such­ma­schi­nen­tref­fer tun, und vier­tens ist der tech­no­lo­gi­sche Vor­sprung von Goog­le zwar gewal­tig, aber nicht unein­hol­bar. Tech­no­ra­ti ist ein Bei­spiel dafür. 

Wie könn­te eine Regu­lie­rung von Goog­le aus­se­hen? Wich­ti­ge Gesichts­punk­te hier sind sicher­lich der Daten­schutz und die Fra­ge, was Goog­le wie lan­ge spei­chern kann, die Fra­ge, in wel­cher Form Such­ergeb­nis­se zur Ver­fü­gung gestellt wer­den (also z.B. auch digi­tal an Wei­ter­ver­wer­ter …) und die Fra­ge, ob die Neu­tra­li­tät der Such­ergeb­nis­se regu­lier­bar ist (z.B. eine kla­re Kenn­zeich­nung nicht nur der Text­an­zei­gen am Rand, son­dern aller Such­ma­schi­nen­er­geb­nis­se, die nicht allein algo­rith­misch ein­ge­ord­net wur­den). Da lie­ße sich ver­mut­lich ein ent­spre­chen­der poli­ti­scher Rah­men schaffen.

Bleibt als Fazit: Kar­tell­äm­ter und ähn­li­che Auf­sichts­be­hör­den sind auch im Web 2.0 nicht unwich­ti­ger gewor­den. Und auch der sym­pa­thischs­ten Fir­ma soll­te ab und zu auf die Fin­ger geschaut wer­den – ins­be­son­de­re, wenn es um grund­le­gen­de Infra­struk­tu­ren geht: Was­ser, Strom, Ver­kehrs­net­ze, Daten­net­ze oder die dar­über lie­gen­den Lay­er an Infor­ma­ti­ons­in­fra­struk­tu­ren. Mono­pol­bil­dungs­ten­den­zen lie­gen hier nahe. Die Lösung, „Goog­le zu zer­schla­gen“, oder mas­siv öffent­li­che Gel­der in die Kon­kur­renz zu ste­cken, ergibt mei­ner Mei­nung nach jedoch wenig Sinn. Und Wiki­pe­dia, Second Life und ande­re Web‑2.0‑Angebot ein­fach mal so mit­zu­schla­gen, wenn etwas ande­res gemeint ist, ist eben­so falsch. Natür­lich ist auch das Web 2.0 in gro­ßem Maße eine Infra­struk­tur – am Bei­spiel Flickr habe ich mir ja schon ein­mal aus­führ­lich Gedan­ken dazu gemacht, war­um eigent­lich ein offe­ner Stan­dard für sozia­le Netz­wer­ke not tut. Nicht zuletzt Goog­le ist hier übri­gens in letz­ter Zeit ziem­lich aktiv

War­um blog­ge ich das? Weil ich mich über die Mel­dung – und dann über den Report – ziem­lich geär­gert habe.

Update: Wer etwas Intel­li­gen­tes über die Gefah­ren einer Goog­le-World lesen möch­te, ist mit Scr­oo­g­led von Cory Doc­to­row bes­tens bedient. Dank der von Weber ver­pön­ten Crea­ti­ve-Com­mons-Lizenz liegt die­se Kurz­ge­schich­te inzwi­schen in dut­zen­den Spra­chen vor und kann krea­tiv ver­wen­det werden.

Update 2: Noch zwei inter­es­san­te Reak­tio­nen der Blog­sphä­re: Gra­zer Dekan badet im Fett­näpf­chen, heißt es in Öster­reich, und bei Mathi­as Schind­ler gibt es ein paar gute Argu­men­te gegen die­sen „For­schungs­re­port“ aus Sicht der Wiki­pe­dia (auch die Kom­men­ta­re sind lesenswert).

Update 3: (14.12.2007) Flo­ri­an Röt­zer weist in der Tele­po­lis auf Goo­gles Pro­jekt Knol her­aus – eine wohl unter Crea­ti­ve-Com­mons-Lizenz ste­hen­de autoren­be­zo­ge­ne Wiki­pe­dia-Alter­na­ti­ve. Also doch auf dem Weg zur infor­ma­tio­nel­len und dis­kur­si­ven Welt­be­herr­schung? Oder nur ein Ver­such, ein aka­de­mi­sches Äqui­va­lent zu Face­book & Flickr zu schaf­fen? Mich inter­es­siert vor allem – mal jen­seits der dys­to­pi­schen Unken­ru­fe – die Fra­ge, ob Knol, wenn es den wirk­lich kommt, bidi­rek­tio­nal Wiki­pe­dia-kom­pa­ti­bel ist; sprich, in wie weit Artikel(fragmente) aus dem einen in das ande­re Sys­tem wan­dern können.

Open Access in Göttingen

Es gibt eine Open-Access-Initia­ti­ve, an der auch die Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek Göt­tin­gen betei­ligt ist. Das ist inso­fern inter­es­sant, weil die grü­ne Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaft Wis­sen­schaft, Hoch­schu­le, Tech­no­lo­gie­po­li­tik die­ses Wochen­en­de in Göt­tin­gen tagt und sich zwar auch mit Exzel­lenz­uni­ver­si­tä­ten, ins­be­son­de­re – näm­lich am 2.11. ab 18 Uhr – mit dem The­ma Open Access beschäf­ti­gen wird. Dis­ku­tiert wer­den sol­len die for­schungs­po­li­ti­schen und hoch­schul­prak­ti­schen Sei­ten von Open Access. Der Abend im Grü­nen Zen­trum Göt­tin­gen ist für Inter­es­sier­te offen. Als Refe­ren­tIn­nen sind Dr. Kat­ja Mruck und Dr. Gün­ther Mey aus Ber­lin (FQS, CEDIS der FU Ber­lin, …) und Dr. Nor­bert Los­sau (direk­ter besag­ter Göt­tin­ger Biblio­thek) ein­ge­la­den; inso­fern bin ich sicher, dass es inter­es­sant wer­den wird. Wer sich also ange­spro­chen fühlt, darf ger­ne kommen.

War­um blog­ge ich das? Weil ich Open Access – also den kos­ten­frei­en, öffent­lich Zugang zu (wis­sen­schaft­li­cher) Lite­ra­tur im Inter­net – ein sehr span­nen­des Kon­zept fin­de, gera­de wenn es um öffent­lich geför­der­te For­schungs­er­geb­nis­se geht. Und mir nicht hin­ter­her anhö­ren möch­te, vor­her nicht bescheid gesagt zu haben, dass da was Inter­es­san­tes statt­fin­den wird.

Asymmetrische Öffentlichkeit (Update 4: Haftbefehl aufgehoben!)

Über das Blog der Kul­tur­wis­sen­schaft­li­chen Tech­nik­for­schung bin ich gera­de auf das Blog Anna­list gesto­ßen – die Lebens­ge­fähr­tin von Andrej H. berich­tet dar­in über den All­tag zwi­schen Über­wa­chung, juris­ti­schem Kampf und ganz nor­ma­len Din­gen. Ich fin­de das extrem ein­drucks­voll und hal­te es für etwas, was mög­lichst vie­le Leu­te lesen sollten.

War­um blog­ge ich das? Ich kann mich hier Klaus Schön­ber­ger anschließen:

Die­ses Web­log ist für einen Web­log­for­scher aus zwei­er­lei Grün­den fas­zi­nie­rend. Es ist ers­tens eine durch­aus inno­va­ti­ve poli­ti­sche Stra­te­gie sich gegen staat­li­che Drang­sa­lie­rung und Ter­ro­ri­sie­rung, und die damit ver­bun­de­ne Durch­drin­gung des eige­nen All­tags öffent­lich zu Wehr zu set­zen. […] Ein sol­ches Blog ist zwei­tens auch eine pro­ba­tes Mit­tel der Selbst­re­fle­xi­on, mit den damit ver­bun­de­nen Zumu­tun­gen durch BKA und Gene­ral­bun­des­ant­walt­schaft umzugehen. 

Schluss­end­lich könn­te man die­ses Web­log als eine neu­ar­ti­ge Pro­test­form ana­ly­sie­ren, in einem assy­m­e­tri­schen Kon­flikt, in dem dem Betrof­fe­nen Klan­des­t­in­i­tät und Ille­ga­li­tät zum Vor­wurf gemacht wird, sich nicht nur sub­jek­tiv zu behaup­ten, son­dern ein Stück weit auch Gegen­macht zu demons­trie­ren. Die­se Offen­le­gung per­sön­li­cher all­täg­li­cher Hand­lun­gen und Details bringt die gan­zen Kon­struk­tio­nen der Ver­fol­gungs­be­hör­den zumin­dest dis­kur­siv zum implodieren.

Update: Ernst Corinth schreibt in der Tele­po­lis bedenkenswertes:

Wer Anna­list sorg­fäl­tig liest, erfährt also von Men­schen, denen man das Recht auf Pri­vat­sphä­re völ­lig genom­men hat, die ein­ge­schüch­tert und in die Enge gerie­ben wer­den. Und er lernt dabei eine Bun­des­re­pu­blik ken­nen, in der Bun­des­be­hör­den und Poli­zei ganz offen und schein­bar ganz legal staat­li­che Will­kür aus­üben. Ein Doku­ment, das erschro­cken und betrof­fen macht. Und Schlim­mes für die Zukunft befürch­ten lässt.

Update 2: „Ich wür­de die aktu­el­le Auf­merk­sam­keit gern für etwas nut­zen, das uns sofort wie­der in die Nie­de­run­gen der Ebe­ne führt, aber uns auch sehr nahe geht. Die­ses Ver­fah­ren kos­tet unglaub­lich viel Geld.“ Des­we­gen: hier die Spen­den­kon­ten. Und über­mor­gen wird über die Fra­ge ent­schie­den, ob die Aus­set­zung des Haft­be­fehls der Sicht des Bun­des­ge­richts­hofs ent­spricht – oder ob Andrej H. wie­der in U‑Haft muss.

Update 3: (24.10.2007) Nach Medi­en­be­rich­ten ist der Haft­be­fehl gegen Andrej H. auf­ge­ho­ben; ermit­telt wer­den darf gegen ihn jedoch wei­ter­hin. Mehr dazu – und zu den lau­fen­den Zeu­gen­ver­neh­mun­gen – bei Anna­list.

Update 4: Hier noch die umfang­rei­che Kom­men­tie­rung des Gan­zen bei Spreeblick.